trend spezial: Die Organisations- und Programmdebatte
Diskussionsbeitrag der Gruppe Arbeitermacht zu den Essentials der NAO

von Tobi Hansen

12-2012

trend
onlinezeitung

Es gibt einen Überblick über alle bei TREND 2011/12 veröffentlichten Texte zur Debatte über Organisation und Programm, angeregt durch die "Sozialistische Initiative Berlin" (vormals Berlin-Schöneberg)

Vorbemerkung:  Im Oktober 2012  trafen sich die Gruppen der SiB-NaO-Initiative in Hannover und vereinbarten ein politischen Manifests bestehend aus sogenannten "Essentials" zu erarbeiten. Nachdem Soko und SiB vorgelegt hatten, ga es im November eine Stellungnahme der Gruppe Arbeitermacht. /red. trend

Im Lichte der neuen vorliegenden Entwürfe von Soko und SIB erschien es uns nötig ein eigenes Papier zu den Essentials zu schreiben. Manches von den Texten können wir vorbehaltlos unterschreiben, bei anderen Dingen müssen wir dankend ablehnen, daher wollen wir einige der wichtigsten Punkte dabei in einem Text zusammenfassen.

Wo wollen wir hin – was finden wir vor?

1) Was für eine NAO wollen wir? Die radikale „Linke“ in ihren verschiedenen Fragmenten konnte bislang keine Antwort auf die kapitalistische Krise und deren Auswirkungen finden. Der Zustand der Zersplitterung oder des „Zirkelwesens“ ist aber nicht zufällig entstanden und kann nicht durch „guten Willen“ beendet werden. Wenn wir heute mit mehreren Gruppen und AktivistInnen den Prozess einer gemeinsamen Umgruppierung diskutieren, so sieht die GAM die objektive Notwendigkeit des Aufbaus einer revolutionären Organisation – letztlich eine Partei - in der BRD.

Dies kann die NAO anfangs gar nicht sein, aber das ist das Ziel was die NAO verfolgen muss, wenn es nicht ein größerer „Zirkel“ bleiben will. Dazu gehört auch eine Verbindung von theoretischer Debatte, mit einer gemeinsamen Praxis. Dazu ist die Diskussion über Essentials und Manifest so wichtig und Gemeinsamkeiten festzuhalten (wie auch Differenzen klar zu benennen). Ebenso wichtig ist es aber auch, eine Praxis zu entwickeln, damit dieser Prozess auch außerhalb des Blogs und des bisherigen NAO Ensembles erfahrbar wird.

Für unsere Ausgangsposition ist entscheidend

2) Im Gegensatz um Essentialentwurf des SIB halten wir die SPD nach wie vor für eine bürgerliche Arbeiterpartei. Es gibt eine klar definierte reformistische Vorherrschaft in der Arbeiterbewegung und ihrer Organisationen, die zu unsere aller Leidwesen eben von der SPD ausgeübt wird. Die SPD bspw. bezieht sich eben nicht nur während der Wahlen auf die Klasse, sondern übt auch zwischen den Wahlen ideologischen Einfluss über die Klasse und Kontrolle über die Gewerkschaftsapparate aus. Sie ist eine besonderen Form bürgerlicher Partei (also einer Partei, die den Kapitalismus verteidigt), weil sie sich historisch, sozial und über die Gewerkschaften auf die Arbeiterklasse stützt. Wir nennen sie deswegen bürgerliche Arbeiterpartei. Entscheidend dabei ist aber das wir die SIB Definition dazu ablehnen, auch (gerade) in den letzten 20 Jahren hat die SPD nicht nur während der Wahlen einen Bezug hergestellt, sondern auch die politische Kontrolle über die Gewerkschaften behalten. Politisch geht es hier darum, dass wir denken, dass der SIB-Entwurf das politische Kräfteverhältnis in der Klasse falsch einschätzt.

3) Innerhalb der Gewerkschaften ist es der Linkspartei gelungen, zumindest eine Stellung in der Bürokratie zu erobern. Dies hat aber nicht zu einer oppositionellen Politik geführt, wie auch Regierungsbeteiligungen der Linkspartei nicht zum „demokratischen Sozialismus“ führten – stattdessen lässt auch die neue „linke“ Spitze der Linkspartei keinen Zweifel an dem Regierungswunsch rot/rot/grün. Während sich die Ost/West Funktionäre einen Machtkampf geliefert haben, gibt es bei den AktivistInnen und besonders bei den WählerInnen genügend Menschen die eine Gesellschaft ohne Kapitalismus anstreben – diese sind für uns wichtig und gegenüber diesen müssen wir Angebote gemeinsamer Praxis entwickeln.

4) Der autonome/postautonome Bereich schlingert zwischen reformistischer und post-stalinistischer Anbiederung. Während ein Teil mit der RLS über die Transformation des Kapitalismus diskutiert, verteidigen andere Flügel zusammen mit der DKP das Assad Regime in Syrien. In ihrer Praxis ist viel Symbolpolitik zu finden, verschiedene Großdemos (Dresden, 1.Mai usw.) sollen die Radikalität zum Ausdruck bringen, in der Realität ist dieses Spektrum aber keine Herausforderung für den herrschenden Reformismus.

5) Unser Ziel soll der organisatorische und politische Bruch mit dem Reformismus in der BRD sein, dafür brauchen wir Klarheit (z.B. revolutionärer Bruch) aber auch genügend Breite um AktivistInnen aus verschiedenen Bewegungen zu gewinnen.

Die zunächst beteiligten Organisationen sollten sich darüber verständigen in welchen Bereichen dieser „Bruch“ für uns zunächst machbar ist, z.B. bei der gemeinsamen Arbeit in der GW Linken oder vers. Bündnissen – wie können wir ein antikapitalistisches revolutionäres Profil entwickeln?

6) Wir halten eine grundsätzliches Verständnis des Parlamentarismus und auch eine klare Haltung zu Wahlen für wichtig. Wir sollen aber auch darüber diskutieren, was wir den jetzt in Parlamenten vertreten würden und wie AntikapitalistInnen, Revolutionäre dies nutzen müssten. Um mögliche parlamentarische Degenerierungen zu vermeiden, hilft sicherlich nicht, das wir einen Wahlantritt auf den St.Nimmerleinstag verschieben – dazu brauchen wir Wähl -und Abwählbarkeit aller Amts- und möglicher Funktionsträger, d.h. Kontrolle durch die Basis.

7) Keine Mitverwaltung der Krise – bleibt und ist richtig. Es ist vollkommen korrekt, dass wir uns unter keinen Umständen an einer (linken) bürgerlichen Regierung beteiligen können oder dürfen. Das allein sagt aber noch gar nichts über mögliche Regierungsbeteiligungen einer revolutionären Partei aus. Die Taktik der Arbeiterregierung wurde in den 20ziger Jahren von der KomIntern entwickelt, uns wäre es wichtig diese Taktiken auch einer heutigen Analyse zu unterziehen – warum z.B. in Griechenland eine Arbeiterregierung fordern, bzw. im NAO Prozess erst mal verstehen das „Regierung“ nicht gleich „bürgerliche Regierung“ zu setzen ist

Klassenorientierung – Unterdrückungsverhältnisse – Revolutionärer Bruch

Was für uns dazu gehört:

1) Die Klasse besteht aus vielen Teilen, dazu gehört der Arbeiteraristokrat neben dem Prekarisierten und dem Erwerbslosen – also die Klasse der Lohnabhängigen umfasst viele soziale Abstufungen, genauso müssen wir sie trotzdem als ganzes analysieren und vertreten. Wenig hilfreich sind die Konzepte einer „Ersatzavantgarde“ - sei es die oder jene spezielle Schicht der Klasse bspw. oder auch dieses oder jenes Unterdrückungsverhältnis als „neue“ Avantgarde in den Vordergrund zu rücken, dort bevorzugen wir den ganzheitlichen Ansatz. Avantgarde im eigentlichen Sinn des Wortes könnten die Sektoren der Klasse werden, die am ehesten mit dem Reformismus brechen und ein revolutionäres Programm annehmen – dies geschieht aber nur in einem politischen Kampf nicht durch Deklamation.

Das heißt auch, das für uns eine NAO Politik in der Lage sein sollte gegen die vorhandenen Spaltungen in der Klasse zu kämpfen und denen eine gemeinsame Perspektive zu bieten - mit antikapitalistischer und revolutionärer Ausrichtung.

2) Wir wollen die Auseinandersetzungen um Löhne oder das Renteneintrittsalter genauso intensiv führen wie antirassistische/antifaschistische Kämpfe oder die Kämpfe der Frauenbefreiung und gegen die ökologische Katastrophe. Als entscheidenden Widerspruch im Kapitalismus (siehe Rev. Bruch) sehen wir den zwischen Kapital und Arbeit, welcher sich in verschiedenen weiteren Unterdrückungsverhältnissen äußert. Das betrifft die sozialen Verhältnisse, in denen nach Geschlecht, sexueller Orientierung, Migrationshintergrund, Religion die Klasse gespalten wird, diese ideologischen Spaltungslinien müssen in der revolutionären Organisation überwunden werden und gehören zum revolutionären Kampf.

Dabei wollen wir den jeweiligen Klassenhintergrund und die Klassenfrage in den Vordergrund rücken – heißt wir vertreten eben keinen klassenübergreifenden Feminismus, wir treten für eine proletarische Frauenbewegung ein. (Name egal – Klassenpolitik entscheidend, das verschwimmt im Feminismus)

Ebenso sehen wir beim antira/fa Kampf nicht nur die Notwendigkeiten von „breiten“ Bündnissen, sondern speziell die Notwendigkeit von Einheitsfronten der Klasse, in denen sich dann die Beschäftigten & Erwerbslosen, die MigranntInnen, die Jugend organisieren können gegen den Faschismus.

Aber nur in einer gemeinsamen Klammer, eine angewendeten revolutionären Methodik können wir diese Kämpfe vereinen – eine der entscheidenden Aufgaben einer neuen antikapitalistischen Organisation.

3) Für uns ist die Methode des Übergangsprogramm und der Übergangsforderungen der entscheidende Schlüssel dazu. Nur so gelingt es zwischen den „Tageskämpfen“ und der erstrebten Revolution eine programmatische Brücke zu schlagen – die Unfähigkeit des Reformismus darzustellen und die Notwendigkeit der revolutionären Organisation in den Vordergrund zu rücken.

4) Dies führt zur Taktik der Einheitsfrontpolitik. Obwohl sich dort im SIB Papier viele richtige Punkte befinden (keine EF von unten) muss die politische Eigenständigkeit mehr betont werden und der Zweck dessen. Der „Austausch“ mit anderen Strömungen ist das eine, der politische Kampf der auch in diesen Bündnissen stattfinden soll, ist Mittel das revolutionäre Programm und Praxis dem der Reformisten gegenüber zu stellen. Natürlich soll dies nie der gemeinsamen Aktion oder der „Bündnisfähigkeit“ im Wege stehen, die Einheit nach außen bleibt erhalten -die Eigenständigkeit der Propaganda und Kritik darf dafür aber auch nicht geopfert werden.

Revolutionärer Bruch

1) Die Wortreihung „umwälzen, überwinden, zerschlagen, revolutionieren“ ist das eine, für uns ist wichtig das klar sein muss, wogegen sich eine Revolution richten würde. Das der Privatbesitz an Produktionsmittel der zentrale Punkt ist, an dem das „Revolutionieren“ anfangen müsste, ist für uns ein Ausgangspunkt. Hier ist es entscheidend, wer kontrolliert und welche Klasse die Verfügungsgewalt über die Produktion hat – die Übernahme dieser Kontrolle und Gewalt ist entscheidend für den revolutionären Bruch – bzw. dort findet dieser statt.

Beim Repressionsapparat des bürgerlichen Staates muss es ebenfalls darum gehen, dass das Gewaltmonopol zerschlagen wird und wodurch es ersetzt werden soll. Da kommen wir nicht an der Frage der Selbstverteidigungsorgane vorbei, ebenso an der Frage der berechtigten Militanz gegen Staat und Kapital, wie auch der arabische Frühling oder die Anti-Krisenproteste in Südeuropa gezeigt haben dass Selbstverteidigungsorganisationen, bewaffnete Milizen und eine Zerbrechen der bürgerlichen Armee – inklusiver des Kampfes um Soldatenräte, um die unteren Chargen auf die Seite der Revolution zu ziehen - absolut notwendig sind.

2) Natürlich unterstützen wir die Rätedemokratie von Herzen, aber sie ist zu kurz dargestellt wenn es sich nur um „radikaldemokratische Kollektive“ handeln soll – für uns ist auch die programmatische Frage entscheidend – welches Programm setzt sich durch in den Räten, speziell in BRD (&Vorläufer) eine sehr wichtige Frage. Von daher sind die Räte nach unserem Verständnis Doppelmachtorgane, die dann erst den Beweis antreten müssen, den bürgerlichen Apparat besiegen zu können und deswegen die revolutionäre Partei und ihr Programm dann dort zur vollste Entfaltung kommen kann. Bei der Oktoberrevolution gab es revolutionäre Partei und Programm, bei der Novemberrevolution eben nicht. Wenn sich ein revolutionäres Programm & Organisation durchsetzt, dann ist die Möglichkeit vorhanden die Diktatur des Proletariats, die Herrschaft der Mehrheit zu errichten, welche dann auch in der Lage ist die Revolution zu verteidigen – dann ist ein revolutionärer Bruch erfolgt!

3) Letztlich braucht das Kind einen Namen, wenn wir für eine „andere Gesellschaft“ werben wollen und der Ansicht sind, das der Kapitalismus/Imperialismus nur weitere Bedrohungen auftürmt, anstatt auch nur ein drängendes Problem zu lösen – dann müssen wir auch Sozialismus & Kommunismus als Begriffe benutzen. Anstelle sich Gedanken zu machen wie der Begriff Sozialismus besetzt sein könnte, wäre es doch unsere Aufgabe zum einen den Kapitalismusbegriff zu entlarven und anzugreifen und andererseits real für einen Sozialismus des 21 Jahrhundert (keine Anleihen bei Chavez) zu kämpfen, diese aktuelle Krise bietet doch genügend Möglichkeiten.

Was fehlt – Internationalismus !

1) Zumindest die allg. Weisheiten dazu sollten wir festhalten. Das Kapital ist international, es agiert und unterdrückt im globalen Maßstab, deswegen muss auch die Gegenwehr einen internationalistischen Charakter haben. Dies bedeutet eben mehr als Solidaritätsadressen, internationalistischer Kampf bedeutet für uns die Gemeinsamkeiten der sozialen Interessen überall hervor zu heben, dies ist ein aktiver Kampf gegen die nationale Spaltung innerhalb der Klasse.

2) Unsere Klassenanalyse bestätigt uns die Existenz des Imperialismus, dies ist die aktuelle Epoche des Kapitalismus. Verschiedene imperialistische Kapitale befinden sich in einem zugespitzten Konkurrenzkampf zueinander, speziell in der aktuellen Krisenperiode seit2007/2008. Wir konnten auch sehen, dass es internationale Widerstandsbewegungen gab, die wie der arabische Frühling noch andauern, oder bzw. wie „Occupy“ einen globalen Protestcharakter angenommen haben.

3) Dies lässt für uns die Notwendigkeit einer internationalen Organisierung zu Tage treten. Welchen Verdienst die erste bis vierte Internationale (in ihren jeweils revolutionären Phasen) für die Entwicklung von Klassenbewusstsein und Klassenpolitik hatten, wollen wir hier nicht ausführen – wohl aber das dies heute wieder notwendig ist. Wir brauchen einen Neuaufbau einer internationalen antikapitalistisch-revolutionären politischen Kraft – ob wir die dann 5.Internationale nennen sei mal dahin gestellt. Wichtig ist, dass wir uns dessen bewusst sind und dies als Aufgabe verstehen.

4) Als einen der ersten Schritte dorthin brauen wir einen gemeinsamen europäischen Abwehrkampf gegen Krise und Spardiktate. Diesem Europa der Kürzungen und Krisenabwälzung müssen wir ein anderes Europa entgegen setzen – ein antikapitalistisches, ein sozialistisches Europa. Die Ideen eines sozialen oder demokratischen Europa lehnen wir ab, dies sind reformistische Illusionen (wie bei Florenz 10+10 vertreten) deren Neuauflage wir nicht unterstützen sollten.

5) Wir treten für die Niederlage imperialistischer Staaten oder Bündnisse ein, auch konkret bei jedem Krieg der von einem imperialistischen Staat geführt wird, um die Kontrolle über andere Länder direkt oder indirekt zu erhöhen, deren Reichtümer einzueignen oder ganze Einflusssphären in ihrem Interesse zu ordnen. Die Taktik in dieser Frage ist für uns die antiimperialistische Einheitsfront, die klar zu trennen ist von Volksfrontpolitik. Auch wenn dort Bündnisse mit bürgerlichen Kräften eingegangen werden können, bedeutet dies nicht die Aufgabe der eigenen Propagandafreiheit und Klassenpolitik und kann daher auch stets nur kurzfristigen Charakter haben.

6) Internationalismus ist für uns keine moralische Frage, sondern ergibt schon daraus, dass der Kapitalismus selbst ein globales System ist, in dem die Produktivkräfte schon jetzt auf eine weltweite Produktion und Verkehr ausgerichtet sind. Eine Überwindung des Kapitalismus kann daher letztlich auch nur im Weltmaßstab erfolgreich sein – nie auf bloß nationaler Ebene. Daher ist auch der Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft in einem Land unmöglich, sondern nur durch die sozialistische Weltrevolution möglich.

Kritische Anmerkungen der Gruppe Arbeitermacht zu den „Essential-Vorschlägen“ von SOKO und SIB

Die folgenden Ausführungen bewerten einzelne Positionen beider Papiere sowie einige grundsätzliche Schwächen, stellen aber keine Bewertung der beiden Papiere in Gänze dar. Insgesamt sind wir jedoch der Meinung, dass beide Vorschläge - trotzdem sie fraglos auch viele richtige Aussagen enthalten - so nicht von uns akzeptiert werden können, weil sie a) einige falsche (oder sehr unklare) Positionen enthalten und b) einige wesentliche methodisch-programmatische Positionen fehlen, ohne welche die „Essentials“ keine wirkliche Orientierung geben können und auch als Grundlage für eine weitere Diskussion wenig tauglich sind.

Was uns bei beiden Papieren auffällt, ist das Fehlen klarer Aussagen dazu, welche programmatische Methode für den NAO-Prozess und dessen weitere Diskussionen als Grundlage, als Ausgangs- und Bezugspunkt dienen soll. Wir meinen, dass dazu nur die Methodik von Übergangsforderungen (Übergangsprogramm) geeignet ist. Das bedeutet aber auch, ein Herangehen a la Minimal-Maximal-Programm, wie es z.B. die MLPD praktiziert, klar abzulehnen ist, weil dieses eine Verbindung der Tageskämpfe und des aktuellen Bewusstseins der Klasse mit der Frage der Machtergreifung und des revolutionären Sturzes des Kapitalismus unmöglich macht.

Ein zweiter wesentlicher Mangel beider Papiere besteht darin, dass der „revolutionäre Bruch“ völlig unklar bleibt. Für uns besteht der Bruch darin, dass die Arbeiterklasse im Zuge der Revolution die politische Macht ergreift, den bürgerlichen Staat zerschlägt und durch eine Räte-Demokratie ersetzt sowie auf Grundlage dessen den gesamten sozialen Mechanismus (darunter v.a. die Eigentumsverhältnisse) umwälzt. Das inkludiert auch die Bewaffnung des Proletariats als eine Grundbedingung der Verteidigung der Revolution - eine Frage, die eigenartigerweise in beiden Papieren nicht auftaucht!

Im Zusammenhang damit muss auch gesagt werden, dass für uns der Begriff der „Diktatur des Proletariats“ (oder auch ein Synonym wie „Arbeiterstaat“) zentral ist. In beiden Papieren wird zwar richtigerweise auf die Notwendigkeit von Räten oder eines Rätesystems hingewiesen, aber es bleibt dabei unklar, ob es sich nur darum handelt, „massendemokratische“ Strukturen am Stelle des bürgerlichen Staates zu etablieren oder ob es auch darum geht, die Klassenherrschaft des Proletariats gegen Ausbeuterklassen und Konterrevolution durchzusetzen. (Wir verweisen hier nur auf die Debatten, die es zwischen Lenin / Trotzki und den Menschwiki / Sozialrevolutionären / Kautsky um die Frage der Sowjets im Verhältnis zur Konstituante gab.)

Ein dritter Mangel beider Papiere ist es, dass das Ziel unserer Politik - eine andere Gesellschaft - zwar tw. hinsichtlich seiner Merkmale beschrieben wird (ökologisch, feministisch usw.), aber die Begriffe „Sozialismus“ oder „Kommunismus“ vermieden werden. Uns ist zwar klar, dass beide Begriffe oft missverstanden werden und diskreditiert sind, doch sie zu vermeiden, löst das Problem auf jeden Fall nicht - im Gegenteil: wir müssen diese Begriffe den Verhunzern und Demagogen entreißen und sie wieder mit dem Inhalt füllen, den Marx u.a. RevolutionärInnen unter „kommunistisch“ verstanden.

Im Folgenden wollen wir einige einzelne Positionen von SOKO und SIB beleuchten, die z.T. direkt mit dem oben Gesagten zusammenhängen.

1. Bei der SOKO heißt es zur Frage des bürgerlichen Staates: „Dieser Apparat gehört umgewälzt, revolutioniert eben!“ Eine sehr unklare Formulierung! Besser wäre zu sagen, dass der bürgerliche Staat für die Zwecke des Aufbaus einer kommunistischen Gesellschaft in Funktion und Form völlig ungeeignet ist. Er muss nicht nur zerstört und durch eine Rätedemokratie ersetzt werden, er soll im Zuge dieses Prozesses auch selbst absterben.

Weiter schreibt die SOKO: „Im revolutionären Prozeß befähigen sich die Aktivisten zu einer neuen Begründung der Gesellschaft. Dies kann nur gelingen, wenn schon vor dem Bruchpunkt Elemente von Selbstorganisation durch die Beherrschten und Ausgebeuteten errungen werden konnten. Starke, radikaldemokratische Kollektive, in denen parteiübergreifend und selbstbewußt Männer und Frauen aktiv für ihre Rechte eintreten. Die Geschichte lehrt uns, daß Räte oder ähnliche Organisationsformen dies darstellen könnten.“

Die positiven Erfahrungen im Russland von 1917 oder die negativen von Deutschland 1918 zeigen aber, dass auch das beste „Rätesystem“ eine Revolution nur dann zum Sieg führen kann, wenn in ihm eine revolutionäre Partei die Führung hat bzw. sich erkämpft. Räte an sich sind eben nicht per se revolutionäre Organe.

2. Zur Frage des Stalinismus schreibt die SOKO: „Es gibt aber keinen Dissens in der Feststellung, daß der Zustand der DDR am Ende ihrer Existenz alles andere als eine Werbung für die Gegner des real-existierenden Kapitalismus in Deutschland war. Die stark staatsfixierte Orientierung der Partei- und Staatsführung, der Mangel an Demokratie und die allenthalben herrschenden bürokratischen Entscheidungsstrukuren waren nicht geeignet, dort eine Alternative entstehen zu lassen. Zumal, gerade unter den Bedingungen der Blockkonfrontation, stand am Ende nicht eine bessere soziale Perspektive und emanzipierte Lebenskultur, sondern ein Zerrbild dessen.“

Richtig. In einem Essential zur revolutionären Umgruppierung müsste allerdings unbedingt auch gesagt werden, dass der Stalinismus in allen seinen Phasen und Ausprägungen spätestens mit der Volksfrontpolitik eine klar konterrevolutionäre Strategie war und seine Gesellschaftskonzeption niemals zum Sozialismus führen konnte!

3. Zur zentralen Frage der EU und ihrer Krise heißt es bei der SOKO: „Die Gruppen des naO-Prozesses lehnen dieses EU-Projekt ab. (…) Ein Europa der Völker und der Menschenrechte soll es sein.“

Dass auch wir das imperialistische EU-Projekt ablehnen, ist klar. Doch was heißt das - Austritt aus der EU, Austritt aus dem EURO? Da wären wir in einem Boot mit reformistisch-nationalistischen Kräften wie etwa der KKE. Komplett verwaschen ist dann das „Europa der Völker“. Wo bleibt da die Klassenfrage?! Entweder es gibt ein Europa unter der Fuchtel des Kapitals, v.a. des deutschen, oder aber unter der Dominanz der Arbeiterklasse - dazwischen gibt es nichts. Die Möglichkeit und Notwendigkeit der Einigung Europas und die Lösung der EU/EURO-Krise müsste in der Losung „Für vereinigte sozialistische Staaten von Europa“ münden und nicht in Slogans, die vielleicht den Grünen gut zu Gesicht stehen würden, aber nicht RevolutionärInnen!

4. Zur Frage der Bündnispolitik äußern sich beide Papiere. Bei der SOKO heißt es u.a.: Natürlich beteiligen wir uns an „Aktionseinheiten“ mit mehr oder weniger breitem Programm. Da ist sogar eine Zusammenarbeit mit Konservativen möglich.“ Die SIB schreibt dazu u.a.: (…) ist im Rahmen von Aktionseinheiten eine Zusammenarbeit z.B. auch mit Konservativen möglich.“

Uns ist schleierhaft, warum die Zusammenarbeit mit „Konservativen“ überhaupt extra erwähnt wird. Für uns geht es bei der Einheitsfrontpolitik (EF) darum (hier zitieren wir gern das SIB), dass die EF „zwei miteinander eng verbundenen Zwecken (dient): Sie soll eine möglichst breite Kampffront von linken politischen Organisationen und Klassen-Organisationen der Lohnabhängigen schaffen, um bestimmte konkrete und begrenzte Ziele gegen Staat und Kapital durchzusetzen. Um dieses Ziel zu erreichen, dürfen keine Einschränkungen erfolgen (etwa: EF nur mit RevolutionärInnen / EF „von unten“). Die EF dient aber auch dem politischen Kampf um die Basis reformistischer / gradualistischer Organisationen und Gewerkschaften. In der gemeinsamen Aktion versuchen wir zu überzeugen, dass revolutionäre Politik auch für den Sieg in einem begrenzten Kampf besser ist als reformistische. Darüber hinaus ist die EF ein System von Taktiken. Sie verfehlt ihre Wirkung, wenn sie isoliert / selektiv praktiziert wird.“

Natürlich gibt es auch Bewegungen, die keineswegs rein proletarisch sind (oder auch sein können) oder die so breit sind, dass auch bürgerliche Organisationen (Kirchen z.B, FDP, ...) darin vorkommen. Das sind aber keine Einheitsfronten. Wesentlich ist für uns folgendes: Wir streben die Einheitsfront/Bündnisse mit allen Organisationen der Arbeiterklasse an; wir arbeiten auch in Bewegungen, wo nicht proletarische Organisationen beteiligt sind – aber wir tun das a) ohne jedes politisches Zugeständnis an bürgerliche Kräfte, b) mit dem Ziel, in diesem Bewegungen den Einfluss bürgerlicher (oder auch klein-bürgerlicher) Kräfte zurückzudrängen und einen Bruch mit den Bürgerlichen herbeizuführen.

5. Breiten Raum nehmen in beiden Papieren zu Recht Fragen der Frauenbefreiung ein. Allerdings verweisen wir darauf, dass es auch in der Frauenfrage eine Klassenfrage gibt. So richtig es ist, dass alle Frauen diskriminiert / unterdrückt werden, so richtig ist es aber auch, dass a) ein Teil der Frauen auch selbst als Unterdrückerin/Ausbeuterin fungiert und b) proletarische Frauen einer besonderen Unterdrückung unterliegen und c) auch Teil jener Klasse sind, die alle Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnisse überwinden kann. Insofern geht es - im Unterschied zum Mainstream des (bürgerlichen) Feminismus - gerade darum, Klassenkampf und Frauenbefreiung zu verbinden. Das heißt für uns auch, für die eigenständige Organisierung/Mobilisierung proletarischer Frauen innerhalb der Arbeiterbewegung einzutreten und für den Aufbau einer proletarischen Frauenbewegung zu wirken. Das gilt sinngemäß auch für andere, besonders unterdrückte Gruppen (Lesben, Schwule, Schwarze, Jugendliche, rassistisch oder national Unterdrückte usw.).

6. In beiden Papieren wird zwar der Internationalismus betont, es fehlt aber ein Bekenntnis dazu, dass eine neue revolutionäre Internationale geschaffen werden muss. Auch wenn das NAO selbst dazu wahrscheinlich kein Ausgangspunkt sein wird, so muss u.E. ein Bewusstsein für diese Frage vorhanden sein.

Sicher könnten wir auch noch andere Punkte beleuchten, möchten es aber bei diesen Punkten belassen. Um keinen falschen Eindruck zu erwecken: Uns ist wohl bewusst, dass die „Essentials“ keinesfalls jedes programmatische Detail benennen können und müssen, weil das eine wesentlich höhere Stufe der politischen Debatte und Klärung erfordern würde. Wir meinen allerdings, dass es besser ist, Unklarheiten oder Differenzen auszusparen, als etwas politisch Fragliches in die Essentials zu bringen, da ist weniger oft mehr.

Mit revolutionären Grüßen

Gruppe Arbeitermacht

 

Editorische Hinweise

Den Text erhielten wir über die NaO-Mailingliste..