Israel in Flammen
Wie die Brände den Hass in der israelischen Gesellschaft aufs Neue entfachen

von Jacob Reimann

12/2016

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Für knapp eine Woche standen große Teile Israels in Flammen. Die Frage, ob die über 200 Brände natürlichen Ursprungs sind oder vorsätzlich gelegt wurden, spaltet die israelische Gesellschaft und bringt unbarmherzig deren schändliche Fratze des tief verwurzelten Rassismus ans Tageslicht.

Seit Dienstag wüten in Israel und Palästina heftige Waldbrände. Von über 200 Feuern wurde im Zentrum und Norden des Landes, in der Jerusalem-Region, der Mittelmeerküste von Tel Aviv-Jaffa entlang bis nach Haifa, sowie in einigen Teilen des Westjordanlands berichtet. Anders als bei den großen Feuern 2010, bei denen 44 Menschen ums Leben kamen, gibt es aktuell glücklicherweise keine Todesopfer zu beklagen. Mehrere Hundert Menschen wurden jedoch mit Verletzungen, vor allem Rauchvergiftungen, in ärztliche Behandlung gegeben. Nach Zahlen israelischer Behörden brannten insgesamt rund 130 Quadratkilometer Wald- und Buschflächen.

Am heftigsten von den Flammen betroffen ist die Haifa-Region, in der auch ich zurzeit lebe, die Wälder der Carmel Mountains im Süden der Stadt standen tagelang in Flammen. 75.000 Menschen – rund ein Viertel der Bevölkerung – aus elf Stadtvierteln mussten hier evakuiert werden, was die größte Massenevakuierung in der Geschichte Israels darstellt, wie Haifas Bürgermeister Yona Yahav berichtet. Über 600 Häuser wurden durch das Feuer beschädigt, über ein Drittel davon komplett zerstört. 132 Menschen wurden allein in Haifa verletzt, darunter viele Kinder.

Im ganzen Land öffneten staatliche Einrichtungen, sowie religiöse Organisationen (jüdische und muslimische gleichermaßen) ihre Tore, um die Vertriebenen unterzubringen und zu versorgen. Auch über die sozialen Netzwerke wurde privat schützender Wohnraum zur Verfügung gestellt.

Die Brände folgen einer monatelangen Dürreperiode in der Region. Auch hier in Haifa war das Wetter ungewöhnlich warm und trocken für diese Jahreszeit und seit etwa einer Woche gibt es unaufhörlich heftige teils sturmartige Winde, weshalb sich die Feuer so rasch ausbreiten konnten und so schwer unter Kontrolle zu bringen waren.

In beispielloser Solidarität wurden zur Bekämpfung der Brände Feuerwehrleute, Löschflugzeuge und weiteres Gerät aus Zypern, Kroatien, Italien, der Türkei, Griechenland, Jordanien, Ägypten, Aserbaidschan, Frankreich, der Ukraine, der USA und insbesondere aus Russland entsandt. Auch die Palästinensische Autonomiebehörde schickte zur Bekämpfung der Brände acht Feuerwehrtrucks nach Israel, jeweils eine Hälfte nach Haifa und Jerusalem.

Die Brände sind mittlerweile weitestgehend unter Kontrolle, in Haifa konnten die allermeisten der evakuierten Bewohner bereits am Freitag in ihre Häuser zurückkehren. Bei einer Besichtigung der betroffenen Nachbarschaften am Samstagabend waren die Flammen gelöscht, zurück blieb der Gestank verbrannter Häuser. Der Finanzminister Moshe Kahlon sagte jedem Betroffenen eine Nothilfe von 2.500 Schekel (rund 610 Euro) zu.

Schadenfreude, Rassismus und Spaltung

In Teilen der arabischen Welt ergehen sich einige Personen in genozidalen Fantasien und in Schadenfreude über die Brände, die entsprechenden Hashtags werden in den sozialen Medien Hunderttausendfach verbreitet. „Good luck to the fires. #Israel_IsBurning :)” tweete etwa der populäre Imam der Großen Moschee in Kuwait, Sheikh Mishary Alfasy Rashid, seinen 11,6 Millionen Followern.

Religiöse Fundamentalisten sehen in den Feuern vielmehr die Strafe Gottes für ein jüngst von der Knesset (dem israelischen Parlament) verabschiedetes Gesetz, das den traditionellen Gebetsruf des Muezzins in sämtlichen Moscheen in Israel verbietet, so auch in der drittheiligsten Stätte des Islam, der Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem (ein unerhört islamfeindlicher Akt der „Judaisierung“ Jerusalems, so als würden die Kirchenglocken im Vatikan verboten werden). „Sie versuchten den Ruf des Muezzin zu verbannen,” tweete ein Hamas-Führer aus Gaza, „und Allah ließ Feuer auf sie niederregnen.“

Die Identitäten oder Motive der Verdächtigen sind nicht bekannt, reflexartig steht für Israels rechtsextreme Staatsführung die Täterschaft jedoch fest: die Araber.

Die israelische Regierung sucht die Urheberschaft der Brände hingegen eher im Weltlichen, für sie ist es „klar, dass große Teile der Feuer“ vorsätzlich gelegt wurden, wie die Jerusalem Post berichtet. Auch der Chef der israelischen Feuerwehr, Shmulik Fridman, mutmaßte im israelischen Rundfunk, dass mehr als die Hälfte der Feuer durch Brandstiftung gelegt wurden. 22 Verdächtige wurden mittlerweile festgenommen, wie die New York Times berichtet, acht von ihnen wurden frei wieder gelassen, 14 verbleiben in Untersuchungshaft. Die Identitäten oder mutmaßliche Motive der Verdächtigen sind bisher nicht bekannt, reflexartig steht für Israels rechtsextreme Staatsführung die Täterschaft jedoch fest.

Der ultranationalistische, homophobe Bildungsminister Naftali Bennett schrieb auf Twitter: „Nur jemand, dem das Land nicht gehört, ist in der Lage, es anzuzünden.“ – eine klare Schuldzuweisung an Palästinenser oder die arabisch-israelische Bevölkerung. (Und nebenbei bemerkt eine extrem zynische Aussage, angesichts der 700.000+ Palästinenser, die zur israelischen Staatsgründung 1948 ermordet oder von ihrem Grund und Boden vertrieben wurden – der „Nakba“.)

Amir Ohana, Abgeordneter der regierenden Likud-Partei – der sich auch dafür einsetzt, flächendeckend die israelische Zivilbevölkerung zu bewaffnen – klagte an, die Feuer zeigten, dass „sie lieber den einen Jüdischen Staat zerstören wollen, als den 22. arabischen Staat zu gründen.“ – und mach damit klar, wer „sie“ sind: die Araber.

Die Likud-Abgeordnete Nava Boker spricht von „ökologischem Terrorismus.“ „Wir müssen die Terroristen finden, die unsere Wälder anzünden und Menschenleben in Gefahr bringen,” sagt auch der israelische Kulturminister Miri Regev und sprach die – völkerrechtswidrige – Forderung aus, eventuellen Tätern müsse die Staatsbürgerschaft entzogen werden, eine klare Drohung an die arabische Minderheit in Israel, die etwa 20 Prozent der Bevölkerung stellt. (Völkerrechtwidrig, weil nicht nur die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 in Artikel 15 das Menschenrecht auf Staatsbürgerschaft festschreibt.)

„Ich möchte es so klar wie möglich sagen,“ erklärt der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu, „jedes Feuer, das durch Brandstiftung oder durch Aufhetzung zur Brandstiftung verursacht wird, ist in jeder Hinsicht Terrorismus, und wir werden dementsprechend damit umgehen.“

Es ist allseits bekannt, wie Netanyahu und die israelische Armee mit unterstelltem Terrorismus „umgehen“: Massaker in Gaza, Kollektivstrafen gegen die Zivilbevölkerung, außergerichtliche Hinrichtungen, unter anderem. Was genau meint der israelische Ministerpräsident also, wenn er sagt, er würde nun auch die Feuer wie Terrorismus behandeln? Will er wie in der Vergangenheit so oft geschehen Vergeltung üben und unschuldige Menschen töten?

Eine derart hetzerische, ohne Beweise vorgetragene, martialische Rhetorik der Netanyahu-Regierung – der radikalsten, rechtsextremsten Regierung in der 68-jährigen Geschichte Israels – folgt zwar ihren altbekannten Reflexen, muss aber dennoch aufs Schärfste verurteilt werden. „Es ist bedauerlich,“ mahnt Jamal Zahalka, ein Knesset-Abgeordneter der Vereinigten Arabischen Liste, „wenn gewählte Beamte beschließen, die Spaltung der israelischen Gesellschaft weiter voranzutreiben und Öl ins Feuer zu gießen.“

Auf den einschlägigen Seiten in den sozialen Medien haben vor allem palästinensische Jugendliche außer Spott und Häme nicht viel übrig für die Anschuldigungen der israelischen Regierung. Zu gewohnt sind ihnen die palästinafeindlichen Reflexe der israelischen Rechten. Zu absurd erscheint die Vorstellung, das Land ihrer vertriebenen Eltern und Großeltern wäre von Leuten aus den eigenen Reihen in Brand gesetzt worden. Es kam außerdem auch vielerorts zu Bränden in fast ausschließlich von Arabern bewohnten Vierteln und Dörfern, in Baqa al-Gharbiyye etwa, oder in Tabul und Kamra im Norden Israels. Die Vorwürfe sind in ihren Augen perfide Propaganda des israelischen Sicherheitsapparates, dessen Akteure sich nun wie so oft als die Retter in der Not darstellen wollten.

Auch Ayman Odeh, ebenfalls Knesset-Abgeordneter der Vereinigten Arabischen Liste, verurteilte all jene, „die einen Vorteil aus dieser schrecklichen Situation ziehen und gegen eine gesamte Bevölkerungsgruppe hetzen.“ „Wer unser Heimatland liebt,“ so Odeh weiter, „muss sich jetzt darauf konzentrieren, die Feuer zu löschen und den Verletzten zu helfen, anstatt Hass zu schüren.“ – „Feuer unterscheidet nicht zwischen Juden und Arabern.“

Rassismus als gesellschaftlicher Kitt

Eine Freundin von mir, eine arabische Muslima, wurde gestern in Haifa von einer ihrer Freundinnen, einer Jüdin, in aller Öffentlichkeit beschimpft und angeschrien, da ja „die Moslems“ das Feuer rund um Haifa gelegt haben. So sagt’s das Radio.

Eine Freundin von mir, eine Muslima, wurde in aller Öffentlichkeit beschimpft und angeschrien, „die Moslems“ haben das Feuer rund um Haifa gelegt. So sagt’s das Radio.

Oft rücken Gesellschaften in Zeiten der Katastrophe dichter zusammen (ob nun natürliche oder unnatürliche Katastrophen). Beim verheerenden Dresden-Hochwasser 2013 kamen Tausende Menschen zu uns auf die Leipziger Straße und schleppten in sengender Hitze Sandsäcke, Nachbarn verteilten belegte Brötchen, Wasser und kaltes Bier, ein türkischer Imbiss verschenkte unzählige Dürüms und Ayran an die Helfer – die Stadt stand zusammen und stärkte uns, deren Häuser geflutet waren, den Rücken.

Nicht so im Heiligen Land. Die Antwort auf kollektives Unheil ist nicht etwa Zusammenhalt, sondern Spaltung, keine Solidarität, sondern Hass.

Ja, vielleicht wurden einige der Feuer vorsätzlich gelegt. Vielleicht von ganz gewöhnlichen Vollidioten mit zu viel Langeweile, und ja, vielleicht waren einige dieser Vollidioten Araber. Vielleicht waren es Menschen, die Feuer nur mit Feuer bekämpfen können, die auf in Brand gesetzte Olivenhaine und das verbrannte Baby Ali nur mit brennenden Wäldern reagieren können. Vielleicht diente die reflexartige, schändliche Rhetorik der Netanyahu-Regierung auch als Inspiration für Trittbrettfahrer. Vielleicht war es aber auch nichts von alledem.

Was auch immer geschehen ist, wir werden es hoffentlich bald wissen. Was mich erschreckt, sind die Reaktionen auf diese Katastrophe, wie diese Tragödie auf widerlichste Art und Weise instrumentalisiert wird. Katastrophen holen so oft das Schlechteste der israelischen Gesellschaft hervor – und ihre rechtsradikale Regierung ist der Multiplikator. Der tief verwurzelte Rassismus und der Hass auf die arabische Nachbarin springen dieser Tage noch um Längen schmerzlicher ins Auge als normalerweise. Ein Rassismus, ohne den ein Apartheidsstaat wie Israel nicht funktionieren kann, ohne den ein halbes Jahrhundert systematischer Unterdrückung, Diskriminierung, Ermordung, Plünderung und Ausgrenzung unmöglich gewesen wäre, der als gesellschaftlicher Kitt zu fungieren scheint, als das Fundament, auf dem der Jüdische Staat gebaut ist.

„Die Aufgabe von Feuerwehrleuten ist es, Feuer zu löschen,“ sagt Abdulatif Abu Amshah, der Chef der palästinensischen Feuerwehr, die aus der Westbank zur Hilfe nach Haifa kam, „Du brauchst nicht auf die Religion oder irgendetwas anderes zu gucken.“

Editorische Hinweise

Der Artikel wurde erstveröffentlicht bei Justice Now

Der Autor hat im Sommer 2014 sein Masterstudium in Biochemie in Dresden absolviert. Seinem langjährigen Interesse am Komplex Middle East geschuldet, verschlug es ihn nach Nablus, Palästina, wo er seitdem an der naturwissenschaftlichen Fakultät der An-Najah National University arbeitet. Neben der Ausbildung junger Studenten erforscht er die Auswirkungen chemischer Industrieanlagen auf die Umwelt und die Gesundheit der Menschen in der Westbank. Nebenbei ist er freiwillig für die Flüchtlingsorganisation PICUM tätig und bildet sich in Onlinekursen der UN University for Peace weiter.

Zusammen mit seinem langjährigen Schulkumpel Robat haben die beiden Anfang 2015 den Blog JusticeNow! ins Leben gerufen, dessen Artikel teilweise auch auf HuffingtonPost, der Freitag, free21 und dem US-amerikanischen Foreign Policy Journal erscheinen. JusticeNow! vertritt explizit links-libertäre, pazifistische Ansätze und analysiert und bewertet das politische Tagesgeschehen genau wie das große Ganze, ohne sich jedoch allzu sehr von ideologischem Dogmatismus bevormunden zu lassen.

JusticeNow! steht für die bedingungslose Forderung nach Gerechtigkeit. Hier und jetzt, für jeden Menschen. Nicht bloß für einige wenige und nicht erst in 100 Jahren. Der Kapitalismus, wie wir ihn kennen, beruht auf Krieg und Ausbeutung. Er ist gegen Mensch und Natur gerichtet und daher alles andere als zukunftsfähig. Er muss Schritt für Schritt dekonstruiert und durch eine Ordnung ersetzt werden, die es allen Menschen ermöglicht, auf Augenhöhe miteinander zu leben. In einer gerechten Welt kann es kein Oben und kein Unten geben, nur durch ein solidarisches Miteinander entsteht echte Gerechtigkeit. Dafür steht JusticeNow! – Herrschaftsfrei. Gewaltfrei.