Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Reif für die Insel: Probleme auf Korsika

12-2012

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Europa debattiert über die Autonomie für Regionen wie Katalonien oder Flandern. Die zu Frankreich gehörende Mittelmeerinsel Korsika besitzt bereits seit 1999 ein Autonomie-Statut. Es wird allerdings in der heutigen Praxis keineswegs für emanzipatorische Ziele genutzt...

Die Insel Korsika wurde lange Zeit durch manche ihrer politischen Akteure nicht nur als benachteiligte Region betrachtet, sondern als eine veritable Kolonie. Besonders durch jene politischen Kräfte, die sich als „autonomistisch“ respektive „nationalistisch“ definierten – das waren die moderatere und die radikalere Variante. Ab 1975 ging ein Teil von ihnen zum bewaffneten Kampf über und begründete die „Nationale Befreiungsfront Korsikas“, den FLNC, unter Nachahmung des Namens der ehemaligen Befreiungsfront im von Frankreich unterworfenen Algerien – welche später zur Staatspartei wurde. Das ganze Treiben begann in Aléria (auf Ostkorsika) mit der Besetzung des Weinguts eines Großgrundbesitzers.

Und tatsächlich sprach für die Sichtweise, wonach die Mittelmeerinsel als eine Art Kolonie behandelt werde, in der historischen Rückschau so manches. Korsika hatte 1769 seine Unabhängigkeit von Italien erlangt, eine eigene Republik ausgerufen und während der Französischen Revolution die Jakobiner unterstützt. Die Zentralmacht in Paris dankte es nicht, vor allem, als auf die Revolution das Empire unter Napoléon Bonaparte folgte. Obwohl dieser junge Militär selbst aus Korsika stammte, machte er Karriere, indem er dort eifrig Felder niederbrannte und die Insel hart für ihre zeitweilige Besetzung durch die Briten abstrafte. Später errichtete er Zollschranken für alle Produkte aus Korsika, damals eine Kornkammer, und begünstigte umgekehrt die Einfuhr aller Waren aus Frankreich. Die Ökonomie der Insel wurde auf Dauer ruiniert.

Daraufhin wurde deren Bewohner für 150 Jahre lang eine Lösung angeboten, indem ihnen der Aufstieg im oder beim Staatsapparat ermöglicht wurde: Korsen machten Karriere als Polizisten, Polizeichefs, Innenminister (Charles Pasqua), Militärs oder als Siedler in französischen Kolonien. Auf Korsika wurden „Wohltaten“ in Gestalt von Sozialleistungen verteilt, als handele sich um private Geschenke, und zwar durch die regierenden Großfamilien: die „Clans“. Diese waren die politische Hauptstütze der französischen Republik – die jeglichen universalistischen Charakter dabei verlor - auf der Insel.

Dagegen traten die frühen Nationalisten an. Doch dies ist vorbei, ebenso wie ihre Aura als Kämpfer gegen die lokalen Mächtigen. Denn längst sind sie Bestandteil eines dichten, dichten und undurchsichtigen Filzes. Erleichtert wurde dies durch die Fraktionierung des FLNC, der sich in den frühen neunziger Jahre in einen Flohzirkus heillos zerstrittener Banden auflöste - und dann seit 1999 durch die Autonomie-Regelung, welche die sozialdemokratische Pariser Regierung von Lionel Jospin mit der konservativen Rechten vor Ort aushandelte. Diese erlaubte es erstmals, über einen lokalen rechtlichen Rahmen zu verkünden, um eigene Investitionsregeln festzulegen. Örtliche Reiche investieren seitdem verstärkt auf der Insel, mangels entwickelter Ökonomie entweder in den Luxustourismus und die Immobilienspekulation – oder in Spielhöllen und Glücksspiele (bislang eine Spezialität von Korsen im französischsprachigen Afrika), in Waffengeschäfte und ins Security-Gewerbe. In diesen Sektoren eifrig mit dabei sind oft frühere nationalistische Aktivisten, die hier eine berufliche Perspektive oder jedenfalls ein Auskommen fanden. Die Abgeordneten vom parlamentarisch-„politischen Flügel“ der sonst eher im Untergrund aktiven Nationalisten waren 1999, beim Autonomie-Abkommen, in einer Koalition mit den wirtschaftsliberalen Rechten dabei gewesen.

Am 14. November 12 wurde in Ajaccio der Chef der Industrie- und Handelskammer, Jacques Nacer, ermordet. Aber die wirkliche Zielscheibe war laut Auffassung vieler Beobachter der mit ihm befreundete Alain Orsoni, Chef eines einflussreichen Fußballclubs – und früher einer der Lautsprecher der aktiven Nationalisten, heute erfolgreicher Geschäftsmann. Offenkundig waren hier einflussreiche Gruppen dabei, Claims mit der Knarre abzustecken. Innenminister Manuels Valls und Justizministerin Christine Taubira – sonst eher weit auseinander – eilten kurz darauf gemeinsam auf die Insel, wo sie sich zu Anfang dieser Woche (26./27. November) erneut zusammen aufhielten.

Valls sprach dabei von einer „Mafia“, welche auf der Insel mächtig sei, womit er ausnahmsweise tendenziell Recht hatte. Die Enthüllungszeitung Le Canard enchaîné lieferte parallel dazu am 21. November d.J. aufschlussreiche Details dazu, wie der Apparat von Polizei und Innenministerium seit Jahren jegliche Ermittlungsarbeit gegen „Interessen“ aus dem nationalistischen – oder vormals so orientierten – Milieu sabotiert. Straffreiheit ist den Betreffenden vor diesem Hintergrund quasi garantiert. Und so wird der Sumpf immer breiter, in den auch frühere nationalistische „Idealisten“ sehr tief eingesunken sind.

Editorische Hinweise

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.