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335.000 Menschen in 2014 ohne Wohnung
Zahl der Wohnungslosen in Deutschland auf neuem Höchststand

Pressemitteilung der BAG Wohnungslosenhilfe

12/2015

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Prognose: weitere Steigerung bis 2018 auf mehr als eine halbe Million Wohnungslose

Berlin, 05.10.2015. Die BAG Wohnungslosenhilfe (BAG W) ermittelt einen drastischen Anstieg der Wohnungslosigkeit in Deutschland: 2014 waren ca. 335.000 Menschen in Deutschland ohne Wohnung - seit 2012 ist dies ein Anstieg um ca. 18 %.

Die BAG W prognostiziert von 2015 bis 2018 sogar einen weiteren Zuwachs um 200.000 auf dann 536.000 wohnungslose Menschen. Das wäre eine Steigerung um ca. 60 %.

Diese Zahlen präsentierte der Dachverband der Wohnungslosenhilfe am Montag in Berlin.

„Wir müssen leider davon ausgehen, dass das Wachstum der Wohnungslosigkeit zwischen 2012 und 2014 unseren früheren Prognosen entsprochen hat und die Zukunft noch düsterer aussieht“, erklärte Thomas Specht, Geschäftsführer der BAG W.

Die BAG W veröffentlicht regelmäßig ihre Schätzung zur Zahl der Wohnungslosen, da es in Deutschland keine bundeseinheitliche Wohnungsnotfall-Berichterstattung auf gesetzlicher Grundlage gibt. Seit Jahren fordert die BAG W die jeweiligen Bundesregierungen auf, umgehend einen entsprechenden Gesetzesentwurf ins Parlament einzubringen.

Struktur der Wohnungslosigkeit

Die Zahl der Menschen, die „Platte machen“, die also ohne jede Unterkunft auf der Straße leben, stieg seit 2012 um 50 % auf ca. 39.000 in 2014 (ca. 26.000 in 2012).

Ca. 239.000 (71 %) der wohnungslosen Menschen sind alleinstehend, 96.000 (29 %) leben mit Partnern und/oder Kindern zusammen. Bezogen auf die Gesamtgruppe der im Jahr 2014 Wohnungslosen schätzt die BAG W die Zahl der Kinder und minderjährigen Jugendlichen auf 9 % (29.000), die der Erwachsenen auf 91 % (306.000).

Der Anteil der erwachsenen Männer liegt bei 72 % (220.000); der Frauenanteil liegt bei 28 % (86.000) und ist seit 2012 um 3 % gestiegen.

Der Anteil wohnungsloser Menschen mit Migrationshintergrund liegt mit 31 % bei knapp einem Drittel. 2012 waren es noch 27%.

Zahl der bedrohten Wohnverhältnisse steigt ebenfalls deutlich

In 2014 waren ca. 172.000 Haushalte (2012: 144.000) vom Verlust ihrer Wohnung unmittelbar bedroht. In  ca. 50 % der Fälle konnte die Wohnung durch präventive Maßnahmen erhalten werden. Doch insgesamt gab es 86.000 neue Wohnungsverluste in 2014:  davon ca. 33.000 (38 %) durch Zwangsräumungen und ca. 53.000 (62 %) sog. „kalte“ Wohnungsverluste. Beim „kalten“ Wohnungsverlust kommt es nicht zur Zwangsräumung, sondern die Mieter und Mieterinnen, vor allem alleinstehende, „verlassen“ die Wohnung ohne Räumungsverfahren oder vor dem Zwangsräumungstermin. „Ein ausschließlicher Blick auf die Zwangsräumungszahlen verkennt das Ausmaß neu entstehender Wohnungslosigkeit“, erklärte Thomas Specht.

Prognose bis 2018: bis zu 536.000 wohnungslose Menschen in Deutschland

Thomas Specht: „Wenn die wohnungs- und sozialpolitischen Rahmenbedingungen nicht nachhaltig geändert werden, wird es zu einem weiteren Anstieg der Wohnungslosenzahlen um
60 % auf knapp 540.000 bis zum Jahr 2018 kommen. Dabei spielt die wachsende Zuwanderung von EU-Bürgern und Asylbewerbern zwar eine Rolle als Katalysator und Verstärker, die wesentlichen Ursachen liegen jedoch in einer seit Jahrzehnten verfehlten Wohnungspolitik in Deutschland, in Verbindung mit einer unzureichenden Armutsbekämpfung.“

Ursachen für die steigende Zahl der Wohnungslosen: Wohnungsmangel, hohe Mieten, Verarmung und sozialpolitische Fehlentscheidungen

Winfried Uhrig, Vorsitzender der BAG Wohnungslosenhilfe, erklärte: „Mehrere Faktoren sind maßgeblich für den dramatischen Anstieg der Wohnungslosenzahlen: Dazu gehört das unzureichende Angebot an preiswertem Wohnraum in Verbindung mit dem ständig schrumpfenden sozialen Wohnungsbestand, dem nicht durch Neubau und soziale Wohnungspolitik gegengesteuert wurde und wird.“ Seit 2002 gibt es eine Million Sozialwohnungen weniger.

Zugleich haben Kommunen, Länder und der Bund ihre eigenen Wohnungsbestände meistbietend an private Investoren verkauft und sich so selbst geeigneter Reserven preiswerten Wohnraums beraubt. Große Wohnungsbestände in attraktiven Lagen stehen wegen Gentrifizierung Mieterhaushalten mit geringem Einkommen nicht mehr zur Verfügung.

Es fehlen mindestens 2,7 Millionen Kleinwohnungen. Dieser Wohnungsmangel, ins. bei den kleinen Ein- bis Dreizimmerwohnungen,  hat zu einem extremen Anziehen der Mietpreise, ins. in den Ballungsgebieten geführt. Der besonders großen Nachfragegruppe der Einpersonenhaushalte (16,4 Millionen Menschen) steht nur ein Angebot von 13,6 Millionen Ein- bis Dreizimmerwohnungen gegenüber.

Die Armut der unteren Einkommensgruppen hat sich verfestigt u. a. durch die Ausweitung des Niedriglohnsektors und der atypischen Beschäftigung sowie durch den unzureichenden ALG II-Regelsatz.

Noch immer gibt es zu wenige Fachstellen zur Verhinderung von Wohnungsverlusten in den Kommunen und Landkreisen. In vielen Fällen könnte bei Meldung des drohenden Wohnungsverlustes an eine entsprechende Fachstelle Wohnungslosigkeit vermieden werden. Doch viel zu wenige Kommunen, insb. Klein- Mittelstädte, und Landkreise machen von den gesetzlichen Möglichkeiten (im SGB II und im SGB XII) zur Verhinderung von Wohnungslosigkeit Gebrauch.

Die Krise auf den Wohnungsmärkten mit ihrem Mangel an bezahlbarem Wohnraum hat ebenfalls zu einer Krise im ordnungsrechtlichen Unterkunftssektor geführt: „Weil wohnungslose Menschen oft chancenlos auf dem Wohnungsmarkt sind, sitzen sie  in den Unterkünften fest. Die Wohnungslosigkeit verfestigt sich und zugleich – und das ist besonders riskant angesichts des bevorstehenden Winters – gibt es zu wenige freie Unterkunftsplätze“, sagte Uhrig.

Wohnungsgipfel und Nationaler Aktionsplan gefordert

Die BAG W fordert einen Wohnungsgipfel und einen Nationalen Aktionsplan zur Überwindung der Wohnungsnot.

Winfried Uhrig: „Wir fordern die Bundesregierung auf, die Lebenslagen von verarmten und wohnungslosen Menschen endlich zur Kenntnis zu nehmen und konkrete Maßnahmen zur Verbesserung auf den Weg zu bringen. Deswegen fordern wir Sofort-Maßnahmen gegen den weiteren Anstieg der Wohnungslosigkeit.“

Der Bund muss wieder Verantwortung in der Wohnungspolitik übernehmen; die  Dezentralisierung auf die Länder durch die Föderalismusreform von 2006 erweist sich immer mehr als Fehlentscheidung. „Deswegen muss die Bundesregierung einen Wohnungsgipfel einberufen, u. a. mit dem Ziel eines Nationalen Aktionsplans zur Bekämpfung der Wohnungslosigkeit und zur Versorgung von Wohnungslosen und Flüchtlingen mit eigenem Wohnraum. Dafür haben wir schon 2014 ein Konzept vorgelegt“, sagte Uhrig.

„Wohnungspolitik muss als Daseinsvorsorge verstanden werden. Die Bundes- und Landesmittel für den Sozialen Wohnungsbau müssen über Jahre drastisch erhöht werden, um den Fehlbestand an preisgünstigen Wohnungen ausgleichen zu können“ , so Uhrig. Die BAG W hält den Bau von 400.000 Wohnungen im Jahr, davon mindestens 150.000 preiswerte Wohnungen und Sozialwohnungen, für nötig.

Der Bau von preiswertem Wohnraum ist zwar Voraussetzung für die Bekämpfung von Wohnungslosigkeit, aber nicht ausreichend: „Die Kommunen müssen geeignete Maßnahmen ergreifen, ggf. durch Einführung entsprechender Quoten, um bereits wohnungslose Haushalte mit eigenen Wohnungen zu versorgen“, forderte Uhrig. Und die Kommunen müssten die Prävention von Wohnungsverlusten gezielt betreiben, u. a. durch den Auf- und Ausbau von Zentralen Fachstellen zur Vermeidung von Wohnungsverlusten. Dies sollte durch entsprechende Förderprogramme des Bundes und der Bundesländer unterstützt werden.

Alle Landesregierungen und die Bundesregierung sind gefordert, umgehend eine Wohnungsnotfallstatistik einzuführen. Das Bundesland Nordrhein-Westfalen ist das einzige Bundesland mit einer solchen Wohnungsnotfallstatistik. Der Bund und andere Bundesländer könnten dieses Modell sofort übernehmen und damit den erforderlichen Wohnungsbau bedarfsgerecht steuern.

Uhrig appellierte auch an die privaten Kleinvermieter: „Vermieten Sie Ihre Wohnungen auch an wohnungslose Menschen, damit diese wieder eine Chance erhalten!“

Quelle: http://www.bagw.de  vom 5.10.2015