Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Front National
Vor einem Schub für die extreme Rechte bei den Regionalparlamentswahlen?

12/2015

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Man kann nur hoffen, dass die so oft wiederholte Vorhersage am Ende nicht zur self fulfilling prophecy werden wird. „Nach den Attentaten befindet der Front National sich in einer Stärkeposition“, so lautete die Hauptschlagzeile der Pariser Abendzeitung Le Monde in ihrer Ausgabe vom 25. November 15. Der Titel bezog sich natürlich auf die Terrorattacken in Paris vom 13. November d.J., die mindestens 130 Tote und 350 Verletzte forderten. „Die Attentate bilden ein Doping für den FN“ – mit dieser Titelschlagzeile legte die Boulevardzeitung Le Parisien am 26. Oktober 15 nach.

In jedem Falle tragen solche Überschriften, die an allen Zeitungskiosken prangen, dazu bei, dass man sich vielerorts an den Gedanken eines weiteren Aufstiegs der rechtsextremen Partei gewöhnt. Und dies im Vorfeld der in Kürze stattfindenden Regionalparlamentswahlen, die in ganz Frankreich in zwei Durchgängen am 06. sowie am 13. Dezember 15 stattfinden werden. Nach dem Zusammenschluss mehrerer Regionen gibt es nun noch 13 neu zu wählende Regionalparlamente, statt zuvor 22.

Zwischen den Pariser Mordanschlägen und der Stichwahl liegt genau ein Monat. Eine Zeit, die kurz genug ist, um mit einer Auswirkung auf die Wahlergebnisse rechnen zu können. Zumal in einer ersten Zeit nach den Attentaten der (Vor-)Wahlkampf ausgesetzt wurde. Le Parisien interviewte dazu die 25jährige Parlamentsabgeordnete Marion Maréchal-Le Pen – eine Nichte der Parteivorsitzenden Marine Le Pen -, die Mühe hat, sich in ihrem Triumphalismus zurückzuhalten.

Es stimme, führt die junge Juristin aus, dass die wahlpolitische Dynamik des Front National durch die mörderischen Attentate zugenommen habe: „Ganz einfach deswegen, weil das Realitätsprinzip für uns spricht: wir hatten Recht über die Notwendigkeit der Bewahrung von Grenzen, wie darin, den Kampf gegen den radikalen Islam zur Priorität zu erheben. Also profitieren wir von der Situation.“ Um den Gedanken im letzten Satz auszudrücken, benutzte Marion Maréchal-Le Pen eine Redewendung (tirer son épingle du jeu), die nicht direkt ins Deutsche übersetzt werden kann, aber sinngemäß nahe an dem Gedanken liegt, seine Schäfchen ins Trockene zu bringen. Um nicht allzu direkt den Eindruck zu erwecken, die extreme Rechte freue sich in Wirklichkeit – aus politischen Gründen - über die Bilanz der Attentate, fügt die Abgeordnete dann im Nachsatz noch hinzu: „Ohne den Zynismus so weit zu treiben, einen Vorteil daraus schöpfen zu wollen. Es ist nur eine Feststellung.“ Trauer hört sich allerdings anders an.

Der Front National nahm seinen Wahlkampf offiziell am 23. November 15 wieder auf, mit einer Veranstaltung von Marine Le Pen in Amiens. Die regierende Sozialdemokratie dagegen sagte weiterhin alle öffentlichen Veranstaltungen bis nach der nationalen Trauerfeier am 27. November 15 ab. Viel Zeit für Vorwahldebatten bleibt damit also nicht übrig. Auch der inhaltliche Charakter des Wahlkampfs hat sich nun verändert. Absolut im Vordergrund steht nun die Thematik „Innere Sicherheit“ respektive „Terror“.

Das ist einerseits menschlich verständlich, nach dem Grauen von Paris, und andererseits dennoch politisch irrationel. Denn die Regionen haben im französischen Staatsaufbau – verglichen mit den deutschen Bundesländern - nur begrenzte Vollmachten, und die Ausrüstung und die Augabendefinition von Polizei oder Nachrichtendiensten zählen nicht dazu. Diese werden ausschließlich auf nationaler Ebene geregelt. Regulierungsspielraum haben die französischen Regionen dagegen im Bereich der öffentlichen Transportmittel, in Teilen der Bildungspolitik (vor allem bei der beruflichen Fortbildung sowie bei der Instandhaltung von Schulgebäuden, die schulischen Lehrprogramme sind dagegen eine zentralstaatliche Aufgabe), im Wohnungsbau und zum Teil im Umweltschutz.

Debatten zu diesen Themen bewegten die Wählerinnen und Wähler schon vor den Attentaten nicht sonderlich. Die französische Gesellschaft hat sich in den letzten Jahren weitgehend entpolitisiert: Unmut über die allgemeine wirtschaftliche Lage, die vermeintliche Ohnmacht der politischen Klassen und die Bilanz der bisherigen Links- wie Rechtsregierungen, aber auch das – im Vergleich zur Vergangenheit – schwache Vertrauen in Gewerkschaften und soziale Bewegungen spielen zusammen. Es bleibt die Möglichkeit, ein Votum abzugeben, das in erster Linie „Ihr kotzt mich alle an!“ bedeute, wie Le Monde es am 07. November 15 resümierte. Unter dem Titel „Eine vergiftete Wahlkampagne“ ließ die Zeitung damals mehrere Wahlkämpfer zu Wort kommen, die konstatierten, dass die Stimmbürger sich kaum noch für ihre Inhalte interessieren. Den konservativen Abgeordneten Thierry Solère zitierte sie mit folgender Beobachtung über das Stimmverhalten vieler Menschen, wie es sich aus seiner Sicht darstelle: „Ich wurde in meinem Auto vom Radar geblitzt? Ich wähle FN! Meine Frau betrügt mich? Ich wähle FN! Meinem Unternehmen geht es nicht gut? Ich wähle FN!“

Wenige Tage später kamen dann noch die Attentate hinzu. Seitdem hat die Terrorproblematik großen Platz auch in der angeblichen Wahldebatte eingenommen, auch wenn über dieses Thema am 06. und 13. Dezember 20°15 gar nicht abgestimmt wird. In einer Umfrage für Le Parisien unter Einwohnerinnen und Einwohner der Pariser Großregion Ile-de-France nennen 52 Prozent der Befragten das Thema „Terrorismus“ als wichtigstes Thema für ihre Region. Es rangiert deutlich vor allen anderen Themen – seien es der Erhalt und die Schaffung von Arbeitsplätzen (33 %), der Umweltschutz (17 %) oder, trotz manifester Wohnungsnot gerade im Pariser Raum, die Frage des Wohnungsbaus (von 14 % aufgezählt). Dies verspricht ein weitaus eher ideologisch bestimmtes oder symbolpolitisch aufgeladenes, denn ein von rationalen Sachentscheidungen diktiertes Wahlverhalten.

Der Pariser Raum ist, aufgrund der soziologischen Zusammensetzung der Bevölkerung – begonnen bei einer Flucht der Unterklassen aus dem überteuerten Zentrum, während der FN in sozialen Unterklassen überdurchschnittliche Wähleranteile aufweist, bis zur relativ starken ethnischen „Durchmischung“ – in den letzten Jahren kein leichtes Pflaster für den FN. Dennoch stiegen die Wahlabsichten für seinen Spitzenkandidaten Wallerand de Saint-Just auch hier bis auf 25 Prozent.

Noch wesentlich stärker punkten können Marine Le Pen in Nordostfrankreich, die dort selbst als Spitzenkandidatin in der neuen Großregion Nord-Pas de Calais-Picardie (NPDCP) antritt, und Marion Maréchal-Le Pen in Südostfrankreich, in PACA (Provence-Alpes-Côte d’Azur). // Vgl. http://www.francetvinfo.fr/ // Beiden werden je 40 bis 41 Prozent der Stimmen vorhergesagt, inzwischen in mehreren Umfragen auch 42 Prozent.

Vor allem Parteichefin Marine Le Pen werden wirklich realistische Chancen zuerkannt, die nächste Regionalpräsidentin in Nordostfrankreich zu werden. Denn falls - wie es wahrscheinlich ist – drei Listen in die Stichwahl einziehen, würde sie bspw. Laut einer Umfrage vom 25. November 15 // vgl. http://www.francetvinfo.fr/// dann mit 41 Prozent klar sowohl gegen die konservative Liste mit 30 als auch gegen die sozialdemokratische mit 29 Prozent gewinnen. In einer Dreierkonstellation zählt die relative Stimmenmehrheit, und die stärkste Liste erhält aufgrund des Wahlrechts eine gesicherte Mehrheit der Mandate. Doch falls die beiden anderen großen politischen Blöcke „fusionieren“, also sich für einen Zusammenschluss ihrer Listen entscheiden, würde der FN zumindest in dieser Region in Nordostfrankreich ebenfalls gewinnen. In diesem Falle prognostieren Umfragen Marine Le Pen dann 52 Prozent der Stimmen, gegen 48 für den konservativen Ex-Arbeitsminister Xavier Bertrand, der dann durch die Sozialdemokraten unterstützt würde. Der Front National wartet im Übrigen nur auf eine solche Gelegenheit, um einmal mehr die „Altparteien“ dafür denunzieren zu können, dass sie ohnehin keine inhaltlichen Unterschiede mehr aufwiesen und nur ihre Pfründe abzusichern suchten. Besonders in dieser von Armut und Entindustralisierung geprägten Region, die knapp sechs Millionen Einwohner aufweist, kommt eine solche Argumentation an, vor dem Hintergrund einer weitverbreiteten Entfremdung vom politischen Establishment. Hingegen dürften die Wahlchancen von Marion Maréchal-Le Pen in Südostfrankreich stärker davon abhängen, ob sie es mit einer oder zwei konkurrierenden Listen in der Stichwahl zu tun hat, ob ihr also eine einfache oder nur eine absolute Mehrheit genügt.

In ihrem Wahlprogramm, das sie am 23. November 15 in Amiens vorstellte – die ursprünglich am 14. des Monats geplante Präsentation war aufgrund der Anschläge am Vorabend verschoben worden – verspricht Marine Le Pen unter anderem, keine schweinefleischlosen Auswahlmahlzeiten mehr in Schulkantinen der Region anzubieten. Dies richtet sich natürlich in allererster Linie gegen schulpflichtige Kinder aus moslemischen Familien. Alle Subventionen der Region für Vereine oder Initiativen, die „Ausländer unterstützen“, sollen ersatzlos eingespart werden. Ferner sollen die durch die Region erhobenene Steuern abgesenkt werden.

Während ihr Programm relativ stark auf Diskriminierung ausgerichtet ist, bemühte Marine Le Pen sich in ihrem ersten Wahlkampfauftritt nach den Attentaten, in Amiens, um eher moderat klingende Töne. Sie war sogar bereit, zwischen Muslimen zu differenzieren und ihnen nicht pauschal die Attentate anzulasten: „Unser Feind ist nicht eine Religion, sondern die sektiererischen Strömungen, die sich auf sie berufen: Salafismus und Wahhabismus.“ Umso schärfere Töne schlug sie bereits zwei Tage später erneut in Hayange (Lothringen) an, wo sie den Spitzenkandidaten für Ostfrankreich Florian Philippot unterstützte. Le Pen und Philippot forderten dort ein sofortiges Ende der Zuweisung von Asylsuchenden an französische Gemeinden und eine rabiate Grenzschließung als angebliche Antwort auf die Anschläge. Marine Le Pen forderte ferner in Interviews auch die Möglichkeit, „verdächtige“ Migranten noch im laufenden, nicht abgeschlossenen Asylverfahren abschieben zu können.

Marion Maréchal-Le Pen rief ihrerseits durch mehrere Interviews Aufsehen hervor. In einem von ihnen erklärte sie am 21. November 15 gegenüber der rechtsextremen und katholischen Tageszeitung Présent rundheraus, es sei klar, „dass Muslime in Frankreich nicht genau denselben gesellschaftlichen Stellenwert einnehmen können wie die katholische Religion“. Am 26. November d.J. wurde ein anderes Interview bekannt, in welchem sie ankündigt, im Falle ihrer Wahl an die Spitze der Region werde sie den planning familial-Zentren – die Beratung bei Schwangerschaftsabbrüchen, aber auch bei Verhütungsfragen anbieten – alle öffentlichen Zuwendungen streichen; aber auch Vereinigungen, die für die Rechte von Homosexuellen kämpfen. Nach ihren Worten ging es Marion Maréchal-Le Pen dabei darum, „aus der Ideologie herauszukommen“. Es dürfte nicht die letzte paradoxe Ankündigung gewesen sein.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Text vom Autor für diese Ausgabe.