Verfolgt
man den Entstehungsprozeß der klassischen Imperialsmustheorie im
Zeitraum von der Jahrhundertwende bis kurz vor Kriegsbeginn, so
läßt sich das Gros dieser Theorien von der besonderen
Entwicklungsgeschichte der deutschen Sozialdemokratie und im
besonderen der deutschen Linken innerhalb der Partei nicht
trennen.
Die beiden Schlüsselwerke,
Hilferdings »Finanzkapital« und Rosa Luxemburgs »Akkumulation
des Kapitals« wurden daher auch von ihren Autoren nicht nur als
Beitrag zur Weiterentwicklung der Marxschen Theorie(169) und als Versuch, »... die ökonomischen Erscheinungen der
jüngsten kapitalistischen Entwicklung wissenschaftlich zu
begreifen«(170), gewertet, sondern sie dienten
zugleich als Grundlage ihres politischen Handelns im jeweiligen
Bereich ihres sozialdemokratischen Wirkungsfeldes(171).
Die Tatsache, daß sie gemeinsam
mit anderen zeitgenössischen marxistischen
Imperialismusanalysen ferner Etappen auf dem Weg zur
Herausbildung der Leninschen Imperialismustheorie darstellen,
resultiert aus der gemeinsamen Quelle einer über Engels'
Marxismusverständnis vermittelten Kapitalrezeption und dem
Versuch, bestimmte gemeinsam historisch festgestellte
kapitalistische Phänomene als integrierte, teilweise auch
konstitutive Elemente in den eigenen neuen Entwurf
marxistischer Theorie aufzunehmen.
Der Grund, weshalb nahezu alle
Imperialismustheorien vor dem Kriege im Zusammenhang mit der
deutschen Sozialdemokratie entstanden sind, liegt wesentlich in
den unangefochtenen theoretischen Vormachtstellung der deutschen
Marxisten innerhalb der Internationale und der Schlüsselrolle,
die der Imperialismustheorie als Revolutionstheorie für die
Linke und als Legitimationstheorie für den pazifistischen
Attentismus des Parteizentrums der deutschen Sozialdemokratie
in den letzten Jahren vor Kriegsausbruch zukam(172).
Paul Louis: Der Imperialismus
als letzte Karte des Kapitalismus
Eine gewisse Ausnahme bildet in
diesem Zusammenhang die Imperialismusanalyse von Paul Louis,
dessen erste Studien bereits in das Jahr 1897 fallen(173),
der seine ausgereifte Theorie nach zahlreichen
Veröffentlichungen aber erst im Jahre 1905 herausgebildet hatte(174).
Louis begriff seine ausführlichen
wirtschaftspolitischen und kolonialgeschichtlichen Studien und
die Erarbeitung einer theoretischen Beurteilung der
Kolonialexpansion als Beitrag zu einer Theorie-Diskussion dieser
Frage unter den internationalen Sozialisten, deren Resultate den
Parteien als gemeinsame Handlungsgrundlage bei ihren Beratungen
auf den internationalen Kongressen dienen sollte(175).
In seinen ersten Arbeiten, die dem
Herausarbeiten des Zusammenhangs von Kapitalismus, Militarismus
und Kolonialismus gewidmet sind176, kommt Louis zu
dem Resultat, daß sowohl die wachsende Bewaffnung der
kapitalistischen Staaten als auch die Kolonialexpansion auf den
schrankenlosen Ausdehnungsdrang der kapitalistischen
Produktionsweise zurückzuführen seien(177). Die
Konkurrenz zwischen den kapitalistischen Staaten habe die
Weiterentwicklung der Produktivkräfte nur forciert, die
kapitalistischen Gegensätze verschärft(178) und die
Überproduktion gesteigert, so daß letztlich alle Nationen
angesichts der Überfüllung ihrer eigenen Märkte zur gewaltsamen
Erschließung neuer Absatzgebiete getrieben worden seien(179).
Gerade auch England habe sich angesichts der Stagnation seiner
Industrie und aus Furcht, die Wirtschaftskrisen könnten zu einer
Revolutionierung des Proletariats führen, in die
imperialistische Politik gestürzt(180).
Die Kolonialexpansion, verfochten
von einer kleinen Clique von Großindustriellen, Börsianern und
Spekulanten diene vor allem zu deren Bereicherung und zur
Steigerung der kapitalistischen Profite(181).
Sie bedeute aber für die Staatskasse und damit für die gesamte
steuerzahlende Bevölkerung zusätzliche finanzielle Belastungen,
insbesondere in Gestalt wachsender Militärausgaben(182).
So sei es eine Illusion zu glauben, daß die Kolonialpolitik
immer den Wohlstand des Mutterlandes hebe(183).
Allerdings bestehe unter bestimmten Umständen für die
herrschende Klasse zeitweilig die Möglichkeit, mit Hilfe des
Kolonialismus die Schärfe der Überproduktionskrisen
abzuschwächen und das Proletariat durch Aufrechterhaltung,
eventuell sogar kurzfristige Erhöhung der Löhne auf ihre Seiten
zu ziehen: »La caste possedante, en etendant le domaine de ses
placements, poursuit une double fin et pense servir doublement
sa cause. Attenuant, supprimant meme pour un temps les maux de
la surproduction, eile limite les crises industrielles et
accelere son popre enrichissement; d'autre part, multipliant ses
ventes, eile peut legerement accroitre, ä titre provisoire et
tout au moins, maintenir les salaires. Or eile compte bien (et
pendant des annees l'evenement a justi-fie ses previsions)(184),
que le relevement, si insignifiant soit-il, de la main-d'oeuvre,
perpetuera sa domination sur le Proletariat et que celui-ci
admet-tra la relation etroite de ses interets ä ses maftres.«(185)
Dies gelinge jedoch nur
zeitweilig, da die kapitalistische Produktionsanarchie bestehen
bleibe(186) und
mit der Durchkapitalisierung neuer Staaten(187)
die Konkurrenz sich erneut verschärfen müßte, mit dem Resultat
neuer weit katastrophalerer Krisen(188).
Daß die Durchkapitalisierung
Chinas eine solche gewaltige Krise hervorrufen mußte, davon war
Louis überzeugt. Zugleich signalisierten das Ende der
wirtschaftlichen Vorrangstellung Englands, der Abschluß des
Zeitalters seiner ökonomischen Prosperität(189)
und die weltweiten Auseinandersetzungen der kapitalistischen
Staaten um die Erschließung der letzten großen Kolonialgebiete
für Louis um die Jahrhundertwende das Heranreifen weltweiter
Konflikte zwischen den kapitalistischen Staaten, im Vergleich zu
denen die Kolonialkriege unbedeutend gewesen waren(190).
Diese bis zur Jahrhundertwende
entwickelte Imperialismusanalyse vertiefte Louis in den
folgenden Jahren noch, indem er stärker die Aktivitäten der
unterdrückten Kolonialvölker in seine Untersuchungen einbezog
und seine Analyse mit einer revolutionstheoretischen Perspektive
verband.
So zeigte sich, daß die
Kolonialpolitik für die Bevölkerung in den eroberten Gebieten
verheerende Auswirkungen hervorbrachte, daß die extreme
Ausbeutung der Eingeborenen, ihre gewaltsame Unterdrückung und
unmenschliche Behandlung zu immer neuen Erhebungen und Revolten
führte(191). Die
gewaltsam erschlossenen Gebiete konnten auch nur mit Gewalt
regiert und kontrolliert werden(192).
Die Kolonialexpeditionen wurden
von den kapitalistischen Staaten mit chauvinistischen Parolen
vorbereitet und von nationalistischen Kampagnen begleitet(193),
so daß der wachsende Antagonismus der Kolonialinteressen der
verschiedenen kapitalistischen Staaten und die Herausbildung der
Kolonialreiche »... Gefühle traditioneller nationaler
Feindschaft und Möglichkeiten eines Weltkriegs«(194)
heraufbeschworen.
Eine derartige politische und
ökonomische Existenzbedrohung des Kapitalismus signalisierte,
daß es sich bei seiner aggressiven militaristischen
Kolonialexpansion um den letzten Versuch handelte, seinem
notwendigen Schicksal, dem Untergang zu entgehen(195):
»L' imperialisme, qui est la der-niere carte du monde
capitaliste, qui lui semble un supreme abri contre la
banqueroute et la dislocation spontanee, qui s'impose ä lui avec
une invin-cible fatalite, est aussi un merveilleux, un
incomparable artisan de revolu-tion.«(196)
Imperialismus und Sozialismus
bildeten bereits den Hauptgegensatz der Gegenwart(197),
da die aus den Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus resultierende
Kolonialpolitik, entfesselt durch die Expansionsgelüste und
Konkurrenzzwänge der Herrschenden, den Zusammenbruch der
existierenden Gesellschaft beschleunige und die sozialen
Konflikte steigere und verallgemeinere(198).
So füge sich der
antiimperialistische Kampf in den antikapitalistischen Kampf des
internationalen Proletariats ein mit dem Ziel, daß ein einziger
Gegenschlag in einem Strom der Solidarität alle Leidenden und
Unterdrückten gleichgültig welcher Rasse und Hautfarbe oder
Nationalität gegen den Kapitalismus vereinige(199).
Es war Louis' Argumentation, die
dem kleinen linken Flügel unter den französischen Sozialisten,
der sich seit dem Stuttgarter Kongreß in scharfen Artikeln —
vor allem in der Zeitung »Le Socialsme«(200)gegen
die Befürworter einer friedlichen Kolonialpolitik wandte201,
die theoretische Grundlage lieferte(202)
für eine Solidarisierung mit dem Unabhängigkeitskampf der
Kolonialvölker203 und für die Forderung nach einer
revolutionären Überwindung des Kapitalismus im Augenblick des
Hereinbrechens der Krise(204).
So war dieser Kreis um Bracke und
Rappoport als einzige sozialistische Gruppierung in Frankreich
dazu in der Lage, in der Agitation gegen Kolonialismus und
Kriegsgefahr einen theoretischen Zusammenhang zum Kapitalismus
herzustellen(205),
ohne allerdings seine Isolierung innerhalb der S.F.I.O. zu
überwinden.
Bemüht man sich um eine kritische
Würdigung des Werkes von Paul Louis, so kommt man zu dem Schluß,
daß dieser in der Theoriegeschichte der internationalen
Arbeiterbewegung ähnlich wie Parvus weitgehend unbeachtete
Imperialismustheoretiker der II. Internationale, auch ohne eine
in sich völlig abgeschlossene neue Theorie entwickelt zu haben,
eine Ausnahmeerscheinung unter den theoretisch meist wenig
geschulten französischen Sozialisten darstellte.
Im Gegensatz zu Guesde und
Lafargue, deren Kampf gegen Imperialismus und Kriegsgefahr fast
immer von allgemeinen Prinzipien ausgehend abstrakt und häufig
unverständlich blieb(206),
gelang es Louis, die neuen historischen Phänomene auf
kapitalistische Gesetzmäßigkeiten zurückzuführen.
Daß er mit seiner Argumentation
ebenso wie fast alle Theoretiker der II. Internationale in der
Tradition der historisierenden Kapitalrezeption stand, erscheint
hierbei weniger erstaunlich als die Tatsache, daß er als einer
der ersten europäischen Linken ein neues, letztes Stadium des
Kapitalismus heranreifen sah und dies im Zusammenhang mit der
Kolonialexpansion auch theoretisch zu belegen versuchte.
Sein Fehler, die historisch
besondere ökonomische Situation nicht als bestimmte
Durchsetzungsform der kapitalistischen Gesetzmäßigkeiten und
Entwicklungstendenzen zu erfassen, sondern als ihre
unmittelbare Ausdrucksform, hinderte ihn allerdings nicht daran
— ebensowenig wie später Lenin mit seiner
hieran anknüpfenden Argumentation(207)
— revolutionstheoretische Konsequenzen zu ziehen, anstatt der
sich politisch und ökonomisch zuspitzenden Situation vor dem
Weltkrieg in abwartender Passivität
gegenüberzutreten.
Rudolf Hilferdings »Fortsetzung
des Marxschen Kapital«208: »Das Finanzkapital« als theoretische
Grundlage zentristischer und revolutionärer Politik
Rudolf Hilferding, führender
Theoretiker des Austromarxismus, der bereits in seinen
Studienjahren zur sozialistischen Bewegung gestoßen war(209),
begann ab 1902 für Kautskys »Neue Zeit« Artikel zu verfassen.
In einem seiner ersten Aufsätze
entwickelte er 1903 ausgehend von einer Analyse des
Funktionswandels des Schutzzolls bereits die meisten
wesentlichen Elemente seiner Imperialismustheorie.
Offensichtlich ohne Kenntnis der
Engelsschen Beurteilung der neuartigen weltweit in Erscheinung
tretenden Schutzzölle210 kommt er wie dieser zu dem Resultat,
daß die Schutzzollpolitik der bereits international
konkurrenzfähigen Staaten in Europa durch Vertreibung der
ausländischen Konkurrenz vom Binnenmarkt infolge wachsender
Kartellierung der Produktion den Kapitalisten Extraprofite
durch Erhöhung der Preise im Inland sichere, mit der Folge, daß
die Industriellen einen Teil ihrer Waren auf dem Weltmarkt zu
Dumpingpreisen verschleuderten(211).
Notwendiges Ergebnis dieser neuen
Schutzzollpolitik sei zum einen die »...Verschärfung des
Klassengegensatzes im Innern der Staaten durch Beförderung der
Kartellierung, durch Beschleunigung der Konzentration, durch
Verteuerung der Lebenshaltung. Aber noch mehr. Der Kampf um den
Weltmarkt, besonders um die neutralen Märkte, wird jetzt mit
ganz anderer Wucht geführt. Entscheidend in diesem Kampfe werden
jetzt auch die Exportprämien, die die Kartelle gewähren können.
Ihre Höhe aber hängt ab von dem Extraprofit auf dem inländischen
Markte. Seine Erhöhung durch Erhöhung des Zolles wird jetzt zum
Interesse jeder nationalen Kapitalistenklasse. Und hier gibt es
kein Zurückbleiben. Der Schutzzoll des einen Landes zieht mit
Notwendigkeit den des anderen nach sich, und um so sicherer, je
entwickelter der Kapitalismus in diesem Lande, je mächtiger und
verbreiteter die Kartellbildung. Die Höhe des Schutzzolls wird
entscheidendes Moment im internationalen Konkurrenzkampf.«(212)
Da der Wettbewerb auf dem
Weltmarkt immer schwieriger, kostspieliger und unsicherer werde
—- und in diesem Punkt geht Hilferdings Analyse über die
Engelssche Argumentation hinaus(213)
— sei eine aggressive Kolonial- und Weltpolitik notwendiges
Resultat dieses Prozesses, indem die kapitalistischen Länder
danach strebten, durch politische Mittel die Konkurrenz des
Auslands zu beseitigen und sich neue Teile des Weltmarkts
gewaltsam anzueignen und ihrem eigenen Herrschaftsbereich
anzugliedern. Ein solches Vorgehen erfordere Vermehrung der
staatlichen Gewalt und folglich auch erhöhte Rüstungsausgaben(214).
»Ökonomisch aber bedeutet dieses
System den stärksten Ansporn zur Überproduktion. Die Konkurrenz,
die sich abgespielt hat zwischen den einzelnen Kapitalisten,
erscheint jetzt in höherer Potenz als Konkurrenz zwischen den
großen Kapitalistenvereinigungen der einzelnen Staaten, hinter
denen nicht nur alle wirtschaftlichen, sondern auch alle
politischen Hilfsmittel der Nation stehen. Die Profite, die zu
gewinnen sind im Siege über die fremde Konkurrenz, rechtfertigen
die größten Anstrengungen. Immer größere Warenmassen zu immer
billigeren Preisen werden auf den Markt geworfen, um die fremde
Ware zu vertreiben. Rasch wird die Grenze der Aufnahmefähigkeit
erreicht, die Märkte sind überfüllt, die Krise tritt ein, die
wieder mächtigstes Stimulanz wird, durch Beseitigung der
Konkurrenz, durch Herstellung des Monopols, die Verluste
wettmachen, also aufs neue den Gegensatz zwischen den nationalen
Kapitalistenklassen bis ins Unerträgliche steigert. Im Innern
aber bedeutet die Depression Einschränkung der Produktion,
Vermehrung der industriellen Reservearmee, erneute
Verschlechterung der Lebensbedingungen der Arbeiterklasse.«(215)
Im modernen Schutzzollsystem
vollziehe sich das Handeln der Kapitalisten nicht mehr
vermittelt über zahlreiche divergierende Einzelinteressen,
sondern es zeige sich jetzt, wie die Kapitalisten in
organisierter, einheitlicher, bewußter Aktion sich der
staatlichen Mittel bedienten, um den eigenen Profit zu
vergrößern216: »Die Kapitalistenklasse ergreift unmittelbar,
unverhüllt, handgreiflich Besitz von der staatlichen
Organisation und macht sie zum Werkzeug ihrer
Exploitationsinteressen, in einer Weise, die auch dem letzten
Proletarier fühlbar wird.«(217)
Das Schutzzollsystem leitet für
Hilferding unübersehbar die letzte Phase des Kapitalismus ein.
Um dem Fall der Profitrate Einhalt zu bieten, beseitige das
Kapital die freie Konkurrenz(218)
und unterwerfe die gesamte Bevölkerung dem Profitstreben der
herrschenden Klasse: »Alle Machtmittel, über die die
Gesellschaft verfügt, werden bewußt zusammengefaßt, um sie in
Ausbeutungsmittel der Gesellschaft durch das Kapital zu
verwandeln. Es ist direkte Vorstufe der sozialistischen
Gesellschaft, weil es ihre vollständige Negation ist: bewußte
Vergesellschaftung aller in der heutigen Gesellschaft
vorhandenen wirtschaftlichen Potenzen, aber eine
Zusammenfassung nicht im Interesse der Gesamtheit, sondern um
den Grad der Ausbeutung der Gesamtheit auf eine bisher
unerhörte Weise zu steigern.«(219)
Dieser Vergesellschaftungsprozeß
des Kapitals, die Durchsichtigkeit und Klarheit der
kapitalistischen Herrschaft erwecke gegenüber der Aktion der
Kapitalistenklasse »...die Aktion des Proletariats, das sich
seiner Macht nur bewußt zu werden braucht, um sie
unwiderstehlich zu machen.«(220)
Mit dieser Argumentationskette
hatte Hilferding bereits den Kern seiner nur zwei Jahre später
im großen und ganzen abgeschlossenen Analyse des Finanzkapitals
herausgearbeitet(221).
Das Finanzkapital enthält im
wesentlichen eine politökonomische Ableitung dieser
Gedankengänge, ihren Rückbezug auf das Marxsche Kapital und
zugleich den systematischen Versuch einer stringenten
Weiterentwicklung der Marxschen Theorie zu einem eigenständigen
Theoriengebäude(222).
So bildet der Prozeß der Konzentration und Zentralisation des
Kapitals, wie ihn Marx entwickelt hat, den Ausgangspunkt der
Hilferdingschen Ableitung.
Dabei interessiert ihn aber im
Gegensatz zu Marx nicht primär der dieser Bewegung
zugrundeliegende Prozeß der Kapitalakkumulation, sondern ihm
geht es um die Formen, die die fortschreitende
Akkumulationsbewegung des Kapitals hervorbringt(223).
So knüpft er an die Marxsche
Bestimmung des Kreditwesens in seiner doppelten Funktion an,
»... einerseits die Triebfeder der kapitalistischen Produktion,
Bereicherung durch Ausbeutung fremder Arbeit, zum reinsten und
kolossalsten Spiel- und Schwindelsystem zu entwickeln und die
Zahl der den gesellschaftlichen Reichtum ausbeutenden Wenigen
immer mehr zu beschränken; andererseits aber die Übergangsform
zu einer neuen Produktionsweise zu bilden.«(224)
In den Aktiengesellschaften als
dem über den Kredit vermittelten Resultat der höchsten
Entwicklung der kapitalistischen Produktion ist die
Kapitalfunktion bereits getrennt vom Kapitaleigentum(225),
indem hier »... das Kapital, das an sich auf gesellschaftlicher
Produktionsweise beruht und eine gesellschaftliche Konzentration
von Produktionsmitteln und Arbeitskräften voraussetzt, ... hier
direkt die Form von Gesellschaftskapital (Kapital direkt
assoziierter Individuen) im Gegensatz zum Privatkapital«(226)
erhält.
Diese Trennung von Kapitaleigentum
und Kapitalfunktion bedeutet für Hilferding »... eine
Verwandlung des industriellen Kapitalisten zum Aktionär, zu
einer besonderen Sorte von Geldkapitalisten, wobei die Tendenz
besteht, den Aktionär immer mehr zum reinen Geldkapitalisten zu
machen.«(227)
Habe Marx vor allem die
wirtschaftspolitischen Wirkungen der Aktiengesellschaft
betrachtet(228),
so gelte es jetzt in Weiterentwicklung der Marx-schen Analyse,
den Strukturwandel des Kapitalismus ausgehend von der Entfaltung
des Aktienkapitals aufzuzeigen.
Im Gegensatz zum
Privatkapitalisten, der seine Akkumulation nach Maßgabe von
individuellem Eigentum und Profit zu vollziehen habe(229),
könne sich die Expansion des Aktienkapitals losgelöst von allen
Schranken des Privateigentums ausschließlich nach Maßgabe der
technisch-ökonomischen Gesetzmäßigkeiten vollziehen.«(230)
Da den Aktiengesellschaften für
ihre Gründung ebenso wie für ihre Vergrößerung das freie
Geldkapital des Marktes zur Verfügung stehe(231),
sie sich durch Ausgabe von Aktien leichter Anlagekapital
verschaffen könnten, und ihre Organisationsform die Überwachung
des Finanzgebahrens erheblich erleichtere, würden sie bei der
Kreditvergabe von den Banken bevorzugt(232),
denn »... es besteht nicht die Gefahr, daß der in Anspruch
genommene Kredit immobilisiert wird.«(233)
Zugleich seien die Banken bereit,
ihre Kreditvergabe auszudehnen, indem sie als Sammelstellen für
das gesamte freie Geldkapital Anlagekredite in Gestalt von
Emissionskrediten gewährten. Für diese Kreditvergabe erhalte
die Bank statt Zins den sogenannten Gründergewinn, die Differenz
zwischen Zins und Durchschnittsprofit(234),
die infolge des Auseinanderfallens des Aktienkapitals in
fiktives Kapital, das in Gestalt der Dividende auf Aktien nur
Zins abwerfe(235)
und in das eigentliche industrielle Kapital, das den
Durchschnittsprofit realisiere, entstehe.
Da auch die Kapitalaufstockung
bereits existierender Aktiengesellschaften zu Gründergewinnen
führen könne(236),
die entsprechende Emmisionskredite langfristige Laufzeiten
hatten, existiere vielfach bereits eine Beteiligung des
Bankkapitals an den Aktiengesellschaften: » Je stärker die
Bankenmacht, desto vollständiger gelingt die Reduktion der
Dividende auf den Zins, desto vollständiger fällt der
Gründergewinn der Bank zu. Umgekehrt wird es starken und
gefestigten Unternehmen gelingen, bei Kapitalserhöhungen selbst
einen Teil des Gründergewinnes dem eigenen Unternehmen zu
sichern. Es entspinnt sich dann eine Art Kampf um die Verteilung
des Gründergewinnes zwischen der Gesellschaft und der Bank und
damit ein neues Motiv für die Bank, ihre Herrschaft über das
Unternehmen zu sichern.«(237)
Da die Aktiengesellschaften jedoch
von der Bereitschaft der Bank zur Kreditvergabe abhängig seien,
diese die Kreditgewährung dadurch einschränken könne, daß sie
statt Gewährung eines Zirkulationskredites nur einen
Kapitalkredit vergebe, so daß dem Unternehmen durch Neuemission
von Aktien oder Obligationen neues Kapital zugeführt werde,
wachse die Kontrolle der Banken über die Aktiengesellschaften,
zumal die Banken selbst einen Teil ihres Geldkapitals zeitweise
in Aktien anlegen könnten(238).
Die Kontrolle des Finanzgebahrens
der Aktiengesellschaften durch Präsenz der Banken im
Aufsichtsrat und die Möglichkeit durch Halten eines Drittels, u.
U. sogar nur eines Viertels der Aktien als Großaktionär die
Gesellschaften beherrschen zu können, eröffneten den Großbanken
neue Wege zur Beherrschung der Aktiengesellschaften(239).
Allgemein führen nach Hilferdings
Ansicht die Entfaltung des Kreditwesens und die Anhäufung von
Geldkapital aufgrund wachsender industrieller Reserveeinlagen
und Geldeinlagen der breiten Bevölkerung bei fortschreitender
kapitalistischer Entwicklung zu einer zunehmenden Abhängigkeit
der Industrie von den Banken(240):
»Ein immer wachsender Teil des Kapitals der Industrie gehört
nicht den Industriellen, die es anwenden. Sie erhalten die
Verfügung über das Kapital nur durch die Bank, die ihnen
gegenüber den Eigentümer vertritt. Andererseits muß die Bank
einen immer wachsenden Teil ihrer Kapitalien in der Industrie
fixieren. Sie wird damit in immer größerem Umfang industrieller
Kapitalist. Ich nenne das Bankkapital, also Kapital in
Geldform, das auf diese Weise in Wirklichkeit in indu-stielles
Kapital verwandelt ist, das Finanzkapital.«(241)
Mit der Verbindung von Großbanken
und Industrie ändere sich auch die kapitalistische Konkurrenz.
Richtete sich das Interesse der Unternehmer in der Vergangenheit
darauf, durch technische und ökonomische Überlegenheit den
Konkurrenten zu verdrängen, den eigenen Anteil am Markt zu
vergrößern und nach Ausschaltung des Gegners für längere Zeit
Extraprofite zu realisieren, so führe die Ausschaltung der
schwächeren Kapitalisten im Zuge wachsender Kapitalkonzentration
zu einer ruinösen, die Profitrate ständig senkenden Konkurrenz
unter gleichstarken industriellen Unternehmungen, der diese in
wachsendem Maße durch Zusammenschlüsse zu Kartellen und Trusts
zu entgehen versuchten(242).
Diese Tendenz wurde verstärkt
durch die Interessen des Bankkapitals, da die Großbanken an
einer ruinösen Konkurrenz großer Industrieunternehmungen nicht
interessiert seien, denn der Niedergang eines starken
Konkurrenten bedeute in dem Moment, wo er auch Kunde der Bank
sei, eine Gefährdung der eigenen erteilten Kredite(243).
Hilferding schlußfolgert: »Daher ist das Streben der Banken nach
Ausschaltung der Konkurrenz zwischen den Werken, an denen sie
beteiligt ist, ein absolutes. Jede Bank aber hat auch das
Interesse an möglichst hohem Profit. Dieser wird unter sonst
gleichen Umständen wieder den höchsten Stand erreichen bei
völliger Ausschaltung der Konkurrenz in einem Industriezweig.
Daher das Streben der Banken nach Herstellung des Monopols. Es
treffen so die Tendenzen des Bankkapitals mit denen des
Industriekapitals nach Ausschaltung der Konkurrenz zusammen.«(244)
Mit der Herstellung von Kartellen
und Trusts und der damit verbundenen Eleminierung der für
manche Betriebe lebensgefährlichen Konkurrenz, wodurch eine
größere Sicherheit und Gleichmäßigkeit des Kapitalertrages
gewährleistet sei, gehe einher die Ausdehnung des jetzt
weitgehend risikolosen Kredits, so daß die Abhängigkeit der
industriellen Unternehmen von den Banken weiter wachse(245).
Zugleich vollziehe sich parallel zum Prozeß der Kartellierung
der Industrie der Konzentrationsprozeß des Bankkapitals, da die
Banken über eine immer größere Kapitalkraft verfügen müßten, um
den wachsenden Ansprüchen der Großindustrie entsprechen zu
können(246).
So vollziehen sich nebeneinander
auf der einen Seite die Tendenz zur Herausbildung einer riesigen
Bankengruppe oder Zentralbank, die perspektivisch die
Kontrolle über die ganze gesellschaftliche Produktion ausüben
werde(247) und auf
der anderen Seite die Tendenz zur Herstellung eines
Generalkartells (248).
Beide »...treffen zusammen und aus ihrer Vereinigung
erwächst die gewaltige Konzentrationsmacht des Finanzkapitals.
Im Finanzkapital erscheinen alle partiellen Kapitalformen zur
Totalität vereinigt ... Das Kapital erscheint als einheitliche
Macht, die den Lebensprozeß der Gesellschaft souverän
beherrscht, als Macht, die unmittelbar entspringt aus dem
Eigentum an den Produktionsmitteln, den Naturschätzen und der
gesamten akkumulierten vergangenen Arbeit, und die Verfügung
über die lebendige Arbeit als unmittelbar entspringend aus den
Eigentumsverhältnissen. Zugleich erscheint das Eigentum,
konzentriert und zentralisiert in der Hand einiger größter
Kapitalassoziationen, unmittelbar entgegengesetzt der großen
Masse der Kapitallosen. Die Frage nach den
Eigentumsverhältnissen erhält so ihren klarsten,
unzweideutigsten, zugespitztesten Ausdruck, während die Frage
nach der Organisation der gesellschaftlichen Ökonomie durch die
Entwicklung des Finanzkapitals selbst immer besser gelöst wird.«(249)
Zu dieser Annahme konnte
Hilferding aufgrund zweier theoretischer Prämissen gelangen.
Einmal aufgrund seiner der Marxismusrezeption der
II.Internationale folgenden historisierenden Interpretation
verschiedener Gesetzmäßigkeiten der Marxschen Theorie, die er
wie z. B. im Falle der Konkurrenz lediglich in ihren
Erscheinungsformen faßt, so daß sie für ihn auf dem Boden des
Kapitalismus durch den Evolutionsprozeß des Kapitals selbst
außer Kraft gesetzt werden, die Konkurrenz z. B. durch das
Monopol abgelöst wird(250).
Zum anderen, weil Hilferding
seiner Analyse die Möglichkeit eines reibungslosen Ablaufs des
kapitalistischen Reproduktionsprozesses zugrundelegt, indem er
— ähnlich wie zuvor die ökonomische Schule der legalen Marxisten
in Rußland(251) —
von einer harmonischen Auslegung der Marxschen
Reproduktionsschemata ausgeht(252).
Für ihn zeigen die Marxschen Schemata, »... daß in der
kapitalistischen Produktion sowohl Reproduktion auf einfacher
als auch auf erweiterter Stufenleiter ungestört vor sich gehen
kann, wenn nur diese Proportionen (zwischen
Produktionsmittel-und Konsumtionsmittelindustrien in ihrer
Gesamtheit, d.V.) erhalten bleiben.« Da Krise auch im Falle
einfacher Reproduktion bei Verletzung der Proportionen eintreten
könne, ließen die Reproduktionsschemata den Schluß nicht zu,
»... daß die Krise in der der kapitalistischen Produktion
immanenten Unterkonsumtion der Massen ihre Ursachen haben muß.
Eine allzu rasche Ausdehnung der Konsumtion würde an sich ebenso
wie Gleichbleiben oder Verringerung der Produktion der
Produktionsmittel zur Krise führen müssen.Ebensowenig folgt aus
den Schematen an sich die Möglichkeit einer allgemeinen
Überproduktion von Waren, vielmehr läßt sich jede Ausdehnung der
Produktion als möglich zeigen, die überhaupt bei den
vorhandenen Produktivkräften stattfinden kann.«(253)
Indem für Hilferding der
Zusammenhang von Akkumulationsbewegung und Reproduktion des
gesellschaftlichen Gesamtkapitals zerreißt, und er seine Analyse
im wesentlichen auf die Zirkulationssphäre beschränkt(254),
vermag er die Krisenhaftigkeit kapitalistischer Produktionsweise
nicht mehr aus der widersprüchlichen Akkumulationsbewegung des
Kapitals abzuleiten.
Er begreift somit Krise nicht als
notwendiges Resultat kapitalistischer Produktionsweise, als
Folge widersprüchlicher Kapitalakkumulation, in der sich die
Einheit von Produktion und Zirkulation gewaltsam durchsetzt,
sondern er faßt sie nur in ihrer Erscheinungsform. Sie bedeutet
für ihn lediglich eine Zirkulationsstörung(255),
eine Verletzung des Reproduktionsgleichgewichts, der
Proportionen zwischen den einzelnen Produktionssphären.
Erklärbar nur »... aus den
spezifisch kapitalistischen Bedingungen der Warenzirkulation«(256)
wird die Krise als Disproportionalitätskrise seiner Auffassung
nach im Verlauf der zyklischen Kapitalbewegung durch eine
Störung in den Preisgestaltungen hervorgerufen, die aus der
Verschiedenheit der organischen Zusammensetzung der Kapitale,
den Reproduktionsf formen des fixen Kapitals, aus natürlichen
Umständen oder dem Wechsel des Verhältnisses von Produktion und
Konsumtion resultieren können(257):
»Denn all die erwähnten Momente bedeuten Abweichungen der
Marktpreise von den Produktionspreisen und dadurch Störungen in
der Regulierung der von der Preisgestaltung in ihrem Ausmaß und
ihrer Richtung abhängigen Produktion. Daß diese Störungen
schließlich zur Absatzstockung führen müssen, ist klar.«(258)
Indem alle diese Krisenursachen
jedoch nicht aus der Widersprüchlichkeit kapitalistischer
Produktionsweise resultieren, sind sie letztlich — und dieser
Schluß ist aus Hilferdings Argumentation ohne weiteres ziehbar —
auf dem Boden des Kapitalismus der Möglichkeit nach zu
beseitigen259.
Hilferdings spätere Konzeption des
organisierten Kapitalismus hatte auf diese Weise bereits im
Finanzkapital ihre theoretische Grundlegung gefunden(260).
Mit der Tendenz zur Herausbildung
weniger großer Kapitalassoziationen glaubt Hilferding auch eine
Veränderung des Verhältnisses von Staat und Kapitalistenklasse
feststellen zu können(261),
die sich anhand des bereits früher entwickelten Funktionswandels
des Schutzzolls in aller Deutlichkeit zeige (262),
insofern sich die Kapitalisten nicht mehr gegen eine
Staatseinmischung wendeten(263),
sondern sich jetzt der staatlichen Macht in Gestalt der
Hochschutzzollpolitik bedienten, da diese Politik durch
Fernhalten der ausländischen Konkurrenz den Bestand der Kartelle
sichere und es ermögliche, die Waren auf dem inländischen Markt
mit einem Extraprofit zu verkaufen(264).
Die hieraus resultierende
Möglichkeit der Kartelle, auch unter ihrem Produktionspreis zu
verkaufen, habe dazu geführt, daß sie einen Teil ihres
Extraprofits dazu verwendeten, ihre Absatzgebiete im Ausland
durch Unterbieten der Konkurrenten auszudehnen(265).
So sei aus dem Schutzzoll »... ein Mittel der Eroberung der
fremden Märkte durch die einheimische Industrie geworden, aus
der Verteidigungswaffe des Schwachen die Angriffswaffe des
Starken.«(266)
Die Entwicklung zum Finanzkapital
ziehe die Herausbildung neuer, immer größerer Betriebseinheiten
nach sich, die ihrerseits ausgedehnter Wirtschaftsgebiete
bedürfen, um günstige Standortbedingungen für eine optimale
Entfaltung der Produktion vorzufinden. So sei zusammen mit dem
durch die Kolonialleidenschaft entfachten aktiveren
Eingreifen in die Weltpolitik das Bestreben entstanden, das
durch Schutzzollmauern umgebene eigene Wirtschaftsgebiet so
umfangreich wie möglich zu gestalten(267).
Dort, wo die Überwindung fremder
Schutzzollmauern durchAusdehnung des eigenen
Wirtschaftsgebietes oder eigene Zollerhöhungen nicht möglich
gewesen sei, habe sich »... der Kapitalexport in Form der
Errichtung von Fabriken im Ausland«(268)
herausgebildet. Handele es sich bei den neuen Märkten aber nicht
mehr bloß um Absatzgebiete, sondern in wachsendem Maße um
Anlagesphären von Kapital, so ziehe dies automatisch eine
Änderung der politischen Haltung der kapitalexportierenden
Länder nach sich.
Das größere Risiko, im Ausland
Infrastruktur und Produktionsstätten zu errichten, erzeuge auf
Seiten des Exportkapitals den Ruf nach staatlichem Schutz: »Am
wohlsten fühlt sich aber das Exportkapital bei völliger
Beherrschung des neuen Gebietes durch die Staatsmacht seines
Landes. Denn dann ist der Kapitalexport anderer Länder
ausgeschlossen, es genießt eine priviligierte Stellung, und
seine Profite erhalten womöglich noch die Garantie des Staates.
So wirkt auch der Kapitalexport für eine imperialistische
Politik.«(269)
Gleichzeitig bedeute die
Errichtung von Produktionsanlagen in den neuen Gebieten die
Revolutionierung ursprünglicher Produktionsstrukturen, die
Zerstörung alter Reproduktionsgrundlagen und die Überwindung
rückständiger Rechtsverhältnisse(270),
ohne daß damit aber eine Durchkapitalisierung und die Erlangung
der Konkurrenzfähigkeit für diese Staaten verbunden sei(271).
Vielmehr gehe es darum, in diesen Regionen oder neu erworbenen
Kolonien überschüssiges Kapital anzulegen, durch Ausbeutung der
von ihren Reproduktionsgrundlagen getrennten Arbeiter
Extraprofite zu erzielen und den natürlichen Reichtum dieser
Gebiete für die eigene Rohstoffversorgung auszunutzen(272).
Der Prozeß der Erschließung dieser
Regionen führe zwangsweise zu wachsenden Konflikten mit der
einheimischen Bevölkerung und deren staatlicher Organisation und
ziehe häufig die Vernichtung der einheimischen Staatsgewalt
nach sich(273).
»In den neu erschlossenen Ländern
... steigert der importierte Kapitalismus Gegensätze und erregt
den immer wachsenden Widerstand der zu nationalem Bewußtsein
erwachenden Völker gegen die Eindringlinge, der sich leicht zu
gefährlichen Maßnahmen gegen das Fremdkapital steigern kann
...Diese Unabhängigkeitsbewegung bedroht das europäische Kapital
gerade in seinen wertvollsten und aussichtsreichsten
Ausbeutungsgebieten, und immer mehr kann es seine Herrschaft nur
durch stete Vermehrung seiner Machtmittel erhalten.«(274)
Zugleich bringe die Konkurrenz um
die neu eröffneten Anlagesphären des Kapitals neue Gegensätze
und Konflikte zwischen den entwickelten kapitalistischen
Staaten hervor. Diese Konkurrenz werde ständig verschärft durch
die Erschließung der unterentwickelten Gebiete mit modernsten
kapitalistischen Produktionsanlagen, so daß der Kapitalismus
bereits auf seiner vollendetesten Stufe in die neuen Länder
importiert werde und seine revolutionierende Wirkung mit
entsprechend größerer Wucht und in geringerer Zeit ausüben
könne als es früher der Fall gewesen sei(275).
Da der Konkurrenzkampf auf den
internationalen Warenmärkten — forciert durch die
Dumpingpreispolitik der europäischen Schutzzollstaaten(276)
— immer ruinöser werde, verlagerten die Industrienationen die
Konkurrenz auf den Kapitalmarkt, wo nicht mehr die Warenpreise
über den Absatz entschieden. Man biete den unterentwickelten
Ländern Leihkapital unter der Bedingung späterer Warenübernahme
an, mache damit diese Länder zu Abhängigen, denen man die
Bedingungen vorschreiben könne und sichere zugleich auf Zukunft
den eigenen Warenabsatz(277).
Allerdings versuchten letztlich alle Industriestaaten, dieses
Verfahren zu praktizieren.
»Der Kampf um den Warenabsatz wird
zum Kampf um die Anlagesphären des Leihkapitals zwischen den
nationalen Bankgruppen, und da wegen des internationalen
Ausgleichs der Zinssätze die ökonomische Konkurrenz hier
innerhalb relativ enger Schranken gebannt ist, so wird der
ökonomische Kampf rasch zu einem Machtkampf, der mit
politischen Waffen geführt wird.«(278)
Das Streben der Industrie nach
Aufhebung der Konkurrenz finde seinen Niederschlag in einer
expansiven Kolonialpolitik, die es ermögliche, durch
Einverleibung fremder Gebiete neue Teile des Weltmarkts in den
eigenen nationalen Markt einzubeziehen(279).
Die Politik des Finanzkapitals
verfolge somit drei Ziele: »... erstens Herstellung eines
möglichst großen Wirtschaftsgebietes, das zweitens durch
Schutzzollmauern gegen die ausländische Konkurrenz abgeschlossen
und damit drittens zum Exploitationsgebiet der nationalen
monopolistischen Vereinigungen wird.«(280)
Für die Durchsetzung dieser Ziele
bedürfe das Finanzkapital eines starken Staates, der ihnen
durch Zoll- und Tarifpolitik den inländischen Markt sichere,
seine politische Macht einsetzen könne, um den kleineren Staaten
günstige Lieferungs- und Handelsverträge abzunötigen und der vor
allem dazu in der Lage sei, überall in der Welt einzugreifen,
durch Expansionspolitik und Kolonialeroberungen ständig neue
Anlagesphären selbst erschlies-sen könne(281).
Das Verlangen der Kapitalisten
nach staatlicher Expansion führt nach Hilferding zu einer
Revolutionierung der Weltanschauung des Bürgertums, das an die
Stelle der Harmonie kapitalistischer Interessen, der
freihändlerischen Ideale von Frieden und Humanität, den
Konkurrenzkampf als politischen Machtkampf gesetz habe, mit dem
Anspruch, »... der eigenen Nation die Herrschaft über die Welt
zu sichern.«(282)
In der Rassenideologie entstehe
eine naturwissenschaftlich verkleidete Begründung des
Machtstrebens des Finanzkapitals, das auf diese Weise die
Notwendigkeit seiner Handlungen naturwissenschaftlich zu
begründen versuche(283).
Umfasse dieses Ideal auf dem Gebiet der auswärtigen Politik
scheinbar die ganze Nation — die Klassengegensätze scheinen im
Dienst für die Gesamtheit aufgehoben zu sein(284)
— so schlage es im Bereich der Innenpolitik um in die Betonung
des Herrenstandpunktes gegenüber der Arbeiterklasse(285).
Ihrer zunehmenden Macht gegenüber bemühe sich das Kapital, »...
die Staatsmacht als Sicherung gegen die proletarischen
Forderungen noch weiter zu verstärken.«(286)
Dieses Ideal des Bürgertums, das
mit fortschreitendem Zersetzungsprozeß der kapitalistischen
Gesellschaft immer größeren Widerhall finde(287),
entspreche einer Expansionspolitik des Finanzkapitals, die als
unerläßliche Bedingung für die Aufrechterhaltung
kapitalistischer Gesellschaft(288)
zwangsweise die internationale Kriegsgefahr erhöhen müsse(289).
In den hochindustrialisierten
Staaten seien die Gegentendenzen gegen eine kriegerische
Entwicklung zwar am stärksten ausgeprägt(290),
aber die Entscheidung über Krieg und Frieden liege nicht allein
in Händen der am weitesten entwickelten Nationen: »Das
kapitalistische Erwachen der Nationen des östlichen Europas und
Asiens ist von Machtverschiebungen begleitet, die auf die
Großstaaten zurückwirkend auch hier die vorhandenen Gegensätze
zur Entladung bringen können.«(291)
Als Resultat seiner Analyse des
Finanzkapitals sind es für Hilferding konsequenterweise auch
nicht wirtschaftliche Krisen, die zum Zusammenbruch des
kapitalistischen Systems führen, sondern letztlich kriegerische
Entwicklungen im Konnex mit politischen und sozialen Krisen, die
auf Basis sich ständig verschärfender Klassengegensätze(292)
zur Auslösung revolutionärer Stürme führen und die Ergreifung
der politischen Macht durch das Proletariat bewirken(293).
Engels' These, daß mit der
Vergesellschaftung der Produktion in den Aktiengesellschaften
und der partiellen Ersetzung der Konkurrenz durch das Monopol in
einzelnen Produktionszweigen der Expropriation durch die
Gesamtgesellschaft aufs erfreulichste vorgearbeitet worden sei(294),
weitet Hilferding aus zu der Behauptung, das Finanzkapital
bedeute der Tendenz nach die Herstellung der gesellschaftlichen
Kontrolle über die Produktion und erleichtere somit die
Überwindung des Kapitalismus außerordentlich.
Indem er von der irrtümlichen
Dominanz des Geldkapitals über das industrielle Kapital ausgeht(295),
die Konkurrenz durch das Monopol abgelöst sieht(296),
kommt er zu dem illusionären Schuß: »Sobald das Finanzkapital
die wichtigsten Produktionszweige unter seine Kontrolle gebracht
hat, genügt es, wenn die Gesellschaft durch ihr bewußtes
Vollzugsorgan, den vom Proletarier eroberten Staat, sich des
Finanzkapitals bemächtigt, um sofort die Verfügung über die
wichtigsten Produktionszweige zu erhalten.«(297)
Die Tatsache, daß sich das
Geldkapital, verselbständigt, in Gestalt von Großbanken, immer
wieder auf den Produktionsprozeß rückbeziehen muß, daß es über
den Kredit die Expansion des industriellen Kapitals vermittelt,
den kapitalistischen Produktionsprozeß als einzigen Ort der
Mehrwerterzeugung optimal ausdehnt und anspannt, seine
Kontinuität als Reproduktionsprozeß gewährleistet(298),
all' dies bleibt Hilferding in seiner Analyse des Finanzkapitals
verborgen(299).
Indem er — der historisierenden
Kapitalrezeption folgend — eine Reihe neuer, durch die
fortschreitende kapitalistische Entwicklung hervorgebrachter
Tendenzen verabsolutierend festhält, gerät sein Werk aufgrund
des von der Oberfläche direkt vollzogenen Rückschlusses auf
einen neuen über Herrschaft vermittelten Zusammenhang
»kapitalistischer« Gesellschaft, tatsächlich zur Darstellung
eines neuen Gesellschaftssystems(300).
Das Ausmaß dieser Revision der
Marxschen Theorie wurde allerdings von den Zeitgenossen
Hilferdings sowohl auf dem linken wie rechten Parteiflügel der
Sozialdemokratie nicht gesehen.
Während Bernstein in seiner Kritik
des Finanzkapitals lediglich behauptete, Hilferding hätte die
innen- und außenpolitischen Aspekte der kapitalistischen
Entwicklung aufgrund mangelnder empirischer Analysen zu
pessimistisch beurteilt und im Gegensatz zu ihm daran
festhielt, daß die kapitalistischen Gegensätze sich tendenziell
immer mehr abschwächten(301),
lobte ein politökonomisch versierter Vertreter der Linken wie
der polnische Emigrant Julian Marchlewski das Finanzkapital als
»... ein Werk von großer Bedeutung, an dem niemand mehr wird
vorbeigehen können, der über theoretische Nationalökonomie
mitsprechen will.«(302)
Zwar kritisierte Karski
Hilferdings harmonische Kriseninterpretation(303),
aber ebenso wie später Lenin304 folgt er — ganz in der Tradition
der Engels-schen Kapitalrezeption stehend — den Hilferdingschen
Thesen über die Ablösung der Konkurrenz durch das Monopol(305)
und die Abhängigkeit der Großindustrie von einigen wenigen
Großbanken(306).
Für Kautsky, dessen praktisch
politische Position Hilferding mit Beginn seiner redaktionellen
Tätigkeit in der »Neuen Zeit« konsequent unterstützt hatte(307),
diente das Finanzkapital als theoretische Basis der
Parteipolitik, soweit es sich mit den eigenen
Theorievorstellungen verbinden ließ.
Daß er dabei die Hilferdingschen
Forschungsresultate sehr einseitig auslegte, verweist auf das
instrumenteile Theorieverständnis des deutschen
Sozialdemokraten, der es — wie zuvor bereits im Fall der
Parvusschen Weltwirtschaftsanalysen(308)
— verstand, neue theoretische Erkenntnisse über die
kapitalistische Gesellschaft aufzugreifen und für die eigene
Politik nutzbar zu machen.
So interpretierte er einmal das
Hilferdingsche Werk in seiner Rezension ganz im Sinne seines
abgeschwächten und zeitlich relativierten
Zusammenbruchsverständnisses309, wobei er die von Hilferding
angesprochenen Tendenzen zur Verschärfung der Klassengegensätze
hervorhob310 und ganz im Gegensatz zu dessen harmonischer
Auslegung die Reproduktionsschemata als Nachweis für das
Ungleichgewicht kapitalistischer Entwicklung heranzog(311).
Auf der anderen Seite bemühteer
sich, im Rahmen seiner Interpretation der Hilferdingschen
Analyse, die historisch immer stärker hervortretende Tendenz
der imperialistischen Politik, die internationale Kriegsgefahr
zu verschärfen, dadurch zu relativieren, daß er ihr ein
wachsendes Friedensbedürfnis der Bourgeoisie als Gegentendenz
zur Seite stellte(312).
Als Beleg für diese These diente
ihm die Furcht der Bourgeoisie vor der Auslösung einer
Revolution durch den Krieg(313)
und ihre widersprüchliche Haltung gegenüber dem Militarismus,
dessen Wachstum für eine Ausdehnung der Produktion vieler
Unternehmen sehr förderlich sei, während »... es aber
andererseits im Interesse jedes einzelnen Kapitalisten und jeder
einzelnen kapitalistischen Nation« liege, »... von den Lasten
des Militarismus möglichst wenig getroffen zu werden. Sie wollen
möglichst viel für ihn produzieren und liefern, aber möglichst
wenig für ihn zahlen.«(314)
Mit dieser Haltung war Kautsky
nach den Jahren politökonomischer Beeinflussung durch Parvus,
in denen er ausschließlich den historischen Zwangscharakter des
Imperialismus, den Zusammenhang von Kapitalismus und Krieg und
die Tendenzen zur Verschärfung der Kriegsgefahr hervorgehoben
hatte(315), im
Jahre 1909 wieder völlig zu seiner früheren von der Analyse
eines friedlichen am Freihandel orientierten Handelskapitalismus
ausgehenden Auffassung zurückgekehrt, daß die räuberische und
kriegerische Kolonialexpansion kein notwendiges Resultat
kapitalistischer Produktionsweise sei(316).
Diese Haltung ermöglichte es ihm, gemeinsam mit Ledebour(317)
Partei für eine Friedens- und Abrüstungspolitik und für die
Forderung nach einer »Vereinigung der Staaten der europäischen
Zivilisation«(318)
zu ergreifen, mit dem Ziel, durch Verhinderung eines Krieges
für das kontinuierlich fortschreitende Wachstum der
Sozialdemokratie Zeit zu gewinnen und sich ganz — dem
Engelsschen Testament folgend — der sogenannten
Niederwerfungsstrategie, der Ermattung des Kapitalismus im
parlamentarischen Kampf zu widmen(319).
Der sich an der Auseinandersetzung
um Ermattungsstrategie und Massenstreik entzündende und sich
über dieser Friedenskonzeption vertiefende Bruch zwischen der
Parteiführung und dem Gros der Parteilinken führte im Verlauf
der 1911/12 ausgetragenen Abrüstungskontroverse(320)
zwischen Kautsky und dem Parteizentrum auf der einen und den
Linksradikalen um Anton Pannekoek, Paul Lensch und Karl Radek
auf der anderen Seite zur Herausbildung und Vertiefung
unterschiedlicher imperialismustheoretischer Ansätze.
Anknüpfend an seine früheren
Imperialismusanalysen versuchte Kautsky nachzuweisen, daß die
Erschließung agrarisch-rückständiger Länder ein notwendiger
Prozeß der Kapitalbewegung sei, um auf diese Weise die
Disproportionalitäten kapitalistischer Entwicklung, die aus der
Akkumulation resultierten, auszugleichen(321).
Demgegenüber sei der
Imperialismus, den er entsprechend seiner früheren
Untersuchungen mit der von der Reaktion ins Leben gerufenen
expansionistischen räuberischen Kolonialpolitik identifizierte,
»... nicht gleichbedeutend mit dem naturnotwendigen Streben des
Kapitals nach Ausdehnung, nach Erschließung neuer Märkte und
Anlagemöglichkeiten, er bil-de(t) nur eine besondere Methode
dieses Streben durchzusetzen, die Methode der Gewaltsamkeit.
Deren Geist erwächst wohl notwendigerweise aus der ökonomischen
Entwicklung, aber die Gewaltsamkeit stellt keineswegs eine
notwendige Bedingung des ökonomischen Fortschritts dar.«(322)
Daneben gebe es auch noch die
pazifistische Form der Expansion: die Politik der offenen Tür
und des freien Verkehrs auf dem Weltmarkt, die zwar die
Kriegsgefahr aufgrund der Beibehaltung der antagonistischen
Wirtschaftsstruktur nicht ausschalten könne, sie jedoch durch
freien Zugang zu Märkten und Rohstoffquellen auf ein Mindestmaß
reduziere(323).
Die gewaltsame Kolonialexpansion,
die auf einem bestimmten Entwicklungsstand des Kapitalismus
einmal als bequemste Methode der Markterweiterung erschienen
sei, habe zwar zum Wettrüsten geführt, sie sei aber ebensowenig
wie dieses Wettrüsten eine ökonomische Notwendigkeit(324).
Vielmehr bedeuteten die
Kolonialexpansion und die Rüstungspolitik häufig ein
»Bleigewicht«, das die wirtschaftliche Entwicklung behindere(325).
In Weiterentwicklung der
Hilferdingschen Analyse über die Monopolisierungstendenzen des
Kapitals vertrat Kautsky die Auffassung, parallel zur
Herausbildung von Kartellen und Trusts, zur Ablösung der freien
Konkurrenz durch das Streben nach dem Monopol auf den
Binnenmärkten werde sich auch das Verhältnis der
kapitalistischen Staaten untereinander verändern: »Sie alle
streben nach Expansion, sie alle genieren dabei immer mehr den
anderen, stören und hemmen sich gegenseitig, vermehren daher
ihre Streitkräfte und steigern die Kosten des
Expansionsgeschäftes in einer Weise, daß alle Profite darob
flöten gehen. Nichtsdestoweniger wird diese Methode fortgesetzt,
solange einzelne glauben können, durch ihre Rüstungen ein
Stadium zu erreichen, in dem sie die Konkurrenz niederwerfen und
den Weltmarkt monopolisieren. Je mehr diese Aussicht schwindet,
je klarer es zutage tritt, daß die Fortsetzung des
Konkurrenzkampfes alle Beteiligten ruiniert, desto näher rückt
das Stadium, in dem der Konkurrenzkampf der Staaten durch ihr
Kartellverhältnis ausgeschaltet wird. Das bedeutet nichts
weniger als den Verzicht auf die Expansion des heimischen
Kapitals, sondern nur den Übergang zu einer wohlfeileren und
ungefährlicheren Methode.«(326)
Mit dieser Perspektive der
Möglichkeit, die Gewaltkompetente des Imperialismus ausschalten
zu können, war durch Kautskys nachträgliche theoretische
Fundierung die Forderung des sozialdemokratischen Zentrums nach
Abrüstung nicht nur mit dem Wesen des Kapitalismus vereinbar,
sondern sogar eine entwicklungsgeschichtliche Notwendigkeit
geworden(327).
Demgegenüber vertraten die
Linksradikalen direkt im Anschluß an das pazifistische Auftreten
der deutschen Delegation in Kopenhagen, das Radek bereits auf
dem Kongreß kritisiert hatte328, die Auffassung, die
Forderungen nach allgemeiner Abrüstung und Schiedsgerichten
enthüllten eine utopische, die ökonomische und politische
Wirklichkeit nicht berücksichtigende Politik der Parteimehrheit(329).
Tatsächlich sei der Kapitalismus
aufgrund der ihm immanenten Gesetzmäßigkeiten gezwungen, zur
Eroberung neuer Märkte das Wettrüsten voranzutreiben(330),
denn im gegenwärtigen Zeitalter des Finanzkapitals sei die
überseeische Expansion notwendige Folge der Flucht des Kapitals
vor der sich mindernden Profitrate in den Mutterländern331.
Ebenso wie die Schutzzollpolitik und die Unternehmerkartelle(332)
sei auch das Wettrüsten notwendiges Produkt der
kapitalistischen Verhältnisse(333),
so daß die herrschenden Klassen der Aufforderung, die Rüstungen
einzustellen, entgegnen müßten: »Es ginge wohl, aber es geht
nicht! Gerade weil das Wettrüsten so viel Geld kostet und eine
ungeheure Vergeudung von Produktivkräften darstellt, gerade
deshalb ist es für den Kapitalismus unentbehrlich: denn der
Kapitalismus bedarf der Vergeudung von Produktivkräften, weil er
sonst in seinem eigenen Fette erstickt.«(334)
So führe die Flucht vor den
unvermeidlichen Resultaten des kapitalistischen
Wirtschaftssystems zum Versuch der Monopolisierung auswärtiger
Märkte durch Schaffung von Kolonien, um dem fortschreitenden
Konkurrenzkampf auf dem Weltmarkt zu entgehen(335),
mit dem Resultat ständig wachsender Kriegsgefahr(336).
Der Imperialismus als Politik des
krachenden Kapitalismus(337)
erweise sich als »die einzig mögliche Weltpolitik« der
gegenwärtigen Epoche, um dem wirtschaftlichen Zusammenbruch zu
entgehen(338).
Damit habe er aber selbst die Alternative des Alles oder Nichts
geschaffen: »Sozialismus oder Wüten des imperialistischen
Brandes«(339), so
lautet die objektive Alternative der Wirklichkeit: »Will er
nicht der freien Entwicklung der sozialen Kräfte, daß heißt dem
Sozialismus Raum lassen, so muß er sich durch Syndikate, Trusts,
Schutzzölle, Kolonien, daß heißt durch Imperialismus zu fesseln
versuchen. Er schafft dabei Gegensätze, die ihn in der Luft
sprengen können. Da er aber nicht zurück kann, so bleibt uns nur
eines zu tun: durch den Kampf um Demokratie uns im Kampfe gegen
den Imperialismus zu stärken und durch Agitation und Aktion
gegen den Imperialismus uns für den Augenblick vorzubereiten,
in dem wir ihm, wenn er durch die Explosion zu Boden geworfen
ist, das Genick brechen können.«(340)
Ausgehend von der Erkenntnis, daß
der parlamentarische Weg der Machteroberung für das Proletariat
nicht gangbar war, propagierten die Linksradikalen die
Initiierung und Unterstützung von Massenaktionen des
Proletariats gegen den Imperialismus. Angesichts ständiger
Verschärfung der Klassengegensätze und eines steigenden Drucks
auf die Arbeiterklasse in Gestalt hoher Steuern, wachsender
Teuerung und ständiger Kriegsdrohung bringe der Imperialismus
breiteste Volkskreise in Bewegung. Durch Aufklärung über den
Charakter des Imperialismus und Erfahrungen gemeinsamen Handelns
ließen sich auch kleinbürgerliche Volksschichten mobilisieren
und dazu bringen, sich den Massenaktionen des Proletariats
gegen den Imperialismus anzuschließen(341),
Massenaktionen, die erste Schritte, Etappen auf dem Wege zur
sozialen Revolution seien(342).
Jede erfolgreiche Aktion, verbunden mit Agitation und
revolutionärer Propaganda würde der Arbeiterklasse neues
Selbstbewußtsein verleihen(343),
so daß am Ende der Auseinandersetzungen »... das ganze
Proletariat als organisierte, einsichtsvolle, zum Herrschen
fähige Klasse«(344)
die Macht ergreifen könne.
Damit waren bereits 1911 die
wesentlichen Unterschiede in der Beurteilung des Imperialismus
und der daraus gezogenen Konsequenzen für die Politik der
Sozialdemokratie herausgearbeitet worden.
Kautskys Vorstellungen vom
Imperialismus als einem systemwidrigen, noch im Rahmen der
kapitalistischen Gesellschaft aufhebbaren Atavismus stand die
Imperialismusauffassung der Linksradikalen vom krachenden, auf
die kriegerischen Auseinandersetzung hintreibenden Kapitalismus
ge-gegenüber, dem es statt der vom Zentrum propagierten
Abrüstungspolitik und Parlamentsstrategie die revolutionären
Massenaktionen des immer bewußter werdenden Proletariats
entgegenzusetzen galt(345).
Der von Rosa Luxemburg anläßlich
der zweiten Marokkokrise im Sommer 1911 unternommene Vorstoß
gegen die Passivität des Parteivorstands(346),
der sich sogar bemühte, die Initiativen des I. S. B.-Sekretärs
und der französischen Sozialisten für das Tätigwerden des I. S.
B. in der Marokkofrage zu verhindern(347),
endete in einer scharfen Kontroverse mit Kautskys, ohne daß die
starren Fronten aufgebrochen wurden und die Parteiführung ihre
fatalistische Passivität aufzugeben bereit war(348).
Nachdem es der Parteiführung
gelang, die Linksradikalen und Rosa Luxemburg auf dem Parteitag
in Jena 1911 zu isolieren(349),
zogen sich die Linken teilweise aus der Pressekontroverse
zurück und begannen, sich, wie beispielsweise Rosa Luxemburg,
auf die Erarbeitung ihrer Imperialismustheorien zu
konzentrieren(350).
Was sich im taktischen Verhalten
einzelner Vertreter der Linken, wie Karski und K. Liebknecht
bereits anläßlich der Abrüstungskontroverse offenbart hatte(351),
der Differenzierungsprozeß innerhalb der ohnehin kleinen Gruppe
der Parteilinken, trat jetzt noch deutlicher hervor in Gestalt
unterschiedlicher Imperialismustheorien.
Besonders hervorzuheben sind in
diesem Zusammenhang Karskis Versuche, ausgehend von Hilferdings
Analyse des Finanzkapitals zu einer theoretischen Bestimmung
des Imperialismus zu gelangen, die in vielen Punkten die
Leninsche Imperialismustheorie vorwegnahm.
Bereits vor dem Erscheinen des
Hilferdingschen Werks hatte sich Karski als
wirtschaftspolitischer Redakteur der Leipziger Volkszeitung in
Auseinandersetzung mit Bernstein und den Revisionisten über
deren These einer Demokratisierung des Kapitals durch
Aktiengesellschaften(352)
mit dem Prozeß der wachsenden Kapitalkonzentration und der
Monopolbildung beschäftigt. Er sah in den Aktiengesellschaften
einen wesentlichen Bestandteil zur allgemeinen Monopolisierung
der Wirtschaft, indem gerade in ihnen die Konzentration des
Kapitals in schärfster Form in Erscheinung trete:
»Die Magnaten der Hochfinanz
kommandieren nicht nur das eigene Kapital, sie kommandieren
ebensogut das fremde Kapital der kleineren Aktionäre. Mehr
noch: sie sind tatsächlich Eigentümer des Löwenanteils jenes
Kapitals, das uns in anonymer Form als Aktienkapital erscheint(353).«
Hand ind Hand mit dem
Konzentrationsprozeß in der Industrie vollziehe sich die
Konzentration der Banken zu einigen wenigen Großbanken, die
diese Industrie kommandierten(354).
Durch diese Entwicklung werde »... aber die Gefahr von
wirtschaftlichen Katastrophen riesig erhöht, denn eine solche
Konzentration bedeutet nicht Aufhebung der Anarchie in der
kapitalistischen Wirtschaft, sondern nur Auslieferung des ganzen
Wirtschaftsgetriebes an den Willen einer kleinen Gruppe, deren
Interessen natürlich nicht mit den Interessen der Allgemeinheit
zusammen fallen, sondern ihnen in den meisten Fällen direkt
zuwiderlaufen.«(355)
Aufgrund dieser
Forschungsergebnisse erstaunt es nicht, daß Karski die
Forschungsresultate Hilferdings bei deren Veröffentlichung im
Finanzkapital weitgehend als Bestätigung der eigenen Analysen
begriff und sie seiner eigenen 1912 herausgegebenen
Imperialismusschrift zugrundelegte(356).
Gleichwohl unterscheidet sich
Karskis Analyse in einigen wenigen Punkten grundsätzlich von
Hilferdings Werk.
Vor allem suchte er die Grundlagen
des Imperialismus im Gegensatz zu Hilferdings nicht in der
Zirkulationssphäre, im Reproduktionsprozeß des Kapitals, sondern
in der Sphäre der Produktion(357),
die in der neuen Periode der Welteroberung des Kapitals durch
Veränderungen im inneren Aufbau der kapitalistischen
Produktions- und Eigentumsverhältnisse gekennzeichnet sei(358).
So beherrschen für Karski zwar —
ebenso wie für Hilferding — die Großbanken das Wirtschaftsleben
in wachsendem Maße und vereinigen sich mit den mächtigen
Kartellen zum Finanzkapital(359),
aber sie verändern nicht grundlegend den kapitalistischen
Charakter der Produktion: »Alle Machtmittel, über die die
Gesellschaft verfügt, werden vom Kapital zusammengefaßt. Es
organisiert die Produktion in Kartellen und Trusts, vereinigt
seine Macht in den Unternehmerverbänden, beherrscht mit seinen
Organisationen die politischen Parteien wie die Regierungen und
stellt die Staatsmacht in den unbedingten Dienst seiner
Ausbeutungsinteressen im Innern und seines
Ausbeutungsbedürfnisses nach außen. So faßt das Kapital alle
wirtschaftlichen Potenzen der heutigen Gesellschaft bewußt
zusammen, aber nicht im Interesse der Gesellschaft, sondern um
den Grad der Ausbeutung der Gesellschaft auf eine bisher
unerhörte Weise zu steigern(360).«
Indem die Schutzzollpolitik die
Kartellierung der Industrie treibhausmäßig vorangetrieben habe,
so daß die monopolistischen Industrien nach Ausschaltung der
ausländischen Konkurrenz in Höhe der Zölle indirekte Steuern
auf ihre Waren von der Bevölkerung erheben konnten(361),
sei durch die enorme Steigerung der Produktion eine gewaltige
»... Reichtumsansammlung in den Händen des konzentrierten
Großkapitals, der Kartelle und Trusts«(362)
vor sich gegangen, für deren Produktionsmittel und Waren der
nationale Markt zu eng sei, da das Kapital ständig danach
strebe, »... die Arbeiter auf das zur Erhaltung ihres Lebens
Notwendige zu beschränken.«(363)
Die Resultate dieses Prozesses,
Überproduktion und in der Folge Krise resultieren damit für
Karski aus bestimmten, dem Kapital immanenten Widersprüchen.
Sie werden für ihn im Gegensatz zu Hilferding nicht durch die
Kartelle beseitigt oder abgeschwächt sondern im Gegenteil
verschärft(364).
Um hohe Profite zu realisieren,
seien die Kapitale infolge der gewaltigen
Produktionssteigerungen und der daraus resultierenden hohen
organischen Zusammensetzung des Kapitals zur Kompensation der
niedrigen allgemeinen Profitrate gezwungen, Kapitalexport zu
betreiben(365),
also neben neuen Märkten und Absatzgebieten auch neue
Ausbeutungsgebiete jenseits der eigenen nationalen Grenzen zu
erschließen(366).
So stehe im Mittelpunkt der neuen Kapitalexpansion anstelle des
Warenexports in zunehmenden Maße der Kapitalexport, die
Errichtung neuer Produktionsstätten im Ausland durch das eigene
Industriekapital und die hiermit verbundene Umwälzung der
ursprünglichen Produktionsstrukturen in den neu erschlossenen
Gebieten(367).
Damit resultiert für Karski der
Kapitalexport aus den immanenten Gesetzen der kapitalistischen
Produktionsweise, ist Ergebnis widersprüchlicher
Kapitalbewegung, der Akkumulation und dem daraus sich ergebenden
Fall der allgemeinenProfitrate einerseits und der Tendenz des
Kapitals, die Konsumtion der Arbeitermassen im Inland durch
niedrige Löhne auf das Nötigste zu beschränken andererseits(368).
Die Kriegsgefahr ergibt sich für
ihn aus der besonderen Situation auf dem Weltmarkt. Da sich die
meisten Industriestaaten durch ihre Schutzzollpolitik
gegenseitig aus dem Weltmarkt auszusperren versuchten, nehme die
kapitalistische Expansionspolitik zwangsweise die Form
kolonialer Eroberungspolitik an(369),
in der alle danach strebten, sich einen möglichst großen Teil
des Weltmarktes anzueignen(370).
Dem wachsenden Interessengegensatz
zwischen den kapitalistischen Staaten, der geschürt werde durch
die mit der Expansionspolitik einhergehende Verherrlichung von
Gewalt und Krieg(371),
entspreche die neue Saat der Gewalt, die die Kolonialeroberung
mit sich bringe: »Der Kapitalismus dringt immer tiefer ein in
die alten Agrarstaaten des Orients, er zersetzt alle alten
sozialen Verhältnisse, schafft eine moderne bürgerliche Klasse,
und diese wird die Trägerin revolutionärer Umgestaltungen, sei
es, daß diese sich wie in Japan, der Türkei, Persien und China
gegen die alte Staatsmacht richtet, sei es, daß sie wie in
Indien oder Ägypten als nationale Bewegung gegen die
Fremdherrschaft auftritt... Bei den tiefen Gegensätzen
innerhalb der kapitalistischen Welt bilden diese revolutionären
Staaten so neue Krisenherde, verschärfen die Kriegsgefahr oder
führen selbst zu großen Kriegen.«(372)
Gleichwohl räumte Karski dem
sozialdemokratischen Kampf für die Aufrechterhaltung des
Friedens in Europa Chancen ein, da die Furcht vor der sozialen
Revolution im Moment des Krieges die imperialistischen Staaten
bisher von der Entfesselung eines Krieges in Europa abgehalten
habe(373).
Korrespondierend hierzu maß er
auch den Forderungen nach Rüstungsbeschränkung eine wichtige
Funktion im Gesamtzusammenhang der sozialdemokratischen
Agitation bei: einerseits weil die Kapitalisten zwar den
Militarismus, die Armee als Waffe gegen das Proletariat
benötigten, nicht aber eine schrankenlose Ausdehnung der
Kriegsmacht, da eine zeitweilige Verständigung der
internationalen Bourgeoisie über ihre Raubpolitik — wie im Fall
der Aufteilung Chinas — durchaus möglich sei, zum anderen, weil
die nationalistische Kriegshetze ein Haupthindernis der
sozialdemokratischen Propaganda sei(374)
und die Sozialdemokratie in Deutschland noch zunächst das Erbe
der demokratischen Revolution zu verwirklichen habe, nämlich im
Kampf gegen Junkertum und Kapitalmagnaten, Militarismus und
Rüstungswahnsinn zunächst im demokratischen Kampf »... die Sache
des gesamten werktätigen Volkes« zu vertreten habe(375).
Daß dieser Kampf für bürgerlich-demokratische Freiheiten
zugleich ein Schritt im Kampf für den Sozialismus war(376),
verdeutlicht Karskis Antwort auf die Frage, was die
Sozialdemokratie tun müsse, wenn sie den Kriegsausbruch nicht
verhindern könnte: »Aus diesem entsetzlichen Chaos gäbe es nur
ein Entrinnen: die soziale Revolution, die Diktatur des
Proletariats. Diese Diktatur würde den Frieden herstellen, würde
alle verfügbaren Kräfte mobilisieren, nicht für die
Menschenschlächterei, sondern für das soziale Wohl.«(377)
So propagierte Karski Abrüstung
und parlamentarische Initiativen ebenso wie Massenaktionen
gegen die Kriegsgefahr(378)
und nahm damit — ähnlich wie Karl Liebknecht — eine mittlere
Position zwischen der radikalen Haltung der Linksradikalen und
der Parlamentsstrategie des Zentrums ein, durch die ihm bis zu
seinem Bruch mit Kautsky im Frühjahr 1912(379)
der Publikationsapparat der Partei noch zur Verfügung stand(380).
Daß er seine antiimperialistische
Politik immer als Bestandteil der revolutionären Überwindung des
Kapitalismus begriff, verdeutlichte er noch einmal im Frühjahr
1912, wo er im Gegensatz zur sozialdemokratischen
Parlamentsfraktion und der Parteimehrheit festhielt, daß es im
Kampf gegen Imperialismus, Militarismus und Kriegsgefahr nicht
darum gehen könne, den existierenden Staat zu demokratisieren,
in ihn hineinzuwachsen, sondern nur um das eine: »Vernichtung
des kapitalistischen Staates, Sozialismus.«(381)
Karskis Versuch, Hilferdings
Analyse im Sinne einer revolutionären Imperialismustheorie
weiterzuentwickeln, kommt trotz des bruckstückhaften Charakters,
den seine Imperialismusdeutung noch besaß — insbesondere weil er
die Notwendigkeit der Kapitalexpansion nicht im einzelnen aus
den Gesetzen der Akkumulation ableitete — der späteren
Imperialismusanalyse Lenins sehr nahe(382),
da er wie dieser die Ursachen des Imperialismus im Bereich der
kapitalistischen Produktion und ihrer Widersprüche aufzufinden
suchte(383) und
die Möglichkeit einer harmonischen Entwicklung des Kapitalismus
ausschloß(384).
Die Ursache dafür, daß sich Karski
nach der Veröffentlichung von Rosa Luxemburgs »Akkumulation des
Kapitals« zusammen mit Mehring als einziger hinter deren Analyse
stellte(385),
obwohl sie — wie Hilferding — vom Reproduktionsprozeß des
Kapitals ausgehend den Imperialismus abzuleiten versuchte, ist
sicher nicht ausschließlich auf die Solidarität zurückzuführen,
die Luxemburg, Mehring und Karski miteinander in den letzten
Jahren vor dem Krieg verband, sondern auch auf die bei Karski,
ebenso wie bei den anderen Theoretikern der Internationale
existierende mangelnde Klarheit über die systematischen
Bestimmungen im Marxschen Kapital(386),
die eine Vermittlung von Akkumulationsbewegung und Reproduktion
des Kapitals nicht ermöglichte(387).
Rosa Luxemburgs »Akkumulation
des Kapitals« — Die »Weiterentwicklung« des Marxismus als
Revolutionstheorie
Die Grundlage des im Jahre 1912
entstandenen ökonomischen Hauptwerks von Rosa Luxemburg bildete
der zweite Band des Marxschen Kapital, anhand dessen sie sich
bemühte, »... den Gesamtprozeß der kapitalistischen Produktion
in ihren konkreten Beziehungen sowie ihre objektive
geschichtliche Schranke mit genügender Klarheit darzustellen.«(388)
Das Ziel der Analyse, die
ökonomische Ableitung des Imperialismus aus den Gesetzen der
kapitalistischen Produktionsweise glaubte Rosa Luxemburg
angesichts der in der deutschen Partei immer verbreiteteren
Ablehnung des Zusammenbruchsgedankens und einer wachsenden
neoharmonischen Interpretation der Marxschen Theorie — wie
beispielsweise hinsichtlich der Krisen der
Reproduktionsschemata bei Rudolf Hilferding und Otto Bauer(389)
— nur dadurch verwirklichen zu können, daß sie der dem Kapital
immanenten Zusammenbruchstendenz über Marx hinausgehend
gesetzmäßigen Zwangscharakter verlieh, um so die Notwendigkeit
der proletarischen Revolution auch ökonomisch nachzuweisen(390).
»Und tatsächlich führt die
Entwicklung des Kapitalismus selbst bei näherem Zusehen zu
seinem eigenen Untergang und über ihn hinaus ... Dazu brauchen
wir die eigenen inneren Gesetze der Kapitalherrschaft nur in
ihrer weiteren Wirkung zu verfolgen. Sie sind es selbst, die
sich auf einer gewissen Höhe der Entwicklung gegen alle
Grundbedingungen kehren, ohne die die menschliche Gesellschaft
nicht bestehen kann.«(391)
So glaubte sie, die Notwendigkeit
des kapitalistischen Zusammenbruchs anhand der Gegenüberstellung
von den Bedingungen allgemeiner gesellschaftlicher
Reproduktionen und den Gesetzen kapitalistischer Reproduktion
nachweisen zu können(392),
indem sie unter Zuhilfenahme der Marxschen
Reproduktionsschemata aufzeigte, daß in einem geschlossenen
kapitalistischen System Kapitalakkumulation unmöglich sei.
Zwar führe die Vereinigung von
Wert- und Sachform bei der Betrachtung des gesellschaftlichen
Gesamtkapitals dazu, daß die Bestimmungen der einfachen
Reproduktion nur in Wertverhältnissen ausdrücken, »... was
Grundlage nicht nur der kapitalistischen Reproduktion, sondern
der Reproduktion jeder Gesellschaft«(393)
sei, aber sobald man die Akkumulation als realen Faktor der
Reproduktion betrachte, es also um die erweiterte Reproduktion
gehe, sei »... ausgeschlossen, daß die Arbeiter und
Kapitalisten selbst das Gesamtprodukt realisieren können. Sie
können stets nur das variable Kapital, den verbrauchten Teil des
konstanten Kapitals und den konsumierten Teil des Mehrwerts
selbst realisieren, auf diese Weise aber nur die Bedingungen für
die Erneuerung der Produktion in früherem Umfang sichern. Der
zu kapitalisierende Teil des Mehrwerts hingegen kann unmöglich
von den Arbeitern und Kapitalisten selbst realisiert werden. Die
Realisierung des Mehrwerts zu Zwecken der Akkumulation ist also
in einer Gesellschaft, die nur aus Arbeitern und Kapitalisten
besteht, eine unlösbare Aufgabe.«(394)
Indem sie auf die in den
Reproduktionsschemata entwickelte Bewegung von Wert- und
Stoffersatz zwischen den beiden Abteilungen der
gesellschaftliche Produktion gar nicht eingeht(395),
sondern mit der Frage nach der Realisation eine äußerliche
Bestimmung an die Darstellung der Reproduktion des
gesellschaftlichen Gesamtkapitals bei Marx heranträgt(396),
kommt sie zu dem Schluß, die Reproduktionsschemata könnten den
Prozeß der Kapitalakkumulation nicht erklären.
Die in ihnen getroffene
Voraussetzung, daß Kapitalisten und Arbeiter die einzigen
Repräsentanten der gesellschaftlichen Konsumtion seien,
entspräche nicht der Wirklichkeit. Eine sich selbst genügende
kapitalistische Gesellschaft mit ausschließender Herrschaft der
kapitalistischen Produktion habe es bisher nie gegeben(397).
Die kapitalistische Produktionsweise setze notwendigerweise das
Vorhandensein nichtkapitalistischer
Schichten innerhalb des eigenen Herrschaftsbereichs(398)
und nichtkapitalistischer Räume in der Weltwirtschaft voraus(399),
damit der Akkumulationsprozeß überhaupt fortgesetzt werden
könne: »Der Akkumulationsprozeß des Kapitals ist durch alle
seine Wertbeziehungen und Sachbeziehungen: konstantes Kapital,
variables Kapital und Mehrwert an nichtkapitalistische
Produktionsformen gebunden. Letztere bilden das gegebene
historische Milieu jenes Prozesses. Die Kapitalakkumulation kann
so wenig unter der Voraussetzung ausschließlicher und absoluter
Herrschaft der kapitalistischen Produktionsweise dargestellt
werden, daß sie vielmehr ohne das nichtkapitalistische Milieu in
jeder Hinsicht undenkbar ist.«(400)
In seinem Evolutionsprozeß habe
das Kapital drei Phasen zu durchlaufen, die sich in der
historischen Entwicklung als Kampf mit der Naturalwirtschaft,
der Warenwirtschaft und schließlich als »... Konkurrenzkampf des
Kapitals auf der Weltbühne um die Reste der
Akkumulationsbedingungen« erwiesen hätten(401).
Da der Akkumulationsprozeß mit
unerbittlicher Konsequenz danach strebe, die kapitalistische
Produktion als einzige und ausschließliche Produktionsweise in
sämtlichen Ländern und Produktionszweigen zur absoluten
Herrschaft zu bringen, treibe das Kapital seiner objektiven
historischen Schranke entgegen: »Das Endresultat einmal erreicht
— was jedoch nur theoretische Konstruktion bleibt —, wird die
Akkumulation zur Unmöglichkeit: die Realisierung und
Kapitalisierung des Mehrwerts verwandelt sich in eine unlösbare
Aufgabe. In dem Moment, wo das Marxsche Schema der erweiterten
Reproduktion der Wirklichkeit entspricht, zeigt es den Ausgang,
die historische Schranke der Akkumulationsbewegung an, also das
Ende der kapitalistischen Produktion. Die Unmöglichkeit der
Akkumulation bedeutet kapitalistisch die Unmöglichkeit der
weiteren Entfaltung der Produktivkräfte und damit die objektive
geschichtliche Notwendigkeit des Untergangs des Kapitalismus.
Daraus ergibt sich die widerspruchsvolle Bewegung der letzten,
imperialistischen Phase als der Schlußperiode in der
geschichtlichen Laufbahn des Kapitals.«(402)
Spezifische Operationsmethoden des
Kapitalismus in dieser letzten Phase der Weltkonkurrenz —
gekennzeichnet durch die Industrialisierung der bisher noch
unterentwickelten Länder und Regionen — seien auswärtige
Anleihen, Eisenbahnbauten, Revolutionen und Kriege(403).
So erweise sich der Imperialismus
als»... der politische Ausdruck des Prozesses der
Kapitalakkumulation in ihrem Konkurrenzkampf um die Reste des
noch nicht mit Beschlag belegten nichtkapitalistischen
Weltmilieus.«(404)
Der Militarismus als Begleiter der
Akkumulation initiiere hierbei einen doppelten Prozeß. Je
energischer er als Instrument eingesetzt werde, um die
Arbeitskräfte und Produktionsmittel nichtkapitalistischer
Regionen dem Kapital unterzuordnen und zu assimilieren, desto
gewaltiger trage er durch die Abwälzung seiner Kosten auf die
breite Masse der Bevölkerung zur Zersetzung der
nichtkapitalistischen Schichten und zur Reduzierung der
Kaufkraft der Arbeiterklasse im kapitalistischen Mutterland bei.
Von außen und innen müßten daher die Bedingungen der
Akkumulation auf einer gewissen Höhe der Entwicklung in
Bedingungen des Untergangs für das Kapital umschlagen und die
revolutionäre Umwälzung durch das Proletariat einleiten:
»Je gewalttätiger das Kapital
vermittelst des Militarismus draußen in der Welt wie bei sich
daheim mit der Existenz nichtkapitalistischer Schichten
aufräumt und die Existenzbedingungen aller arbeitenden
Schichten herabdrückt, um so mehr verwandelt sich die
Tagesgeschichte der Kapitalakkumulation auf der Weltbühne in
eine fortlaufende Kette politischer und sozialer Katastrophen
und Konvulsionen, die zusammen mit den periodischen
wirtschaftlichen Katastrophen in Gestalt der Krisen die
Fortsetzung der Akkumulation zur Unmöglichkeit, die Rebellion
der internationalen Arbeiterklasse gegen die Kapitalherrschaft
zur Notwendigkeit machen werden, selbst ehe sie noch ökonomisch
auf ihre natürliche selbstgeschaffene Schranke gestoßen ist.«(405)
Mit dieser eigenwilligen Deutung
des Imperialismus, die den Zusammenhang des Marxschen
Theoriegebäudes verwarf, um den Kern seiner Theorie, den
Zusammenbruchsgedanken und die Revolutionstheorie zu retten und
hervorzuheben, bot Rosa Luxemburg ihren politischen Gegnern in
der Sozialdemokratie zahlreiche Ansätze der Kritik, vor allem
deshalb, weil sie letztlich für deren harmonische Auslegung der
Reproduktionsschemata das Marxsche Werk selbst mit
verantwortlich machte(406).
Der festen Überzeugung, daß sich
aus den Schemata der erweiterten Reproduktion im Kapital
tatsächlich die Möglichkeit einer schrankenlosen Akkumulation ad
infinitum, im Kreise ganz im Sinne der Interpretation Tugan
Baranowskys(407)
und Hilferdings ergebe(408),
glaubte sie die Gesetzmäßigkeiten der Akkumulation retten zu
müssen, indem sie praktisch in Ergänzung des siebten Abschnitts
des Kapitals (Band l)(409)
unter Berücksichtigung des ihrer Ansicht nach ungelösten
Problems der erweiterten Reproduktion und der im dritten Band
des Kapitals skizzierten Krisenproblematik, einen weiteren
Entwicklungsabschnitt der bürgerlichen Gesellschaft entwarf(410).
Wie zu erwarten, stieß ihre
Ableitung des Imperialismus bei den parteioffiziellen
Marxismus-Interpreten des Zentrums, zu denen sich neben
Hilferding inzwischen die Austromarxisten Fritz Eckstein und
Otto Bauer gesellt hatten, auf prinzipielle Ablehnung(411).
Die Neoharmoniker — allen voran
Otto Bauer —- versuchten ihrerseits die von Marx entwickelten
notwendigen Bedingungen der Reproduktion des gesellschaftlichen
Gesamtkapitals — ganz wie zuvor Rosa Luxemburg — als exakte
Darstellung des wirklichen Verlaufs kapitalistischer
Reproduktion zu interpretieren(412)
und eigene, scheinbar der kapitalistischen Wirklichkeit
entsprechende Schemata zu entwerfen, wobei sie glaubten, mit
einem Kunstgriff die von Marx entwickelte notwendige
Disproportionalität zwischen den beiden Abteilungen der
gesellschaftlichen Produktion im Fall fortschreitender
Akkumulation für den Nachweis einer möglichen unbegrenzten
Entwicklung des Kapitalismus ausnutzen zu können.
So fällt beispielsweise im
Bauerschen Schema die bei Marx unterstellte notwendige
Voraussetzung für die Kontinuität der gesellschaftlichen
Reproduktion, der wechselseitige Austausch der respektiven
Produkte zwischen Abteilung I und Abteilung II, der sich bei
erweiterter Reproduktion als Disproportionalität, Überproduktion
in Abteilung II erweist, einfach unter den Tisch. Stattdessen
läßt er die Produzenten in Abteilung II, in der bei
fortschreitender Akkumulation ständig ein Warenüberschuß
existiert, gerade diesen Überschuß in Geld einfach in Abteilung
I investieren, damit deren Produzenten im folgenden Jahr der
Reproduktion dann den realen Wert aus Abteilung II abnehmen
könnten(413).
Auf diese Weise bestehe die
Möglichkeit, daß beide Abteilungen wachsen und akkumulieren,
ohne daß jemals eine Diskrepanz im Wert der von ihnen
auszutauschenden Produkte entstünde(414).
Bauer hatte damit die
Schrankenlosigkeit der Akkumulation aus den
Reproduktionsschemata entwickelt, deren Begrenzung er nur in
den periodisch wiederkehrenden Krisen sah, die die Akkumulation
immer wieder in die jeweils bestimmten Grenzen der
Proportionalität zurückführten(415).
Bauers Fehler, den die meisten
Luxemburg-Kritiker der II. Internationale nach vollzogen, liegt
darin, daß er völlig die von Marx beim Entwurf der
Reproduktionsschemata getroffene Unterstellung übersieht, daß
sich die Produkte Stoff- und wertmäßig auszutauschen
haben, eine willkürliche Verwandlung in Geld bzw.
wechselseitige Benutzung als Produktionsmittel und
Konsumtionsmittel, Übertragung in sachlicher Form oder Geldform
von vornherein durch Marx ausgeschlossen worden war(416).
Wie sehr die neoharmonische
Interpretation der Reproduktionsschemata fast alle Theoretiker
der II. Internationale beherrschte, offenbarte die Haltung der
meisten Linken in der deutschen Sozialdemokratie, die sich mit
Ausnahme von Karski und Mehring(417)
der Kritik Bauers an Rosa Luxemburgs Interpretation der
Marxschen Reproduktionsschemata anschlössen(418).
Auch Lenin, den Rosa Luxemburg in
ihrem Werk explizit kritisiert hatte(419),
begrüßte die allgemeine Ablehnung von Rosa Luxemburgs Buch.
Ähnlich wie nun Bauer hatte er
bereits in der Vergangenheit hervorgehoben, daß »... die Frage
des äußeren Marktes absolut nichts mit der Frage der Realisation
gemein« habe(420)
und glaubte jetzt in der Argumentation der Neoharmoniker seine
eigene Kritik an den Volkstümlern wiederzufinden(421).
Tatsächlich hatte er aber,
ausgehend von der Marxschen Voraussetzung von Wert- und
Stoffersatz bei der Darstellung des Austauschs zwischen den
beiden Abteilungen der gesellschaftlichen Produktion
festgehalten, daß Abteilung I gegenüber Abteilung II im Falle
der erweiterten Reproduktion rascher wachsen müsse, wobei er
allerdings zur Begründung die Gesetze der Kapitalakkumulation
heranzog(422), um
so — wie alle anderen Interpreten — die Reproduktionsschemata
unmittelbar als Erklärungsgrundlage für die kapitalistische
Reproduktion benutzen zu können(423).
Allgemein gab Pannekoek mit seiner
grundsätzlichen Kritik auch die Haltung Lenins wieder, wenn er
konstatierte, daß Rosa Luxemburgs Werk die Ursachen der
gegenwärtigen Expansion nicht erfasse. Der Imperialismus finde
»... seine ökonomische Erklärung nicht in der Notwendigkeit
neuer Absatzmärkte, nicht im Interesse des Warenabsatzes,
sondern in dem Kapitalexport.«(424)
Das Gros der Linken hatte sich
damit den Hilferdingschen Begründungszusammenhang des
Imperialismus zu eigen gemacht, daß der Kapitalexport als
Instrument zur Kompensation der fallenden Profitrate im
kapitalistischen Mutterland, die wesentliche Triebkraft der
Expansionspolitik bilde(425).
Aber im Gegensatz zur
attentistischen Haltung des Parteizentrums zogen die
Linksradikalen in Deutschland revolutionäre Konsequenzen und
leiteten wie Radek die politische Notwendigkeit internationaler
Konflikte aus der ökonomischen Notwendigkeit des Kapitalexports
ab und setzten sich für eine internationale Mobilisierung des
Proletariats gegen den Imperialismus ein(426),
dem es — falls eine Verhinderung des Kriegsausbruchs in Europa
nicht gelänge — der Krieg ermögliche, die kapitalistische
Zwangsherrschaft zu beseitigen(427).
Damit trat der ökonomische
Zusammenbruchsgedanke bei den Linksradikalen zurück gegenüber
der politischen Mobilisierung der Massen zu fortschreitenden
antikapitalistischen Aktionen mit dem Ziel, im entscheidenden
Moment des politischen Zusammenbruchs — wie im Falle des Kriegs
— die Herrschaft zu ergreifen.
Daß Rosa Luxemburg gleichwohl mit
ihrer eigenen Marx revidierenden Zusammenbruchstheorie den
entscheidenden Kern der revisionistischen Theorie des
Austromarxismus getroffen hatte, die sich auch in der
reformistischen Haltung seiner wichtigsten Vertreter
niederschlug und die Georg Lukacs so
treffend als wirtschaftliche und ideologische Kapitulation vor
dem Kapitalismus bezeichnete(428),
offenbarte Otto Bauers Bericht über »Die Teuerung«(429),
den dieser für den Wiener Kongreß der Internationale
vorbereitet hatte.
Ausgehend von einer Analyse der
Preisbewegung in der »Großen Depression« und der Konjukturphase
seit 1896, die er als Ausdruck der Dynamik des Kapitalismus
begreift, schließt er auf eine ununterbrochene wirtschaftliche
Weiterentwicklung, da die Preise auch 1914 noch steigende
Tendenz aufwiesen(430).
Zwar verschärfen sich nach Bauers Auffassung die
Klassengegensätze, da die Teuerung die Lebenshaltung der
Volksmassen verschlechtert habe und weiter verschlechtere(431),
aber nicht mehr die ökonomische Krise schafft die
Voraussetzungen für die Ergreifung der Macht durch das
Proletariat, sondern die politische Krise eines
wirtschaftlich fortschreitenden, prosperierenden Kapitalismus,
dessen Vergesellschaftungstendenzen auf seine Überwindung
verweisen(432).
Wie sehr Bauers
Kapitalismusanalyse, die im wesentlichen dem Argumentationsgang
in Hilferdings Finanzkapital folgte, die Grundgedanken der
meisten Vertreter der II. Internationale widerspiegelte,
dokumentieren die Kongreßberichte von Hugo Haase und dem
Holländer Vliegen(433),
deren Inhalt an Bauers Bild eines fortschreitenden Kapitalismus
anknüpfte und dieses mit Kautskys Imperialismusdeutung verband.
Konnte der Kapitalismus seine
ökonomischen Widersprüche von sich aus selbständig lösen, so
mußte er letzlich auch in der Lage sein, die Ursachen der von
ihm ständig heraufbeschworenen Kriegsgefahr zu beseitigen, zumal
auf kapitalistischer Seite wirkliche, greifbare Interessen, die
einen Krieg rechtfertigen könnten, fehlten(434).
So war die von Vliegen erhobene Forderung nur konsequent, »...
die Friedensbewegungen im eignen Lande dermaßen zu
unterstützen, daß ihr Einfluß auf die Regierung möglichst groß
sei. Der Gegensatz: hier das friedfertige Proletariat, dort das
kriegerische Bürgertum muß sowieso fallengelassen werden, indem
es falsch ist, daß die nichtproletarischen Klassen im ganzen von
irgendwelchem Krieg Nutzen haben sollten.«(435)
Vom ehedem antikapitalistischen
Kampf war in diesen Entwürfen nichts mehr zu finden. Das Urteil,
das Lukäcs über die Theoretiker des Austromarxismus fällte,
galt auch für die letzten theoretischen Dokumente der II.
Internationale vor dem Krieg und deren Verfasser:
Sie waren nur noch »ideologische und wirtschaftliche
Anhängsel des Kapitalismus.«(436)
Anmerkungen
169)
vgl. R. Luxemburg, Vorwort zu dies., Die Akkumulation . . .,
a.a.O.,o.S. und R. Hilferding, Vorwort zu ders., Das
Finanzkapital, a.a.O., S. 18-19.
170) Ebenda, S. 17.
171) vgl. R. Luxemburg, Vorwort . . .,
a.a.O.; Hilferding spricht es nicht explizit.aus, obwohl dieser
Zusammenhang auch für ihn Gültigkeit besitzt, vgl. unten, Kap.
6. Rudolf Hilferdings...
172) vgl. D. Groh, Negative ..., a.a.O.,
S. 249-258, 289-304.
173) vgl. P. Louis, La colonisation sous
la Troisieme Republique, in: La Revue Socialiste
25, 1897, 1, S. 24-38, 155-173, ders., La politique
exterieure de la Troisieme Republique
(1891-1897), in: La Revue Socialiste 26, 1897,2, S. 129-153,
ders., L'eveil industriel et commercial
de l'Extreme Orient, in: La Revue Socialiste 25,1897,1,572-594.
174) vgl. ders., Le colonialisme, a.a.O.
175) vgl. ders., Le socialisme et
l'expansion coloniale contemporaine, in: La Revue Socialiste
29,1899,1,S. 554.
176) vgl. ders., La colonisation .
. ., a.a.O., ders., La crise Sud-Africaine, in: La Revue
Socialiste 30,1899,2, S. 541-547, ders., L'Imperialisme
Anglo-Saxon, in: La Revue Socialiste 29,1899,1, S. 257-274 sowie
die umfangreiche empirische Studie La Guerre Economique, a.a.O.,
S. 335-347.
177) vgl. ebenda S. 335, sowie ders., La
crise..., a.a.O., S. 543.
178) vgl. ders., La Guerre..., a.a.O., S.
335-336.
179) vgl. ders., La crise . . ., a.a.O.,
S. 543: »La guerre anglotransvaalienne n'est qu'un episode, plus
ou moins interessant,dela lutte internationalepermanente,
qu'entretiennent les appetits
commerciauxdechainesparlasurproductionetranarchieindustrielle.«Ähnlich
auch ders., Le Socialisme ..., a.a.O., S. 559-561: »La
colonisation sort de l'infrastructure du Systeme contemporain.
La classe capitaliste au pouvoir, aux Etats-Unis comme en
France, en Angleterre comme en Italie, ne peut perpeteur sa
domination que par la cfoissance meme de son industrie et e ses
Behanges. En une etude publiee par la Revue Socialiste, au mois
de mars, nous montrions que la ddcadence commerciale des neuf
der-nieres annees suspend la ruine sur la feodalite bourgeoise
de la Grande-Bretagne. Plus la coneurrence s'intensifie sur
toute la surface du globe, plus les puissancesproduetrices
re-cemment entrees en lice multiplient leurs ressources et leurs
conquetes, plus la nöcessite de marches nouveaux apparait
urgente,vitale,aux vieilles nations... Les memeshommes qui ont
impose ä l'Amerique le protectionisme ecrasant de Mac-Kinley et
de Dingley, l'ont poussee ä l'expansion au dehors, afin de
placer dans des annexes ä forte densite le trop-plein de leurs
magasins. Ainsi, en tous pays, la colonisation n'est autre chose
que la soupape de sürete de l'inevitable surproduetion
capitaliste.«
180) vgl. ders., L'Imperialisme
Anglo-Saxon, a.a.O., S. 265-269; Louis zeigt den Zwang zur
Kolonialexpansion und zum Kapitalexport anhang des Niedergangs
der englischen Handelsbilanz im Vergleich zu den anderen
kapitalistischen Staaten, vgl. ebenda, S. 265-267,
zusammenfassend auch H. W. Kettenbach, a.a.O., S. 204-205,der
Louis' Imperialismusauffassung nur anhand dieses Artikels
wiederzugeben versucht und so zu verkürzten
Argumen-tations7usammenhiingen kommt.
181) vgl. P. Louis, Die Kolonialpolitik
Frankreichs und der Sozialismus, in: NZ 18, 2,
1899-1900, S. 683.
182) vgl. ebenda, S. 679-680.
183) vgl. ders., Lepartage de la Chine,
in: La Revue Socialiste 27,1898,1, S. 391.
184) Louis verweist hier vor allem auf
die Entwicklung in England, wo es lange Zeit gelang, die
Arbeiter durch Stabilisierung der Gehälter auf die Seite der
Kapitalisten zu ziehen, vgl. ders., Le Socialisme..., a.a.O., S.
560.
185) Ebenda; ähnlich auch ders.,
L'Imperialisme Anglo-Saxon, a.a.O., S. 272-273. Louis knüpft
hier an die These von Marx und Engels ganz ähnlich wie später
Lenin 1907 im Ausgangspunkt seiner Arbeiteraristokratiethese
an, vgl. oben,Fußn. 99.
186) vgJ.P. Louis, L'Imperialisme
Anglo-Saxon, a.a.O., S. 273.
187) vgl. entsprechende Prognosen für die
Entwicklung Chinas und Japans, ders., Le
partage ...,
a.a.O.,S. 393-395.
188) vgl. Louis' Beurteilung der
Erschließung Chinas, die durchaus den Einschätzungen von Parvus
ähnelt. Auch seiner Ansicht nach bringt die Erschließung Chinas
zunächst eine Erleichterung. »Mais ce ne sera lä qu'un Stade
relativementcourt. Une premiere atteinte sera portee ä la
prosperite renouvelee de l'industrie americano-europeenne par la
coneurrence qui s'exaspdrera sans treve entre toutes les
puissances. Au für et ä mesure que les besoins de la Chine
s'aecroitront, les rivalites s'öleveront plus apres, plus
fievrieuses, et la baisse des prix, que susciteront ä coup sür
les perpeties du trafic d'une contree aussi populeuse viendra
frapper cruellement les usines de produetion des vieux Etats.
L'entree des provinces du Fils du Ciel dans le cycle industriel
constituera alors une catastrophe sans pröeödents.« Ders., Le
partage ..., a.a.O., S. 393.
189) vgl. ders., Le Socialisme ...,
a.a.O., S. 560.
190) vgl. ders., La crise..., a.a.O., S.
545-547; Louis schließt mit den Sätzen: »Ce siecle de fer
s'ouvre sur un autre siecle de fer oü eclateront des guerres
aupres desquelles Celles du passe ne seront rien. A quand le
grand conflit entre la Grande-Bretagne et l'Empire Ger-manique?
Que le socialisme se häte d'accomplir son ceuvre de dissolution
et de recon-struetion.« Ebenda, S. 547.
191) vgl. ausführlich ders., Le
Colonialisme, a.a.O., S. 35-46.
192) vgl. ebenda, S. 41.
193) vgl. ders., Pourquoi l'on colonise,
in: Revue Blanche vom 1.2.1901, abgedruckt bei Ch.-R. Ageron,
L'Anticolonialisme . . ., a.a.O., S. 77, vgl. auch P. Louis, Die
Kolonialpolitik ..., a.a.O., S. 683.
194) Ebenda, vgl. auch ders.,
Pourquoi..., a.a.O., S. 78, ders., Le Socialisme..., a.a.O., S.
563.
195) vgl. ders., Le Colonialisme, a.a.O.,
S. 34: »Le colonialisme est la derniere carte du capitalisme:
or, - et la consequence est decisive pour la bourgeoisie, - le
colonialisme aboutit finalement ä repandre le capitalisme sur
toute la surface des terres, c'est ä dire ä surexciter la
coneurrence, et la surproduetion, c'est ä dire aussi ä supprimer
les garanties qu'il semblait contenir, et ä porter ä l'extreme
le peril qu'il devait ecarter ou attenuer.«
196) Ders., Essai sur rimperialisme, in:
Mercure de France 15,1904,50,S. 114;Leninhat den vorliegenden
Aufsatz im Rahmen seinerVorbereitungen für die
Imperialismusschrift »Der Imperialismus als höchstes Stadium des
Kapitalismus« exzerpiert, vgl. ders., Hefte zum Imperialismus,
a.a.O., in: LW 39, S. 240-242; eine ähnliche Bemerkung von Louis
befindet sich auch noch in dessen Aufsatz, Les Bases de
rimperialisme, in: La Renaissance Latine 2,1903, S. 675:
»L'imperialisme... inaugure un Stade nouveau de l'histoire
universelle. II est l'expression derniere, nette, puissamment
delimit^e, de la tendance des peuples ä la plus grande
agglomeration.«
197) vgl. ders., Essai..., a.a.O., S.
100.
198) vgl. ders., Le Colonialisme, a.a.O.,
S. 7: »Le colonialisme, issu du mecanisme capi-
taliste, dechafne' par les convoitises et par les besoins
pressants des possddants, häte
l'effondrement de la societe actuelle,exaspere et universalise
les conflits sociaux.«
199) vgl. ebenda,
S. 110; zusammenfassend auch F. Bedarida, a.a.O., S. 30, R.
Thomas, La politique socialiste et le Probleme colonial de 1905
ä 1920, in: Revue Francaise d'Histoire d'Outre-Mer 47, 1960, S.
216, 219-220, Ch.-R. Ageron, L'Anticolonialisme . . ., a.a.O.,
S. 22-23.
200) Herausgeber der von Ende
1907 bis 1913 wöchentlich in Paris erscheinenden Zeitung war
Jules Guesde. Als Autoren wirkten neben Guesde vor allem Bracke,
Charles Bonnier, Charles Dumas und Charles Rappoport, aber auch
Pannekoek und Christian Racovski veröffentlichten Artikel in
diesem Organ der Linken.
201) vgl. exemplarisch Bracke, Politique
Coloniale, in: Le Socialisme vom 5.4.1908 und Ch. Rappoport, Le
Banditisme Colonial, in: Le Socialisme vom 29.3.1908.
202) vgl. R. Thomas, a.a.O., S. 222; so
schrieb beispielsweise Bracke, das 20. Jahrhundert sei der
Beginn der Periode von Krieg und Revolution, zit. ebenda, S.
239.
203) vgl. Ch. Rappoport, Le
Banditisme..., a.a.O.: »Tous, tant que vousetes, reactionaires
republicains et republicains reactionaires et meme socialistes
dits independants, vousavez tous vote la guerre contre les
patriotes marocains defendants l'independance de leur sol contre
le conquerant etranger. Vous vous etes faits les complices de
l'assassinat des innocents .. . Ce n'est donc pas seulement pour
nous un devoir d'humanite de protester de toutes nos forces,
contre le banditisme colonial, mais c'est encore un interet
elementaire de conservation pour la classe ouvriere. Proletaires
et demoerates, si vous ne voulez pas partager un jour le sort
des marocains, protestez!« Während Rappoport seine Solidarität
aber eher zurückhaltend äußert, unterstützt Herve den
Unabhängigkeitskampf der Kolonialvölker bedingungslos und
empfiehlt den Befreiungsbewegungen ausgehend von seinem
radikalen Revolutionarismus: » . . . les soudards francais
soient jetes ä la mer.« Zit. bei G. Haupt/M. Reberioux, a.a.O.,
S. 141.
204) vgl. Bracke, Contre la guerre
pendant la paix, in: Le Socialisme vom 7.12.1912: »Et vienne
alors la crise: ce n'est pas seulement partiellement, de facon
precaire et incertaine, que tu la surmonteras. Ce sera
definitivement, par la revolution.«
205) vgl. Brackes Kritik an den
Sozialreformern, ders., L'Internationale contre la Guerre, in:
Le Socialisme vom 23.11.1912: »C'est la produetion grandissante
qui, par la concen-tration,la centralisation, l'accumulation des
capitaux.transforme le marche mondial en un immensechamp de
bataille. C'est le mecanisme desechanges qui contraint, ä mesure
meme que les facilitds de transport et de circulation
s'aecroissent, les interets capitalistes ä se heurter et ä
entrer en collision. C'est le besoin de debouches qui transporte
pour ainsi dire, dans I'Europe meme l'ancienne politique
d'extension coloniale . . . C'est, enfin, le capitalisme sous
sa forme financiere qui, apres avoir modifie le colonialisme
ancien dans les terres neuvesde l'Afrique et des pays
d'outre-mer, dresse dans une attitude de defiance et
d'hostilite' reeiproques les puissanceseuropeennes sur les
vieilles terres d'Asie-Mineure...II faut seulement dire aux
gouvernants la volonte de paix de la classe ou vriere; il faut
aussi leur montrer ce qu'il y aurait pour eux, pour la classe
qu'ils defendent et representent, de danger ä violenter cette
volonte.«
206) vgl.
exemplarisch die Resolution gegen den Krieg auf dem Stuttgarter
Kongreß, wo Guesde unverbindlich und allgemein feststellt, » . .
. daß das beste Mittel gegen den Militarismus und für den
Frieden, wenn es nicht eine Utopie und Gefahr sein soll, darin
bestehen muß, daß man die Arbeiter der ganzen Welt sozialistisch
organisiert und daß man in der Zwischenzeit durch Verkürzung des
Militärdienstes, durch Ablehnung aller Kredite für Heer, Marine
und Kolonien, durch Propaganda für allgemeine Volksbewaffnung
alle internationalen Kämpfe möglichst unmöglich macht, und zwar
ist es Aufgabe des Internationalen Bureaus, im Falle ein
politischer Konflikt droht, gemäß seiner Statuten
zusammenzutreten und die notwendigen Maßnahmen zu treffen."
Prot.lnt. Stuttgart 1907, S. 87; allgemein zurHaltungGuesdes
vgl. auch R. Thomas, a.a.O., S. 239.
207) vgl. Lenin, Der Imperialismus als höchstes Stadium..
„a.a.O., in: LW 22, S. 307; vgl. entsprechende Hinweise auf
Louis in seinem Plan zur Imperialismusschrift, ders., Hefte zum
Imperialismus, in: LW 39, S. 225,240-242 (Exzerpt).
208) vgl. die außergewöhnlich positive Besprechung
Kautskys, ders., Finanzkapital und Krisen, in: NZ29,1,1910-1911,
S. 765: „Unter den neuen Schöpfungen der marxistischen
Literatur, ja unter den Schöpfungen dieser Literatur überhaupt
ist eine der bemerkenswertesten Erscheinungen das Buch, das
Hilferding über das Finanzkapital geschrieben hat. Man kann es
in gewissem Sinne eine Fortsetzung des Marxschen,Kapital'
nennen. Ȁhnlich auch ebenda, S. 883.
209) vgl. W. Gottschalch, a.a.O., S.
15.
210) So findet sich in Hilferdings
Aufsatz »Der Funktionswechsel des Schutzzolles«
kein Hinweis auf die entsprechenden Engelsschen
Schriften, und im Finanzkapital bezieht
Hilferding sich bei der Darstellung des Zusammenhangs von
Schutzzoll und Kartellpolitik lediglich
auf Engels' Anmerkung zum Kapital, wobei er dessen Hinweis auf
die neue, allgemeine » . . .
Schutzzollmanie, die sich von der alten Schutzzöllnerei
besonders dadurch unterscheidet, daß sie gerade die
exportfähigen Artikel am meisten schützt« (Engels,
Anmerkung zu Marx, Das Kapital, Bd. 1, a.a.O., S. 130,
Fußn. 16), kritisch ergänzt: »Die
Tatsache ist sehr richtig, aber ihre Erklärung findet sie nur,
wenn man den modernen
Schutzzoll im Zusammenhang mit den Kartellen betrachtet.«
Hilferding, Das Finanzkapital, a.a.O., S. 276, Fußn. 22; genau
dies hatte Engels aber in seinen Schriften über den
Schutzzoll getan, vgl. ders., Schutzzoll und Freihandel
(1888), a.a.O. sowie oben, Kap. 3. Die
neue Qualität von Schutzzoll...; vgl. auch den Hinweis von
H.-Chr. Schröder, Sozialismus ..., a.a.O., S. 96, Fußn. 378.
211) vgl. R. Hilferding, Der Funktionswechsel..., a.a.O.,
S. 276-277.
212) Ebenda, S. 277.
213) Engels sah
zwar die
Überfüllung der
Märkte und damit den Zwang
zum Außenhandel voraus, vermochte
diese Ergebnisse seiner Analyse aber noch nicht auf die gerade
neu ein setzende Kolonialexpansion zu
beziehen, vgl. oben, Kap. 3. Die neue Qualität von Schutzzoll
...
214) vgl. R. Hilferding. Der Funktionswechsel..., a.a.O.,
S. 278.
215) Ebenda.
216) vgl. ebenda, S. 279.
217) Ebenda, S. 280.
Ähnlich wie früher bereits Engels ist Hilferding davon
überzeugt, daß durch die direkte
kapitalistische Kontrolle der staatlichen Gewalt die
Klassenherrschaft für die Arbeiter
unmittelbar durchschaubar werde: »Die Aktion der
Kapitalistenklasse, wie sie sich in der
neuen Handelspolitik darstellt, weist auch das Proletariat mit
Notwendigkeit auf den Weg, der nur mit
der schließlichen Überwindung des Kapitalismus überhaupt
enden kann. Solange als der Grundsatz des laisser faire
herrschte, die Intervention des Staates
in die wirtschaftlichen Angelegenheiten und damit der Charakter
des Staates als einer Organisation der
Klassenherrschaft verhüllt war, gehörte ein verhältnismäßig
hoher Grad von Einsicht dazu, die
Notwendigkeit des politischen Kampfes und vor allem die
Notwendigkeit des politischen Endziels, die Eroberung der
Staatsgewalt, zu begreifen.«
218) vgl. ebenda.
229) Ebenda, S. 280-281.
220) Ebenda, S. 281.
221) Einen Hinweis in diese Richtung -
ohne es im einzelnen aber inhaltlich nachzu
weisen - gibt Irene Petit, Le Socialisme et la Question
Coloniale avant 1914. La Social-Democratie Allemandede 1884ä
1910, in: LeMouvement Social 1963,45,S. 108, Fußn. 31.
Aus der umfangreichen Literatur, die sich mit den theoretischen
Grundlagen des Hilfer-dingschen Werks kritisch auseinandersetzt,
seien hier nur die wichtigsten Titel
genannt: R. Schimkowsky, Zur Marx-Rezeption . . ., a.a.O., S.
173-211, W. Gottschalch, a.a.O., S.
94-148, Cora Stephan, Geld-und Staatstheorie in Hilferdings
»Finanzkapital«. Zum Verhältnis von
ökonomischer Theorie und politischer Strategie, in: H.G.
Backhaus u.a.(Hrsg.), Gesellschaft.
Beiträge zur Marxschen Theorie 2, Frankfurt/M. 1974, S. 111-154,
G. Van-dewalle, Situering van Hilferdings
Boek »Das Finanzkapital« in de geschiedenis van het economisch
denken van het begin dezer eeuw tot de
grote depressie, in: Tijdschrift voor Sociale Wetenschappen, 12,
1967, S. 275-316; unter der älteren Literatur sind neben der
grundlegenden Arbeit von H. Grossmann, Das Akkumulations-...,
a.a.O., vor allem zu nennen: Walter Guggenheimer, Der
Imperialismus im Lichte der marxistischen Theorie, München 1928,
S. 74-103, Ginda Gigus. Probleme des Produktions- und
Zirkulationsprozesses bei Rudolf Hilferding und Rosa Luxemburg
als Fortbildung des Marxschen Gedankenganges. Phil. Diss.
Gießen 1928. S. 28-67 und Hellmuth Craezer, Das Finanzkapital.
Eine Kritik des »Finanzkapitals« von Rudolf Hilferding,
Phil.Diss. Jena 1923.
222) Entsprechend analysiert Hilferding neue
Erscheinungsformen des Kapitals und unternimmt zugleich den
Versuch, spezifische Bewegungsgesetze des Finanzkapitals
theoretisch zu begründen und auf diese Erscheinungsformen zu
beziehen, vgl. R. Schimkowsky, Zur Marx-Rezeption ..., a.a.O.,
S. 178.
223) Entsprechend stellt er an den Anfang seiner
Untersuchung im ersten Abschnitt die Analyse von Geld und
Kredit, ohne aber den Zusammenhang zwischen derWertbestim-mung,
der gesellschaftlich notwendigen Arbeit als Substanz des Werts,
und dem Geld als der allgemeinen Ware, die Träger von Wert ist,
zugrundezulegen, vgl. die Kritik von Kautsky, Finanzkapital...,
a.a.O., S. 771-772 und entsprechende Bemerkungen Lenins, ders.,
Hefte zum Imperialismus, in: LW 39, S. 181, 331 sowie im
Anschluß hieran Fred Oelßner, Vorwort zur Neuausgabe des
»Finanzkapital«, Berlin 1947, S. XXI-XXVI, neu abgedruckt in:
Giulio Pietranera, R. Hilferding und die ökonomische Theorie der
Sozialdemokratie, Berlin 1974.
224) Marx, Das Kapital, Bd. 3, a.a.O., S. 457.
225) vgl. ebenda, S. 453.
226) Ebenda, S. 452.
227) R. Hilferding, Das Finanzkapital, a.a.O., S. 146.
228) vgl. ebenda.
229) vgl. ebenda, S. 166: »Der
Privatunternehmer muß aus dem Erträgnis seinen Lebensunterhalt
bestreiten; sinkt sein Profit unter eine gewisse Grenze, so
werden ihm die Betriebsmittel ausgehen, da er einen Teil seines
Kapitals zu seinem Unterhalt verbraucht.
Er macht Bankerott. Anders die Aktiengesellschaft. Sie hat das
Bestreben, das Aktienkapital zu verzinsen ... Der Zwang, mit
Reinertrag zu arbeiten, besteht für sie überhaupt
nicht.nämlichein unmittelbar zur Katastrophe führender
Zwang, der für den Einzelkapitalisten in der Verringerung seines
Kapitals existiert. Dieser Zwang wirkt vielleicht auf den
Aktionär und zwingt ihn, die Aktie zu verkaufen. Aber
dieser Verkauf läßt das fungierende
Kapital unbeührt.«
230) vgl. ebenda, S. 168.
231) vgl. ebenda, S. 162: »Die
Aktiengesellschaft appelliert unmittelbar an das vereinigte
Kapital der Kapitalistenklasse.«
232) vgl. ebenda, S. 164-165.
233) Ebenda.
234) Es handelt sich um den » ... Betrag... zwischen dem
Kapital, das die Durchchnitts-profitrate, und dem, das den
Durchschnittszins abwirft. Es ist diese Differenz, die als
.Gründergewinn' erscheint, eine Quelle des Gewinns, die nur der
Verwandlung des profittragenden in die Form des zinstragenden
Kapitals entspringt.« Ebenda, S. 142.
235)Nach Hilferding ist der »... Preis der Aktie
keineswegs bestimmt als Teil des Unternehmungskapitals; er ist
vielmehr der kapitalisierte Ertragsanteil. Als solcher bestimmt
nicht als aliquoter Teil des in der Unternehmung fixierten
Gesamtkapitals und also eine relativ fixe Größe, sondern nur der
zum herrschenden Zinsfuß kapitalisierte Ertrag. Daher ist der
Preis der Aktie abhängig nicht vom Wert (respektive Preis) des
wirklich fungierenden industriellen Kapitals, denn die Aktie
ist nicht Anweisung auf einen Teil des im Unternehmen
tatsächlich fungierenden Kapitals, sondern Anweisung auf einen
Teil des Ertrages und daher abhängig erstens von der Größe des
Profits (also einer viel variableren Größe, als es der Preis
der Produktionselemente des
industriellen Kapitals selbst
wäre) und zweitens von dem herrschenden Zinsfuß.« Ebenda, S.
140-141.
236) vgl. ebenda, S. 171.
237) Ebenda.
238) vgl. ebenda, S. 158.
239) vgl. ebenda, S. 154-159.
240) vgl. ebenda, S. 308.
241) Ebenda, S. 309 (Hervorh.
v.V.).
242 vgl. ausführlich ebenda, S. 266-274; im Anschluß an Marx
hält Hilferding allerdings an der
Abhängigkeit der Entwicklung solcher Zusammenschlüsse vom Stand
des industriellenZyklus noch fest »Die
EinschränkungderKonkurrenzistam leichtesten möglich,
wenn sie am wenigstens nötig ist, weil der Vertrag nur
den bestehenden Zustand sanktioniert, nämlich während der
Prosperität. Umgekehrt ist während der Depression, wo die
Einschränkung der Konkurrenz am nötigsten, der Abschluß
des Vertrages zugleich am schwierigsten.
Dieser Umstand erklärt, warum sich die Kartelle viel leichter
inder Prosperitätsepoche oder wenigstens nach Überwindung der
Depression bilden und in der Depression, namentlich wenn sie
nicht straff organisiert sind, so oft zusammenbrechen. Ebenso
ist klar, daß die monopolistischen Vereinigungen in
Zeiten guter Konjunktur den Markt viel
wirksamer beherrschen werden als in Depressionszeiten.« Ebenda,
S. 259-260.
243) vgl. ebena, S 257.
244) Ebenda.
245) vgl. ebenda, S. 307-308.
246) vgl. ebenda; empirische Belege
dieser Entwicklungstendenz in Deutschland liefert H. Craezer,
a.a.O., S. 142-144; er verweist aber zugleich auf die
Gegentendenzen, vgl. ebenda, S. 144; zum Bedeutungsverlust der
Banken im Verlauf der historischen Entwicklung des Kapitalismus
vgl. mit zahlreichen Hinweisen R. Schimkowsky, Zur
Marx-Rezeptiona.a.O., S. 208-209.
247) vgl. R. Hilferding, Das
Finanzkapital, a.a.O., S. 243; zur Kritik an dieser Verkehrung
des Verhältnisses von Produktion und Zirkulation vgl. R.
Schimkowsky, Zur Marx-Rezeption ..., a.a.O., S.
208: »Nicht mehr die gesellschaftliche Produktion der
Werte ist der Ausgangspunkt für die Bewegungdes Kapitals,
sondern seine Erscheinungsform, das Geld. Hilferding hat die
Bedeutung des Kreditwesens für den Reproduktionsprozeß des
Kapitals - wie sie im Kapital entwickelt wird - nicht begriffen.
Soweit das Kapital überhaupt Ausgangspunkt seiner Studie ist,
isoliert er einzelne Bestimmungen, setzt sie absolut, ohne ihren
Zusammenhang zu beachten. Weil er sich nur auf die Bedeutung der
Banken für die Industriekapitalisten bezieht und die umgekehrte
Beziehung nicht untersucht, kommt er zwangsläufig zu einer
Überbewertung der Zirkulationssphäre.«
248) vgl. R. Hilferding, Das
Finanzkapital, a.a.O.,S.321-322; zur Kritikseiner Auffassung
des Generalkartells vgl.
grundlegend H.Grossmann, der nachweist, daß Hilferding mit
dieser Gedankenkonstruktion den Boden der Marxschen Werttheorie
verlassen hat, ders., Das
Akkumulations-..., a.a.O., S. 607-619; Grundlage des
Hilferdingschen Fehlers ist ein
verkürztes Verständnis der Konkurrenz, die - lediglich in ihrer
Erscheinungsform aufgegriffen - über den Kartellierungs- und
Monopolisierungsprozeß für Hilferding durch das
Monopol abgelöst wird. Damit verliert die Konkurrenz ihre
von Marx dargelegte Be stimmung, den
gesamten Bewegungsprozeß des Kapitals zu vermitteln, vgl. R.
Schim kowsky, Zur Marx-Rezeption . . .,
a.a.O., S. 191; zum Verhältnis von Konkurrenz und
Monopol, vgl. ausführlich oben, Kap. 3, Die Ablösung der
Konkurrenz...
249) R. Hilferding, Das Finanzkapital,
a.a.O., S. 322-323.
250) vgl. R.
Schimkowsky, Zur Marx-Rezeption . . ., a.a.O., S. 191, siehe
auch oben, Fußn. 248.
251) Hilferding
selbst verweist bei seiner Rezeption der Reproduktionsschemata
auf die Arbeit von M. Tugan-Baranowsky, Studien . . ., a.a.O.,
vgl. R. Hilferding, Das Finanzkapital, a.a.O., S. 333, Fußn. 5.
Zur Auffassung der legalen Marxisten, zu denen vor allem Peter
Struwe, S. Bulgakow und Tugan-Baranowsky, zeitweiligauch
Leningehörten, vgl. die ausführliche Kritik Rosa Luxemburgs,
dies., Die Akkumulation . . ., a.a.O., S. 261-298;
zusammenfassend auch R. Rosdolsky, Zur Entstehungsgeschichte . .
., a.a.O., Bd. 2, S. 546-569, H.W. Kettenbach, a.a.O., S.
141-143,146-160.
252) vgl. zur
Kritik der Hilferdingschen Auslegung der Reproduktionsschemata
und seiner Krisentheorie R. Rosdolsky, Zur Entstehungsgeschichte
. . ., a.a.O., Bd. 2, S. 569-578, F. Oelßner, Vorwort . . .,
a.a.O., S. XXVIII-XXX, W. Gottschalch, a.a.O., S. 103-104, zuvor
bereits H. Grossmann, Das Akkumulations-.. „a.a.O., S. 502-503.
253) R. Hilferding, Das Finanzkapital,
a.a.O., S. 347.
254) vgl. W. Gottschalch, a.a.O., S. 103.
255) vgl. R. Hilferding, Das
Finanzkapital, a.a.O., S. 332.
256) Ebenda.
257) vgl. im einzelnen ebenda, S.
354-360.
258) Ebenda, S. 360.
259) vgl. hierzu auch seine Analyse
neuerer Momente der kapitalistischen Entwicklung, die auf einer
Milderung der Krisen hindeuteten, ebenda, S. 389-404. So sei die
Widerstandskraft der neuen kapitalistischen Großbetriebe
gegenüber den Krisen gewachsen (vgl. ebenda, S. 392),
insbesondere die der Aktiengesellschaften (S. 397-398), der
Entstehung von Bankkrisen sei durch größere nationale
Goldreserven vorgebeugt worden (S. 395), die Bankkonzentration
habe zu einer breiteren Kapitalstreuung und damit größeren
Verteilung des Risikos geführt, so daß Bankkrisen, die aus der
Festlegung der Bankmittel und Verlusten aus Kreditgewährungen
entstehen, gemildert würden (vgl. ebenda). Schließlich trage der
Rückgang der Spekulation und die Entwicklung der
Nachrichtensysteme ebenso zur Krisenmilderung bei (S. 396-397)
wie die Tatsache, daß»... mit der Bedeutung der Börse im
allgemeinen...noch rascher ihre Rolle als krisenverschärfende
Ursache« zurückgehe, ebenda, S. 389-399.
260) So kommt er schon im Finanzkapital
zu dem Schluß, daß zwar von den einzelnen Kartellen eine
Aufhebung der Krisen nicht zu erwarten sei, an sich aber»... ein
Generalkartell ökonomisch denk bar (wäre),
dasdieGesamtproduktionleiteteunddamitdieKrisen beseitigte, wenn
auch ein solcher Zustand sozial und politisch eine Unmöglichkeit
ist, da er an dem Interessengegensatz, den er auf die äußerste
Spitze treiben würde, zugrunde gehen müßte.« Ebenda, S. 402-403.
Zur Genese der 1915 erstmals von Hilferding explizit
entwickelten Konzeption des organisierten Kapitalismus vgl.
Heinrich-August Winkler (Hrsg.), Organisierter Kapitalismus.
Voraussetzungen und Anfänge, Göttingen 1974, R Schimkowsky,
Exkurs über Hilferding: Vom Generalkartell zur Konzeption des
organisierten Kapitalismus, in: R Ebbighausen (Hrsg.), a.a.O.,
S. 279-292 und neuerdings H. Lademacher, Gewalt der Legalität
oder Legalität der Gewalt. Zur Theorie und Politik der SPD von
Kiel (1927) bis Prag (1934), in: Wolfgang Huber/Johannes
Schwerdtfeger, Frieden, Gewalt, Sozialismus. Studien zur
Geschichte der sozialistischen Arbeiterbewegung, Stuttgart 1976,
S. 404-411.
261) vgl. R. Hilferding, Das
Finanzkapital, a.a.O., S. 406.
262) Hilferding entwickelt noch einmal
ausführlich seine Gedanken zur neuen Funktion
des Schutzzolls, die er bereits 1903 in seinem oben
behandelten Aufsatz (vgl. oben, Kap. 6.Rudolf Hilferding...)
dargelegt hatte, vgl. Rudolf Hilferding, Das Finanzkapital,
a.a.O.,S. 406-420.
263) vgl. ebenda, S. 406.
264) vgl. ebenda, S. 418^19.
265) vgl. ebenda, S. 419.
266) Ebenda; vgl. auch ebenda, S. 423:
Der Schutzzoll wird «... für die Kartelle zu einer
Angriffswaffe im Konkurrenzkampf, wodurch der Preiskampf
verschärft wird, während
gleichzeitig durch Anwendung staatlicher Machtmittel,
diplomatischer Interventionen, die
Stellung im Konkurrenzkampf zu verstärken gesucht wird.«
267 vgl. ebenda, S. 424.
268 Ebenda. »Die durch den Schutzzoll der fremden Länder
bedrohte Industriesphäre nützt jetzt
selbst diesen Schutzzoll aus, indetn sie einen Teil der
Produktion in das Ausland verlegt. Wird
damit auch die Ausdehnung des Stammbetriebes unmöglich und geht
die Steigerung der Profitrate durch
Verbilligung der Produktionskosten so weit verloren, so
wird das wieder wettgemacht durch die Erhöhung des
Profits, den die Preissteigerung der von
demselben Kapialbesitzer jetzt im Ausland erzeugten Produkte
diesem gewährt.« Ebenda, S. 424-425. Den
Zusammenhang von niedriger Durchschnittsprofitrate und
Kapitalexport entwickelt Hilferding nur ansatzweise:
»Bedingung des Kapitalexports ist
Verschiedenheit der Profitrate; der Kapitalexport ist das Mittel
zur Ausgleichung der nationalen
Profitraten. Die Höhedes Profits ist abhängig von der
organischen Zusammensetzung des Kapitals, also von der Höhe der
kapitalistischen Entwicklung. Je fortgeschrittener
diese, desto niedriger die allgemeine Profitrate.« Ebenda, S.
427, vgl. Artaki Hovikian, L'Imperialisme
economique d'apres les doctrines socialistes contemporaines,
Jur. Diss. Paris 1927, S. 72-75. Ahnlich wie im folgenden
vgl. auch die Argumentation von O.Bauer,
Die Nationalitätenfrage..., a.a.O., S. 493-499.
269) R. Hilferding, Das Finanzkapital,
a.a.O., S. 437.
270) vgl, ebenda. S. 436-437
271) vgl. exemplarisch Hilferdings
Analyse der europäischen Randstaaten, deren mar, gelnde
Durchkapitalisierung er auf die veränderte Form des
Kapitalexports zurückführt-»Vollends unmöglich wurdediese
Emanzipation, sobald der Charakter des Kapitalexports sich
änderte, die Kapitalistenklassen der großen Wirtschaftsgebiete
weniger Konsumtionsmittelindustrien in fremden Ländern zu
schaffen versuchten, sondern vielmehr darauf ausgingen, sich die
Herrschaft über das Rohmaterial ihrer sich immer stärker
entwickelnden Produktionsmittelindustrien zu sichern. So kamen
die Minen und Bergwerke der Staaten der Pyrenäenhalbinsel unter
die Gewalt fremden Kapitals, das jetzt nicht als Leihkapital
exportiert wurde, sondern direkt in diesen Minen angelegt wurde,
so - unter größerem Widerstand - auch die Erdschätze
Skandinaviens, besonders Schweden.Diesen Ländern wurde in einer
Zeit, wo sie vielleicht sonst zur Begründung der
hauptsächlichsten der modernen Industrien, einer eigenen
Eisenindustrie hätten übergehen können, das Rohmaterial entzogen
zugunsten der englischen, deutschen und französischen Industrie
So blieb ihre kapitalistische Entwicklung, damit aber auch ihre
politische und finanzielle in den Anfängen stecken. Ökonomisch
dem ausländischen Kapital tributär, wurden sie auch politisch zu
Staaten zweiter Ordnung, auf den Schutz der Großen angewiesen.«
Ebenda S. 449-450, vgl.auch ders. unter dem Pseudonym Karl Emil,
Der deutsche Imperialismus und die innere Politik, in: NZ
26,1,1907-1908, S. 155.
272) vgl. ders., Das Finanzkapital,
a.a.O., S. 446-448.
273) vgl. ebenda, S. 436.
274) Ebenda.
275) Hilferding bezieht dieses Argument
allerdings allgemein auf die Herstellung des
Weltmarktes, die Erschließung neuer Wirtschaftsgebiete
und die weltweite Entfaltung von
Kommunikations- und Transportsystemen, nicht auf die notwendige
Durchkapitalisierung der unterentwickelten Regionen, vgl.
ebenda, S. 438.
276) Um diese Politik durchführen zu
können, die eigenen Exportprämien zu steigern,
rücke die Erhöhung der Schutzzölle in das Interesse jeder
nationalen Kapitalistenklasse: »Die Höhe
des Schutzzolls wird entscheidendes Moment im internationalen
Konkurrenzkampf. Die Erhöhung in dem einen Lande muß sofort vom
anderen nachgemacht werden, um die
Konkurrenzbedingungen nicht zu verschlechtern, um auf dem
Weltmarkt nicht zu unterliegen.« Ebenda,
S. 439.
277) vgl. ebenda.
278) Ebenda, S. 440.
279) vgl. ebenda, S. 441.
280) Ebenda, S. 443.
281) vgl. ebenda, S. 456-457.
282) Ebenda, S. 457.
283) vgl. im einzelnen zur Genese der
imperialistischen Ideologie als ideologischer Basis des
Faschismus W. Gottschalch, a.a.O., S. 123-125, der auf
Hilferdings und Otto Bauers (vgl. O. Bauer, Die
Nationalitätenfrage . . ., a.a.O.) frühe Erkenntnis dieser
Ideologie des Bürgertums hinweist.
284 vgl. R. Hilferding, Das
Finanzkapital, a.a.O., S. 459: »An Stelle des für die
Besitzenden ausweglosen, gefährlichen Kampfesder Klassen ist
diegemeinsame Aktion der zum gleichen Ziel nationaler Größe
vereinten Nation getreten.«
285) vgl. ebenda, S. 458.
286) Ebenda.
287) Ebenda, S. 459; noch deutlicher
ders. (Karl Emil), Der deutsche Imperialismus...,
a.a.O., S. 158: »Der Imperialismus ist ja die Lebenslüge des
sterbenden Kapitalismus, die
letzte, zusammenfassende Ideologie, die er dem Sozialismus
entgegenzustellen hat. Allem
Anschein nach wird die Entscheidung zwischen Bourgeoisie und
Proletariat als Kampf
zwischen Imperialismus und Sozialismus ausgefochten werden.«
Ähnlich auch R. Hilfer-
ding, Der Revisionismus und die Internationale, in: NZ 27,
2,1908-1909, S. 169.
288) vgl. ders., Das Finanzkapital,
a.a.O., S. 500.
289) vgl. ders., Der Revisionismus . . .,
a.a.O., S. 169: »In der imperialistischen Politik werden alle
Gegensätze des kapitalistischen Staates auf die Spitze
getrieben, wird die latente Kriegsgefahr aktuell.« vgl. auch A.
Hovikian, a.a.O., S. 100-101.
290) vgl. R. Hilferding, Das
Finanzkapital, a.a.O., S. 453: »Je größer die
Machtunterschiede, desto wahrscheinlicher im allgemeinen der
Kampf. Aber jeder siegreiche Kampf würde zugleich eine Stärkung
des Siegers herbeiführen, die eine Machtverschiebung zu seinen
Gunsten und zuungunsten aller anderen herbeiführen würde. Daher
die internationale Besitzstandspolitik der neuesten Zeit, die
ganz an die Gleichgewichtspolitik der Frühstadien des
Kapitalismus erinnert. Dazu kommt die Furcht vor den
innenpolitischen Folgen eines Krieges, die durch die
sozialistische Bewegung erzeugt wird.«
291) Ebenda.
292) vgl. ebenda, S. 505-507.
293) vgl. ebenda, S. 501: »Jedoch sowenig
die Überzeugung, daß die Politik des Finanzkapitals zu
kriegerischen Entwicklungen und damit zur Auslösung
revolutionärer Stürme führen muß, das
Proletariat von seiner unerbittlichen Feindschaft gegen den
Militarismus und die Kriegspolitik
abbringen kann, ebensowenig kann es, weil schließlich die
Expansionspolitik des Kapitals die mächtigste Förderin seines
schließlichen Weges ist, diese Politik
unterstützen. Umgekehrt kann vielmehr der Sieg nur aus dem
beständigen Kampf gegen diese Politik
hervorgehen, weil nur dann das Proletariat der Erbe des
Zusammenbruches werden kann, zu dem diese Politik führen muß,
wobei es sich aber um einen politischen
und sozialen, nicht um einen ökonomischen Zusammenbruch handelt,
der überhaupt keine rationale Vorstellung ist.« (Hervorh. v. V.)
Die subjektiven Voraussetzungen für die
Ergreifung der politischen Macht resultieren für Hilferding aus
der mit der Verschärfung der Klassengegensätze einhergehenden
Transparenz der unmittelbaren Herrschaft des Finanzkapitals:
»Die offenkundige Besitznahme des Staates durch die
Kapitalistenklasse zwingt unmittelbar jedem Proletarier das
Streben nach Eroberung der politischen Macht auf, als dem
einzigen Mittel, seiner Exploitation ein
Ende zu setzen.« Ebenda, S. 505.
294) vgl. Engels, Ergänzung zu Marx, Das
Kapital, Bd. 3, a.a.O., S. 454.
295) vgl. W. Gottschalch, a.a.O., S. 101,
R. Schimkowsky, Zur Marx-Rezeption . . .,
a.a.O., S. 177,208.
296) vgl. ebenda, S. 179-193.
297) R. Hilferding, Das Finanzkapital,
a.a.O., S. 503, vgl. noch weitergehend ebenda,
S. 504: »Die Besitzergreifung von sechs Berliner
Großbanken würde ja heute schon die
Besitzergreifung der wichtigsten Sphären der Großindustrie
bedeuten.«
298) vgl. ausführlich Marx, Das Kapital,
Bd. 3, a.a.O., S. 451-457,505-520.
299) vgl. R. Schimkowsky, Zur
Marx-Rezeption..., a.a.O., S. 200-208.
300) vgl. ähnlich die zusammenfassende
Kritik Schimkowskys, ebenda, S. 210-211.
301) vgl. E. Bernstein, Das Finanzkapital
und die Handelspolitik, in: Sm 15, 2, 1911,
S. 947-955; ganz, im Sinne der Kautskyschen
Imperialismus-Interpretation schloß Bernstein: »Der zollfreie
Verkehr zwischen den Nationen ist noch nicht zur Utopie geworden
sondern noch immer, oder vielmehr mehr als je, Banner des
Fortschritts. Denn stärker als je
betätigt sich der Internationalismus der Arbeiterklasse in der
praktischen Politik, und wenn er innere
Einheit haben, sich nicht in unlösbare Widersprüche verstricken
soll, kann die Richtlinie der
Handelspolitik für ihn keine andere sein als die der
Niederreißung der nationalen Zollmauern.«
Ebenda, S. 955; vgl. D. Groh, Negative..., a.a.O., S.
222.
302) J. Karski, Besprechung von
R. Hilferding, Das Finanzkapital, in: LVZ vom 27.8.1910.
303) Marchlewski bezieht sich auf
Hilferdings These, wenn man die Krise auf Waren
überproduktion zurückführe,sei es möglich,daßdie Kartelle
wirklichdie Krisen verhindern könnten, da
sie die Fähigkeit besäßen, » . . . für den ganzen Industriezweig
Einschränkungen der Produktion vorzunehmen«, R. Hilferding, Das
Finanzkapital, a.a.O., S. 400. Für
Marchlewski ist das » ... indessen aus dem einfachen Grunde
falsch, weil die Kartelle gar nicht die
Macht haben, die Überproduktion zu verhindern, sondern im
Gegenteil zu dieser Überproduktion im
gleichen, ja unter Umständen noch höheren Maße beitragen, als
die nichtkartellierten Unternehmer. Und weil dem so ist,
verschärfen die Kartelle die
Krisengefahr.« J. Karski, Besprechung von R. Hilferding ...,
a.a.O.
304) vgl.eine
Zusammenfassung der
aufmehreren Stellen
in Lenins
Imperialismusschritt und seinen Heften
zum Imperialismus verstreuten Kritikpunkte an Hilferdings Werk
bei R. Schimkowsky, Zur Marx-Rezeption ..., a.a.O., S. 173-176;
an einem Punkt übt Lenin grundsätzliche Kritik an Hilferdings
Werk, wenn er dessen Interpretation der Werttheorie bemängelt:
»Bei Hilferding geht das Geld ohne Wert indie Zirkulation ein.«
Ders., Hefte zum Imperialismus, in: LW 39, S. 331.
305) Marchlewski verweist mit Hilferding
auf » . . . jene Konzentrationsvorgänge, die
einerseits in der, Aufhebung der freien Konkurrenz' durch
die Bildung von Kartellen und Trusts,
andererseits in einer ,immer innigeren Beziehung zwischen
Bankkapital und industriellem Kapital' erscheinen. Das Kapital
nimmt durch diese Beziehungen die Form
des Finanzkapitals an und die gegenseitige Phase der
wirtschaftlichen Entwicklung wird
charakterisiert durch die Herrschaft dieser Form«, J. Karski,
Besprechung von R. Hilferding . .., a.a.O.; vgl. auch Lenin,
Hefte zum Imperialismus, in: LW 39, S. 336 und ders., Der
Imperialismus als höchstes ..., a.a.O., in: LW 22, S. 209.
306) Marchlewski schreibt hierzu: »Ferner
ergeben sich aus der Technik der Kreditgeschäfte Tendenzen, die
auf die Konzentration des Bankkapitals hinwirken, und so geht
der Lauf der kapitalistischen Entwicklung unaufhaltsam dahin,
daß eine geringe Zahl von Banken das Kommando über die
Industrie gewinnt.« J. Karski, Besprechung von R. Hilferding
..., a.a.O.
307) vgl. z.B. Hilferdings Haltungzum politischen
Massenstreik in den Jahrenl904/05,im einzelnen hierzu W.
Gottschalch, a.a.O., S. 74-81.
308) vgl. Kautsky, Krisentheorien, a.a.O., S. 137-143 im
Anschluß an Parvus, Die Gewerkschaften . . ., a.a.O., S. 17-18
und ders., Die Handelskrisis . . ., a.a.O., S. 27, 30.
309) Daß er sich dieses Verständnis seit
seiner Bernstein-Kritik aus dem Jahre 1899 bewahrt hatte, zeigt
seine 1907 gegen die Vertreter einer »sozialistischen«
Kolonialpolitik verfaßte Schrift Sozialismus und
Kolonialpolitik, wo er schreibt: »Wie das System der Kartelle
und Trusts, wie der Militarismus, so kann auch der
Kapitalienexport und seine Konsequenz, das neue Kolonialsystem,
den Zusammenbruch der kapitalistischen Produktionsweise nicht
unmöglich machen, obwohl er ebenso wie die beiden erstgenannten
Erscheinungen ein mächtiges Mittel geworden ist, diesen
Zusammenbruch um einige Jahrzehnte hinauszuschieben.« Kautsky,
Sozialismus..., a.a.O., S. 44.
310) vgl. ders., Finanzkapital...,
a.a.O., S.768.
311) vgl. ebenda, S. 802: »Man sieht, der
Konsum der Kapitalisten muß schließlich sehr erheblich
steigen,soll das Gleichgewicht der Produktion gewahrt bleiben,
soll es nicht zu einer Überproduktion kommen. Er wächst in dem
Schema schließlich rascher als der der Lohnarbeiter. In
Wirklichkeit müßte bei den vorausgesetzten
Akkumulationsverhältnissen der kapitalistische Konsum in noch
höherem Grade zunehmen, als hier veranschaulicht ist. Denn im
Schema ist angenommen, daß der Wert der Arbeitskraft und ihre
Ausbeutung sowie die organische Zusammensetzung des Kapitals
keine Änderung erfährt. Mit dem Wachsen der Akkumulation geht
aber eine starke Zunahme des konstanten Kapitals auf Kosten des
variablen vor sich. Jenes wächst rascher als dieses.
Gleichzeitig nimmt die Produktivität der Arbeit zu, damit sinkt
der Wert der Arbeit und steigt ihre Ausbeutung. Aisoder Posten v
wird - unter den angegebenen Verhältnissender Akkumulation -
langsamer wachsen, als im Schema angegeben; um so mehr muß der
kapitalistische Konsum steigen, soll die Masse
der produzierten
Konsummittel immer aufgezehrt werden, keine Stockung
eintreten.« Da aber die Kapitalisten statt ihren Konsum beliebig
auszudehnen, gezwungen seien, zu akkumulieren und zwar auf dem
Sektor der Massenartikel und nicht der Luxusgüter, zumal der
Ausdehnung unproduktiver Bevölkerungsschichten durch die
Kapitalbewegung selbst Schranken gesetzt würden, bleibe der
Widerspruch kapitalistischer Reproduktion bestehen: »Die enorme
Zunahme der Produktion von Massengütern erweitert... nicht in
entsprechendem Maße die Ausdehnung ihres Konsumtionskreises.«
Ebenda, S. 804; vgl. auch ebenda, S. 846. Ähnlich zuvor bereits
ders., Krisentheorien, a.a.O.
312) vgl. ders., Krieg und Frieden.
Betrachtungen zur Maifeier, in: NZ 29,2,1910-1911, S. 99: »Die
Verheerungen, mit denen ein europäischer Krieg den ganzen
Erdteil bedroht, sind so unsagbar groß geworden, die Vorteile,
die er bringen kann, für die Volksmasse so bedeutungslos, daß
selbst die Bourgeoisie sich dem Eindruck dieses wachsenden
Mißverhältnisses nicht verschließen kann. Die Abneigung gegen
den Krieg nimmt nicht nur unter den Massen des Volkes, sondern
auch unter den herrschenden Klassen rasch zu. Es ist denn auch
seit vierzig Jahren immer gelungen, jeden Konfliktstoff zwischen
europäischen Mächten, und mochte er noch so drohend sein, ohne
gewaltsame Explosion ausder Welt zu schaffen. Im entscheidenden
Moment schreckt jeder vor der Verantwortung zurück, die
furchtbaren Schrecken des modernen Krieges zu entfesseln.« vgl.
auch ebenda, S. 100-102; ferner D. Groh, Negative ..., a.a.O.,
S. 222-223.
313) vgl. Kautsky, Krieg und Frieden ..
., a.a.O., S. 100: »Es wächst die Überzeugung, daß ein
europäischer Krieg naturnotwendig in einer sozialen Revolution
enden müsse. Das ist ein starker, ja vielleicht der stärkste
Beweggrund für die herrschenden Klassen, Frieden zu halten und
nach Abrüstung zu verlangen.«
314) ders., Finanzkapital..., a.a.O., S.
804.
315) vgl. ders., Handelspolitik und
Sozialdemokratie, Berlin 1901, S. 91; in seiner Schrift
Patriotismus, Krieg und Sozialdemokratie, in: NZ 23, 2,
1904-1905, S. 365 heißt es: »Der Krieg
wie die Revolution sind Katastrophen, die von Zeit zu Zeit mit
eherner Notwendigkeit die heutige Gesellschaft heimsuchen und
nur mit ihr verschwinden können ... Es ist
eine Torheit, wenn die bürgerlichen Friedensschwärmer die
kapitalistische Produktionsweise aufrechterhalten und den
Krieg, ihre notwendige Folge, aufheben wollen.« vgl. auch ders.,
Sozialismus . . ., a.a.O., S. 37-38 und letztmalig ders., Der
Weg zur Macht, Berlin 1909, wo er von »steter Vergrößerung der
Verheerungen des Krieges« spricht und schreibt: »So lange die
Weltpolitik dauert, muß der Wahnsinn des Wettrüstens bis zur
völligen Erschöpfung zunehmen: Der Imperialismus aber, das haben
wir gesehen, ist die einzige Hoffnung, die einzige Idee für die
Zukunft, die der bestehenden Gesellschaft noch winkt. Außer ihr
gibt es nur noch eine Alternative: den Sozialismus.« Zit. nach
der 316) vgl. ders., Ältere..., a.a.O.,
S. 803-804, vgl. auch oben, Kap. 4. Kolonialismus als
Resultat...; selbst in seiner politisch
verbalradikalsten Entwicklungsphase von der Jahrhundertwende
bis 1909 sah Kautsky lediglich im Zwang zur Erschließung neuer
Regionen und Märkte ein notwendiges Resultat kapitalistischer
Produktionsweise, nicht jedoch in den bestimmten Formen des
Imperialismus, die für ihn das Resultat bestimmter historischer
Konstellationen waren. Von grundsätzlich unterschiedlichen
Entwicklungsetappen im Kautskyschen Theorieverständnis zu
sprechen, erscheint übertrieben und reflektiert zu wenig den
instrumenteilen Charakter der Theorie für Kautskys politisches
Handeln, vgl. zu dieser zuletzt von Wölfgang Abendroth (Aufstieg
und Krise der deutschen Sozialdemokratie, Frankfurt 1964, S.
36-37), Ursula Ratz (Karl Kautsky..., a.a.O., S. 214-215) und
abgeschwächt von H.-J. Steinberg (Sozialismus..., a.a.O., S.
82-83) vertretenen Auflassung neuerdings kritisch D. Groh,
Negative..., a.a.O., S. 219-220, Fußn. 67 u. 68.
317) vgl. beispielsweise G. Ledebour,
Sozialdemokraie und Rüstungsbeschränkung, in: Vorwärts vom 6.4.
und 8.4.1911.
318)Kautsky, Krieg und Frieden . ..,
a.a.O., S. 105, ähnlich auch G. Ledebour, Sozialdemokratie...,
a.a.O., in: Vorwärts vom 8.4.1911; zur theoretischen
Übereinstimmung der Positionen von Kautsky und Ledebour vgl. U.
Ratz, Georg Ledebour 1850-1947. Weg und Wirken eines
sozialdemokratischen Politikers, Berlin 1969, S. 115-116. Zur
grundlegenden Kritik dieser Forderung vgl. R. Luxemburg,
Friedensutopien (6.5. und 8.5.1911), in: dies., GW 2, S.
491-504. Die ursprüngliche Idee dieser Forderung eines
freihändlerischen Zusammenschlusses der wichtigsten Staaten
Europas, um gegenüber der amerikanischen Konkurrenz zu bestehen,
stammt von Parvus, vgl. ders.. Die Kolonialpolitik ..., a.a.O.,
S. 21-24. Er beabsichtigte, sie in Verbindung mit der Forderung
nach einer liberalen Handels- und Sozialpolitik der Kolonial-
und Schutzzollpolitik der europäischen Festlandsstaaten
entgegenzusetzen, vgl. ebenda, S. 24.
319) vgl. Kautsky, Was nun?, in: NZ
28,2,1909-1910, S. 33-40,68-80.
320) vgl. ausführlich hierzu U. Ratz,
Karl Kautsky..., a.a.O., S. 197-227, Walter Wittwer,
Streit um Schicksalsfragen. Die deutsche Sozialdemokratie zu
Krieg und Vaterlandsvertei-
digung 1907-1914, Berlin 19672, S. 76-89, Karl-Ernst Moring, Die
sozialdemokratische
Partei in Bremen 1890-1914, Hannover 1968, S. 142-147, ferner
Friedhelm Boll, Die
deutsche Sozialdemokratie zwischen Resignation und Revolution.
Zur Friedensstrategie
1890-1919, in: W. Huber/J. Schwerdtfeger(Hrsg.), a.a.O., S.
209-211.
321) vgl. Kautsky, Finanzkapital...,
a.a.O., S. 838-846 (842).
322) Ders., Nochmals die Abrüstung, in:
NZ 30,2,1911-1912, S. 850-851.
323) vgl. ders., Nationalstaat,
imperialistischer Staat und Staatenbund, Nürnberg 1915, S. 73;
vgl. K. Mandelbaum, Sozialdemokratie ..., a.a.O., S. 26, der auf
die parallele Argumentation bei Schumpeter hinweist, vgl.
insbesondere J. Schumpeter, Zur Soziologie der Imperialismen,
Tübingen 1919, S. 58, zu Kautskys Beurteilung des Verhältnisses
von Imperialismus, Krieg und Frieden vgl. allgemein W. Wette,
a.a.O. S. 145-170.
324) vgl. Kautsky, Der erste Mai und der
Kampf gegen den Militarismus, in: NZ 30, 2, 1911-1912, S. 107:
»Wird aber diese Methode unterbunden, so bedeutet das nicht den
Zusammenbruch des Kapitalismus, sondern nur die Notwendigkeit,
andere Methoden seiner Expansion in Anwendung zu bringen. Das
Wettrüsten beruht auf ökonomischen Ursachen, aber nicht auf
einer ökonomischen Notwendigkeit. Seine Einstellung ist nicht im
geringsten eine ökonomische Unmöglichkeit.«
325) vgl. ders., Ökonomie und
Wehrhaftigkeit, in: NZ 30,2,1911-1912, S. 344.
326) Ders., Der erste Mai..., a.a.O.,S.
107-108; später im Weltkrieg bezeichnete Kautsky
diese Entwicklungsphase der Übertragung der Kartellpolitik auf
die Außenpolitik als
Phase des Ultraimperialismus, vgl. ders., Der Imperialismus, in:
NZ 32,2,1913-1914, S. 921
sowie ders.. Zwei Schriften zum Umlernen, in: NZ 33, 2, 1915, S.
144-145.
327) vgl. U. Ratz, Karl Kautsky ...,
a.a.O., S. 212.
328) Radek erklärtere deutsche Forderung
nach einer Verständigung über den Umfang
der Rüstungen sei zwecklos, solange es an einer internationalen
Exekutivgewalt fehle, die den Abmachungen unter allen Umtänden
Geltung verschaffen könne, vgl. Prot.Int. Kopenhagen 1910, S.
99.
329) vgl. Karl Radek, Kritisches über
Kopenhagen, in: LVZ vom 15.9. und 16.9.1910.
Radeks Autorenschaft ist durch einen Brief Lenins an
Radek vom 30.9.1910 belegt, in: LW 36, S.
146, vgl. U. Ratz, Karl Kautsky ..., a.a.O., S. 199, Fußn. 2. Zu
Recht empfahl Lenin, den Schwerpunkt der
Kritik darauf zu richten,daßdie Forderung nach Volkswehr
zugunsten der Abrüstungsforderung aufgegeben worden war,
vgl. Lenin an Radek, Brief v. 30.9.1910,
in: LW 36, S. 147.
330) vgl. Anton Pannekoek,
Abrüstungsfragen, in: BBZ vom 8.4.1911: »Der wütende
Kampf um den Profit zwingt die Kapitalisten... zum
Aufsuchen neuer Märkte und neuer
Anlagesphären des Kapitals, er treibt zum Imperialismus, zur
Kolonialpolitik und bringt damit die
Kapitalistenklassen verschiedener Länder in heftigen Kampf
miteinander. Jeder versucht bei der
Teilung der kleinen Erdoberfläche Stücke zu erwerben, wo er den
Konkurrenten ausschließen kann und sich in fremden Weltteilen
Einfluß zu verschaffen.Aber dazu gehört
Macht. Das empfindet die Bougeoisie jedes Landes instinktiv, daß
nur Macht, bewaffnete Macht Geltung
verschafft, und daher rüstet jede, um den anderen gewachsen
oder uberlegen zu sein.« vgl. zuvor bereits o. N.,
Praktische Politik? in: LVZ vom 31.3.1911
(mit diesem Artikel, der Ursula Ratz zufolge von Paul Lensch
stammt, eröffneten die Linksradikalen die neue Diskussion um die
Abrüstungskonzeption des Parteizentrums, vgl.
U. Ratz, Karl Kautsky..., a.a.O., S. 199); vgl. auch K
Radek, Die Sozialdemokratie und die
Kriegsrüstungen (II), in: BBZ vom
6.4.1911.
331) vgl. K. Radek, Zu unserem
Kampfegegen denImperialismus,in:NZ30,2,1911-1912,
S. 195, nachgedruckt in: ders., In den Reihen der
deutschen Revolution 1909-1919, München
1921, S. 157 (i.f. hiernach zit.).
332) vgl. ebenda.
333) vgl. ders., Sozialdemokratie und
Rüstungsbeschränkung (II), in: BBZ vom 15.4.1911
und A. Pannekoek, Abrüstungsfragen, in: BBZ vom 8.4.1911,
ähnlich auch Clara Zetkin, Rüsten wir!
(24.4.1911), in: dies., Ausgewählte Reden und Schriften, Bd. 1,
Berlin 1957, S. 521-528. Wie die Bremer
Linksradikalen trat sie für Massenaktionen gegen die
Kriegsgefahr ein (vgl. dies., Das Ergebnis des Jenaer
Parteitags, ebenda, S. 529-536), ohne allerdings
die Abrüstungsforderung zu kritisieren. Zur Imperialismusanalyse
von Lensch und Pannekoek vgl. A.
Ascher,»Radical«Imperialists within
German Social Democracy,
1912-1918, in: Political Science Quarterly 76,1961, S. 555-575
(557-562).
334) Paul Lensch, Eine Improvisation, in: NZ
30,2,1911-1912, S. 365.
335) vgl. K. Radek, Zu unserem Kampfe...,
a.a.O., S. 161.
336) vgl. P. Lensch, Die neuen
Wehrvorlagen in: NZ 30, 2,1911-1912, S. 72-74; als Begründung
diente Lensch die Hilferdingsche These von dem Bedürfnis des
Finanzkapitals nach einem starken,
waffenbewehrten Staat, der die nationalen kapitalistischen
Interessen nach außen, wenn nötig auch
mit Gewalt durchzusetzen habe, vgl. ebenda, S. 72-73,
ähnlich auch K. Radek, Sozialdemokratie und
Rüstungsbeschränkung (II), in: BBZ vom
15.4.1911.
337) vgl. ders., Zu unserem Kampfe ...,
a.a.O., S. 160.
338) vgl. ebenda, S. 161-162.
339) Ebenda, S. 173.
340)Ebenda; dieses Zitat zeigt bereits, daß Wittwers
These, durch die sektiererische Stellung der Alternative von
Imperialismus und Sozialismus hätten die Linksradikalen sich » .
. . die Möglichkeit über demokratische und antimilitaristische
Forderungen die vom Imperialismus politisch und sozial
unterdrückt sind und ausgebeuteten Schichten unter dem Banner
der revolutionären Arbeiterbewegung zu sammeln«, verbaut (W.
Wittwer, a.a.O., S. 79), ungenau istLenschs Vorstellungen, den
Wahlkampf 1912 frei von parlamentarischen Nebenrücksichten zu
führen, gewann erst dadurch eine falsche Richtung, daß man die
bürgerlichen Parteien von den Konservativen bis zum Freisinn
samt und sonders als reaktionäre Masse bezeichnete, nicht aber
durch die Propagierung der Massenaktionen und Relativierung des
parlamentarischen Kampfes, den die Linksradikalen sowieso nie
prinzipiell infrage stellten, vgl. die partielle Richtigstellung
gegenüber Wittwer bei K.-E. Moring, a.a.O., S. 143.
341)vgl. A. Pannekoek, Zum
WesenunsererGegenwartsforderungen, in: NZ30,2,1911-1912, S.
816-817. Dies hätte allerdings - wie von Karski und Liebknecht
praktiziert - die illusionslose Einbeziehung der
Abrüstungsforderung in das Konzept der Linken erforderlich
gemacht, vgl. J. Jemnitz, Stellungnahme ..., a.a.O., S. 16.
342) vgl. BBZ vom 2.7.1910, zit. bei
K.-E. Moring, a.a.O., S. 125.
343 vgl. K. Radek, Sozialdemokratie und Rüstungsbeschränkung
(IV), in: BBZ vom 19.4.1911: »Die zur
Erhöhung des Drucks geleistete prinzipielle Propaganda und
Agitation, die den Massen den Charakter
des Imperialismus klar macht, sammelt im Proletariat
Kräfte zur revolutionären Aktion für die Zeit, wo die
Zusammenstöße der imperialisti schen
Mächte sie nötig und möglich machen. Sie flößt dem Proletariat
das Bewußtsein ein, daß es nur sich
selber vertrauen kann, wenn es sich um den Kampf gegen die
Rüstungen und die Kriegsgefahr handelt.«
344) A. Pannekoek, in: BBZ vom 2.7.1910,
zit. bei K.-E. Moring, a.a.O.
345) vgl. ähnlich D. Groh, Negative...,
a.a.O., S. 217.
346) vgl. ausführlich hierzu P. Nettl,
a.a.O., S. 425-433.
347) vgl. D. Groh, Negative . . ., a.a.O., S.234-236, G.
Haupt, Der Kongreß..., a.a.O., S. 39-45. Erst nach Verschärfung
der Kriegsgefahr fand am 23.und 24.9.1911 eine I.S.B.Konferenz
statt, deren Beschluß das I.S.B, verpflichtete,» ... im
Einvernehmen mit den verschiedenen sozialistischen Parteien
internationale Kundgebungen gegen den Krieg zu veranstalten, um
in umfassender Weise die Bewegung gegen den Krieg mit allen
Mitteln zu entfachen«, Bulletin Periodique du Bureau Socialiste
International 3, 1912, S. 128.
348) Hilferding vertrat die Ansicht, daß man in einer
solchen historischen Entwicklungsphase drohender Katastrophen
mit einer bloßen Entfesselung der Massen nicht weit komme, vgl.
R. Hilferding, Der Parteitag und die auswärtige Politik, in: NZ
29,2,1910-1911, S. 799, vgl. D. Groh, Negative..., a.a.O., S.
250,253.
349) Zum Teil durch persönliche Diskreditierung, wie im
Falle Rosa Luxemburgs, wobei sie allerdings zu dieser Isolierung
durch ungeschickte politische Angriffe selbst beigetragen
hatte, vgl. ebenda, S. 243-244.
350)vgl. zur Entstehung der Imperialismustheorie von Rosa
Luxemburg P. Nettl, a.a.O., S. 499-508.
351)In der Abrüstungskontroverse 1911/12
waren Liebknecht und auch Karski für Abrüstung und
Massenaktionen gegen den Imperialismus eingetreten, vgl. J.
Karski, Praktische Politik, in: LVZ vom 3.4.1911 und ders.,
Ernste Fragen und nichtige Eitelkeiten, in: BBZ vom 10.4.1911
sowie K. Liebknecht, Der Sozialismus ist der Friede (4.9.1911),
in: GW 4, S. 455 und ders., Redeaufdem Jenaer Parteitag 1911,
Prot.Pt. Jena 1911, S. 350,abge-druckt in: GW 4, S. 463; vgl.
hierzu auch D. Groh, Negative . . ., a.a.O., S. 218-219.
352) vgl. E. Bernstein, Parteischule und
Wissenschaft, in: SM 12, 2, 1908, S. 1263-1270. Bernstein
vertrat die Ansicht, parallel zur Kapitalkonzentration vollziehe
sich über die Aktiengesellschaften eine »Demokratisierung des
Kapitals«, eine Dezentralisierung mit der Tendenz, durch die
Möglichkeit des allgemeinen Aktienerwerbs zu einer
gleichmäßigen Verteilung des kapitalistischen Reichtums zu
gelangen.
353) J. Karski, Aktiengesellschaft und
Konzentrationen: LVZ vom 5.9.1908, vgl. auch ähnlich ders.,
Kapitalkonzentration, Kapitalmagnaten und Aktiengesellschaften,
in: LVZ vom 23.10.1908.
354) vgl. erstmals ders., Das
Wirtschaftsjahr 1904, in: LVZ vom 10.1.1905: »Besonders
zufrieden aber dürfte die Hochfnanz sein: die Großbanken haben
nicht nur gute Geschäfte gemacht, sie haben ihren Machtbereich
erweitert. Die Konzentration im Bankgewerbe hat geradezu
unheimliche Fortschritte gemacht, wie an dieser Stelle im
einzelnen nachgewiesen wurde. Und was noch wichtiger ist - der
Einfluß der Großbanken auf die Industrie hat besonders stark
zugenommen. Es ist dies eine Erscheinung, die Hand in Hand mit
der Konzentration im Produktionsprozesse geht und gerade dadurch
von besonderer Bedeutung ist. In dem Maße, wie sich in der
Industrie die Entwicklung zu gewaltigen, trustähnlichen
Gebilden vollzieht, wird die Allianz zwischen der Industrie und
der Bankokratie immer inniger; die Beherrschung des
wirtschaftlichen Lebensdurch übermächtige Cliquen wird immer
deutlicher.« Ähnlich auch ders., Eine Millionengründung, in: LVZ
vom 8.4.1905, ders., Industrie und Bankokratie, in: LVZ vom
29.7.1905 und ders., Bankokratie, in: LVZ vom 4.11.1905. Anfang
1908 konstatierte Karski » ... rasch fortschreitende
Konzentration des Kommandos über diese Industrie bei einer
winzigen Gruppe von Großbanken«, in: LVZ vom 29.2.1908, zit.
bei Horst Schumacher, Sie nannten ihn Karski. Das revolutionäre
Wirken Julian Marchlewskis in der deutschen Arbeiterbewegung
1896-1919, Berlin 1964, S. 45.
355) Ebenda.
356) vgl. J. Karski, Imperialismus oder
Sozialismus? = Sozialdemokratische Flugschriften 12, Berlin
1912, i.f. zit. nach der Neuauflage Berlin 1960.
357) vgl. Horst Schumacher/Feliks Tych,
Julian Marchlewski - Karski. Eine Biographie.
358) Vgl J.
Karski, Imperialismus.. „a.a.O., S. 17, vgl. auch ebenda, S. 21.
359)vgl. ebenda, S.
20-21.
360) Ebenda, S. 47-48.
361) vgl. ebenda, S.
24.
362 Ebenda, S. 25.
363 Ebenda.
364) vgl. ders., Besprechung von R.
Hilferding, Das Finanzkapital, a.a.O., in: LVZ vom
27.8.1910.
365) vgl. ders., Kapitalexport, in: LVZ vom 18.2.191.1.
366) vgl. ders., Imperialismus ...,
a.a.O., S. 25,41.
367) vgl. ebenda, S. 26.
368) Allerdings vermag erden
Gesamtzusammenhang von Akkumulationsbewegung,
Konsumtionsbeschränkung der Arbeitermassen und tendenziellem
Fall der Profitrate nicht zu entwickeln. Entsprechend beruft er
sich bei seiner Entwicklung des Kapitalexports auf Hilferding,
obwohl er explizit über dessen Feststellung hinausgeht, vgl.
ders., Kapitalexport, in: LVZ vom 18.2.1911: »Hilferding sagt
in seinem ausgezeichneten Buche über das .Finanzkapital':
.Bedingung des Kapitalexports ist Verschiedenheit der
Profitrate: der Kapitalexport ist das Mittel zur Ausgleichung
der nationalen Profitrate. Die Höhe des Profits ist abhängig von
der organischen Zusammensetzung des Kapitals, also von der Höhe
der kapitalistischen Entwickl ung. Je fortgeschrittener diese,
desto niedriger die allgemeine Profitrate.' Aus diesem Grunde
weisen die kapitalistisch hochentwickelten Länder allesamt
Kapitalexport auf: das Kapital jagt dem höheren Profit nach.
Daran wird kein Gesetz etwas ändern.« Ähnlich auch ders.,
Kapitalexport, in: LVZ vom 11.1.1913.
369) vgl. ders., Imperialismus...,
a.a.O., S. 26-27, ähnlich auch ebenda, S. 41, wo Karski die
Auswirkungen der Schutzzollpolitik nach innen und außen
zusammenfaßt: »Bedeutet diese für die Arbeiter eine weitere
Verschärfung der Teuerung, so für die Unternehmer leichtere,
schnellere und festere Kartellierung und damit die Ausbeutung
der inländichen Konsumentenmasse durch ihre Monopolpreise. Je
höher der Schutzzoll und je größer das durch ihn geschützte
Gebiet, desto größer die Monopolprofite, deso heftiger aber auch
der Gegensatz, in den die Kapitalistenklassen der verschiedenen
Staaten zueinander geraten, desto heißer ihr Streben, durch
gewaltsame Expansion ihr Schutzzollgebiet zu erweitern und
anderen Kapitalisten die Konkurrenz auf dem Weltmarkt zu
erschweren.«
370) vgl. ebenda, S. 27: »Es entsteht das
Ideal der Kapitalisten, ihr Reich auf Kosten aller anderen zu
einem Weltreich, zu einem Imperium zu machen, daß so umfassend
ist, daß alle wirtschaftlichen Bedürfnisse des Kapitals in
seinen Grenzen befriedigt werden können. Und da die Kapitalisten
in ihrer immer straffer werdenden ökonomischen und politischen
Organisation die Staatsmacht immer unbedingter beherrschen, da
Bürokratie und Militär bei einer solchen Politik ihre Interessen
gewahrt sehen und ihre Macht vermehren, wird die
imperialistische Politik immer mehr zu der alle kapitalistischen
Staaten beherrschenden.«
371) vgl. ebenda.
372) Ebenda, S. 30-31.
373) vgl. ebenda, S. 45.
374) vgl. ders., Praktische Politik, in:
LVZ vom 3.4.1911. Bei seiner Beurteilung des
Militarismus ging Karski davon aus,«... daßeben der
Militarismus auf parlamentarischem Wege
nicht zu überwinden ist, weil im Parlament seine Nutznießer die
Entscheidung haben und stets haben
werden.« Ders., Die Wut gegen die Steuern, in: LVZ vom
26.6.1913, zuvor bereits ders., Der
Rüstungswahnsinn, in: LVZ vom 29.1.1909, wo er feststellte, daß
der » ... Militarismus und Marinismus der herrschenden
Klasse einer der Grundübel ist, an denen
der kapitalistische Staat krankt, und daß eine Rettung nur
möglich ist, wenn dieser Staat zugrunde
geht.«
375) Ders., Mittelstand und
Sozialdemokratie, Leipzig 1911, S. 38.
376) vgl. H. Schumacher/F. Tych, a.a.O.,
S. 203.
377) J. Karski, Krieg, Zusammenbruch und
Revolution, Leipzig 1911, S. 28-29, zit. bei H. Schumacher/F.
Tych, a.a.O., S. 199-200, ähnlich auch J. Karski, Ein
Sozialist als Projektenmacher, in: LVZ vom 29.10.1913.
378) vgl. D. Groh, Negative . . .,
a.a.O., S. 303; exemplarisch J. Karski, Die Wut gegen die
Steuern, in: LVZ vom 26.6.1913: »Solange nicht die Volksmassen
direkt ihren Willen zur Geltung bringen, wird das System des
staatlich organisierten Massenmordes mit all seinem Fluch und
Elend auf den Völkern lasten.«
379) vgl. Julian Marchlewski kontra Kautsky. Zwei
unveröffentlichte Briefe aus dem Jahre 1912, in.BzG 6, 1964, S.
1066-1070.
380) z.B. für die Veröffentlichung seiner
Broschüre »Imperialismus oder Sozialismus?«.
381) J. Karski. Das Wettrüsten, in: LVZ
vom 27.3.1912, vgl. auchders., Imperialismus..., a.a.O., S. 48,
wo er konstatiert, » . .. daß nur die Eroberung der politischen
Macht durch das Proletariat diese Phase des Kapitalismus beenden
kann.«
382) vgl. z.B. seine Analyse der
wirtschaftichen Lage ein halbes Jahr vor Kriegsausbruch
inderzusammenmit Rosa Luxemburgund Franz Mehring herausgegebenen
»Sozialdemokratischen Korrespondenz«, ders., Wirtschaftliche
Rundschau, in: Sozialdemokratische Korrespondenz 1, vom
27.12.1913, S. 11: »Politik und Wirtschaft werden in der Weise
verquickt, daß die Regierungen nicht mehr allgemein im Dienste
der Kapitalistenklasse überhaupt stehen, sondern sich in den
Dienst bestimmter kapitalistischer Cliquen stellen.« vgl.
entsprechend hierzu Lenin, Der Imperialismus als höchstes
Stadium . . ., a.a.O., in: LW 22, S. 250-258.
383) vgl. ebenda, S. 200-214.
384) vgl. z.B. die gemeinsame Auffassung
von Karski und Lenin über den krisenverschärfenden Charakter
der Kartelle. So schreibt Lenin: »Die Ausschaltung der Krisen
durch die Kartelle ist ein Märchen bürgerlicherOkonomen, die den
Kapitalismus um jeden Preis beschönigen wollen. Im Gegenteil,
das Monopol, das in einigen Industriezweigen entsteht, verstärkt
und verschärft den chaotischen Charakter, der der ganzen
kapitalistischen Produktion in ihrer Gesamtheit eigen ist.«
Ebenda, S. 212, vgl. entsprechend Karski. Besprechung von R.
Hilferding, Das Finanzkapital, a.a.O., in: LVZ vom 27.8.1910;
zum Verhältnis von Karskis und Lenins Imperialismusverständnis
vgl. grundlegend H. Schumacher, a.a.O., S. 41-58.
385) J. Karski, Eine marxistische
Untersuchung über den Imperialismus, in: Münchener Post vom 30.
u. 31.1.1913 und F. Mehring, Ein neues Werk des Marxismus, in:
LVZ vom 16./17. u. 18.1.1913; am 21.2.1913 erklärten beide, daß
Rosa Luxemburgs Buch zu dem besten zählte, » . . . was die
wissenschaftliche Parteiliteratur seit dem Tode von Engels
hervorgebracht hat«, in: LVZ vom 21.2.1913.
386) vgl. ähnlich H. Schumacher, a.a.O.,
S. 36-37.
387) Konsequenterweise versuchte Karski
bei seiner Besprechung von Rosa Luxemburgs Werk, die
Notwendigkeit nichtkapitalistischer Räume aus den Widersprüchen
der Kapitalakkumulation abzuleiten, vgl. ders., Eine
marxistische Untersuchung..., a.a.O., in: Münchener Post vom
30.1.1913, vgl. auch unten, Fußn. 417.
388) R. Luxemburg, Vorwort zur
Akkumulation ..., a.a.O. Sie begeht diesen Weg über die
kritische Auseinandersetzung mit den Klassikern der politischen
Ökonomie, wie Quesnay, Smith und Ricardo, forscht in den
Auseinandersetzungen zwischen Sismondi und Malthus, Say, Ricardo
und Mac Culloch, Rodbertus und Kirchmann nach Lösungen über die
Gesetze der kapitalistischen Reproduktion und beschäftigte sich
mit dem Streit zwischen Volkstümlern und legalen Marxisten um
den Nachweis der Möglichkeit kapitalistischer Entwicklung in
Rußland anhand der Reproduktionsschemata, um schließlich zu
einer grundlegenden Kritik und Korrektur der Marxschen Schemata
der Reproduktion zu gelangen; eine Zusammenfassung ihrer
Argumentation geben u.a. Tom Kemp, Theories of Imperialism,
London 1967, S. 45-62, Paul M. Sweezy, Theorie . . ., a.a.O., S.
159-164, Tony Cliff, a.a.O., S. 71-87, G. Gigus, a.a.O., S.
20-28, R. Rosdolsky, Zur Entstehungsgeschichte . .., a.a.O.,
Bd. 2, S. 578-586 sowie ausführlich Zakaria A. Nasr, Rosa
Luxemburg et la theorie de la realisation, in: L'Egypte
Contemporaine 56, 1965, S. 57-96, Lucien Laurat, L'Accumulation
du capital d'apres Rosa Luxemburg, Paris 1930, S. 75-140 und
Fanny Dulberg, Der Imperialismus im Lichte seiner Theorien, Rer.
Pol. Diss. Basel 1936, S. 76-90.
489) Otto Bauer, Marx' Theorie der
Wirtschaftskrisen, in: NZ 23, 1, 1904-1905, S. 133-138,164-170.
390) vgl. R. Rosdolsky, Zur
Entstehungsgeschichte ..., a.a.O., Bd. 2, S. 578. Sie knüpfte
damit direkt an die bereits um die Jahrhundertwende entwickelten
eigenen Zusammenbruchsvorstellungen an, vgl. hierzu ausführlich
oben, Kap. 5. Rosa Luxemburg...
391) R. Luxemburg, Einführung in die
Nationalökonomie, Berlin 1925, S. 285-286.
392) Damit läßt sie sich auf die Analyse
immanenter Widersprüche des Akkumulationsprozesses gar nicht
mehr ein, vgl. H. Grossmann, Das Akkumulations-..., a.a.O., S.
282-283, im Anschluß hieran Eanny Dulberg, a.a.O., S. 91-92.
393) R Luxemburg, Die
Akkumulation..., a.a. O, S. 54: »In jeder produzierenden
Gesellschaft, welche ihre soziale Form auch sei..., muß die
verfügbare Arbeitsmenge der Gesellschaft so verteilt werden,
daß sowohl Produktionsmittel in genügender Menge wie
Lebensmittel hergestellt werden... Insofern ist das Marxsche
System in seiner allgemeinen Proportion die allgemeine
absolute Grundlage der gesellschaftlichen Reproduktion, nur daß
hier die gesellschaftlich notwendige Arbeit als Wert erscheint,
die Produktionsmittel als konstantes Kapital, die zur Erhaltung
der Arbeitenden notwendige Arbeit als variables Kapital und die
zur Erhaltung der Nichtarbeitenden notwendige als Mehrwert.«
394) Ebenda, S. 320-321, vgl. auch
ebenda, S. 136-137: »Unterder Annahmedereinfachen Reproduktion
ist die Sache einfach genug: da der ganze Mehrwert von den
Kapitalisten verzehrt wird, so sind sie eben selbst die
Abnehmer, die Nachfrage für den gesellschaftlichen Mehrwert in
seinem ganzen Umfang, müssen also auch das zur Zirkulation
nötige Kleingeld in der Tasche haben. Aber gerade ausderselben
Tatsache ergibt sich mit Evidenz, daß unterder Bedingung der
Akkumulation,d.h. der Kapitalisierungeines TeilesdesMehr-werts,
die Kapitalistenklasse selbst unmöglich ihren ganzen Mehrwert
abkaufen, realisieren kann. Es stimmt schon, daß genug Geld
beschafft werden muß, um den kapitalisierten Mehrwert zu
realisieren - wenn er überhaupt realisiert werden soll. Aber
dieses Geld kann unmöglich aus der Tasche der Kapitalisten
selbst kommen. Sie sind vielmehr gerade durch Annahme der
Akkumulation Nichtabnehmer ihres Mehrwertes, auch wenn sie
-abstrakt genommen - hierfür Geld genug in der Tasche hätten.
Wer aber kann sonst die Nachfrage nach den Waren darstellen, in
denen der kapitalisierte Mehrwert steckt?«
395) Dabei hatte sie mit dem Herausfinden
der Disproportionalität zwischen den beiden Abteilungen der
Produktion einen Ansatzpunkt benannt, der gerade auf der
Betrachtungsebene der Reproduktion des gesellschaftlichen
Gesamtkapitals die Widersprüchlichkeit kapitalistischer
Produktionsweise ausdrückt, vgl. ebenda, S. 309-311.
396) Marx geht es in den
Reproduktionsschemata um die Darstellung der Bedingungen, unter
denen sich Kapitalreproduktion als einheitliche Bewegung von
Wert- und Stoffersatz überhaupt vollziehen kann, wobei er die
einfache Reproduktion als Fundamentalform und damit immer schon
als realen Faktorder Akkumulation begreift. Hierbei bildet den
Kern seiner Argumentation die Darstellung von Kapital- und
Revenueumsatz zwischen den beiden Abteilungen der
gesellschaftlichen Produktion, die sich explizit in seinen
Schemata der erweiterten Reproduktion als disproportional
erweisen, vgl. Marx, Das Kapital, a.a.O., Bd. 2, S. 499,510.
Entsprechend läßt sich anhand der Schemata nachweisen, daß
Akkumulation als kontinuierlicher Prozeß Überproduktion
einschließt, vgl. ausführlich oben Kap. 1.
Kapitalakkumulation... Die Frage nach der Realisation faßt nur
noch das Resultat dieser Bewegung als abgetrennte Fragestellung
der Zirkulation. Wie wenig Rosa Luxemburg die Bedeutung von
Wert- und Stofiersatz einerseits, von Kapital- und Revenueumsatz
andererseits erkannt hatte, dokumentiert auch ihre Kritik an
der Marxschen Subsumtion der Goldproduktion unter Abteilung I
der gesellschaftlichen Produktion und an der Unterstellung, daß
hinreichend Geld in die Zirkulation geschaffen werde, um den
Fluß der Austauschbewegungen zwischen den beiden Abteilungen zu
gewährleisten, vgl. R Luxemburg, Die Akkumulation..., a.a.O., S.
65-75. So verkennt sie, daß Marx die Goldproduktion in Abteilung
I nicht wegen der Bestimmung des Geldes als Austauschmittel
aufgenommen hat, nicht von dessen Funktion ausging, sondern
aufgrund der inhaltlichen Bestimmung des Geldes in seiner
Stofflichkeit als Ware; dies übersieht das Projekt
Klassenanalyse in seiner sonst richtigen Kritik der
Luxemburgschen Geldtheorie, vgl. PKA, Rosa Luxemburg. Die Krise
des Marxismus, Berlin 1975, S. 81.
397) vgl. R. Luxemburg, Die Akkumulation
..., a.a.O., S. 318.
398)vgl. ebenda, S. 331-333.
399) vgl. ebenda, S. 333-335. Rosa
Luxemburg weist insbesondere auf den Bedarf des
Kapitals an zusätzlichen sozialen Reservoirs zur
Auffüllung der industriellen Reservearmee hin. Hierbei handele
es sich um »... Arbeitskraft, die bisdahin noch nicht unterdem
Kommando des Kapitals stand und erst nach Bedarf dem
Lohnproletariat zugefügt wird. Diese
zuschüssigen Arbeitskräfte kann die kapitalistische Produktion
nur aus nichtkapitali stischen Schichten
und Ländern ständig beziehen.« Ebenda, S. 333.
400) Ebenda, S. 337.
401) Ebenda, S. 340, vgl. die
ausführliche Beschreibung dieser Entwicklungsphasen
ebenda, S. 340-394.
402) Ebenda, S. 393.
403) vgl. ebenda, S. 394.
404) Ebenda, S. 423.
405) Ebenda, S. 445.
406) vgl. ebenda, S. 317: »Das Schema
läßt wohl Krisen zu, aber ausschließlich aus
Mangel an Proportionalität der Produktion, d.h. aus
Mangel an gesellschaftlicher Kontrolle
über den Produktionsprozeß. Es schließt
dagegen den tiefen fundamentalen Widerstreit
zwischen Produktionsfähigkeit und Konsumtionsfähigkeit
der kapitalistischen Gesellschaft aus, der sich gerade aus der
Kapitalakkumulation ergibt, der sich periodisch in Krisen Luft
macht und der das Kapital zur beständigen Markterweiterung
antreibt.«
407) vgl. ebenda, S. 301. Rosa Luxemburg
bezieht sich in ihrer ausführlichen Kritik an Tugan Baranowskys
harmonischer Interpretation der Reproduktionsschemata (vgl.
ebenda, S. 280-295) auf dessen »Studien zur Theorie und
Geschichte der Handelskrisen in England«, a.a.O. und sein Buch,
»Theoretische Grundlagen des Marxismus«, Leipzig 1905; eine
Zusammenfassung von Tugans Interpretation der
Reproduktionsschemata findet sich auch in: ders., Der
Zusammenbruch der kapitalistischen Wirtschaftsordnung im Lichte
der nationalökonomischen Theorie, in: Archiv für Sozial
Wissenschaft und Sozialpolitik 19, 1904, S. 273-306, wo sich
Tugan vor allem mit Kautskys Kritik (vgl. Kautsky,
Krisentheorien, a.a.O.) auseinandersetzt.
408) vgl. R. Luxemburg, Die Akkumulation
. . ., a.a.O., S. 301, 313, 317; entsprechend kritisch H.
Grossmann, Das Akkumulations-..., a.a.O., S. 280-281.
409) Der Titel des siebten Abschnitts des
ersten Bandes lautet: »Der Akkumulationsprozeß des Kapitals«.
410) vgl. R. Luxemburg, Die Akkumulation
. . ., a.a.O., S. 316-317, ferner später dies.,
Antikritik,a.a.O., S. 23,115-117; vg. hierzu auch PKA, Rosa
Luxemburg...,a.a.O.,S. 84-86.
411) vgl. Gustav Eckstein, Rosa
Luxemburg. Die Akkumulation des Kapitals. Eine Besprechung, in:
Vorwärts vom 16. 2. 1913, wieder abgedruckt in: R. Luxemburg,
Gesammelte Werke, Bd. VI, hrsg. von Clara Zetkin und Adolf
Warski, Berlin 1923, S. 485-493 sowie ders., Militarismus und
Volkswirtschaft, in: NZ 31, 2, 1912-1913, S. 116-125, 165-172,0.
Bauer, Die Akkumulation des Kapitals, a.a.O. und Kautsky,
Imperialismus, Industrie und Landwirtschaft (unvollständiges,
unveröffentlichtes Manuskript), in: Kautsky-Nachlaß A 56, IISG.
Im wesentlichen wiederholt Kautsky hier seine
Imperialismusauffassung (vgl. kurze Auszügedes Manuskripts bei
G. Haupt/M. Reberioux, a.a.O., S. 91-92) mit der Einschränkung,
daß seine ehemals disproportionale Interpretation der Marxschen
Reproduktionsschemata - offensichtlich unter dem Einfluß
Hilferdings, Bauers und Ecksteins - einer weitgehend
harmonischen Auslegung gewichen ist, bei der die Krisen nicht
mehr Ausdruck immanenter Widersprüchlichkeit der
kapitalistischen Entwicklung sind, vgl. ders., Imperialismus,
Industrie..., a.a.O., S. 5: »Soll aber die Industrie wachsen,
muß die Landwirtschaft ihre Produktion und ihre Bevölkerung
ingleichem Maße ausdehnen; sie muß die Mengen der Rohstoffe und
Lebensmittel in demselben Maße vermehren, in dem der Bedarf der
Industrie danach zunimmt; und sie muß im gleichen Maße mehr
Produkte der Industrie verzehren, mit denen die der
Landwirtschaft gekauft werden. Wir haben gesehen, wie der
ungestörte Fortgang des Produktionsprozesses die Voraussetzung
erheischt, daß die verschiedenen Produktionszweige alle in
richtigem Verhältnis produzieren, daß aber ein stetes Streben
nach Durchbrechung dieses Verhältnisses innerhalb der
kapitalistischen Produktionsweise besteht, weil sie die Tendenz
hat, innerhalb eines bestimmten Gebiets die industrielle
Produktion weit rascher zu entwickeln als die
landwirtschaftliche. Das wird auf der einen Seite eine mächtige
Ursache periodischer Krisen, die stets industrielle Krisen sind
und in denen sich das richtige Verhältnis der verschiedenen
Produktionszweige immer wieder durchsetzt. Auf der anderen Seite
wird dadurch der Drang nach Ausdehnung des landwirtschaftlichen
Gebiets, das der Industrie Lebensmittel und Rohstoffe, aberauch
Abnehmer liefert, immerstärker, jegewaltigerdie
Ausdehnungsfähigkeit der kapitalistischen Industrie.«
412) vgl. z.B. G. Eckstein, Rosa
Luxemburg .. ., a.a.O., S. 487; siehe hierzu vor allem H.
Grossmann, Das Akkumulations-.. ., a.a.O., S. 246. Otto Bauers
Lösung der Dispropor-tionalität in den Schemata unterstellt
bereits wie zuvor Rosa Luxemburgs Analyse die Frage nach der
Realisierung, die es zu lösen gilt, damit die Frage nach der
wirklichen Reproduktion des Kapitals.
413) vgl. O. Bauer, Die Akkumulation . .
., a.a.O., S. 863 - 864: »Die Kapitalisten der
Konsumtionsgüterindustrien übertragen einen Teil des im ersten
Jahre akkumulierten Mehrwertes in die
Produktionsmittelindustrien: sei es, daß sie selbst Fabriken
gründen, in denen Produktionsmittel erzeugt werden; sei es, daß
sie einen Teil des von ihnen akkumulierten Mehrwertes durch
Vermittlung der Banken den Kapitalisten der
Konsumtionsgüterindustrien zur Verwendung übertragen; sei es,
daß sie Aktien von Gesellschaften kaufen, die Produktionsmittel
erzeugen. Soll auf diese Weise im nächsten Jahre der
Produktionsapparat der Sphäre I erweitert sein, müssen schon
heuer die Elemente dieses Produktionsapparats (Arbeitsräume,
Maschinen, Rohstoffe) gekauft werden. Die
Produktionsmittelindustrien verkaufen daher Waren im Werte von
4.666 an jenes Kapital, das in der Konsumtionsgüterindustrie
akkumuliert wurde, aber in der Produktionsmittelindustrie
angelegt wird. Die Kapitalisten der Konsumtionsgüterindustrien
kaufen also neben Produktionsmitteln im Werte von 85.334, die
zur Erzeugung von Produktionsgütern verwendet werden, auch noch
Produktionsmittel im Werte von 4.666, die zur Erzeugung von
Produktionsmitteln bestimmt sind. Insgesamt werden also die im
ersten Jahre erzeugten Produktionsmittel
in folgender Weise abgesetzt:
1.
An die Kapitalisten der Produktionsmittelindustrien:
a. zur Erneuerung des Produktionsapparats
in I
120.000
b. zur Erweiterung des
Produktionsapparats in II
10.000
zusammen
130.000
2. An die Kapitalisten der
Konsumtionsgüterindustrien:
a. zur Erneuerung des Produktionsapparats
in II
80.000
b. zur Erweiterung des
Produktionsapparats in II
5.334
c. zur Erweiterung des
Produktionsapparats in I
4.666
zusammen
90.000.«
414)
vgl. ebenda, S. 872-873: »Die Erweiterung des
Produktionsapparats nimmt unter kapitalistischer
Produktionsweise die besondere Form der Akkumulation des
Kapitals an. Diese Akkumulation vollzieht sich ohne Störung,
sofern sie nur in einem bestimmten Größenverhältnis bleibt
einerseits zum Wachstum der Bevölkerung, andererseits zur
Entwicklung der Produktivkraft, die sich in dem Fortschritt zu
höherer organischer Zusammensetzung des Kapitals ausdrückt.«
Zur Kritik Bauers vgl. ausführlich H. Grossmann, Das
Akkumulations- . . ., a.a.O., S. 246-278, zusammenfassend R.
Rosdolsky, Zur Entstehungsgeschichte . . ., a.a.O., Bd. 2, S.
586-594, ferner L. Laurat, a.a.O., S. 149-157.
415)15 vgl. O. Bauer, Die Akkumulation
..., a.a.O., S. 873: »Allerdings treibt die Entwicklung der
Akkumulation immer wieder über diese Grenze hinaus; aber die
Akkumulation wird immer wieder in ihre Grenze zurückgeführt
durch die perodisch wiederkehrende Wirtschaftskrise. Das
Ergebnis unserer Untersuchung ist also: 1. daßauch in einer
isolierten kapitalistischen Gesellschaft Akkumulation des
Kapitals möglich ist, sofern sie nur über eine jeweils bestimmte
Grenze nicht hinausgeht; 2. daß sie zu dieser Grenze selbsttätig
zurückgeführt wird durch den Mechanismus der kapitalistischen
Produktionsweise selbst.«
416) vgl. Marx, Das Kapital, Bd. 2,
a.a.O., S. 516: »Es ändert auch nichts an der Sache, wenn ein
Teil der Produkte von II seinerseits fähig ist, als
Produktionsmittel in I einzu-gehn. Sie werden gedeckt durch
einen Teil der von I gelieferten Produktionsmittel, und dieser
Teil ist von vornherein auf beiden Seiten in Abzug zu bringen,
wenn wir den Austausch zwischen den beiden großen Klassen der
gesellschaftlichen Produktion, den Produzenten von
Produktionsmitteln und den Produzenten von Konsumtionsmitteln,
rein und ungetrübt untersuchen wollen.« (Hervorh. v. V.) vgl.
mit einer entsprechenden Kritik an mehreren sich auf Otto Bauer
berufenen neueren Ökonomen aus den sozialistischen Ländern
R. Rosdolsky, Zur Entstehunsgeschichte a.a.O., Bd. 2, S.
588-589; zu nennen sind hier vor allem T.
Kowalik und Oskar Lange, vgl. Tadeusz R. Kowalik, Rosa
Luxemburgs Theory of Accumulation and Imperialism, in: Problems
of Economic Dynamics and Planning, = Festschrift für M. Kalecki,
Warschau 1964, S. 203-219 und Oskar Lange, Politische Ökonomie,
Bd. 2, Frankfurt o. J. (übersetzt nach der 2. poln. Aufl. 1968),
S. 180-208.
417) Beide Besprechungen gehen im
wesentlichen über eine Wiedergabe der Luxemburgschen Argumente
nicht hinaus. Lediglich Karski versucht in seiner Besprechung,
Rosa Luxemburgs Behauptung der Notwendigkeit
nichtkapitalistischer Räume aus der Widersprüchlichkeit der
kapitalistischen Akkumulationsbewegung abzuleiten und damit
einen Zusammenhang zu seinem eigenen Imperialismusverständnis
herzustellen: „Wir wissen, daß die gesamte kapitalistische
Wirtschaft auf der Aneignung von Mehrwert beruht... Der
angeeignete Mehrwert wird nur zu einem Teile von der
Kapitalistenklasse verwendet, um den Unterhalt der Kapitalisten
zu bestreiten, ein anderer Teil ballt sich zusammen zum neuen
Kapital, wird akkumuliert. Dieses akkumulierte Kapital wird von
neuem in die Produktion geworfen, soll von neuem Mehrwert
hecken. So steigt unablässig die Masse der erzeugten Güter.
Hier zeigt sich nun ein Widerspruch. Der Unterhalt der
Arbeiterklasse wird bestritten aus dem Lohn. Die
Kapitalistenklasse gibt einen Teil des Kapitals aus, als Zahlung
für die gekaufte Arbeitskraft; es ist dieserTeil das variable
Kapital. Der Lohn, den der einzelne Arbeiter erhält, kann wohl
steigen, aber die gesamte Lohnsumme kann nicht derart steigen,
daß sie den Wert des gesamten Mehrprodukts, das durch Anwendung
der Arbeitskraft erzielt wird,verschlingt. Es kann, deshalb
nicht geschehen, weil dann der Profit verschwindet, der Anlaß
wegfällt, der den kapitalistischen Unternehmer reizt, zu
produzieren. Wenn nun aber nur ein Teil des Arbeitsprodukts von
der Arbeiterklasse verbraucht werden kann, ein anderer Teil,
jener, der den Mehrwert enthält, in der Form, in der er
vorhanden ist, nicht von den Kapitalisten verbraucht werden
kann, so fragt sich, wo die Käufer dafür herkommen?« J. Karski,
Eine marxistische Untersuchung . . ., a.a.O., in: Münchener
Post vom 30.1.1913. Ganz ähnlich hatte auch Lenin 14 Jahre zuvor
versucht, die Gesetze der Kapitalakkumulation in die
Reproduktionsschemata zu integrieren, vgl. Lenin, Die
Entwicklung des Kapitalismus in Rußland (1899), in: LW 3, S.
39-58, siehe auch unten, S. 660, Fußn. 422.
418) vgl. z.B. A. Pannekoek, Besprechung
von Rosa Luxemburg, Die Akkumulation des
Kapitals, in: BBZ vom 29. u. 30.1.1913 sowie ders.,
Theoretisches zur Ursache der Krisen, in:
NZ 31, 1, 1912-1913, S 780-792 (785-786). Pannekoek resümiert
genau wie Bauer: »Der Kapitalzuwachs in
beiden Abteilungen ist den Anfangskapitalien genau proportional,
so daß in dieser Weise und in dieser Proportion immer
weiter produziert werden kann, wenn immer
wieder am Schlüsse des Jahres der akkumulierte Mehrwert in dem
richtigen Verhältnis über beide Sphären
verteilt wird.« Ebenda, S. 786. Die Redaktion der Bremer
Bürgerzeitung, Lensch, Radek und Henke stellten sich im
Gegensatz zu Mehring auf die
Seite Pannekdeks, vgl. BBZ vom 14., 15., 22.2. u. 1.3.1913, vgl.
ferner hierzu K.-E. Moring,
a.a.O., S. 168-169, D. Groh, Negative . . ., a.a.O., S. 301; zu
Recht weisenMoring(ders.
a.a.O., S. 169) und Groh (ders, Negative . .., a.a.O., S. 302,
Fußn. 122) darauf hin, daß es
falsch ist, das Werk Rosa Luxemburgs mit den Anschauungen der
deutschen Linksradikalen
einfach zu identifizierende es in der Vergangenheit Mandelbaum
und in jüngerer Zeit all-
gemein formuliert Schorske getan haben, vgl. K. Mandelbaum,
Sozialdemokratie . . .,
a.a.O., S. 23-25, Carl Emil Schorske, German Social Democracy
1905-1917. The Develop-
ment of the Great Schism, Cambridge (Mass.), 1955, S. 242.
419) vgl. R. Luxemburg, Die Akkumulation
..., a.a.O., S. 280,287-288.
420) vgl. Lenin, Zur Charakteristik der
ökonomischen Romantik (1897), in: LW 2, S. 156.
421) vgl. ders., An die Redaktion des
»Sozial-Demokrat«, Brief vom 29.3.1913, in: LW35, S. 71: »Ich
habe Rosas neues Buch ,Die Akkumulation des Kapitals' gelesen.
Schauderhaft falsche Auffassungen! Sie hat Marx entstellt. Ich
freue mich sehr, daß sowohl Pannekoek als auch Eckstein und O.
Bauer sie einmütig verurteilt und gegen sie das vorgebracht
haben, was ich 1899 gegen die Volkstümler gesagt habe.« Lenins
kritisches Verdikt über Rosa Luxemburgs Imperialismustheorie
lieferte den Grundstein für eine ungewöhnlich scharfe und
umfangreiche theoretische Auseinandersetzung um das
Luxemburgsche Werk in den zwanziger Jahren nach Lenins Tod
zwischen den sog. Luxemburgisten und Leninisten, vgl. hierzu die
herausragenden Werke von Fritz Sternberg, Der Imperialisjnus,
a.a.O. und Nikolai Bucharin, Der Imperialismus und die
Akkumulation des Kapitals, a.a.O.
422) vgl. Lenin, Die Entwicklung des
Kapitalismus . .., a.a.O., in: LW 3, S. 42-43: »Das Wachstum der
Produktionsmittel überflügelt das Wachstum der
Konsumtionsmittel. Wir sahen in der Tat, daß konstantes Kapital
in Gestalt von Konsumtionsmitteln (Abteilung II) gegen variables
Kapital + Mehrwert in Gestalt von Produktionsmitteln (Abteilung
I) ausgetauscht wird. Nun wächst aber nach dem allgemeinen
Gesetz der kapitalistischen Produktion das konstante Kapital
rascher als das variable. Folglich muß das konstante Kapital in
Konsumtionsmitteln rascher wachsen als das variable Kapital und
der Mehrwert in Konsumtionsmitteln, während das konstante
Kapital in Produktionsmitteln am schnellsten wachsen und sowohl
das Wachstum des variablen Kapitals (+ Mehrwert) in
Produktionsmitteln als auch das Wachstum des konstanten
Kapitals in Konsumtionsmitteln überflügeln muß. Die Abteilung
der gesellschaftlichen Produktion, die Produktionsmittel
herstellt, muß folglich rascher wachsen als diejenige, die
Konsumtionsmittel erzeugt.« vgl. ausführlich ebenda, S. 39-58,
611-622 sowie ders.. Noch einmal zur Frage der
Realisationstheorie (1899), in: LW 4, S 64-83.
423) vgl. erste Versuche einer
Zusammenfassung der Leninschen Interpretation der
Reproduktionsschemata bei R. Rosdolsky, Zur
Entstehungsgeschichte . . ., a.a.O., Bd. 2, S. 556-578, zu
seiner Auseinandersetzung mit den Volkstümlern H.W. Kettenbach,
a.a.O., S. 151-162; eine zusammenhängende Aufarbeitung der
Leninschen Imperialismustheorie unter ausführlicher Verarbeitung
seiner frühen Schriften steht noch aus.
424) a. Pannekoek, Besprechung von Rosa
Lüxem bürga.a.O., in: BBZ vom 30.1.1913, vgl., auch ebenda: »Um
diesen Imperialismus in seinen ökonomischen Wurzeln zu
verstehen, liefert uns die Darlegung der Genossin Luxemburg -
auch wenn sie ökonomisch richtig wäre - keinen Beitrag.«
Insgesamt greift Pannekoeks Begründung des Imperialismus für
Lenins spätere Imperialismustheorieallerdings zu kurz, vgl.
Lenin, Der Imperialismus als höchstes..., a.a.O., in: LW 22, S.
189ff.
425) vgl. D. Groh, Negative ..., a.a.O.,
S. 301.
426) vgl. K. Radek, Der deutsche
Imperialismus und die Arbeiterklasse, Bremen 1912,
auch abgedruckt in: ders.. In den Reihen ..., a.a.O., S.
48-155 (155).
427) vgl. ebenda, S. 154: »Genügt nicht
die Kraft des unter dem Banner des Sozialismus
gegen den Imperialismus kämpfenden Proletariats, um den Ausbruch
eines europäischen
Krieges zu hintertreiben, so werden die Greuel dieses Krieges,
die unermeßliche Not, die
er über die Volksmassen aller Länder ausschütten wird, dafür
sorgen, daß die Besiegten
wie die Sieger vom blutigen Schlachtfelde als Gefangene des
Sozialismusheimkehren.«
428) vgl. G. Lukäcs, Rosa Luxemburg als
Marxistin, in: ders., Geschichte.. ..a.a.O., S. 210.
429) Der im Frühjahr 1914 verfaßte
Bericht ist im Wortlaut bei G. Haupt, Der Kongreß...,
a.a.O., S. 227-228 abgedruckt.
430) vgl. zusammenfassend G. Haupt, Der
Kongreß ..., a.a.O., S. 123-124.
431) vgl. ebenda, S. 255.
432) vgl. ebenda, S. 255-256: »Die
Teuerung zwingt die Arbeiterklasse zum Kampf um höheren Lohn.
Die Unternehmer schaffen immer gewaltigere Organisationen, den
Arbeitern entgegenzutreten. Die Bedingungen des
gewerkschaftlichen Kampfes sind verändert. Riesenhafte Streiks
und Aussperrungen erschüttern alle Länder. Während so die
Klassengegensätze innerhalb der kapitalistischen Länder
verschärft werden und die Erhebung der Kolonialländer den
europäischen Kapitalismus mit neuen Gefahren bedroht, werden
zugleich die Vorbedingungen der Überwindung der
Kapitalsherrschaft geschaffen. Die Teuerung erhöht die
Grundrente und den Profit des kartellierten und vertrusteten
Kapitals. Schnell wachsende Reichtümer sammeln sich in den
Händen einer kleinen Minderheit der Völker. In den großen
Kartellen und Trusts wird die Produktion vergesellschaftet. Die
Voraussetzungen für die Überführung der Produktionsmittel in das
Eigentum und die Verwaltung des Gemeinwesens werden durch die
kapitalistische Entwicklung selbst in beschleunigtem Tempo
geschaffen. Die Teuerung, selbst das Ergebnis einer schnelleren
Entwicklung des Kapitalismus, beschleunigt ihrerseits diese
Entwicklung. Sie revolutioniert die Arbeit und sie konzentriert
das Kapital. So nähert sie uns mit Riesenschritten dem
Augenblick, in dem die organisierte Arbeiterklasse sich der
organisierten Kapitalsmacht bemächtigen wird, um mit allen
Folgewirkungen des kapitalistischen Eigentums auch die Teuerung
auszurotten.«
433) Die Berichte von Hugo Haase und W.T.
Vliegen wurden für die 3. Kommission: Imperialismus und
Schiedsgericht vorbereitet, vgl. den Wortlaut ebenda, S. 256-258
u. 259-268.
434) vgl. W.T. Vliegens Bericht ebenda,
S. 262-263.
435) Ebenda, S. 267.
436) G. Lukäcs, Rosa Luxemburg ...,
a.a.O.
Editorische Hinweise
Der
Text wurde entnommen aus: Hans-Holger Paul: Marx, Engels und
die Imperialismustheorie der II. Internationale, 1976,
Dissertation an der Uni Bonn
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