Stadtumbau & Stadtteilkämpfe
Leipzig
Räumung der still besetzten Wohnungen in der Kantstraße

Pressemitteilung via linksunten.indymedia

12/2016

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Am Freitag, den 25.11.16, drangen Handwerker der GRK in die Kantsraße 59a ein. Auf Grundlage eines angeblichen, anonymen Tipps wollten Sie überprüfen, ob eine durch die GRK seit 2 Jahren entmietete Wohnung auch tatsächlich leer steht - sie wurden eines besseren belehrt. Wir, ein Kollektiv aus BesetzerInnen, haben es uns in der Kantstraße seit nunmehr einem Jahr, im Rahmen einer Instandbesetzung, gemütlich gemacht und dort ein neues Zuhause gefunden.

Zum Häuserkomplex Kantstraße 55-63 gehören 4 unsanierte Wohnblöcke mit ingesamt 72 Wohneinheiten von klein bis überwiegend groß. Davon sind lediglich noch 22 offiziell bewohnt – Tendenz sinkend.

Hintergrund ist die asoziale Entmietungspolitik seitens der EigentümerInnen. Waren die Häuser früher in Hand von LWB und Erbengemeinschaften, so sind sie seit ca. 2011 alle im Besitzder GRK Holding – mit den üblichen Folgen einer auf Gewinnmaximierung und Profit gerichteten Entwicklungspolitik, der die Bedürfnisse der hier lebenden Menschen zweitrangig sind. So ist es augenscheinliches Ziel der GRK alle BewohnerInnen der Kantstraße los zu werden. Während der EigentümerInnenwechselzeit bzw. darauf folgend wurden nur noch fragwürdige, befristete Mietverträge vergeben mit der Begründung einer umfassenden Sanierungsankündigung im Sommer 2014. Diese hat bis heute nicht statt gefunden und hat sich längst als billigende Begründung einer Politik der Entmietung erwiesen. Entmietung, um danach mehr Geld mit zahlungskräftigeren Menschen zu verdienen. Asozial sind die spekulative Entmietung, die vorsätzliche Inkaufnahme verfallender Häusersubstanz (wegen Leerstand) sowie die damit einhergehende Politik des Desinteresses an den Bedürfnissen der bestehenden MieterInnenschaft bzw. BewohnerInnenschaft.

Umso absurder ist das soziale Engagement der GRK. Jährlich laden sie zu einem Golf-Charity-Event ein, bei dem gerne mal Millionenbeträge eingespielt werden. Medienwirksame Public Relation vor dem Hintergrund krebskranker Kinder. Gleichzeitig werden ganze Straßenzüge über Jahre entmietet und bezahlbarer Wohnraum den Menschen verwehrt.

In der Kantstraße besteht (noch) bezahlbarer Wohnraum, wie er auch stadtweit erhalten bleiben sollte. Es mag die eine oder den anderen nicht stören dass die GRK, als privatwirtschaftliche Unternehmung, nicht den gleichen bzw. ähnlichen sozialen Aufträgen im Wohnungssektor verpflichtet ist wie die stadteigene LWB oder Genossenschaften - die Auswirkungen auf die NachbarInnenschaft und einer auf purer Renditeerwartung, ganze Stadtteile umwälzender Entwicklungspolitik, ändert es nicht bzw. sind solche Praktiken der Motor einer solchen Interessenvertretung.

Im Zuge der Verknappung sozialen Wohnraumes stehen auch die stadteigene LWB oder Genossenschaften in einer besonderen Verantwortung. Wohnraum sollte dem Gemeinwohl verpflichtet sein. Auch die LWB betreibt die Politik der spekulativen Entmietung. Hier im Süden und Connewitz speziell bspw. in der Kochstraße, der Brandtvorwerkstrasse, der August-Bebel-Straße und etlichen weiteren warten Objekte auf kreative Intervention.

Im Zuge der letzten Freitag erfolgten Räumung unter Polizeischutz konnte niemand verhaftet werden. Der Selbstschutz der BesetzerInnen hat im Moment höchster Not bestens funktioniert! Nun stehen wir jedoch auf der Straße und gerade wird es kalt! Unser und das Bedürfnis von Dritten,  nach einem friedlichem Rückzugsort, wie es eine jede Wohung darstellt, wurde zerstörerisch angegriffen. Unser Gesprächsangebot wurde, trotz ausreichender Fristsetzung, ausgeschlagen.

Hiermit wollen wir ein Zeichen setzen. Ein Zeichen gegen das System kapitalistischer Wohnungsmarktpolitik einhergehend mit PolitikerInnen, die dies nicht dezidiert stoppen wollen (also fast alle). Wenn gewaltförmige Handlungen wie Zwangsräumungen und anhängige Repressionen diese Stadtentwicklungspolitik betoniert, so rufen wir dazu auf hier alles kreativ umzudekorieren, was dem offensichtlich entspricht.

Wir rufen Euch dazu auf es uns nach zu tun! Seid ihr - wie wir - arm, von Gewalt bedroht, ohne legalen Status, Opfer staatlicher und kapitaler Repression oder habt einfach die Schnauze voll von Sachsen, Deutschland oder Kapitalismus? Nehmt euch was ihr braucht oder passt es kreativ an!

Für einen heißen Kampf gegen die kalte Verdrängungspolitik! 
Ihr macht uns nicht kaputt!

AZ

Quelle: linksunten.indymedia.org  vom 1.12.2016

Einige Hintergrundinfos aus dem Jahre 2014

Mehr als zwei Jahre ist es her, dass eine gentrifizierungs- kritische Demo in der Kantstraße in der Leipziger Südvorstadt entlang führte. Während die Debatte um die Entmietung des zentrumsnahen Wohnblocks Windmühlenstraße/ Grünewaldstraße/ Brüderstraße in vollem Gang war, rückte auch das Los der Wohnblöcke in der Kantstraße 55 – 63 in den Fokus. Beide Wohnquartiere wurden seinerzeit von der LWB an private Eigentümer verkauft.

Für das Windmühlenstraßen- Quartier wurde die Situatiuon mit den rigorosen Aufwertungs-Pläne des neuen Investors Casa Concept schon damals akut. Für rund 240 MieterInnen ging die IG Windmühlenstraße in die Spur um gegen die drohende Verdrängung infolge der Sanierungsmaßnahmen anzukämpfen. Neben Wohnungen waren auch kleine Kreativ-Locations bedroht.

Die Ausbeute des Aufbegehrens ist gering. MieterInnen, die sich wehrten, wurden verklagt. WGs, Familien und Einzelpersonen, die dort zum Teil viele Jahre lang gewohnt hatten, mussten das Feld räumen. Statt einem liebevoll selbst gestalteten grünem Innenhof und kleinem kreativem Gewerbe gibt es nun einen in die Wohnblöcke integrierten Aldi-Markt mit Parkplattform. Wohnungen werden u.a. als schicke StudentInnenappartments vermietet – 40qm für 400 Euro kalt .

Die Gemeinsamkeit zwischen Windmühlenstraße und zweien der vier Blöcke in der Kantstraße 55-63 ist die vormalige Besitzerin: die städtische Wohnungsbaugesellschaft LWB. Beide Wohnanlagen wurden aus dem Verwertungsbestand der LWB an private EigentümerInnen veräußert. Begründung: die Sanierung wäre für die 100%-tige Tochtergesellschaft der Stadt Leipzig zu teuer gewesen.

Die neue Eigentümerin des Windmühlenstraßen-Komplexes heisst Casa Concept. In der Kantstraße ist es die GRK Holding, der mit dem Kauf der zwei Blöcke von der LWB nun der ganze Komplex Kantstraße 55 – 63 gehört.

Die GRK ist eines der größeren Immobilienunternehmen der Stadt und mit der ihr bis Ende 2012 gehörenden Firma Logistikpark Leipzig GmbH Großspenderin des OBM-Wahlkampfs von Burkhard Jung. (vgl. LVZ vom 18.3.2014)

Als die Gentrifizierungsdebatte um die Windmühlenstraße 2011/12 in Fahrt geriet, rückte auch die Kantstraße und damit verbunden die Praxis der GRK in den Blick. Diese ging damals nicht gerade zimperlich mit den Kantstraßen-MieterInnen um. So soll es Räumungsklagen wegen illegaler Untervermietung und Druck unbefristete Mietverträge in befristete umzuwandeln gegeben haben. Wohlmöglich war das Ziel nichts anderes als die schnelle Entmietung um loszusanieren.

Nach dem kurzen öffentlichen Aufbegehren legte die GRK ihre Sanierungspläne für die Kantstraße erstmal auf Eis. Jetzt scheint es loszugehen. Zum 30.6.2014 endet ein großer Teil der befristeten Mietverträgen. Zirka 60 % der Mietparteien sind betroffen. Der Rest verfügt über unbefristete Verträge und ist nicht akut vom Auszug bedroht. Es dürfte allerdings nur eine Frage der Zeit sein, dass hier Briefe, zum Beispiel mit Sanierungsankündigen, ins Haus flattern.

Dass die Wohnungen dann nicht mehr bezahlbar sein werden, dürfte ebenfalls auf der Hand liegen.

Ein weiteres Mal steht damit die Fortexistenz eines bezahlbaren und atmosphäre-reichen Wohnessembles mit guten Nachbarschaftsbeziehungen auf dem Spiel.

Doch alle Messen sind längst nicht gesungen. Anstelle einer grundhaften Sanierung wäre für zumindest Teile der Häuser Instandssetzungsmaßnahmen bzw. Sanierungen auf niedrigem Niveau denkbar und wünschenswert. Ob eine solche Variante mit der Eigentümerin verhandelbar ist, steht auf einem anderen Blatt.

Am Sonntag, 22.6.2014 kamen zahlreiche Menschen zum Sommerfest und Flohmarkt in die Kantstraße. Eine Ausstellung mit Fotos von MieterInnen macht Hoffnung: Wir wollen hier bleiben, so heißt es von vielen.

In diesem Sinne: Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren.

Quelle: http://jule.linxxnet.de