Trotzkismus-Kritik
Anmerkungen zur Präambel der Statuten der IV. Internationale unter teilweiser Berücksichtigung des Buches Was ist Trotzkismus? von
Daniel Bensaïd und des Textes Who are we? der IV. Internationale

von Detlef Georgia Schulze

12/2015

trend
onlinezeitung

Vorbemerkung: Der Text war ursprünglich nicht für eine Veröffentlichung, sondern für eine private Diskussion geschrieben. Anlässlich einer Debatte mit dem Blogger "Systemcrash" entschied sich Detlef Georgia Schulze nun zur Veröffentlichung des leicht überarbeiteten Textes ( 2, 3 Ergänzungen in geschweiften Klammern) aus dem Jahre 2013. Wir erhielten ihn für diese Ausgabe zur Zweitveröffentlichung / red. trend

1. „Bürokratie"-Floskel

a) In der Präambel ist vom „Bruch mit dem Kapitalismus und den Bürokratien" die Rede. Daran ist allein schon sprachlich auffällig, daß ein -ismus (hier: der Kapitalismus, eine Produktionsweise) – im Singular – und eine soziale Schicht – im Plural – (hier: die Bürokratien) auf der gleichen Ebene nebeneinander angesiedelt werden. Die Verwendung des Wortes „Bürokratie" ohne Rücksicht auf die sprachliche Stimmigkeit deutet darauf hin, daß die Rede von der „Bürokratie" für den Trotzkismus den Status eines Dogmas hat: Die „Bürokratie" muß erwähnt werden – auch wenn’s nicht richtig paßt. {Oder anders gefragt und gesagt: Warum steht da „Bruch mit dem Kapitalismus und den Bürokratien" und nicht: „und mit der Bürokratie"? Mir scheint „die Bürokratie" – bzw. die anscheinend vielmehr: die verschiedenen „Bürokratien" – sind so eine Art Universalschlüssel mit dem alles und nichts erklärt werden. Ich komme darauf unten genauer zurück.}

b) Nicht nur aufgrund des Plurals bleibt unklar, was mit „Bürokratien" gemeint ist. Geht es ausschließlich um den Bruch mit den ‚real’sozialistischen „Bürokratien" (welche Relevanz hat das heute noch?)? Oder auch um den Bruch mit den reformistischen „Bürokratien", die weiter unten erwähnt sind? Herrschen1 letztere in gleicher Weise, wie vielleicht die ‚real’sozialistische „Bürokratie" geherrscht hat und wie die kapitalistische(n) Klasse(n) weiterhin herrschen? Haben wir uns also den angestrebten Bruch in allen drei Fällen ähnlich vorzustellen? Oder werden verwirrenderweise qualitativ unterschiedliche Phänomene und Prozesse unter den gleichen Begriffen („Bürokratie", „Bruch") gedacht?

c) Laut Duden bedeutet „Bürokratie": „Beamten-, Verwaltungsapparat" / „Gesamtheit der in der Verwaltung Beschäftigten". Dies kann aber kaum die trotzkistische Definition des Wortes sein, denn dann würde die trotzkistische Bürokratie-Phobie schlecht zur leninistischen Position zur Frage des sozialistischen Übergangsstaates passen. Ein Staat ohne Verwaltungsapparat (und auch überhaupt Großorganisationen ohne Verwaltungsapparat) – das geht wohl kaum.

Welcher Teil „der in der Verwaltung Beschäftigten" / welche Art von Verwaltungsapparat ist also gemeint, wenn TrotzkistInnen von „Bürokratie" reden? Warum ist es nach trotzkistischer Ansicht richtig, die ‚real’sozialistischen und reformistischen Bürokratien unter dem gleichen – bloß durch unterschiedliche Adjektive spezifizierten – Wort (Substantiv) „Bürokratie" zu denken.


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