Mali
Ausrufung des Notstands nach einer jihadistischen Attacke

von Bernard Schmid

12/2015

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Auch Mali, das soeben als Einsatzort für einen der nächsten Bundeswehreinsätze ausgewählt wurde (konkret ist die Entsendung von 650 deutschen Soldaten geplant), bleibt von jihadistischer Gewalt ebenso wenig verschont wie andere Länder des afrikanischen Kontinents. Am Freitag, den 20. November 15 attackierten Terroristen, deren Gesamtzahl – die Angaben variieren bislang, nach Augenzeugenberichten sowie Darstellungen lokaler Zeitungen, zwischen zwei und mindestens vier – ebenso umstritten bleibt wie ihre Zugehörigkeit zu einer Organisation, das Hotel Radisson Blu in der Hauptstadt Bamako.

Das Etablissement zählt zu den Hotels der gehobenen Preisklasse. Normalerweise steigen dort Teams der französischen Fluggesellschaft Air France sowie von Turkish Airlines ab; an jenem Freitag kamen zudem Delegationen algerischer sowie chinesischer Geschäftsleute hinzu. Die Attacke ab sieben Uhr früh wurde zunächst als eine versuchte Geiselnahme dargestellt, doch Augenzeugen widersprechen dieser Sichtweise. Ihnen zufolge schossen die Eindringlinge, von denen zumindest ein Teil nicht älter als zwanzig gewesen sein soll, im Eigangsbereich sowie auf ihrem Weg zum Restaurant im ersten Stock sofort wild um sich. Demzufolge ging es ihnen eher darum, zu töten, als über die Erfüllung konkreter Forderungen zu verhandeln.

Ein Ende setzte der Geiselnahme nach einigen Stunden das Eingreifen nicht allein der malischen Sicherheitskräfte, sondern vor allem von französischen Sondereinsatzkommandos. Vier französische Gendarmen, die sich in Bamako aufhielten, wurden alsbald durch fünfzig Soldaten einer für Kampfeinsätze vorgesehenen Spezialeinhheit der französischen Armee ergänzt, die Im Nachbarland Burkina Faso stationiert sind und binnen weniger Stunden eingeflogen worden. Es handelt sich um das COS (Commando des operations speciales),dessen Anwesenheit in Ouagadougou unter dem alten Präsidenten Blaise Compaoré zunächst lange Jahre geheim gehalten worden war.

Zwanzig Menschen unter den Hotelgästen sowie die beiden (oder zwei der) Angreifer waren tot, als das Hotelgebäude erstürmt wurde. Bereits am 02. November 15 hatte die französische Regierung zudem, zunächst ohne öffentliche Ankündigung, die Anzahl der im Rahmen der Sahel-Streitkraft “Opération Barkhane” stationierten Truppen für die Region von zuvor 3.000 auf 3.800 Mann erhöht. Denn Mali will, auch gut zwei jahre nach dem offiziellen Ende der Operation – damals unter dem militärischen Codenamen “Serval” – gegen Jihadisten in Mali , die im Sommer 2013 zunächst für erfüllt erklärt wurde, nicht zur Ruhe kommen. Der notorische Vertrauensverlust weiter Teile der Bevölkerung in die politische Klasse, die primär ebenso für korrupte Eigeninteressen wie für ausländische – besonders französische – Interessen tätig ist, trägt dazu bei, dass die Rekrutierung für jihadistische Gruppen nicht nachlässt . Nach dem Skandal um de,n Import von Tausenden Tonnen abgelaufenen und verdorbenen Düngers im Mai kam i m Herbst jener um die Einfuhr von 1.000 nicht funktionierendeN Traktoren hinzu. Auf jeden Tiefpunkt im Vertrauen der Bevölkerung gegenûber den Regierenden, Präsident Ibrahim Boubacar Keïta (IBK) eingeschlossen, folgt der nächste.

Infolge des Attentats wurde der Notstand verhängt, ähnlich wie genau eine Woche zuvor auch in Frankreich.

Zwei konkurrierende Jihadistengruppen bekannten sich in der Folgezeit beide zu dem Attentat, was wenig zur Erhellung beiträgt. Ein erstes Bekennerschreiben kam von der Organisation Al-Mourabitoun (benannt nach einer mittelalterlichen Dynastie, auf deutsch Almoraviden). Diese basiert auf der Vorläufergruppe der “Unterzeichner des Blutes”, die von dem algerischen Jihadisten Mokhtar Belmokhtar – immer wieder von den französischen Truppen totgesagt, und doch wieder lebendig – angeführt wird. Diese Organisation sickerte nach der Niederlage der Islamisten im algerischen Bürgerkrieg ab 2003 in Nordmali ein. Im August 2013 fusioniert sie mit Teilen der vormaligen Jihadistenbewegung MUJAO (“Bewegung für die Einheit des Jihad in Westafrika”), vgl. unten.

Am Wochenende kam dann jedoch ein zweites Bekennerschreiben hinzu, dieses Mal von der In ZEntralmali operierenden “Nationalen Befreiungsfront von Macina”. In ihrem Namen bezieht sie sich auf ein untergegangenes Königreich der vorkolonialen Epoche. Sie mimt in ihren Selbstdarstellungen eine antikoloniale Befreiungsbewegung und kooperierte laut eigenen Angaben bei der Attacke auf der Hotel mit derv or allem aus malischen Staatsbürgern bestehenden Jihadistengruppen Ansar ed-Din (arabisch für “Anhänger der Religion”). Am 07. August 15 hatten die Jihadisten der “Macina-Front” bereits einen spektakulären Angriff auf ein Hotel in Mopti, rudn 600 Kilometer nördlich dre Hauptstadtr Bamako, unternommen und dabei zivile Mitarbeiter der UN-Truppe für Mali MINUSMA getötet.

Augenzeugen berichten jedoch von englisch sprechenden Angreifern im Radisson Blu, was auf die Anwesenheit von Staatsbürgern aus dem englischsprachigen Nigeria hindeutet. Solche befanden sich vor allem in den Reihen einer dritten in Mali aktiven, bewaffneten Islamistenbewegung, der “Bewegung für die Vereinigung des Jihad in Westafrika” (MUJOA). Letztere hat zum Teil offiziell die Waffen niedergelegt und unterstützt den Friedensprozess für Nordmali, der seit Mai 2015 zwischen der Zentralregierung und den dort ebenfalls aktiven Tuareg-Rebellen eingeleitet wurde; teilweise ging sie in der oben genannten Organisation Al-Mourabitoun auf. Doch an der Basis verschwimmen die Grenzen zwischen den verschiedenen bewaffneten Bewegungen, deren Kombattanten oft hin- und herwechseln – je nachdem, wer bessere Bezahlung in Aussicht stellt.

Am Vormittag des Freitag, 27. November starb zudem ein französischer Soldat in Nordmali, nachdem e rim Raum Tombouctou (Timbuktu) auf eine Mine augelaufen war. Auch in Nordmali sind die Kampfhandlungen nicht vollständig vorbei.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Text vom Autor für diese Ausgabe.