Syrien-Appell: Freiheit braucht Beistand!
Aufruf zur Unterstützung des zivilen Widerstandes in Syrien

Kritische Anmerkungen von Anton Holberg

12-2012

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Das Projekt "Adopt A Revolution" hat jüngst wieder einen neuen Aufruf zur Unterstützung des "zivilen Widerstandes in Syrien" in Umlauf gebracht.  ER ist bestenfalls guit gemeint, aber "gut gemeint" ist nicht selten eine euphemistische Umschreibung von "schlecht gemacht".

Unzweifelhaft ist das, was in Syrien geschieht eine Katastrophe. Und wenn es irgendeine Möglichkeit gibt, der Zivilbevölkerung humanitäre Hilfe zu leisten, sollte diese ergriffen werden. Aber, wenn je, dann gibt es entgegen dem, was die Autoren dieses Aufrufs schon durch ihren Namen propagieren, schön längst keine zu adoptierende "syrische Revolution" mehr.

Die Volkskräfte, die sich völlig legitim gegen die herrschende bürgerliche Diktatur im Land aufgelehnt haben, um ein demokratischeres und sozial gerechteres Land zu schaffen, sind leider inzwischen durch ein Sammelsurium von Kräften marginalisiert worden, deren gesellschaftliche Perspektiven noch deutlich reaktionärer und maßenfeindlicher sind als die des Regimes selbst. 

Es stimmt zwar, daß das Regime in seinem Überlebenskampf selbst konfessionelle und regionalistische Widersprüche instrumentalisiert hat, aber es kann natürlich keine Rede davon sein, dass ein sich auf religiöse Minderheiten (noch weitgehend) stützendes Regime, die sunnitische Mehrheit wegen ihrer Religion unterdrückt. Genau das hingegen ist unverkennbar das Projekt des zunehmend von radikalen Kräften majorisierten oder zumindest stark beeinflussten fast ausschließlich sunnitischen bewaffneten Widerstands. 

Von diesen Kräften (die bekannteste ist die Jabhat an-Nusra, die inzwischen ein Bündnis mit sechs weiteren jihadistischen Gruppen gebildet hat) wird inzwischen z.B. schon angekündigt, man wolle im Falle eines Sieges den Christen im Land die traditionelle Kopfsteuer ("Jizya") für unterworfene Angehörige Juden und Christen auferlegen. Was sie für "Heiden" oder gar Religionslose vorsehen, ist wesentlich barbarischer).

Es ist mehr als wahrscheinlich, daß die Mehrheit der Bevölkerung keineswegs so denkt, aber ebenso es ist überaus unwahrscheinlich, dass deren Ansichten sich nach einem langen Bürgerkrieg durchsetzen könnten, denn in einem solchen gewinnen notwendigerweise die effektivsten militärischen Kräfte eine wachsende Bedeutung - und das sind sowohl durch die ihnen zukommende materielle Unterstützung aus dem Ausland, als auch durch ihre Kampferfahrung und ihre fanatischer Todesmut eben diese Jihadisten.

Die wahrscheinlichste Perspektive für Syrien nach dem Sturz des Regimes ist kurz- und mittelfristig ein Machtkampf und somit Fortsetzung der Schlächterei auch zwischen den heute verbündeten Kräften der bewaffneten "syrischen Revolution", bei der die zivilen Kräfte sowie die religiösen Minderheiten weiterhin zermahlen werden. Es gibt unter diesen Umständen heute keine "syrische Revolution", die irgendwer mit auch nur bürgerlich-demokratischer Perspektive ernsthaft adoptieren könnte. 

Eine Ausnahme wären hier höchstens die imperialistischen Staaten, die ihre Anhänger in Syrien nach dem Sturz des Baath-Regimes gegen die Jihadisten bewaffnet könnten. Bekanntlich bedeutet die Tatsache, dass diese jihadistischen Kräfte ("Al-Qaida" und verwandte Gruppen) imperialistischen Interessen zu bestimmten Zeiten durchaus dienen, ja keineswegs, dass nicht die Einen und die Anderen widersprüchliche weitergehende Perspektiven haben - man liebt die Kollaboration, aber nicht unbedingt den Kollaborateur. 

Nachdem aber bereits das gegenwärtige syrische Regime durch seine zunehmend neoliberale Wirtschaftspolitik gerade die (sunnitischen) ländlichen und vorstädtischen Massen ins Lager der Opposition getrieben hat, ist nicht zu erkennen, wie ein neues Regime von imperialistischen Gnaden die sozialen Erwartungen dieser Massen erfüllen und damit die Voraussetzung auch nur einer "bürgerlich-demokratischen" Ordnung im Land schaffen könnte. Wenn man dann noch bedenkt, dass ein erheblicher Teil der nicht-jihadistischen Kräfte sich - um es vorsichtig zu formulieren - unter dem Schirm der Muslimbruderschaft befindet, gibt es ohnehin keine Hoffnung auf eine solche Ordnung, die ihren Namen verdiente.

Nichts deutet zudem bisher darauf hin, dass irgendwelche "Linkskräfte" in der syrischen Opposition (natürlich auch nicht auf Seiten des Regimes) eine relevante Rolle spielen. Der beste Beleg dafür dürfte der Beitrag aus der Feder des linken "syrischen Aktivisten" Ghayath Naissé, sein, der im November in der SoZ erschienen ist. 

In diesem vom 1. Juni 2012 stammenden Beitrag schreibt er: "Keine politische Kraft der Opposition ist darauf bedacht, in der syrischen Arbeiterklasse zu agieren, deren Anzahl annähernd 2 Millionen beträgt. Auch schlägt keine ein Programm vor, das deren Interessen und Forderungen aufgreift oder gar den Aufbau autonomer Gewerkschaften unterstützt." 

Das bedeutet im Klartext, dass es in Syrien keine organisierten Linkskräfte gibt! Gäbe es sie und würden sie die Angriffe des Regimes überleben, könnten sie sicher darauf rechnen, die ersten Opfer eines Sieges der vorherrschende konfessionellen Kräfte der "syrischen Revolution" - Muslimbrüder und Jihadisten - zu werden. Das iranische Beispiel ist nicht das Einzige dieser Art.

Diese Analyse scheint im übrigen zunehmend auch von den noch verbliebenen linken Aktivisten geteilt zu werden (wenngleich mit einem - psychologisch gut nachzuvollziehenden - stärkeren Glauben an einen positiven Ausweg. Der jüngste Beitrag von Michel Kilo in der Beiruter Zeitung "As-Safir"(engl. Übersetzung: http://www.al-monitor.com/pulse/politics/2012/12/islamist-alternative-will-not-save-syria.html  ) weist darauf hin.

Editorische Hinweise

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