Iran
Deal in Genf mit den Großmächten

von Bernard Schmid

12-2013

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Wenn in der „hohen Politik“ der Großmächte alle sich einig, hocherfreut und optimistisch zeigen, das zeigt die Lebenserfahrung, dann sollte man besser unter dem Teppich nachschauen. Oft wurde irgendetwas, was übel riecht, dorthin gekehrt. Ohne in die Haltung des systematischen „Verdachtschöpfens“ zu verfallen, wie sie heutzutage unter anderem bei Verschwörungstheoretiker/inne/n beliebt ist, sollte man also am besten einen kühlen Kopf und einen klaren Blick bewahren.

Zwei Haltungen dominieren vielerorts, was das Abkommen betrifft, welches in der Nacht vom 23. zum 24. November 2013 in Genf zwischen dem iranischen Regime und den Regierungen von sechs Großmächten – den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats und Deutschland – abgeschlossen wurde. Und beide sind aus Sicht einer kritischen, emanzipatorischen Linken wohl falsch. Die erste Haltung ist die des jubelnden Optimismus: Endlich seien alle zur Vernunft gekommen, nunmehr sei der Weg zum allgemeinen Frieden geebnet, und endlich herrsche Besonnenheit und Gesprächsbereitschaft unter den Regierenden auf allen Seiten. Die zweite Haltung ist die des Alarmismus, der in schrillen Tönen vor den Tücken der iranischen Führung warnt. Ihr zufolge ließen die Staatsführer der beteiligten Großmächte sich aus Feigheit, Naivität, Gutgläubigkeit oder auch aufgrund bewussten Verrats von der iranischen Delegation hereinlegen. Diesen Diskurs findet man etwa bei der US-amerikanischen Rechtsopposition, bei wesentlichen Teilen der politischen Klasse im Staat Israel, oder bei manchen Konservativen in Europa.

(Auch ihre „antideutsch“-neokonservativen Nachbeter in deutschsprachigen Ländern befleißigen sich identischer Warnungen. „Der Kniefall von Genf“, so überschreibt einer der Wortführer dieses Lagers, Matthias Küntzel, eines seiner Artikelchen zum Thema. Andere bemühen immer wieder und gemütsmühlenartig das Münchener Abkommen von 1938, die damals ausgesprochenen fatalen Worte des britischen Premierministers Neville Chamberlain - „Peace in our time“ - und diverse Synonyme, um dieselbe Idee auszudrücken – „Appeasementpolitik“, „Beschwichtigung“ usw. Nun, diese Leier ist altbekannt, und von dieser Seite her ist mit absoluter Sicherheit nichts Neues oder Analytisches zu erwarten.)

Das eine Herangehen enthält ebenso falsche Annahmen wie das andere. Das iranische Regime ist mit jenem Adolf Hitlers nicht zu vergleichen, seine geopolitische Stellung noch weniger. Gleichzeitig wäre es falsch, wollte man das Lächeln des im Juni 2013 gewählten iranischen Präsidenten Hassan Rohani zum Anlass nehmen, über den grundsätzlich unterdrückerischen und reaktionären Charakter des Regimes hinwegzusehen, das er repräsentiert (und in dem nicht er die zentrale Machtposition besetzt, sondern das nicht gewählte politisch-religiöse Oberhaupt Ali Khamenei). Von Anfang dieses Jahres bis November 2013 wurden im Iran mindestens 400 Menschen offiziell hingerichtet, darunter mindestens 125 unter der Präsidentschaft Rohanis. Besonders in Iranisch-Kurdistan wütet die Repression. Im November 13 wurden Einrichtungen der religiösen Minderheit der Bahai von brutalen Schlägerbanden, die dem Regime nahe stehen, attackiert; Bahai waren sowohl Opfer außergerichtlicher Tötungen als von Hinrichtungen. An der Natur des iranischen Regimes, dessen Land eine der höchsten Zahlen vollstreckter Todesurteile auf der Erde aufweist, ändert sich durch das smarte Auftreten des neuen Präsidenten absolut nichts.

Außenpolitisch jedoch sind tatsächlich unübersehbare Veränderungen eingetreten. Sie betreffen das Auftreten des Regimes selbst, aber auch die Haltung seiner Gegenspieler wie der US-Administration: Als erster US-Präsident seit Jimmy Carter und dem Sturz des Schah als iranisches Staatsoberhaupt telefonierte Barack Obama am 27. September dieses Jahres direkt mit Hassan Rohani, drei Tage, nachdem der iranische Präsident und Frankreichs Staatschef François Hollande sich am Rande der UN-Vollversammlung in New York am 24.09.13 die Hände gedrückt hatten. Dieses diplomatische „Tauwetter“ war die Voraussetzung für das Nuklear-Abkommen, das zwei Monate später in Genf abgeschlossen wurde.

Es entspricht den grundlegenden Interessen beider Seiten. Die führenden Kreise in den USA mussten in den letzten sechs Jahren (vorläufig? definitiv?) jegliche Pläne aufgeben, das iranische Regime durch diplomatische Isolation, politische Repressalien und notfalls auch durch militärische Attacken zuerst zu marginalisieren und dann zu beseitigen. Teile des politischen Establishments träumten und träumen noch immer davon. Nicht deswegen, weil das iranische Regime ein reaktionäres und menschenverachtendes ist (die Monarchie in Saudi-Arabien ist in vielen Punkten noch übler und seit 1945 ein enger US-Verbündeter). Sondern, weil es infolge einer Revolution an die Macht kam, auch wenn es die revolutionäre Legitimität lediglich usurpiert und zugleich fast alle Errungenschaft der Revolution schnell zerstört hat. Und weil ab dem 04. November 1979 Mitarbeiter der US-Botschaft in Teheran 444 Tage lang als Gefangene oder Geiseln festgehalten wurden.

Interessen der USA

Aber selbst wenn die US-Administration aktiv danach streben würde: Diesen Plan zu erfüllen, können die Vereinigten Staaten sich heute schlichtweg nicht leisten. In der Bush-Ära hatten sie ihre militärischen und ökonomischen Kräfte bei weitem überspannt, u.a. bei der Kriegsführung im Irak und in Afghanistan/Pakistan. Noch vor dem Präsidentenwechsel zu Bush zu Obama wurden deswegen die Pläne für einen eventuellen Angriff auf den Iran geknickt: Der NIE-Report (der Geheimdienstbericht unter dem Titel National intelligence estimate) vom Dezember 2007 stellte fest, das iranische Regime strebe gar nicht mehr nach der A-Bombe. Das stimmte gar nicht unbedingt, aber erfüllte seinen Zweck: Der Militär- und Geheimdienstapparat der USA fiel George W. Bush in den Arm, weil sie fürchteten, er hege Angriffspläne gegen den Iran, was sie für eine irre Vorstellung hielten. Der Präsidentenwechsel und die Wirtschaftskrise bekräftigten das US-Establishment seitdem in dem Kurs, der auf der Erkenntnis beruht, dass Schritte zur aktiven Beseitigung des iranischen Regimes durch die USA keine realistische Politik darstellten.

Unterdessen streben US-amerikanische Unternehmen danach, endlich wieder auf den iranischen Markt vordringen zu dürfen. Ein Binnenmarkt in einem Staat mit 75 Millionen Einwohner/inne/n, das ist ein Argument, das nordamerikanische Konzerne (ebenso wie jene anderer Länder) aufhorchen lässt: Wer würde sich die Gelegenheit entgehen lassen, dort zu punkten...? Wichtige US-Unternehmen stehen deswegen längst in den Startlöchern. Und wenn derzeit noch US-Sanktionen in Kraft sind, dann dienen sie auch dazu, Firmen aus anderen Staaten prophylaktisch den Zugang zum iranischen Markt zu erwehren oder zu erschweren. So versucht General Motors – mit Rückendeckung durch Obama -, diesen Vorwand zu nutzen, um unter Berufung auf das Sanktionsregime die französischen Konkurrenten von Renault & Peugeot aus dem Weg zu kicken. (Vgl. http://www.lefigaro.fr/ und http://www.latribune.fr/ ) Wer möchte schon seine Chancen verkommen lassen, inmitten einer kapitalistischen Welt...

Interessen des iranischen Regimes

Auch das iranische Regime kann sich die Isolation nicht länger leisten, in das Präsident Mahmud Ahmedinedschad (Juni 2005 bis Juni 2013) das Land durch seine Sprücheklopferei, sein Flirten mit Holocaustleugnern und sein verbalradikales Auftrumpfen gegen die USA und Israel geführt hatte. Zwar ist es durchaus grundsätzlich am Erwerb der Atomwaffe als wichtigen internationalen Statussymbols, das über den Rang einer Regionalmacht in der internationalen Hackordnung mit entscheidet, interessiert. Wichtiger noch ist ihm aber eine Bestandsgarantie – die grundsätzliche Versicherung, dass die Großmächte nicht aktiv versuchen werden, dieses Regime zu ersetzen -, wobei seine politische Aufwertung als Gesprächspartner derzeit auch damit einhergeht, dass die Großmächte den Iran bei Verhandlungen über die politische Zukunft Syriens (wo Teheran das Assad-Regime tätig unterstützt) einbeziehen möchten.

Was sieht das Abkommen von Genf vor? Der Iran behält seine nukleare Infrastruktur. Er verzichtet aber auf die Urananreicherung über einen Urananreicherungsgrad von 5 Prozent hinaus; für den Bau von Atomwaffen ist ein Grad von 93 Prozent erforderlich. Die vorhandenen Anlagen werden nicht zerstört, aber unter die Überwachung der Internationalen Atomenergieagentur gestellt, die auch ungekündigte Kontrollen durchführen können soll. Das über 5 Prozent hinaus angereicherte Uran soll vom Iran abgegeben werden, was seinen Transport ins Ausland bedeuten kann, aber auch, dass es mit niedriger angereichertem Uran (etwa in Gasform als Uranhexafluorid) vermengt wird. Dieser Rückbau der zur Entwicklung von Atomwaffen erforderlichen Infrastruktur ist nicht definitiv irreversibel, da der Iran nicht auf die Verfügung über die Anlagen verzichtet, entfernt ihn jedoch vom Ziel des Besitzes eigener Atomwaffen. Der politische Gewinn überwiegt jedoch aus Sicht des Regimes.

Standpunkt der Emanzipation

Vom Standpunkt der Emanzipation der Unterdrückten im Iran, die in Genf weder direkt noch indirekt mit am Tisch saßen, ist diese Einigung jedoch allenfalls zweitrangig. Der Bevölkerung könnte es eine Atempause gegenüber dem ökonomischen Druck im Alltag verschaffen, dass beispielsweise nicht länger die Zurückhaltung von Erdöleinnahmen des Landes in Milliardenhöhe verfolgt. Gleichzeitig kann das Regime sich auf eine vorgebliche Stärkung seiner Legitimität berufen.

Wer jedoch wirklich etwas für die Lockerung der Unterdrückung und die Ermöglichung von emanzipatorischen Regungen im Iran tun möchte, für den oder die kann das Abkommen nur nachrangig sein. Zu drängen hätte er oder sie vielmehr auf Veränderungen auf ganz anderen Ebenen. Würde eine internationale Aufmerksamkeit - mit auch nur annähernd vergleichbarer Intensität – etwa für die Zustände in iranischen Gefängnisse existieren, würden gar die dortigen Haftanstalten regelmäßigen Kontrollbesuchen unterzogen und müsste das iranische Regime sich dafür erheblich rechtfertigen, wäre dies von ungleich größerer Bedeutung.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.