Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Frankreich interveniert in der Zentralafrikanischen Republik (ZAR)
Auch britische und deutsche Bodentruppen? Ein französischer Minister spekulierte darüber, eine verstärkte EU-Beteiligung erscheint jedoch im Augenblick unwahrscheinlich
 

12-2013

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Dieses Mal will ich glauben, dass der afrikanische Mensch in die Geschichte eingetreten ist“, lässt die satirische französische Wochenzeitung Le Canard enchaîné in ihrer Ausgabe vom 11. Dezember 13 den früheren Präsidenten Nicolas Sarkozy sagen. Die Äußerung fällt, folgt man dem Zeichner, bei der Rückkehr Sarkozys von der Gedenkfeier für Nelson Mandela, am 10. Dezember d.J.. Amtsinhaber François Hollande hatte seinen Vorgänger dorthin mitgenommen.

Dass Mandela schon zu Lebzeiten in die Geschichte eingetreten ist, wird wohl niemand bezweifeln. Die Karikatur bezieht sich darüber hinaus auf eine in lebhafter Erinnerung gebliebene Ansprache, die Sarkozy im Juli 2007 in der senegalesischen Hauptstadt Dakar hielt. An der dortigen Universität dozierte er: „Der afrikanische Mensch ist nicht hinreichend in die Geschichte eingetreten. Der afrikanische Bauer kennt nur den ewigen Wechsel der Jahreszeiten.“ Die unglaubliche Ignoranz, mit der ein französisches Staatsoberhaupt dieses Ausspruch inmitten einer modernen und pulsierenden Metropole tat – sein Redenschreiber Henri Guaino soll von einer Vorstellung Hegels inspiriert gewesen sein -, wurde seitdem fast sprichwörtlich für den Arroganz der politischen Klasse Frankreichs im Umgang mit „ihren“ früheren Kolonien in Afrikas.

Für Sarkozys Nachfolger, den Sozialdemokraten Hollande, lag die Visite in Soweto auf halbem Wege zwischen dem Frankreich-Afrika-Gipfel, der am 06. und 07. Dezember 13 im Elyséepalast – dem Amtssitz französischer Präsidenten – stattfand und wo es um „Frieden und Sicherheit in Afrika“ ging, sowie seinem Abstecher in Bangui. In der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik (ZAR) besuchte François Hollande an jenem 10. Dezember die französischen Truppen, deren Stationierung dort wenige Tage zuvor begonnen hatte. 1.600 Soldaten nehmen an der Opération Sangaris teil.

Unterdessen versucht Frankreich auch, seine europäischen Verbündeten mit in seine Intervention in der ZAR zu integrieren. Dabei wurde zunächst von französischer Regierungsseite auch über die eventuelle Entsendung von britischen und deutschen Bodentruppen in die ZAR spekuliert (vgl. http://www.lefigaro.fr). Allerdings befinden sich diese, offiziell auf dem Tisch liegenden Hypothesen in einem Überlegungsstadium, das – glimpflich ausgedrückt - nicht weit genug herangereift erscheint, um als nahe an der Realität bezeichnet zu werden. Der französische Minister für EU-Angelegenheiten, Thierry Repentin, behauptete jedenfalls am 18. Dezember 13, in London und Berlin „überlege“ man diesbezüglich.

In Wirklichkeit dürfte es dabei allerdings wohl überwiegend um politische, symbolische und auch finanzielle „Solidarität“ gehen. Konkret würde Frankreichs Staatsspitze gerne ungefähr so wie bisher weitermachen, aber dabei unter einen breiteren europäischen Mantel kriechen. „Frankreich möchte ein europäisches Label für eine Intervention in der Zentralafrikanischen Republik“, titelt eine französische Wirtschaftzeitung dazu, nach einer EU-Ministerkonferenz zur „Verteidigungs“politik am 19. Dezember 13 in Brüssel (vgl. http://www.lesechos.fr/. François Hollande rief u.a. zu finanzieller Solidarität der übrigen EU-Staaten mit Frankreich anlässlich seiner Intervention in der ZAR auf (vgl. http://maliactu.net/ ), erntete jedoch von seinen Verbündeten innerhalb der Union dabei erst einmal nur „wenig Begeisterung“ (vgl. http://www.lemonde )

Im zurückliegenden Jahr 2013 war Frankreich die westliche Macht mit der stärksten militärischen Interventionstätigkeit im Ausland, vgl. http://maliactu.net/

Codename Sangaris

Blutrot ist das Symbol der Opération Sangaris, wie der offizielle militärische Codename für die Intervention in der Zentralafrikanischen Republik (ZAR) lautet. Sangaris ist der Name eines tropischen Schmetterlings, der in dem Land vorkommt, bei Sammlern beliebt und leuchtend rot ist. Die Anspielung auf die Farbe des Blutes dürfte allerdings nicht die Absicht der Namensgeber gewesen sein. Ein Strategieforscher erklärte der französische Wirtschaftszeitung Les Echos, der Schmetterlingsname habe vielmehr signalisieren sollen, die Intervention dürfte „leicht und kurzlebig“ werden.

Das ist allerdings keineswegs sicher. Seit dem Abend des Donnerstag, 05. Dezember 13 begann die Entsendung von insgesamt 1.600 französischen Soldaten in das Land in der Mitte Afrikas. Der zeitliche Zufall wollte es, dass der erste Tag der Intervention am Freitag, den 06. Dezember 13 mit der Eröffnung des Frankreich-Afrika-Gipfels zusammen fiel. Er stand im Zeichen der offiziellen Themen „Frieden und Sicherheit in Afrika“, sollte unter anderem die politischen Lehren aus dem Krieg in Mali ziehen und fand am 06. sowie 07. Dezember 2013 im Elysée-Palast statt. 53 afrikanische Staaten hatten dazu, teilweise hochrangige Delegationen entsandt. Also fast alle Länder des Kontinents, der seit der Unabhängigkeit des Süd-Sudan im Juli 2011 nunmehr insgesamt 54 formal souveräne Staaten zählt.

Eine nette Sammlung von Potentaten

Mit dem Gipfel in seiner konkreten Verlaufsform brach François Hollande ein weiteres seiner Wahlversprechen. Im Januar 2012 hatte er bei einer Wahlkundgebung in der Pariser Vorstadt Le Bourget ausgerufen: „Es gehört zur Beendigung der Praktiken der Françafrique“, also dem inzwischen sprichwörtlichen Neokolonialismus in Afrika, „dass ich als Präsident nicht länger die Diktatoren mit Prunk und Pomp in Paris empfangen werde!“ Diktatorisch regierende Staatsoberhäupter, Autokraten und Potentaten aus der französischen Einflusszone in Afrika befanden sich reichlich unter den geladenen Gästen. Vom kongolesischen Präsidenten Denis Sassou-Ngessou, der seit seiner extrem blutigen Rückkehr an die Macht 1997 als notorischer Schlächter gilt, und dem geistesverwandten tschadischen Präsidenten Idriss Déby Itno bis zum Autokraten des Kleinstaats Djibouti, Ismail Omar Guelleh („IOG“), dessen manipulierte „Wiederwahl“ im Februar zu heftigen Protesten führte – sechs Demonstranten wurden erschossen.

In Paris politisch rehabilitiert worden waren die Autokraten allerdings schon deutlich vor dem Gipfel. Im Prinzip schon mit dem Empfang von Ali Bongo, Präsident der erdölreichen Republik Gabun seit 2009 und faktischer Thronerbe seines Vaters Omar Bongo, der das Land schlappe 42 Jahre hindurch – von 1967 bis zu seinem Tod im Juni 2009 in einem Krankenhaus in Barcelona - regiert hatte. Sein Regime hatte es stets verstanden, die Interessen des französischen Ölkonzerns TOTAL zu wahren. Also eines Unternehmens, das eine wichtige, ja zentrale Position in Gabun einnimmt. 1990 und 2009 hatte die französische Armee bei Unruhen gegen das Regime eingegriffen. Zwei Monate nach der Wahl François Hollandes war Ali Bongo dann auch Im Elyséepalast empfangen worden – offiziell, um ihm Standpauken über die Notwendigkeit von Demokratie zu halten. Die inoffizielle Version lautete anders. Zumal Laurent Fabius, damals Berater des Wahlkämpfers François Hollandes und inzwischen sein Außenminister, schon im Februar 2012 und damit ein Vierteljahr vor der französischen Wahl seine Aufwartung in Gabun gemacht hatte. Erheblich beschleunigt hat sich die, nun auch demonstrative, Aufwertung der Diktatoren aus dem französischsprachigen Afrika jedoch nach dem Beginn des Krieges in Mali. Hatten doch Staatsführer wie Sassou Ngessou und Idriss Déby eine wichtige Rolle bei der logistischen Unterstützung Frankreichs im Malikrieg gespielt.

Die Mali-Intervention sollte ursprünglich den Gipfel prägen, der ja zunächst eher militärpolitischen Themen sowie dem der „Terrorismusbekämpfung“ gewidmet worden war, bevor dann auch noch Themenblöcke zum Klimaschutz und zur „nachhaltigen Entwicklung“ ins Gipfelprogramm integriert worden waren. Zu jedem der Themen blieben dann aber nur jeweils zwei Stunden Zeit, und von einer Diskussion konnte keine Rede sein. Die Abschlusserklärung war von der Gipfelleitung vorab fertig ausformuliert worden. In ihr sind allerhand wohlfeile und schön klingende Absichtserklärungen enthalten. Allerdings nicht wirklich die, die betreffenden Länder zu demokratisieren. Von Demokratie ist eigentlich nur im Punkt 13 der Resolution, wo es um Frauenrechte und eine stärkere politische Rolle von Frauen geht. Diese sollen bei der Demokratisierung stärker berücksichtigen werden. Was allerdings voraussetzen würde, dass es überhaupt eine Demokratisierung gibt, und die ist in der Mehrzahl der afrikanischen Staaten in der Einflusszone Frankreichs nicht in Sicht.

Die Intervention in Mali spielte dann doch noch symbolisch eine wichtige Rolle beim Abschluss des Gipfels. Denn der im August gewählte malische Präsident Ibrahim Boubacar Keita, „IBK“, konnte es durchsetzen, dass die Folgeveranstaltung des Gipfels im Laufe des Jahres 2014 in Malis Hauptstadt Bamako stattfinden wird. Dort hatte sich bereits Ende November und Anfang Dezember 2005 ein Frankreich-Afrika-Gipfel abgespielt, die Infrastruktur ist also vorhanden.

Gern würde es die französische Regierung sehen, würde die soeben begonnene neue Intervention in der Zentralafrikanische Republik ebenso von breiten Bevölkerungskreisen begrüßt, wie es in Mali zumindest bei oberflächlicher Betrachtung der Fall war. Bislang ist die Wähler/innen/schaft jedoch laut Umfragen mal eher skeptisch, mal gespalten (die Anhängerschaft der regierenden Sozialdemokratie eher dafür – zu 62 % -, jene der Konservativen zu 41 % dafür, die der extremen Rechten nur zu 25 %, vgl. http://www.lefigaro.fr/ ) Die Zustimmung zur Mali-Intervention war stärker ausfallen. Tatsächlich hatte sich die damalige Intervention zunächst scheinbar reibungslos abgespielt.

Gern sähe man es im Elyséepalast, würde dasselbe auch für das Eingreifen mit 1.600 Soldaten in der ZAR gelten, die mit fünf Millionen Einwohner/inn/n nur ein Drittel der Bevölkerung Malis aufweist. Aber das Staatsgebiet der ZAR ist um circa fünfzehn Prozent größer als dasjenige Frankreichs. Und anders als der Norden Malis, wo zu Anfang des Jahres die bislang letzte Militärintervention Frankreichs in Afrika begann – die Opération Serval, die ihrerseits noch nicht zu Ende ist, noch immer stehen fast 3.000 französische Soldaten in Mali -, bietet das Territorium der ZAR zahllose Schlupfwinkel. Im Unterschied zum wüstenhaften Norden Malis ist das Land nicht überwiegend von nackter Steinwüste bedeckt, sondern von einem Wechsel von Savannen, Baumbewuchs und tropischen Wäldern geprägt. Es bietet ausreichend Unterschlupfmöglichkeiten, die es kleinen Gruppen von Kämpfern erlauben, auch von Satelliten nicht entdeckt zu werden.

Frankreich keine „wohlwollende neutrale Macht“

Vor allem kann Frankreich kaum damit rechnen, von allen Konfliktbeteiligten als neutrale Macht betrachtet zu werden. Zwar gab und gibt es in Mali ebenfalls Vorbehalte gegen eine militärische Einmischung der früheren Kolonialmacht. Dennoch erschien Frankreich am Konflikt zwischen jihadistischen Gruppen und der Zentralregierung in Bamako nicht unmittelbar beteiligt, auch wenn die separatistische Tuaregbewegung MNLA – die 2012 einige Monate lang mit den Jihadisten in Nordmali verbündet war, bevor es zum Bruch zwischen beiden kam – ihrerseits enge Bindungen zur französischen Politik aufweist. In der ZAR jedoch ist Frankreich von vornherein seit langen Jahren an allen innenpolitischen Konflikten mehr oder weniger direkt beteiligt.

Die Zentralafrikanische Republik als Staat ist das Ergebnis des Zusammenschnitts der übrigen französischen Ex-Kolonien zu formal unabhängigen Ländern. Die Grenzen wurden oft in Paris, oder sonstwo in Europa, am grünen Tisch gezogen. Im Falle der ZAR wurden einfach jene Gebiete, die man nicht anderen „in die Unabhängigkeit entlassenen“ Staaten zuschustern wollte, zusammengestoppelt. Wie relativ geist- und einfallslos man dabei vorging, belegt schon die Namensgebung („Zentralafrikanische Republik“), die einfach von der scheinbar simpelsten geographischen Gegebenheit ausging – in anderen Fällen hatte man zumindest versucht, in der Benennung der künftigen unabhängigen Staaten an früher dort existierende Länderbezeichnungen anzuknüpfen. „Mali“ hieß während des europäischen Mittelalters ein bedeutendes afrikanisches Kaiserreich, Ähnliches gilt für Ghana; „Guinea“ war eine sehr alte Bezeichnung für westafrikanische Küstenlände, „Kongo“ ebenfalls ein alter Reichsname. Doch ohne irgendeine Gründeridee ausgestattet und aus Regionen mit unterschiedlichem Klima und Bewuchs und unterschiedlichen Bevölkerungen einfach zusammengeschoben, hing die künftige Zentralafrikanische Republik zwischen dem Tschad und dem Kongo da wie ein Schluck Wasser. Die eigenen zukünftigen „Eliten“ wollten einen solchen Staat gar nicht, niemand hatte von ihm in der Form geträumt.

Nach der formalen Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1960 wählte also zunächst Frankreich das politische und militärische Führungspersonsal weitgehend direkt aus. Wie übrigens in vielen früheren Kolonien in West- und Zentralafrika, wo nur Guinea unter Ahmed Sékuou Touré und Mali unter Modibo Keita im selben Zeitraum zunächst einen staatssozialistischen und blockfreien respektive pro-sowjetischen Kurs einschlugen. Doch in der ZAR wurde Präsident Jean-Bédel Bokassa, der 1965 mit Billigung Frankreichs an die Macht gekommen war, im Laufe der Jahre größenwahnsinnig. Er rief 1976 das „Zentralafrikanische Kaiserreich“ aus, krönte sich selbst zum Monarchen und machte durch extreme politische Verfolgungen auf sich aufmerksam. Die Schutzmacht Frankreich stürzte ihn daraufhin Ende 1979, nachdem zuvor das spektakuläre Diamantengeschenk Bokassas an die Ehefrau von Präsident Valéry Giscard d’Estaing – es ging dauerhaft in die Geschichte ein – die Reputation des französischen Staatsoberhaupts nachhaltig beschädigt hatte. Bei der Opération Barracuda, wie der damalige Militäreinsatz hieß, dieses Mal nach einem Raubfisch benannt, brachten die Franzosen den Nachfolger Bokassas als Staatschef gleich im Flugzeug mit: Sie setzten dessen Cousin und Amtsvorgänger als Präsident, David Dacko, wieder ein. Er reagierte allerdings nur zwei Jahre. Danach folgten mehrere Machtwechsel durch Militärputsche, über deren Erfolg oder Nichterfolg oft die Billigung oder Nichtbilligung Frankreichs entschied.

Als bislang letzter Präsident amtierte dort seit 2003 François Bozizé. Er genoss zunächst die Unterstützung seines französischen Amtskollegen Jacques Chirac, doch dessen Nachfolger Nicolas Sarkozy betrachtete Bozizé als engstirnig und borniert. Die Beziehungen verschlechterten sich. Aufgrund der Schwäche der zivilen Opposition, die vorhanden ist, aber sich kaum gegen das Regime durchzusetzen vermochte, schlossen sich viele Unzufriedene der bewaffneten Rebellenkoalition Séléka an. Ende März 2013 übernahm diese, unter Einsatz ihrer Waffen, die Macht in Bangui – die dortige Zentralregierung implodierte, und Séléka-Chef Michel Djotodia proklamierte sich zum Präsidenten. - Die Anhänger des alten Präsidenten Bozizé ihrerseits hatten in den Weihnachtstagen 2012 die französische Botschaft in Bangui belagert und ein Eingreifen des Frankreichs zugunsten der damaligen Regierung gefordert. Anders als 1996, 1997, 2003, 2006 und 2007 gegen damalige Rebellenverbände griff Frankreich dieses Mal jedoch nicht ein. Anhänger des alten Präsidenten Bozizé (die in den gegen die Séléka kämpfenden Milizen aufgingen) könnten deswegen zum Teil einen gewissen politischen Groll gegen Frankreich hegen.

Die Legitimität der vormaligen Rebellenkoalition vor dem Machtwechsel im März 2013 basierte darauf, dass sie gegen ein weithin unbeliebtes Regime kämpfte. Da Teile der Séléka jedoch ihrerseits eher aus Banditen als aus politischen Opponenten bestanden, häuften sich schon vor, aber vor allem auch NACH dem Machtwechsel Ereignisse wie Plünderungen, Überfälle und Vergewaltigungen. Teile der ländlichen, später auch der städtischen Bevölkerung schlossen sich zu Selbstverteidigungsgruppen gegen die Milizen der Séléka zusammen, die inzwischen unter dem Namen Antibalaka zusammengefasst werden – der Name der Erstgenannte bedeutet so viel wie „Gegen die Machete“( oder auch „Gegner mit der Machete, denn alle Bilder belegen, dass die Kämpfer der Antibalaka ganz gerne mit Macheten herumspazieren...) Manche dieser Gruppen sind rein defensive Zusammenschlüsse von Dorfbevölkerungen. Aber manche entwickelten sich ihrerseits zu regelrechten Milizen, die mit der Séléka um Macht oder materielle Vorteilnahme streiten.

Hinzu kam eine wachsende Konfessionalisierung des Konflikts. Die Séléka rekrutierte ihre Mitglieder aus vorwiegend moslemischen Bevölkerungsgruppen, die an der Grenze zum Tschad und zum Sudan wohnen. Vor allem aber wäre ihr Erfolg ohne die Unterstützung der tschadischen Diktatur, die die stärkste Militärmacht in der Region aufweist, undenkbar gewesen: Ohne deren aktive Hilfe wäre die Séléka militärisch bedeutungslos geblieben. Aber auch in der Hauptstadt Bangui leisteten Händler aus Bevölkerungsgruppen, die dort minoritär sind und deswegen bislang von der politischen Macht ausgeschlossen blieben – etwa ethnische Gruppen aus dem Norden – der Séléka finanzielle Unterstützung. Angehörige der christlichen (und animistischen) Bevölkerungsgruppen im Zentrum und im Süden der ZAR gingen in den letzten Monaten daraufhin zu einer oft pauschalen Feindseligkeit gegen Muslime über, es kam zu Übergriffen auf Zivilisten der jeweils anderen Konfession. Der ursprünglich rein politisch-militärische Konflikt fing an, sich in vielen Stadtteilen von Bangui zum Machtkampf zwischen ganzen Bevölkerungsgruppen auszuwachsen.

Vor diesem Hintergrund warnte Frankreichs Außenminister Laurent Fabius in den ersten Dezembertagen 2013 vor einem angeblich drohenden „Völkermord“ in der ZAR. Das ist eine offensichtliche rhetorische Übertreibung. Allerdings trifft es zu, dass innerhalb einer Woche in der Hauptstadt Bangui bei Kämpfen zwischen rivalisierenden bewaffneten Gruppen in den ersten Dezembertagen 400 Menschen, und bis zum Redaktionsschluss dieses Artikels am 20. Dezember rund 1.000 getötet wurden. Rund 40.000 Flüchtlinge drängten sich Mitte Dezember d.J. rund um den Flughafen von Bangui-M’poko zusammen, wo zunächst eine akute Hungersnot drohte und nur unzureichend durch humanitäre Hilfe gelindert wurde. Rund 500.000 Menschen, ein Zehntel der Gesamtbevölkerung der ZAR, waren im In- oder Ausland auf der Flucht.


Die Ankunft der französischen Truppen wurde deswegen von Manchen zunächst mit Applaus begrüßt oder jedenfalls mit Erleichterung aufgenommen. Tatsächlich hat die Intensität bewaffneter Auseinandersetzungen seit ihrer Ankunft zumindest in der Hauptstadt Bangui abgenommen, und einige Milizionäre wurden entwaffnet oder gefangengenommen. Nicht alle, da man ihnen mitunter sogar bewusste ihre Waffen belässt, um befürchtete Repressalien zu vermeiden... (Vgl.
http://www.france24.com/f) Gleichzeitig kam es zu ersten Kämpfen: Eine Gruppe von zehn Bewaffneten griff etwa eine französische Militärpatrouille an, vier von ihnen wurden dabei getötet und mehrere andere verletzt. Erst am Dienstag, den 10. Dezember 13 wurde unterdessen bekannt, dass am Wochenende zuvor auch zwei französische Soldaten bei Schusswechseln starben.

Und, was noch wesentlich dramatischer ist: Zwar tritt Frankreich formal als neutrale äußere Macht auf, die eingrifft, um mit ihrer Armee als einer Art bewaffneten Puffertruppe die verfeindeten Streitparteien zu trennen. (Und an der Staatsspitze Frankreichs hatte man in den vorausgegangenen Monaten die Séléka, die am 24. März 2013 in Bangui die Macht übernahm, eher positiv betrachtet.) Doch vor Ort sind viele zentralafrikanischen Christen und Animisten allem Anschein nach der Auffassung, Frankreich komme ihnen als notwendig befreundete Macht – da „christliche Nation“ – zu Hilfe. Bei Übergriffen auf muslimische Bevölkerungsteile oder gar Lynchaktionen beriefen sich deswegen mancherorts Angehörige anderer, vor allem christlicher Bevölkerungsteile darauf, Frankreich stehe doch auf ihrer Seite. Zuletzt kam es am Tag des Redaktionsschlusses für diesen Artikel, am 20. Dezember 13, erneut zu solcherart Übergriffe von christlichen oder christlich-animistischen Milizen auf muslimische Einwohner, vgl. http://www.lefigaro.fr/

Präsident François Hollande versuchte, diese Widersprüche aufzulösen, indem er sich nach allen Seiten hin als Vermittler aufspielte. Hätte Frankreichs Staatsspitze ursprünglich wohl politisch eher auf Seiten der Séléka gestanden, verkündete Hollande nun am 07. Dezember 13 in einem Interview, Ziel des französischen Eingreifens in Bangui sei ein Regierungswechsel und die möglichst schnelle Organisierung von Wahlen: „Man kann einen Präsidenten, der nichts (gegen die Übergriffe) tun konnte oder gar machen ließ, nicht im Amt lassen. Die Vorstellung ist, so bald wie möglich zu Wahlen zu kommen.“ Ähnlich wie in Mali, wo die französische Intervention im Januar 2013 begann und es im Juli/August 2013 zur Präsidentschaftswahl (sowie am 24. November und 15. Dezember zu Parlamentswahlen) kam – deren Termin freilich im Land umstritten blieb, viele Malier/innen sahen den Kalender als verfrüht von und „von Frankreich aufgesetzt“ an. In der ZAR, postulierte Hollande, sollen innerhalb von spätestens 18 Monaten nach dem Interventionsbeginn ein Machtübergang durch reguläre Wahlen veranstaltet werden. Dies rief jedoch alsbald erhebliche Zweifel über den Sinn der französischen Intervention hervor. (Vgl. http://www.lemonde.fr/)

Unabhängiger Streitschlichter oder aber Macht, die einen Regierungswechsel erzwingen möchte – Frankreich wird sich tatsächlich für eine der beiden Rollen entscheiden müssen, die zueinander objektiv im Widerspruch stehen... Unterdessen wurde in Paris vermeldet, am Abend des 10. Dezember 13 hätten bewaffnete Séléka-Kämpfer dem Präsidenten François Hollande am Flughafen von Bangui aufgelauert, als dieser seine Rückreise in Richtung Paris antreten wollte. Inwiefern Hollande dabei wirklich gefährdet war, bleibt umstritten. (Vgl. http://www.lexpress.fr/ und http://www.france24.com oder http://www.bfmtv.com Aber der Zwischenfall spricht jedenfalls nicht dafür, dass Frankreich dort in naher Zukunft eine absolut ruhige Kugel schieben wird...

Frankreich und Tschad als „Brandstifter“

Hintergrund dafür, dass – wie oben beschrieben – die Séléka im März 2013 quasi mit französischer Billigung die Macht in der ZAR übernehmen konnte, war, dass die Pariser Regierung sich offenkundig dazu entschieden hatte, einen solchen Machtwechsel zu akzeptieren. Dabei spielte wohl auch eine wichtige Rolle, dass diese durch einen engen Verbündeten unterstützt wurde, das tschadische Regime.

Auch jetzt noch, in der zweiten Dezemberhälfte 2013 und nach Beginn der französischen Intervention, unterstützt das Regime im Tschad die Séléka. Auch offiziell sind derzeit tschadische Truppen im Nachbarland präsent, denn neben der französischen Streitmacht von 1.600 Mann stehen auch Soldaten afrikanischer Truppen in der ZAR, inzwischen mit UN-Mandat. Zunächst interviewte dort die Regional-Streitmacht mehrere zentralafrikanischer Staaten FOMAC, doch am 19. Dezember 13 ging formal das Oberkommando aller (offiziell als „Puffertruppen“ in der ZAR stehenden) afrikanischen Truppen auf die Vereinten Nationen über. Anfang Dezember d.J. standen 2.000 afrikanische Soldaten in der Zentralafrikanischen Republik, bei Redaktionsschluss dieses Artikels ist ihre Anzahl auf 3.700 angewachsen, perspektivisch sollen es 6.000 werden. Die meisten dieser Truppen sind, im Armeejargon, „militärisch wertlos“ – schlecht ausgebildet und ausgerüstet, vor allem wegen des UN-Solds dort und unmotiviert. Anders hingegen die tschadische Armee, die de facto das Rückgrat der FOMAC abgab. Zwar untersteht auch sie inzwischen in der Zentralafrikanischen Republik einer formalen UN-Kontrolle. In Wirklichkeit betreibt die Armee des Tschad jedoch ihre eigene Politik im Nachbarland, greift mehr oder minder offen parteiisch zugunsten der Séléka an – und vertrieb kurzerhand die UN-Blaumhelme aus Burundi, die zu ihrer Verstärkung in Teile der Zentralafrikanischen Republik entsandt worden waren, von ihrem Einsatzort. Störenfriede können die Tschader dort nicht gebraucht... (Vgl. http://www.lemonde.fr/ )

Die Diktatur im Tschad ist eine der übelsten in der Region. Idriss Déby, der im Dezember 1990 mit Waffengewalt in die Macht war, errichtete eine auf ethnozentriertem Klientelismus basierende „Clanarmee“ – alle wichtigen Posten sind mit Angehörigen seiner eigenen Volksgruppe, der Zaghawa, besetzt – und schlug mehrmals Rebellenbewegung militärisch nieder. Wie 2006 und 2008, jeweils mit aktivem Eingreifen Frankreichs zu seinen Gunsten. Beim letzteren Mal „verschwanden“ auch zivile, unbewaffnet agierende Oppositionspolitiker wie Ibni Oumar Mahamat Saleh spurlos. Das Ansehen des als notorischer Schlächter geltenden tschadischen Präsidenten verschlechterte sich jedoch in den letzten Jahren auch in Paris. Seitdem seine Armee in den ersten Jahresmonaten 2013 das stärkste Truppenaufgebot nach dem französischen Kontingent bei der Intervention in Mali stellte, ist sein Ansehen wieder aufpoliert worden – er gilt nunmehr wieder als „unumgänglicher Verbündeter“. Die Perspektive auf einen Machtwechsel im Tschad scheint erneut in weite Ferne gerückt. Frankreich ist seit 1986 ständig militärisch im Tschad präsent. In jenem Jahr begann die Opération Epervier (Sperber), die theoretisch nur wenige Monate dauern sollte und sich gegen die Einmischung von Libyens Qadhafi-Regime im Tschad richtete. Letzteres wurde 2011 durch libysche Rebellen, die sich auf eine französisch-britische Intervention stützen konnten, beseitigt.

Beim „Bürgerrechtstribunal gegen den französischen Neokolonialismus in Afrika“, das am 04. Dezember 13 in Paris als Gegengipfel zum Treffen der Staatsoberhäupter stattfand, und bei der Protestkundgebung am Abend des 05. Dezember sprach die aus der ZAR stammende Aktivistin Denise Yakazangba. Sie steht an der Spitze einer Koalition aus 55 NGOs und kandidierte 2011 als unabhängige Bewerberin zum Parlament. Aus den genannten Gründen sprach die Aktivistin deswegen auch von Frankreich und dem Tschad als „Brandstiftern“. Dabei wollten die französischen Brandstifter nunmehr zusätzlich den Feuermann spielen. Stattdessen forderte sie ein Ende der Einmischung, vor allem einen Rückzug des Tschad aus den Angelegenheiten der ZAR. (Auch tschadische Oppositionelle hatten ihrerseits im September 2013 vor der Botschaft der ZAR in PARis gegen das Regime von Idriss Déby und seine Rolle im Nachbarland protestiert.)

Die rund 200 Teilnehmer/innen am Gegengipfel vom 04. Dezember zeigten sich überzeugt, dass Frankreich in der ZAR am meisten am Uran interessiert sei. Der in Staatsbesitz befindliche französische Atomkonzern Areva hat dort seit 2007 am Standort Bakouma investiert, wo Uranerz geschürft werden soll. Die Arbeiten an der Mine wurden allerdings 2011 vorübergehend eingestellt, offiziell, weil Areva an der Rentabilität des Abbaus zweifelte. Im Hintergrund standen aber wohl eher heftige Rivalitäten, die hinter den Kulissen ausgetragen wurden: Der französische Staat warf dem damaligen Präsidenten Bozizé vor, chinesischen Investitionen in der Erdölförderung auf dem Boden der ZAR zu wohlwollend gegenüber zu stehen. Deswegen dürfte man wohl auch seinen Sturz nicht gar zu ungern gesehen zu haben.

Areva drohte unterdessen in der zweiten Dezemberwoche 2013 vorübergehend mit einem Rückzug aus dem mittelafrikanischen Land Niger, wo derzeit 40 Prozent des Urans für die gigantisch ausgebaute französische Nuklearindustrie abgebaut werden. Niger ist zugleich eines der zehn ärmsten Länder der Erde – suchen Sie den Fehler…! Anlass für die Spekulationen über einen Rückzug aus Niger war, dass die Regierung in Niamey die Gewinne von Areva künftig mit 12 statt nur 5,8 Prozent besteuern möchte. Inzwischen wurden die Abzugspläne jedoch dementiert. Es ging wohl vor allem darum, den Druck auf die örtlichen Behörden zu steigern. Auch in Mali möchte Areva ab Januar 2015 Uran abbauen, in Faléa im Südwesten des Landes. Nur böse Geister könnten vermuten, dass da eventuell ein Zusammenhang zu vergangenen und gegenwärtigen Interventionen besteht.

It’s the economy, stupid?!

Südafrika hatte vor dem Machtwechsel im März 2013, im Gegensatz zu Frankreich in der letzten Phase, Altpräsident Bozizé politisch, zunächst auch militärisch unterstützt (bevor er ins Nachbarland Kamerun floh). Die Republik Südafrika zog jedoch ihre Militärs nach Kämpfen mit Kindersoldaten der Séléka aus der ZAR ab, da die südafrikanische Presse sich von den Bildern getöteter Heranwachsender schockiert zeigte.

In beiden Fällen - bei der Positionierung Frankreichs gegen, und jener Südafrikas für einen Machterhalt Bozizés - waren und sind materielle Interesse dem Mitmischen in der ZAR nicht fremd. Südafrika, das weltweit eine führende Rolle in der Edelstein- und Goldverarbeitung spielt, war deutlich an den Diamantenvorkommen im Land interessiert. Frankreich ist hingegen wohl, wie erwähnt, am meisten am Uran in der ZAR interessiert.

Wirtschaftliche Interessen Frankreichs auf dem afrikanischen Kontinent werden keineswegs dementiert. Am Vorabend des Gipfels im Elysée-Palast fand in Bercy – also am Pariser Sitz des französischen Ministeriums für Wirtschaft und Finanzen – am 05. Dezember d.J. ein „Wirtschaftsgipfel“ zu Afrika statt. Daran nahmen 560 Unternehmer statt, aber auch vier Staatschefs: jene Frankreichs, des Senegal, der Elfenbeinküste sowie Tansanias. François Hollande gab dabei das Ziel aus, das Handelsvolumen Frankreichs mit dem afrikanischen Kontinent in den kommenden Jahren zu verdoppeln. In den letzten fünfzehn Jahren hatte Frankreich dort zuvor die Hälfte seiner vormaligen Marktanteile eingebüßt. Unter anderem, weil es im Glauben daran, seine Positionen in Afrika seien auf ewig gesichert, zu arrogant auftrat und weil China als rohstoffhungriger neuer Handelspartner sehr offensiv um einen Zugang zu den Ländern des Kontinents kämpfte.

Um seine angestammten Positionen zu behaupten, wird Frankreich also wohl wieder verstärkt um Präsenz in Afrika ringen. Hollande kündigte beim Gipfel im Elysée-Palast an, das Land werde im kommenden Jahr 20.000 Soldaten afrikanischer Armee ausbilden.

Editorische Hinweise

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