Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Sozialprotest mau-flau – ein Trauerspiel

12-2012

trend
onlinezeitung

Am 14. November 2012, dem Streik- und Mobilisierungstag dieses Herbstes in ganz (Süd)Europa, waren auch in Frankreich Lohnabhängige und Erwerbslose zu Protesten und Demonstrationen aufgerufen. In Paris ging eine von fast allen relevanten Gewerkschaftsverbänden aufgerufene Demonstration um 14 Uhr am Montparnasse-Bahnhof los. Die Mobilisierung blieb jedoch enttäuschend.

Am Abend des diesjährigen 14. November illustrierte die bekannte satirische Puppensendung des Fernsehsenders Canal +, also Les Guignols de l’info, die Krisenproteste in mehreren europäischen Ländern. Und zwar so: In Spanien sieht man Bilder einer Demonstration (Nein zur Austeridad!), aus Griechenland sieht man ähnliches (Gegen Sparpolitikos!). Dann kommen François Hollande und Jean-Marc Ayrault, derzeit französischer Präsident respektive Premierminister, ins Bild. Mit folgendem Kommentar dazu: „Auch in Deutschland wurde demonstriert.“ Im selben Augenblick hebt Ayrault ein Schild hoch: „Mitleid, bitte Geld!“, und François Hollande spricht dazu den Satz: „Bitte, Angela!“

Nicht gar so bettelnd sollte es gestern bei einer Demonstration zugehen, zu der alle bei Sozialprotesten relevanten französischen Gewerkschaftsverbände (d.h. alle ohne den „unpolitisch“-schillernden Dachverband FO, ohne die Christengewerkschaft CFTC und den Verband der höheren Angestellten CGC) aufgerufen hatten. Allein, die Mobilisierung stellte eher eine herbe Enttäuschung dar. Zwischen 10.000 und höchstens 15.000 Menschen demonstrierten am Nachmittag vom Montparnasse-Bahnhof zum Sitz des Arbeitgeberverbands Merde-f, pardon: Medef.

Dazu kam im Wesentlichen nur gewerkschaftliche Kernklientel zusammen, d.h. die Demonstration bestand fast ausschließlich aus Blöcken der jeweiligen Gewerkschafts-Mitgliedschaft (zuzüglich einem kleinen Block der Sans papiers, der „illegalisierten“ Lohnabhängigen, sowie einem kleinen Arbeitslosenblock). Insbesondere die CGT hatte dazu mobilisiert, vor allem aus den öffentlichen Diensten sowie einigen Großunternehmen wie Air France und den Automobilherstellern. Das Vorbeiziehen der CGT-Blöcke dauerte an einem Fixpunkt – der Kreuzung Boulevard de Montparnasse/rue de Vaugirard gut 35 Minuten (oder knapp 40 Minuten unter Einschluss des vorne gehenden Prominentenblocks plus Ordnerdienste). Die Mitgliedschaft der, an der Spitze rechtssozialdemokratischen, CFDT – vor allem aus dem Bankensektor und Metallbereich, beide stellen eher linke Branchenverbände innerhalb der CFDT dar – benötigte genau drei Minuten zum Vorbeigehen. Im Anschluss brauchten die linken Basisgewerkschaften (SUD/Union Syndicale Solidaires) ihrerseits vier Minuten, aber für einen wesentlich kompakteren Block. Die übrigen Bestandteile des Demozuges, etwa die vorne gehen „reformerisch-unpolitische“ UNSA, waren quantitativ eher unerheblich. (Vielleicht mit Ausnahme vielleicht eines auffälligen Blocks der bei der UNSA gewerkschaftlich organisierten Gefängniswächter/innen.)

Auch die Slogans waren eher sehr allgemein (etwa: „Nein zur Sparpolitik/zur Spekulation, ja zur Erhöhung von Löhnen und Renten“ bei der CGT) und/oder eher defensiv.

Dazu scheinen auch die Gewerkschaften selbst vielfach nur unzureichend mobilisiert zu haben. Vgl. die Sichtweise der Demoteilnehmerin Maryam: „Ich arbeite in einer Kommunalverwaltung in der Pariser Banlieue. Dort bin ich als Einzige bei einer SUD-Gewerkschaft (und bei der radikalen Linken) tätig, alle anderen sind bei der ,Linksfront‘ (Anm.: KP und Linksabspaltung der Sozialdemokratie) sowie gewerkschaftlich bei der CGT. Als ich meine Kollegen – die bei der CGT organisiert sind – am gestrigen Tag auf die heutige Demo ansprach, wussten die überhaupt nicht, dass da eine stattfand…“

So wird das auf jeden Fall nichts mit den Widerständen gegen die Abwälzung der Krise auf die Lohnabhängigen. Und, vor allem – falls es je so weitergeht, dominiert in der kommenden Zeit eher die politische Rechte die Straße und die Bühne des außerparlamentarische Protests. (Vgl. den Artikel zu dem Thema in dieser Ausgabe über die rechten Aufmärsche gegen die geplante Legalisierung der Ehe unter Homosexuellen.)

Editorische Hinweise

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.