9.12.2015
1.
Zunächst zur Definition von „die Rechte“: „rechts sein“ bedeutet
nationalistisch im Sinn von feindselig gegenüber anderen
Nationen/Völkern zu sein, rassistisch zu sein und/oder andere
sexuelle Zugehörigkeiten (z.B. als Misogynie) und Orientierungen
(z.B. als Schwulen-/Lesbenfeindlichkeit) herabzuwürdigen oder gar
militant zu bekämpfen, und (vermeintlich) traditionelle Werte als
zeitlose zu verteidigen. Solche rechten Beweggründe können
durchaus auch dann eine Rolle spielen, wenn sich der Nationalismus
zunächst in erster Linie gegen fremde Unterdrückung richtet.
„Rechts“ sein kann konservativ sein oder auch subjektiv
revolutionär – „subjektiv“, weil die genannten Inhalte dem
Erreichen einer im Sinne der Überwindung der bestehenden
Produktionsweise revolutionären Perspektive unvermeidlich
entgegenstehen. Es handelt sich dann hier um Kräfte, die nicht
willens und/oder in der Lage sind, über das bestehende
kapitalistische System hinauszudenken, die in ihren grundlegenden
Strukturen gefangen bleiben, aber ernsthafte Probleme mit
wichtigen Symptomen dieses Systems haben. Entweder gehören sie
bereits zu sozio-ökonomisch und folglich auch politisch
marginalisierten Schichten oder haben als Angehörige der
„Mittelschicht“, die in diesem Zusammenhang durchaus auch Teile
der Arbeiteraristokratie umfassen kann, berechtigten Grund, ihren
sozialen Abstieg zu fürchten. Aus diesem Grund klammern sie sich
an ihre vermeintlich ehrenvolle Identität, die sie mit den Klassen
und Schichten über ihnen durch Nationalität, „Rasse“, Religion und
überhaupt „Kultur“ – oft nur vermeintlich – verbindet. Aus dieser
Verbindung leiten sie ein Recht auf Privilegierung ab. Diese
Privilegierung versuchen sie durch Entrechtung der Anderer,
vornehmlich der “Fremden“ zu sichern. Das heißt: Sie verstehen
sich als Opfer, als „kleine“ Leute, die etwas größer werden
können, wenn sie andere Opfer kleiner machen. Sie dienen damit
objektiv dem System und den Kräften, die beide Opferkategorien –
die “arischen“, “volksdeutschen“ oder “christlich-abendländischen“
ebenso wie die zu diesen Kategorien nicht Gehörigen – ausbeuten
und unterdrücken, denn sie verhindern die notwendige gemeinsame
Kampffront der Unterdrückten. Im Falle ihres Sieges werden sie
deshalb im Allgemeinen „kleine“ Leute bleiben. Dem steht nicht die
Tatsache entgegen, dass es einigen Aktivisten gelingen kann, in
Machtpositionen aufzusteigen, insbesondere durch die Ausschaltung
der zu den erwähnten Opferkategorien zählenden, die diese
Positionen zuvor innehatten. Angehörige der ausbeutenden Klassen
können die Werte der rechten „Kleine Leute“-Massen teilen, müssen
das aber keineswegs. Abgesehen von ganz individuellen
Persönlichkeitsmerkmalen ist die „herrschende Klasse“ im immer
auch konkurrenzbasierten Kapitalismus notwendigerweise auch in
eine Vielzahl von widerstrebenden Fraktionen unterteilt. Einige
Individuen und/oder dieser Fraktionen können sogar aktiv gegen die
„Rechte“ sein und im Falle der Machtergreifung dieser Rechten
dafür die Rechnung bezahlen und aus der „herrschenden Klasse“
ausgestoßen werden, andere können die “Kleine Leute“-Rechte
verachten, sich ihrer aber bedienen.
2.
Wie und mit wem kann nun die notwendige Kampffront hergestellt
werden? Die Linke kann eine solche Kampffront in Zeiten
zunehmender sozialer und nicht zuletzt ideologischer Krise des
Systems nicht herstellen, indem sie sich schwerpunktmäßig mit
liberalen Kräften als Erben der Aufklärung beschäftigt, die ihr
kulturell zwar näher stehen, aber a) das System nicht einmal
subjektiv in Frage stellen und b) auf Grund ihrer auch objektiven
Lage keine Tendenz zur Radikalisierung, in welche Richtung auch
immer, zeigen. “Gutmenschtum“ ist allemal sympathischer als
“Schlechtmenschtum“, aber eben nichts, was beim Fortbestand der
wachsenden Tendenz zu sozialen Verwerfungen das
“Schlechtmenschtum“ langfristig aufhalten kann. Das Vordringen im
weitesten Sinne rechter bis hin zu faschistischen Kräften gerade
auch in den in der Vergangenheit als irgendwie links geltender
Staaten – von Schweden über die Niederlande bis aktuell
Frankreich, Argentinien und Venezuela bestätigt in gewisser
Hinsicht den berühmten Satz von Walter Benjamin, dass sich hinter
jedem Faschismus eine gescheiterte Revolution verberge. Marxisten
werden zwar in keinem der erwähnten Fälle glauben, dass die zuvor
herrschenden „linken“ Parteien dort irgendetwas mit Revolution in
ihrem Sinn zu tun hatten, aber für einen nicht unwesentlichen Teil
der traditionellen Basis dieser reformistischen Kräfte waren mit
ihnen doch stets Hoffnungen –wie illusionär auch immer –
verbunden, die weit über die Verwaltung des Bestehenden
hinausgingen. Die politische Unterstützung solcher reformistischer
Kräfte (etwa in Form einer zukünftigen Koalitionsregierung
Linkspartei-SPD-Grüne) kann so nur den Rechtskräften den Weg frei
machen. Andererseits kann es aber auch keine sinnvolle
perspektivisch revolutionäre Politik auf der Basis geben „wir
schauen, was unsere politischen Gegner vom reformistischen über
das konservative bis zum rechtspopulistischen Lager sagen, und
sagen einfach immer das Gegenteil“. Bereits Trotzki hat darauf
hingewiesen, dass auf diese Weise der traurigste Sektierer zum
tollsten Revolutionär würde.
3.
Die nicht-bourgeoise Linke muss sich auch, wenn nicht gar in
erster Linie auf die Mitläuferschaft solcher
Organisationen/Bewegungen wie Pegida konzentrieren, die subjektiv
“vom System und seiner «Lügenpresse» die Nase voll hat“ und diese
von ihren Führern trennen. Wie der französisch Islamexperte Oliver
Roy im Zusammenhang mit dem „Islamischen Staat“, einer der in
jüngerer Zeit erfolgreichsten rechtsradikalen Organisationen, und
mit sich auf ihn berufenden Terroristen in Europa feststellte,
handelt es sich hier nicht so sehr um eine „Radikalisierung des
Islam, sondern um eine Islamisierung des Radikalismus“.
Entsprechend ist zumindest bei Fußvolk von Pegida & Co davon
auszugehen, dass den ohnehin nebulösen
ausländer-/flüchtlings-feindlichen und rassistischen ideologischen
Versatzstücken ein allgemeines Unwohlsein am gesellschaftlichen
Status Quo vorausging, das nur noch einen organisierten
Bezugspunkt suchte.
4.
Die Linke konnte und/oder wollte einen solchen Bezugspunkt nicht
anbieten. Entweder will sie mit diesen ihr kulturell fremden
deutschen „Normalos“ nichts zu tun haben, sondern ihnen z.B. als
Antifa-Jungs und Mädels nur auf die Fresse hauen, oder sie kann zu
ihnen keinen Zugang finden, weil sie entweder überhaupt eine Jenen
fremde Sprache spricht, oder aber sich – z.B. hinter den Parolen
„offene Grenzen“ und „Multikulti“ - weigert, reale Probleme, die
eine plötzliche massenweise Zuwanderung notgedrungen mit sich
bringt, anzuerkennen bevor sie progressive Lösungen vorschlagen
kann. Es ist klar, dass die vielen marxistischen Sekten
verschiedenster Couleur schon aus Gründen ihrer Personaldecke
keine Alternative bieten können. Es wäre aber zu wünschen, wenn
sie sich der Ausbildung von Kadern widmeten, die ihrerseits
willens und fähig wären, mit dem teilweise faschistischen
Führungspersonal „rechtspopulistischer“ Bewegungen um ihre
radikalisierte Basis zu kämpfen, indem sie dieser gänzlich andere
Ziele anbieten. Natürlich wird der Erfolg angesichts des Fehlens
einer (politisch-)proletarischen Massenbewegung begrenzt bleiben
müssen, nicht nur, weil die Mitläuferschaft dieser rechten
Bewegungen seit je defensiv und deshalb konservativ denkt (oder
besser: fühlt) und so unter die Fittiche des „Starken“ schlüpfen
will, sondern auch, weil da ein erheblicher Teil der Mitläufer
dieser rechten Bewegungen zutreffenderweise spürt, dass die linke
– letztlich notwendigerweise revolutionäre – Perspektive für sie
viel gefährlicher ist als das Anzünden von Flüchtlingsheimen oder
gar nur des Skandierens radikal klingender Parolen gegen die
Systemmedien. Die Chancen der Linken, wie sie nun mal ist und das
keineswegs zufällig und nur als Ergebnis eigener ideologischer
Fehler, stehen ziemlich schlecht. Ohne eine Orientierung nicht
zuletzt auch auf die heute von rechten Kadern eingefangenen
radikalisierten Menschen und damit einer Orientierung auf den
Bruch mit dem herrschenden System sind sie jedoch einfach
inexistent.
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