Frühe Kommunen in Deutschland
D
er Barkenhoff

von Gustav Heinecke

12-2014

trend
onlinezeitung

Die Entstehung der Kommune Barkenhoff ist eng mit der Entwicklung der Persönlichkeit von Heinrich Vogeler (1872 - 1942), dem Sohn eines Eisenwarengroßhändlers verbunden. Nach Abschluß seines Kunststudiums in Düsseldorf und einigen Stu dienreisen, die ihn auch in einige Künstlerdörfer in Belgien führten, kaufte er sich in Worpswede. 1895 den Barkenhoff. Hier hatten sich bereits seit einigen Jahren Künst­ler wie Fritz Mackensen, Otto Modersohn, Hans am Ende und Fritz Overbeck nieder­gelassen. In der Zeit um die Jahrhundertwende war Vogeler stark an der Entwicklung des Jugendstils beteiligt, beschickte verschiedene Ausstellungen, fand Gönner und Mäzene und war auf dem besten Wege, sich einen Namen zu machen. 1901 heiratete er Martha Schröder, die aber ab 1910 mit Ludwig Bäumer, einem Bremer Kommunis­ten befreundet war. (Diese Bezichungsprobleme sollten während der Kommunezeit zu einer großen Belastung werden). Durch seine Tätigkeit als künstlerischer Leiter einer Möbelfabrik lernte er das erste Mal das Leben der Arbeiter kennen. Er entwarf nach Vorbild der englischen Settlement-Bewegung ein Modell einer gesunden Wohnsiedlung für Arbeiter, das aber nirgends verwirklicht wurde. Ein rudimentäres soziales Engagement neben seiner jugendstil-geprägten Kunstauffassung ist also schon vor dem 1. Weltkrieg vorhanden.

Bei Kriegsausbruch meldet er sich freiwillig zum Kriegsdienst, wie so viele, die sich diffus eine Veränderung der Verhältnisse wünschten. Die Kriegserfahrung leitete bei ihm eine Phase der Politisierung ein. Im Januar 1918 bringt er seinen Protest gegen den "Gewaltfrieden" von Brest-Litowsk in einem Brief an den Kaiser zum Ausdruck, der von Bremer Linksradikalen vervielfältigt wird. Die Folge des "Märchens vom lieben Gott" (1) war die Internierung in eine Irrenanstalt. Nach seiner Entlassung beschäftigt Vogeler sich mit Proudhon, Fourier und Kropotkin.

"Zu Marx und Engels hatte ich noch gar keine Beziehung; und wenn ich irgendivo redend auftrat, dann als fanatischer Pazifist, aber ohne eigentliche Ideologie." (2)

Er lernt den Bremer Kommunisten Johannes Knief kennen, der einen großen Einfluß auf ihn ausübt. Den ganzen Sommer 1918 über war der Barkenhoff ein Treffpunkt der verschiedensten internationalen Kriegsgefangenen, die die politische Lage disku­tierten. Im Spätsommer wohnten bereits mehrere Flüchtlinge und ehemals Gefangene fest auf dem Hof, ohne jedoch den Anspruch einer Kommune zu erheben. In der revolutionären Situation im November hielt Vogeler mehrere Vorträge vor Bauern der Umgebung und es fanden Versammlungen auf dem Barkenhoff statt. Vogelcr wurde in den Arbeiter- und Soldatenrat des Kreises Osterholz-Scharmbeck gewählt, wo er für die Kontrolle von Lebensmitteln verantwortlich war. Als die Gerstcnberger Truppen heranrückten, die Bremer Räterepublik zu liquidieren, floh Vogeler ins Sauerland, wo er nach kurzzeitiger Verhaftung wieder freigelassen wurde. Bei der Vernehmung resümmierte er seine Erfahrungen der letzten Zeit:

"Der Krieg hat aus mir einen Kommunisten gemacht. Es war für mich nach meinen Kriegserlebnissen nicht mehr tragbar, einer Klasse anzugehören, die Millionen von Menschen in den Tod getrieben hat aus Gründen, die lediglich in der Profitsucht einzelner ihre Wurzeln haben. Dem arbeitenden Volk wurden immer schwerere Las­ten durch den Krieg aufgebürdet, das Volk hatte nur Verluste und Elend durch den Krieg. Es war nicht mehr gewillt, sich durch die Herrschenden ausbeuten zu lassen. Die Arbeiter sahen richtig, daß der Privatbesitz die Quelle der Profitsucht ist. " (3)

Während der Rätezeit hatten sich die auf dem Barkenhoff lebenden 6 Leute — Vogeler charakterisierte sie als Intellektuelle - die Gründung einer Kommune zum Ziel gesetzt. Vogelers spätere Einschätzung dieser 1. Kommune war sehr negativ.

"Sie ließen aber das Land verkommen, so daß die Bauern, wenn sie vorbeifuhren, mit dem Peitschstil auf die Flut des gelben Hederichs wiesen: "Kick, kiek, de Kommunisten. De hebbt ower ne Freud an de Blomens." Vom Korn war kaum was zu sehen. Unsere Leute standen spät auf, erst um zehn Uhr waren die beiden Schimmel gefüttert und angespannt. Dann fuhren drei Mann los, um frisches Grün­futter für die Kuh von der Wiese zu holen, das um zwölf Uhr glücklich eintraf. Unter den einzelnen Mitgliedern entwickelten sich mit der Zeit große Gegensätze, die wohl dem Antagonismus zwischen mir und Freund entsprangen." (4)

Aber auch

"Das Ende der Bremer Räterepublik und die Überfälle der Reichswehr (mittlerweile 3 Mal) trugen viel dazu bei, daß die erste Arbeitsgemeinschaft sich auflöste." (5)

Im Laufe des Frühjahrs, nach Vogelers Rückkehr, strukturierte sich die Zusammen­setzung der Barkenhoffbewohner grundlegend um:

"Als Stamm neben Heinrich Vogeler 1 Tischler und Zimmermann, 1 Schlosser und Schmied, 2 Landwirte und Gärtner, 1 Gärtnerschüler, 1 Lehrerin, 4 Frauen für Küche und Haushalt und die 10 Kinder, die zum Teil Waisen und Halbwaisen sind. Kriegs­beschädigte, Arbeitslose ... "

berichtet uns Friedrich Wolf.

Darüber hinaus kamen viele Gäste, die in der Kommune mitarbeiten wollten, die aber nicht lange blieben, weil das Leben und die Arbeit auf dem Hof eine besondere Dis­ziplin und Gesundheit verlangte, um die Schwierigkeiten bestehen zu können. (Friedrich Wolf)

"Für die meisten", so Bernhard Sievers, der "mit Rat und Tat" der Arbeitsgemein­schaft geholfen hat, "war der Barkenhoff nur Durchgangsstation; die wenigsten wur­den heimisch." Er zählt auf, wer alles dort vertreten war: "Kommunisten marxis­tischer Prägung, Anarchisten, Syndikalisten, vegetarisch lebende Freidenker und Le­bensreformer, Theosophen, Anthroposophen und andere." (7)

Über einige Mitglieder lassen sich aufgruna der Quellenlage genauere Angaben über ihre Herkunft, die Gründe, die zur Kommune führten und ihren weiteren Werdegang machen:

Marie Griesbach, eine Arbeiterin aus Dresden, die 'rote Marie' genannt, hatte Vogeler bei der Beerdigung von Johannes Knief (6.4.20, die größte Demonstration seit der Räterepublik) kennengelernt. "Schon während ihrer Jugend hatte sie sich politisch aktiv betätigt, sie organisierte sich in der "Arbeiterjugend" und dem "Bund der Naturfreunde" und studierte die Schriften von Marx und Engels." (8) Neben intensi­ven Arbeiten für die Kommune, hielt sie weiterhin viele Vorträge in den verschie­densten Orten. Nachdem sie einige Zeit mit Vogeler befreundet war, lernte sie Walter Hundt bei der Arbeit näher kennen. Später heirateten die beiden und zogen sich auf einen Bauernhof in bürgerlicher Zweisamkeit zurück. Ihr revolutionärer Elan war er­loschen.

Walter Hundt, Sohn eines Fabrikanten in Siegen, entwickelte durch die Kriegser­fahrung Interesse an der Landwirtschaft. "Er wollte dem 'Zerschlagen der Mutter Erde durch die Kriegsfurie' ein Ende bereiten und versuchen, 'die F>dc wieder gut zu machen, der Erde zu dienen." (9) Aufgrund seines Interesses an den Worpsweder Künstlern und der Landschaft Norddcutschlands beginnt er seine landwirtschaftliche Lehre bei einem Großbauern in Worpswede. Bereits im Juli 1919 knüpft er die ersten Kontakte mit dem Barkenhoff. Im Frühjahr 1920, nach Beendigung seiner Lehrzeit, steigt er voll in die Kommune ein. Dank seiner Kenntnisse lassen sich die landwirt­schaftlichen Erträge steigern. Politisch war er eher indifferent, sein Pazifismus war mit lebensreformerischen Idealen verbunden. Hundt stellte wohl den Praktiker dar. Abschließend sei noch Friedrich Harjes erwähnt, der als Exponent einer anarcho-syn-dikalistischen Fraktion sich zum Gegenpol von Vogeler entwickelte. An diesen wenigen Beispielen werden die unterschiedlichsten Motivationen deutlich, die die ein­zelnen Mitglieder zur Kommune brachten. Der Entstehungszusammenhang der Kommune wurde ausführlich dargestellt um die nun folgenden programmatischen und organisatorischen Vorstellungen und deren Verwirklichung in der Praxis besser einschätzen zu können.

Die Kommune ist einerseits eine Siedlungsgemeinschaft, die durch intensive Bodenbe-ackerung einen möglichst hohen Grad der Selbstversorgung erreichen will, anderer­seits sind verschiedene kleinhandwerkliche Fiinrichtungen (wie Schmiede, Schreine­rei) angeschlossen, die durchaus noch für den kapitalistischen Markt produzieren, und drittens eine Siedlungs- und Arbeitsschule für Waisenkinder. Die Organisations­form ist die des Rätemodells.

"Wir Arbeiter teilten jede Arbeit unter uns. Wir wählten einen Arbeiterrat von dreien. Einen für Finanzen, einen für Produktion und einen für Konsum ... Dem Arbeiterrat wurde aller Besitz übergeben ... Das Geld wurde innerhalb der Kommune völlig abge­schafft und nur der Finanzrat verkehrte mit der Außenwelt kapitalistisch. Nun hatte jeder Arbeiter Anrecht auf Wohnung, Kleidung und Nahrung in dem Maße, wie es im Besitz vorhanden war oder geschaffen wurde; aber auch jeder hatte die Sorge, die Verantwortung für das Ganze. Da der Arbeiterrat jeden Tag abberufen werden kann, ist die Kontrolle genau, und überall stellt sich der gesellschaftliche Verkehr, die Ar­beit auf gegenseitige Hilfe... " (10)

"Das Leben auf dem Hof wird durch eine Hausordnung geregelt. Oberstes Gesetz ist die gegenseitige Hilfestellung in allen Dingen. Arbeitsplan und -Verteilung für den je­weiligen folgenden Tag muß gemeinsam festgelegt werden. Punkt vier der Ordnung besagt, daß alle Einnahmen und Ausgaben durch die Finanzleitung geregelt werden. Innerhalb der Kommune ist jeder Geldverkehr und jede Verrechnung ausgeschlossen. Punkt fünf: Die Kinder der Gemeinschaft sind bei leichten Arbeiten heranzuziehen, damit in ihnen der Sinn für gegenseitige Hilfe geweckt wird. Auf das Spiel der Kinder ist so einzuwirken, daß diese spielend zur Produktivität übergeleitet werden. Ein jeder muß sich immer wieder seiner Lehrpflicht durch das lebendige Beispiel bewußt sein und die Jugend in jeder Form und zu jeder Zeit mit den Arbeiten und Bedürfnissen der Kommune vertraut machen. " (11)

"Die Arbeitsschule soll ein Teilstück der Kommune sein und soll die Verbindung zwischen Wissenschaft und Lehen herstellen. In ihr gibt es keine Altersgrenzen, son­dern sie ist eine Arbeitsgemeinschaft von Kindern und Erwachsenen. Jedes Kom­munemitglied hat Erzieheraufgaben zu erfüllen, d.h. je nach Bedarf in der Produktion oder in der Schule tätig zu sein. Die Schule soll eine 'Lebensschule' sein. Die Kinder lernen in und an der Natur mit dem Material, was sich ihnen gerade bietet. Während 'die alte Schule den organisatorisch-mechanistischen Lernprozeß verwirklicht, um aus dem Kind brauchbares Menschenmaterial zu machen', fördere 'die Arbeitsschule den organisch wachsenden und befreienden Schöpfungsprozeß im Kinde zum Leben..., um den jungen Mensehen zu seiner vollen individuellen Gestaltungskraft in der Ar­beit zum Wohle seiner Mitmenschen zu bringen. " (12)

Das praktische Leben auf der Kommune Barkenhoff gestaltete sich schwierig. Die zum Hol gehörende Ackerfläche war klein und von schlechter Qualität, und ein Teil mußte erst durch die Siedler urbar gemacht werden. Nicht alle Nahrungsmittel konnten selbst produziert werden oder durch Naturalientausch mit den wenigen Bauern der Umgebung erworben werden. Auch die Handwerkereien konnten nicht für eine ausreichende ökonomische Grundlage sorgen. Teilweise bekamen sie Material von Genossen geschenkt, die letzte Rettung aber war immer wieder der Mäzen Voge­lers, der seine Bilder kaufte und mit allen möglichen Dingen aushalf. Diese prekäre Situation zwang die Kommune zum ständigen Arbeiten, worunter die Kommunikation und das Zusammenleben litt. Walter Hundt berichtet uns:

"Ich selbst bin so beschäftig! und arbeite so konzentriert (muß schon), daß mich an­derer Leute Arbeit nur insoweit interessiert, soweit sie die meine nicht hindert." (13)

In dem Theaterstück "Die Kolonie Hund" von Friedrich Wolf versuchen einige Ein­gangsszenen, dieses schwierige Arbeitsklima einzufangen. (14)

So bleibt kaum Zeit, die weiteren Arbeitspläne und die Verteilung der Arbeit gemein­sam zu diskutieren. Nur einmal in der Woche ist allgemeines Gruppentreffen, auf dem dann aber auch noch die Probleme des Zusammenlebens besprochen werden sollen. In einem Brief an Else Wolf vom 9.6.1921 resümiert Friedrich Wolf die Lage drama­tisch: "Doch eins ist mir klar, der hiesige Kampf mit Böden, Mensch und Umwelt ver­braucht die Barkenhöffer schnell; der Barkenhoff frißt Menschen." (15) Unter diesen Bedingungen ist es auch verständlich, daß das Problem der Aufhebung der Arbeitsteilung, insbesondere die zwischen den Geschlechtern gar nicht in Angriff genommen wurde. Die einzig verbindende Arbeit, die zeitweise jeder mitmachte, war die einfachste Feld- und Gartenarbeit. Ansonsten mußte jede besondere Quali­fikation, die die einzelnen mitbrachten, weiter ausgebaut werden, um nicht unter das Existenzminimum zu rutschen. Das Spezialistentum führt nun aber wiederum dazu, daß die wichtigsten Entscheidungen eben von den Qualifiziertesten gefällt werden, und die anderen vor allen Dingen die vielen Gäste und Kurzmitglieder — nur mitmachen können.

Das Zusammenleben der Kommunemitglieder war ständig durch die obengenannten Schwierigkeiten geprägt. ("Wir sind oft erdrückt von dem permanenten Mangel an Geld" (16)). Der Arbeitsdruck stieg

"bloß um das Werk zu erhallen; daß die Menschen sich dort kein Theater, keine vollen Mägen, keinerlei Genüsse irgendwelcher Art leisten können, daß sie bei aller Arbeit — inmitten einer anders gesonnenen Umwell oft nicht wissen, was am anderen lag aus ihnen wird; und daß sie dennoch und bei aller Entbehrung seelisch nicht erschlaffen dürfen, da sonst die Arbeit leidet. Es ist weiß Gott kein roman­tisches Idyll, der Barkenhoff. " (17)

So ist es nicht verwunderlich, daß es zu Konflikten zwischen ihnen kam.

"Jetzt haben wir hier arge Auseinandersetzungen gehabt. Besitzgier, bürgerliches Philistertum und unberechtigte Fraueneifersucht haben starke Diskussionen her­vorgerufen. "

berichtet Marie Griesbach. (18)

Heinrich Vogeler schreibt ebenfalls in einem Brief an Ludwig Bäumer:

" ... und auch in größtem Idyll-Jammer ist es Besitzgier, die neben Machtwillen, per­sönliche Herrschaft, egoistische Ausbeutung der Arbeitskraft des nächsten, immer wieder sind es nur diese Dinge, die das Leben in einer Gemeinschaft unmöglich machen." (19)

Weiterhin schreibt er aber auch — und hier wird die besondere integrierende Funktion der Persönlichkeit Vogelers deutlich —:

"Hier ist alles, nachdem mir die einzelnen ihr Herz ausgeschüttet haben und der feste Glauben an unsere Sache wieder aufgerichtet ist, der stärkste Arbeitswille und eine frohe harmonische Stimmung. " (20)

Walter Hundts Einschätzung bestätigt dieses:

"Wir sind stets froh, wenn er wieder da ist, denn die Arbeitsgemeinschaft ist so viel­fältig zusammengesetzt, daß sein Element erst die richtige Bindung schafft." (21)

Das große Haus mit mehreren Nebengebäuden ermöglichte den Einzelnen doch relativ separat zu wohnen, teilweise wohnten auch Paare zusammen. In der Anfangs­zeit jedoch fungierte der Hausboden als großer Wohn- und Schlafraum. Über das Ausmaß der sozialen Bezugnahme und der gemeinschaftlichen Betätigungen außer­halb der Arbeit erfahren wir so gut wie nichts. Abgesehen davon, daß dazu sowieso nicht viel Zeit übrig blieb, war wohl auch bei allen nicht der Anspruch, bzw. Bedürf­nis dazu vorhanden. Heinrich Hundt schreibt dazu:

"Aus dem Beobachten und Studieren der Verhältnisse des Gemeinschaftslebens des Bruderhofes bei Schlüchtern hat sich die Richtigkeit auch für uns ergeben, dem Ei­genleben der Familie mehr Raum zu geben. Die Familie wurde bei uns viel zu sehr be­lastet dadurch, daß sie einen Teil ihrer Lebensäußerungen in die Arbeitsgemeinschaft hineingab. Wir aber haben die volle 'Tischgemeinschaft aller. Das war allerdings nicht eine vorherige Zielsetzung gewesen, sondern das ergab sich aus der immerhin ver­hältnismäßig kleinen Arbeitsgemeinschaft und den Wohnmöglichkeiten." (22)

Die Kommune verstand sich mehr als eine gemeinwirtschaftliche Arbeitsgemein­schaft, in der das Individuum weitgehend bewahrt wurde. So zog z.B. Heinrich Vogeler allein in ein von Kommuncmitglicdern gebautes Bienenhaus, als er sich von der Beziehung, die sich zwischen Walter Hundt und der roten Marie gegeben hatte, distanzieren wollte, ohne aus der Kommune auszuscheiden. Mit der Zeit beteiligten sich auch nicht alle mehr an den gemeinsamen Mahlzeiten. Die Kon­flikte, die sich aus den Beziehungsproblemen ergaben, beeinflußten zwar das Gruppenlcben, blieben aber weitgehend privat.

Die politischen Einschätzungen der Landkommune gehen bei den Begründern des Barkcnhoffs im wesentlichen auf Gustav Landauer und dessen Siedlungstheorie zu­rück. In einem Brief aus der Worpsweder Siedlung an den 'Freien Arbeiter' wird dies deutlich:

"Die kommunistische Ställe nicht mehr zu suchen, sondern sie in sich selbst aufzu­richten. Jene Inseln aber auszubauen, damit sie die kapitalistische Brandung brechen können ... Heule ist nur noch durch Beispiel zu wirken." (23)

Die Kommunen sind also nicht Selbstzweck für die einzelnen Mitglieder, "sondern sollen auch als Vorbild dienen und 'ihren' Wert nach außen hin erzieherisch dar­stellen." (24) Deshalb können auch zunächst nur ganz bestimmte, vom sozia­listischen Geist durchdrungene (25) Menschen, solche Kommunen bilden, wie es im Programm des Siedlerbundes "Freie Erde" ausgedrückt wird:

" Voraussetzung ist a) geistig vorbereitet sein für das Ziel des hcrrschaftslosen Sozialis­mus, der gegenseitigen Hilfe, des harmonischen Zusammenlebens, ... b) Befleissigung einer veredelten Lebensführung und Befolgung oder Anerkennung der Grundsätze naturgemäßer Lebensweise, sowie völlige Umgestaltung der sozialen Verhältnisse der Mensehen untereinander..." (26)

Die Kommune verstellt sich als eine Mustergemeinschaft im kapitalistischen Staat, eine Keimzelle der kommunistischen Gesellschaft mit "natürliche(r), gemeinwirt-schaftliche(r) klassenlose(r) Ordnung." (27)

Merkmal dieser neuen Gesellschaft ist nicht mehr Profit- sondern Bedarfswirtschaft; auch Privateigentum an Produktions- und Konsumgütern wird aufgehoben und Geld­wirtschaft durch den einfachen Warentausch abgelöst. In der Übergangszeit bis zur Durchsetzung dieser 'neuen Gesellschaft' sollen die Siedlungen, die Vogeler als Kampfmittel zur Revolutionierung der Klassen betrachtet, eine Art 'kommunistische Insel" im kapitalistischen Staat darstellen.

Der Anspruch des revolutionären Wirkens auf die gesamte Gesellschaft erfüllte sich nicht. "Die Kommune war zu sehr mit sich selbst, ihrem eigenen Überleben beschäf­tigt, als daß sie als vorgelebtes Beispiel einer kommunistischen Gesellschaft die Land­bevölkerung von ihrer Sache überzeugen konnte (mit Ausnahme einiger Bauern). Vielmehr war sie in Bezug auf ihre Existenz auf die politischen Impulse angewiesen, die von dem nahegelegenen, großstädtischen Zentrum Bremen ausgingen." (28) Wie sahen nun die konkreten Beziehungen zu den Nachbarn aus, dem primären Wir-kungsfeld? Friedrich Wolf berichtet:

"Mit einer Zahl Nachbarn wird in Form des Naturaltausch und der Gemeinwirtschaft verfahren; etwa eine Deichsel gegen ein halbes Fuder Torf oder eine Schlosserreparatur gegen einen Bienenkorb, oder Ausleihung der Pferde gegen Bestellung der Weide. Viele aber haben versagt und abgelehnt ... " (29)

Walter Hundt, der das beste Verhältnis zu den Bauern der Umgebung hat, schreibt:

"Das bäuerliche Nachbarschaftsverhältnis war eines der schönsten Erlebnisse, die ich erfahren konnte. Uns fehlten manche Geräte, wo sollte man sie anders erhalten als beim Nachbarn?" (30)

Die Zusammenarbeit mit einigen Bauern entwickelt sich zwar gut, aber der Großteil der bäuerlichen Umgebung und die verbliebenen Künstler in Worpswede ist dem Projet feindlich gesonnen. Durch sie (vor allen Dingen Fritz Mackensen) werden immer wieder Denunziationen und Gerüchte in die Welt gesetzt, die von der Polizei und der bürgerlichen Presse dankenswerterweise aufgenommen werden. Am meisten wird die angebliche Arbeitsunlust und der Sittenverfall in der Kommune angegriffen. (Hier scheint der Bürger am ehesten getroffen zu sein).

Eine andere Qualität hat das Verhältnis der Barkenhöffer zu zwei Siedlungsprojektcn in der nahen Moorgegend, dem Moor- und dem Sonnenhof, die von Leuten gegründet wurden, welche den Barkenhoff kennengelernt hatten. Neben dem gemeinschaft­lichen Verkehr auf der Basis der gegenseitigen Hilfe, war hier auch eine weitgehende Übereinstimmung in der 'Weltanschauung' von großer Bedeutung. Walter Hundt drückt seine Stimmung bei einem Besuch der Projekte folgendermaßen aus:

"An dem Tag, an dem wir da im Moor bei Tüschendorf über das Werden einer Sied­lung sprechen, wie das alles werden und sein soll, spüre ich ganz lebhaft, daß eine neue Zeit da ist. Diese ernsten Arbeiter und Handwerker sind keine Romantiker. Sie wollen jetzt nicht in der Stadt arbeitslos sein. Auf irgend eine gute Art wollen sie ihr Schicksal meistern. Sie nennen das 'Sozialismus der Tat'. " (31)

Eine Zeitlang diskutierten die Barkenhöffer sogar die sukzessive Kommunisicrung der umliegenden Bauernhöfe, was sich jedoch als unrealistisch erwies. (32) Wir sehen, daß die Beziehungen zur unmittelbaren Umgebung von großer Wichtig­keit sind, daß sie das Kommuneleben beflügeln und die Atmosphäre der Isolation verhindern können.

Ein ebenfalls sehr wichtiges Element in dieser Richtung war die Wirkung des Bar-kenhoffs in einer bestimmten 'fortschrittlichen' Öffentlichkeit. Die Kommune entwickelte sich zu einem Anziehungspunkt für Wanderungen der freideutschen und der proletarischen Jugendbewegung, an Sonntagen kamen die syndikalistischen Werftarbeiter mit ihren Familien aus Bremen, aber auch ca. 600 Mitglieder der USPD haben den Barkenhoff kennengelernt. Ebenso interessierten sich viclel linke Intellek­tuelle für das Kommuneprojekt und die Arbeitsschule, z.B. Otto Rühle, Martin Buber und Julian Marchlewski, ein Freund Lenins und Mitbegründer der polnischen KP. Die vielen Gäste werden - so gut es geht - in die Arbeitsgemeinschaft integriert. "Tag für Tag kommen Studenten und Jugendliche, um einzukehren in einen Bereich, der der ihre ist. Überall sind sie zu finden, wo Arbeit ist. Aber sie lagern auch herum und tummeln sich am Teich." (33) "In dieser ganzen Zeit gingen größere Wanderungen über den Barkenhoff, proleta­rische Jugend, freideutsche, linksradikale Jugend. Wir bauten Unterstände für die vielen Menschen, saßen abends am Feuer mit ihnen zusammen und diskutierten über die wichtigsten Fragen der Jugend. Der Platz vor dem Hause eignete sich sehr gut zum Lagern, und aus den Zusammenkünften wurden wichtige Schulungskurse. Es wurde über die politische Lage und vor allem über Sowjetrußland diskutiert", berichtet Heinrich Vogeler.

Andererseits gibt es auch Schwierigkeiten mit der hohen Fluktuation und der Zeit­beanspruchung durch die festen Mitglieder. In dem Brief an Ludwig Bäumer schreibt Vogeler:

"Ich fürchte. Tami hat reichlich parasyl gelebt. Er (Goldigga) möchte die Dinge mit den Gästen absolut festgelegt haben und auch die ganze Ordnung." (35)

Und Walter Hundt zitiert Vogeler folgendermaßen:

"Gewiß ist vieles nicht so, wie ich es mir gedacht habe, viel Arbeit bleibt liegen. Statt wirklich Notwender zu sein, wird zuviel diskutiert darüber, wie man arbeiten soll, und wie alles geregelt werden soll. Und immer noch kommen jene Intellektuel­len, die alles wissen und nichts können, die gerne angeben, wie maus machen soll, aber nicht wissen, wie sie es selbst machen könnten. " (36)

Aul jeden Fall bringen die vielen Gäste immer wieder neuen Schwung in die Arbeits­gruppe und sorgen dafür, daß die politische Diskussion nicht verebbt. Der Barken­hoff stand somit in einem engen Zusammenhang mit der deutschen Jugendbewegung, obwohl nicht direkt aus ihr hervorgegangen und der Bremer Arbeiterbewegung. Die Spaltung zwischen Kommunisten und Syndikalisten setzte sich innerhalb der Arbeits­gemeinschaft fort. Außerdem gab es noch eine dritte Fraktion, die mehr lebensre-formerisch orientiert einen sogenannten dritten Weg zum Sozialismus propagierte.

Wie oben schon erwähnt, hielten einige der Kommunemitglieder Vorträge, in denen der Siedlungsgcdankc referiert wurde. Außerdem beteiligten sie sich teilweise an Se­minaren, wie z.B. an der Tagung Nordischer Jugend und gründeten mit anderen zu­sammen den Siedlerbund "Freie Erde" der "Gemeinwirtschafts-Vereinigung" Bre­men. Der Barkenhoff entwickelte also eine beträchtliche Aktivität zur Verbreitung der Siedlungsbewegung. Höhepunkt dieser Bestrebungen war wohl die Siedlungs­konferenz vom 1. - 3.1.1921 auf dem Barkenhoff, wo neben Vorträgen zu Siedlungs-fragen Gelegenheit war, Beziehungen unter den verschiedenen Siedlungsprojekten aufzubauen.

Von Repressionen seitens der Polizei und Presse ließe sich viel berichten. Die vielen Spitzelberichte und Hausdurchsuchungsprotokolle etc. füllen einen dicken Aktenord­ner im Bremer Staatsarchiv/Wie aus den Polizeiakten hervorgeht, hatten die Sicher­heitsbehörden für die Bekämpfung der kommunistischen Zelle folgende Maßnahmen geplant: "1) Bekanntgabe der in Worpswede herrschenden Zustände durch die Presse, 2) Eingreifen seitens der Behörden, 3) Gegenwirkung seitens der in Worpswede leben­den übrigen Künstler, 4) Gegenwirkung seitens der Worpsweder und Ostendorfer Be­völkerung." (37) Die ersten Punkte ließen sich sehr gut erfüllen. Die 'Worpsweder Zeitung' spielte in dieser Hinsicht die hervorragendste Rolle:

"In einem Artikel dieser 'Worpsweder Zeitung ' wird Heinrich Vogeler als Schwärmer und Anhänger der russsischen Kultur und des Kommunismus bezeichnet und als po­litischer Dilettant ersten Hanges, der persönlich Unkraut hackt, das er in Reinkultur züchtet. Weiter heißt es, man lebe auf dem Barkenhoff nach der Devise, der Fleißige solle für den Faulenzer arbeiten. Obendrein herrsche der reinste Sittenverfall." (38)

Im Jahre 1922/23 spitzten sich die verschiedensten Schwierigkeiten zu. Die Bemü­hung«!) um die Erweiterung der ökonomischen Grundlage Vergrößerung der Lind wirtschaftlichen Nutzfläche und Aufbau eines Sägewerks schlugen fehl und die Spannungen innerhalb der Gruppe nahmen zu. Schon in einem frühen Stadium schreibt Walter Hundt:

"Dieser kleine Kreis von zurzeit zwölf Erwachsenen ist dabei so unterschiedlich im Charakter und Temperament, im Aller, ja auch in seinen politischen Nuancen, daß es mich im Grunde erschreckt, mit diesem Amt (Betriebsrat) betraut zu werden. "(39)

Über die Auflösungsphase berichtet Heinrich Vogeler:

"Zersetzungserscheinungen in der Barkenhoffkommune waren in dieser Zeit schon seit langem zu spüren. Die Diskussion innerhalb der Arbeitskommune nahnien immer schärfere Formen an. Die Syndikalisten traten immer wieder gegen die Diktatur des Proletariats auf und behaupteten: Was man in Rußland tut, ist Staatskapitalismus und führt zu einer neuen Art von Unterdrückung und Ausbeutung der .Arbeiter­schaft." (40)

Dazu kam das erwähnte Problem der ständigen Fluktuation durch die vielen Gäste und letztlich spielten die Beziehungsprobleme eine nicht zu unterschätzende Rolle. Der revolutionäre Klan im Folge der Novemberrevolution, der in der Anfangsphase eine überragende Bedeutung beim Aufbau der Landkommunc und der Arbeitsschule gehabt hat, war verflogen, bzw. unterdrückt. Die gesellschaftlichen Verhältnisse hat­ten sich trotz der Wirtschaftskrise stabilisiert; die Bewegung war tot. Diese Atmos­phäre führte die Mitglieder zur Privatisierung. Walter Hundt und Marie Griesbach heirateten und wurden Bauern mit biodynamischen Anbau in der (legend. Die Syndikalisten verließen aufgrund der politischen Differenzen gemeinsam mit der Schmiedeeinrichtung den Barkenhoff und zwei Frauen der Arbeitsschule unter­schrieben Arbeitsverträge mit der Roten Hilfe, über die die meisten Kinder vermittelt worden waren. Heinrich Vogeler hatte sich von seinen anarchistischen Vorstellungen der Anfangsphase immer mehr entfernt, hatte sich der KPD angeschlossen (wo er je doch bald Schwierigkeiten bekam) und wollte nun für längere Zeit nach Rußland ge­hen. Marie Griesbach drückt laut Walter Hundt die Situation folgendermaßen aus:

"Trotz unseres Willens, Neues gemeinsam zu gestalten müssen wir erkennen, daß die persönlichen Gegensätze so stark sind, daß dadurch ein einheitliches fruchtbares Ar­beiten der Arbeiter des Barkenhoffs infrage gestellt ist. " (41)

Vogeler sieht ebenfalls mehr ein Binnenproblcm der Kommune:

"Die größte Gefahr für die Kommune liegt nicht außerhalb, in der kapitalistischen Umgebung, sondern in der kapitalistischen Gesinnung einzelner Mitglieder. " (42)

Die Konsequenz war, daß der Barkenhoff 1923 der Roten Hilfe Deutschland übergeben wurde.

Anmerkungen

1) Vogeler, Heinrich, Das neue Leben, Darmstadt und Neuwied 1972, S. 47 - 49
2) Vogeler, Heinrich, Erinnerungen, Hrsg. Erich Weinert, Berlin 1952, S. 240
3) Vogeler, a.a.O., S. 252
4) Vogeler, a.a.O., S. 261 f
5) Vogeler, a.a.O., S. 275
6) Wolf, Friedrich, Gesammelte Werke, Bd. 15, Berlin und Weimar 1967, S. 38
7) Erlay, David, Verwunschene Gärten Roter Stern. Heinrich Vogeler und seine Zeit, Fischer­hude 1977, S. 68 f
8) Jacobs, Inge, Die Kommune Barkenhoff 1919 - 23, unveröffentlichte Staatsexamensarbeit, Bremen 1977, S. 15
9) zitiert nach Jacobs, a.a.O., S. 16
10) Vogeler, 1972, a.a.O., S. 125
11) Vogeler, 1972, a.a.O., S. 139
12) Vogeler, 1972, a.a.O., S. 31
13) Hundt, Walter, Heinrich Vogeler und die Arbeitsschule Barkenhoff e.V. in Worpswede, unveröffentlichtes Manuskript, eine Kopie befindet sich im Staatsarchiv Bremen, S. 263
14) vergleiche in: Wolf, Friedrich, Gesammelte Werke, Bd. 2, Berlin 1960
15) Wolf, Friedrich, Briefwechsel, Berlin und Weimar 1968, S. 8
16)
Hundt, a.a.O., S. 210
17) Wolf 1967, a.a.O., S. 39 f
18) Erlay, David, Worpswede Bremen - Moskau. Der Weg des Heinrich Vogeler, Bremen 1972, S. 123
19) in: Polizeidirektion Worpswede, 4.65 4.2, Staatsarchiv Bremen
20) in: Polizeidirektion Worpswede, a.a.O.
21) Hundt, a.a.O., S. 131
22) Hundt, a.a.O., S. 292
23) siehe in Barkenhoffakte im Staatsarchiv Bremen
24) Landauer, Gustav, Zur syndikalistischen Sicdlungsaktion, in: Der Syndikalist Nr. 32, im Staatsarchiv Bremen
25) vergleiche Landauer
26) siehe Anmerkung 24
27) Vogeler, Heinrich, Friede, Bremen 1922, S. 14
28) Jacobs, a.a.O., S. 76
29) in: Bremer Nachrichten vom 5.8.1921
30) Hundt, a.a.O., S. 76
31) Hundt, a.a.O., S. 94
32) vergleiche Vogeler 1952, a.a.O., S. 281
33) Hundt, a.a.O., S. 151
34) Vogeler 1952, a.a.O., S. 279 ff
35) siehe Anmerkung 19
36) Hundt, a.a.O., S. 37
37) Bericht über die Ermittlungen in Worpswede vom 25.11.1920, Staatsarchiv Bremen
38) Jacobs, a.a.O., S. 41
39) Hundt, a.a.O., S. 79
40) Vogeler 1952, a.a.O., S. 309
41) Hundt, a.a.O., S. 323
42) Vogeler 1972, a.a.O., S. 127

Editorische Hinweise

Der Text wurde entnommen aus: Gustav Heinecke, Frühe Kommunen in Deutschland; Bielefeld 1978, S.32-40