Herr und Knecht bei Leibniz und Hegel
Zusammenfassende Thesen

von Hans Heinz Holz

12/2016

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1)
In der klassischen deutschen Philosophie entsteht mit dem Aufstieg des Bürgertums und im Zusammenhang mit der bürgerlichen Emanzipationsbewegung eine philosophische Reflexion auf das Wesen der Klassengesellschaft. Am deutlichsten faßbar und ihrer selbstbewußt wird diese Reflexion da, wo sie sich am Leitfaden des Verhältnisses von Herrschaft und Knechtschaft orientiert (Abschnitt I).
 

2)
Die Entwicklungsstufen der Interpretation der Klassengesellschaft lassen sich am Vergleich einer Analyse des Verhältnisses von Herrschaft und Knechtschaft bei Leibniz, der am Anfang der bürgerlichen Aufklärung in Deutschland steht, und bei Hegel, der deren Ende darstellt, verdeutlichen. Die Möglichkeit eines solchen Vergleichs ist in der Konfrontation der auf Herrschaft und Knechtschaft bezüglichen Abschnitte in Leibniz' kleiner Abhandlung »Die natürlichen Gesellschaften« mit der Erörterung des Verhältnisses von Herr und Knecht in Hegels «Phänomenologie des Geistes« gegeben; es lassen sich an beiden Texten genaue strukturelle Entsprechungen aufweisen (Abschnitt II).

3)
Das Verhältnis von Herr und Knecht entfaltet sich auf drei Stufen: erstens erscheint der Knecht ganz und gar unselbständig als bloßes Mittel des Herrn; zweitens treten Herr und Knecht auseinander, der Knecht darf als Mensch Anerkennung und Förderung seines Selbstseins fordern, die absolute Herrschaft des Herrn wird dadurch aufgehoben; drittens wird dem Knechte bewußt, daß der Herr nur kraft seines Dienstes überhaupt Herr und damit von ihm abhängig ist, das Verhältnis von Herrschaft und Knechtschaft kehrt sich um (Abschnitt III b-d)

4)
L
eibniz entfaltet das Herr-Knedit-Verhältnis als ein real-ökonomisches und juristisches. Im Sinne der Aufklärung erstrebt er dessen Aufhebung durch Erziehung des Menschen, mithin durch Ausbildung seiner Fähigkeiten bis hin zur vollkommenen Selbständigkeit. Immerhin wird ihm klar, daß die autonome Menschlichkeit des Menschen nur in einer von Herrschaftsstrukturen befreiten solidarischen Gesellschaft möglich sein wird, die zu verwirklichen einen Umsturz, der Besitzverhältnisse erfordern würde. So scheint bei Leibniz im utopischen Horizont das Bild einer klassenlosen Gesellschaft auf (Abschnitte III und IV).

5)
Für Hegel stellt sich das Herr-Knecht-Verhältnis als eine Bewußtseinsform dar; er beschreibt es als Selbständigkeit und Unselbständigkeit des Selbstbewußtseins. Diese Umkehrung ermöglicht es ihm, die Befreiung aus der Knechtschaft in die InnerIichkeit des Bewußtseins zu verlegen und den Knecht in der Erkenntnis, daß der Herr nur durch die Arbeit des Knechts Herr ist und bleiben kann, und daß er also unselbständig auf den Knecht angewiesen ist, die Selbständigkeit (allerdings nur im Bewußtsein) gewinnen zu lassen. Die Inkongruenz, von Arbeit und Genuß wird dadurch indessen nicht beseitigt, die Positivitat der Klassengesellschaft nicht angetastet (Abschnitt III).

6)
Der Umschlag vom aufklärerischen Pathos der Erziehung des Menschengeschlechts zur Freiheit in die Anerkennung der gesellschaftlichen Positivität und ihrer Herrschaftsstrukturen und der damit verbundene Umschlag von politischer Aktivität zu verinnerlichter Geistigkeit wird durch die Epoche der Französischen Revolution bezeichnet. Vorrevolutionäres Denken ist, wie bei Leibniz, utopisch-aktivistisch; nachrevolutionäres, wie bei Hegel, deskriptiv-betrachtend. Im ersten Falle orientiert sich die Spekulation an der Möglichkeit, im zweiten an der Wirklichkeit. Deutlich wird der Gegensatz an zwei Kernsätzen: strukturbestimmend für das Leibnizsche System ist das Axiom
»ommne possibile exigit existere«; für das Hegelsche jedoch die Formel: »alles Vernünftige ist wirkliche, alles Wirkliche vernünftig«.

7)
Erneut wird dann das Denken vorrevolutionär, das heißt revolutionsvorbereitend beim jungen Marx, der in den »Ökonomisch-philosophischen Manuskripten« die Bestimmung des Herrschaft-Knechtschaft-Verhältnisses, an Hegel anknüpfend, fortführt und konkretisiert und das Resultat der historischen Entwicklung von Leibniz bis Hegel einbringt. Die Analyse der Herrschaft-Knechtschaft-Struktur beim jungen Marx ist die erste Stufe auf dem Weg zur ökonomischen Durchleuchtung der Klassengesellschaft, die die Voraussetzung für ihre revolutionäre Umwandlung schuf. Die Entwicklung führt weiter bis zum »Kapital«, bis in dessen letzte Partien der Gedankengang durchgehalten und zunehmend präzisiert wird. Nun kann Philosophie, die bisher nur Weltinterpretation war, umschlagen in Weltveränderung, also selbst revolutionär werden. Aus der Philosophie als reiner Theorie wird die Theorie-Praxis-Einheit (Abschnitt V).

Editorische Hinweise

Hans Heinz Holz starb 2011 in der Schweiz. Tatsächlich war er seit 1974 DKP-Mitglied und an der programmatischen Arbeit der Partei maßgeblich beteiligt. Siehe dazu: http://rotfuchs.net/hans-heinz-holz.html

Die "Zusammenfassenden Thesen" entstammen seiner Dissertation von 1956, die 1968 als Buch herausgegeben wurde: Hans Heinz Holz: Herr und Knecht bei Leibniz und Hegel, ZUr Interpretation der Klassengesellschaft, Neuwied 1968, S. 83ff