Die Wahl in der
„Demokratischen Republik Kongo“ hat am 28. November 11
stattgefunden. Bis zur Stunde (am 09. Dezember d.J.) sind noch
immer keine offiziellen Ergebnisse bekannt gegeben worden. Aber
am Machterhalt des amtierenden Präsidenten Joseph Kabila dürften
kaum Zweifel bestehen
Die Spannung steigt fast stündlich an in der Hauptstadt der
République démocratique du Congo, des mit über 70
Millionen Menschen bevölkerten Riesenstaats im Zentrum Afrikas.
Für Anfang dieser Woche wurden die Ergebnisse der
Präsidentschaftswahl, die am Montag vergangener Woche (dem 28.
November 11° stattgefunden hatte, erwartet. Jene der
gleichzeitig abgehaltenen Parlamentswahl werden hingegen erst
für voraussichtlich Januar 2012 erwartet.
Ursprünglich war das Endergebnis für Dienstag dieser Woche, den
06. Dezember erwartet worden, verzögerte sich jedoch. Auch bis
zum vorläufigen Abschluss dieses Artikels (am 09. Dezember 11)
waren keine Ergebnisse bekannt gegeben worden, obwohl sie nach
einer offiziellen „48stündigen Verschiebung“ erneut für den
Donnerstag Abend angekündigt worden waren.
Dafür sind nicht nur die durch die Opposition vermuteten oder
unterstellten Wahlmanipulationen verantwortlich, sondern auch
echte organisatorische Probleme bei der Auszählung. Das ist in
dem Land in dem auber
Fluglinien keine Verbindungsverbindungen zwischen manchen Teilen
des Staatsgebiets - die 2.000 Kilometer auseinander liegen
können - bestehen, nicht grundsätzlich verwunderlich. Auch ohne
mögliche Manipulationen, die bereits im Vorfeld Gegenstand
zahlreicher Auseinandersetzungen, Gerüchte und Polemiken waren.
Die Urnen kamen aus Deutschland, die Wahlkabinen aus dem
Libanon, die Broschüren mit den Erklärungen aus China und die
Stimmzettel aus Südafrika.
Das Misstrauen wuchs auf vielen Seiten noch, als seit Sonntag
tröpfchenweise erste Resultate der Präsidentenwahlen
einzutreffen begannen. Der 40jährige Staatspräsident Joseph
Kabila lag dabei in Führung. Am Dienstag Vormittag blieb es bei
dieser Tendenz. Nach Auszählung der Stimmen in gut zwei Dritteln
der Wahllokale lag Präsident Kabila mit offiziell über 46
Prozent der Stimmen in Führung, sein mit Abstand wichtigster
Herausforderer Etienne Tshisekedi lag mit gut 36 Prozent auf dem
zweiten Platz. Am Donnerstag war die Rede von zu dem Zeitpunkt
49 Prozent für Amtsinhaber Joseph Kabila. Da die Regierung zuvor
durchgesetzt hatte, dass die Präsidentschaftswahl mit nur einem
Durchgang stattfindet und also eine relative Mehrheit genügt
(anders als in Wahlen mit zwei Durchgängen, in denen eine
absolute Minderheit eines Kandidaten in der Stichwahl
erforderlich ist), würde ihm dies zum Machterhalt vollauf
genügen.
32 Millionen volljährige Bürgerinnen und Bürger konnten in
insgesamt 62.000 Wahllokalen abstimmen. Dabei traten zu den
Parlamentswahlen, bei denen 500 Sitze zu vergeben waren, stolze
19.000 Kandidatinnen und Kandidaten an. Zur Präsidentschaftswahl
bewarben sich elf Herren, und keine Dame.
Sohnemann übernimmt die Amtsgeschäfte
Der aussichtsreichste Gegenkandidat zum jungen Präsidenten
Joseph Kabila, den die Militärs nach der Ermordung seines Vaters
Laurent-Désiré Kabila im Januar 2001 als dessen Nachfolger
einsetzten, bevor er erst fünf Jahre später durch Wahlen im Amt
bestätigt wurde, ist der 79jährige Tshisekedi. Als Vorsitzender
der Partei „Union für die Demokratie und den sozialen
Fortschritt“ (UDPS) ist der Doktor der Rechtswissenschaft
zugleich ein alter Fuchs der kongolesischen Politik.
In der Vergangenheit diente er erst unter der Diktatur des
„Marschalls“ Joseph-Désiré Mobutu, dessen Innenminister er 1965
wurde. Mobutu, der vier Jahre zuvor eine führende Rolle beim
Mord an den linksnationalistischen und antikolonialistischen
Premierminister Patrice Lumumba spielte, putschte sich im selben
Jahr 1965 endgültig an die Macht. Zwei Jahre später nahm
Tshisekedi an der Ausarbeitung der Verfassung unter dem Diktator
teil. Nach der amtlich verordneten „Afrikanisierung“ der Namen
im Jahr 1972 - welche Mobutus Rolle als Interessenvertreter der
früheren Kolonialmacht Belgien sowie Frankreichs und der USA
durch nationalistische Folklore übertünchen sollte - benannte
der Staatschef sich in Mobutu Sese Seko um. 1980 hätte
Tshisekedi nach den geltenden Verfassungsregeln, nach dem Tod
des Amtsinhabers, Parlamentspräsident werden sollen. Doch Mobutu
bootete ihn aus, da er Tshisekedi zunehmend als potenziellen
Rivalen betrachtete und eine immer stärkere persönliche
Abneigung gegen ihn entwickelte. An seiner statt ernannte der
Diktator Nzondomio Adokpelingbo.
Ab diesem Moment trat Tshisekedi in Opposition zu Mobutu, und
1982 gründete er die UDPS als Oppositionspartei. Das damals
unter Mobutu auf den - nach seinem Sturz rückgängig gemachten -
Namen „Zaire“ getaufte Kongo wurde damals durch eine
Einheitspartei, die demagogisch auf den Namen Mouvement
populaire de la Révolution („Volksbewegung für die
Revolution“) getauft worden war, regiert. Jedenfalls formal,
denn in Wirklichkeit kontrollierten Mobutu und sein Clan alle
Schalthebel der Macht, während der Staat zu verrotten begann,
die Wirtschaft niederging und ganze Landesteile von der Aubenwelt
abgeschottet waren. Eine politische Partei neben der
Staatspartei war jedenfalls nicht vorsehen. Tshisekedi landete
mehrmals im Gefängnis. Später, als das Mobutu-Regime in den
frühen neunziger Jahren unter dem Druck der Demokratiebewegung -
die das ganze französischsprachige Afrika unter dem Eindruck der
Umbrüche im Ostblock erfasste - in die Krise geriet, wurde
Tshisekedi jedoch zwei mal zum Premierminister ernannt. Er
firmierte als Kompromisskandidat zwischen Mobutu und der
„Nationalen Konferenz“, die ein Mehrparteiensystem einführen
sollte. 1991 amtierte er einige Wochen, 1992/92 einige Monate
lang. Mobutu setzte ihn jedoch jeweils wieder ab.
Das Mobutu-Regime endete im Frühjahr 1997. Es wurde nicht durch
Tshisekedi und andere tatsächliche oder vermeintliche
Oppositionspolitiker entmachtet, sondern militärisch durch den
Vormarsch der Truppen von Laurent-Désiré Kabila gestürzt.
Nachdem er dreibig
Jahre lang eine Guerillabewegung im Osten des damaligen Zaire
angeführt hatte, oft mit Unterstützung aus dem damals noch
maoistisch orientierten China, konnte Kabila senior ab Anfang
1997 auf die Hauptstadt Kinshasa marschieren. Unterstützt wurde
er dabei auch durch die Armeen der östlich angrenzenden
Nachbarländer, insbesondere jedoch Rwandas. Letzteres Land war
seit 1996 im Osten des damaligen Zaire einmarschiert, um die
dorthin geflüchteten Milizen der Hutu-Extremisten - die im
Frühjahr 1994 den Völkermord an den rwandischen Tutsi verübt
hatten - zu schlagen. Letztere wurden durch Mobutu unterstützt.
Rwanda nutzte die Gunst der Stunde, um diese Milizen zu
schwächen, auch wenn Reste von ihnen noch heute unter dem Namen
FDLR („Demokratische Kräfte zur Befreiung Rwandas“) existieren.
„Unschuldsimage“ dank Wartestand in der Opposition
Tshisekedi blieb in der Opposition und lehnte eine Beteiligung
an der 1997 unter Kabila senior gebildeten „nationalen
Einheitsregierung“ ab. Ebenso nahm er im Jahr 2006 nicht an der
Präsidentschaftswahl, die seinen seit inzwischen fünf Jahren
regierenden Sohn im Amt legitimieren sollte, teil. Stattdessen
rief er damals zum Boykott der Wahl auf. Joseph Kabilas
damaliger Gegenkandidat in der Stichwahl von 2006 wurde der
Warlord Jean-Pierre Bemba, der während der langjährigen
Bürgerkriegswirren in Teilen der RDC - welche auf die
Machtübernahme Mobutus gefolgt waren - vorübergehend als Chef
einer 2003 gebildeten Übergangsregierung amtiert hatte. Bemba
verlor mit 40 zu 60 Prozent der Stimmen und griff später wieder
zu den Waffen. 2008 wurde er während eines Aufenthalts in
Brüssel festgenommen und an den Internationalen Gerichtshof in
Den Haag ausgeliefert. Dort muss er sich seitdem wegen
Kriegsverbrechen, Vergewaltigungen und Gräueltaten, die seine
Truppen 2002/03 im Nachbarland Zentralafrikanische Republik
verübten, verantworten.
Sein Heraushalten im Jahr 2006 hat Tshisedeki ebenso politisch
genutzt und zu einem oppositionellen Image verholfen, wie ihm
die dramatische wirtschaftliche Situation von groben
Teilen der Bevölkerung in die Hände spielt. 90 Prozent der
Bevölkerung sind entweder ohne Arbeitsplatz im „formalen“,
gesetzlich geregelten Wirtschaftssektor - neben dem allerdings
ein riesiger informeller Sektor besteht - oder chronisch
unterbeschäftigt. Das Riesenland ist extrem reich an Rohstoffen,
die jedoch zum Teil durch mehr oder weniger auf eigene Faust
wirtschaftenden Milizen im Zusammenspiel mit ausländischen
Firmen ausgebeutet werden. Die internationalen Mächte, von den
USA über Frankreich bis China, unterstützten in den letzten
Jahren weitgehend unisono die Kabila-Regierung und betrachteten
sie allgemein als „kleineres Übel“. Der Zentralstaat blieb dabei
jedoch schwach.
Neben seiner Reputation als Oppositionspolitiker, der für die
Misere nicht verantwortlich gemacht wird, nutzt Tshisekedi auch
der „ethnische Faktor“. Wie in vielen afrikanischen Staaten
beeinflusst dieser erheblich die Wahrnehmung der Politik durch
relevante Teile der Bevölkerung. Tshisedeki wird als
Repräsentant der Volksgruppen im Westen der RCD und der
altansässigen Bevölkerung in der zehn Millionen Einwohner
zählenden, mehr oder minder unkontrolliert wuchernden Hauptstadt
Kinshasa wahrgenommen. Kabila hingegen hat seine soziale Basis
eher in den Bevölkerungsgruppen, die im Osten des Landes und
besonders in den beiden Provinzen Nord- und Süd-Kiwu leben.
Die Anhänger Tshisekedis und andere im Landeswesten verankerte
Oppositionsparteien agitierten in den letzten Wochen häufig auch
mit dem „Argument“ gegen Kabila, er sei in Wirklichkeit gar kein
Kongolese, sondern geborener Rwander und heibe
tatsächlich Hippolyte Kananbe. Diese Unterstellung, er sei in
Wahrheit ein Ausländer aus Rwanda, spielt darauf an, dass das
letztgenannte Land in den Jahren seit 1997 lange Zeit
militärisch im Osten der RDC präsent war. Die Allianz mit der
Kabila-Regierung war in der Mitte des letzten Jahrzehnts
zunächst zerbrochen, und die Regierung in Kinshasa lieb
die durch Rwanda bekämpften Hutu-Milizen gewähren. Doch seit
2009 kam es zu einer erneuten Annäherung zwischen beiden
Staaten. Der durch Rwanda faktisch ausgehaltene Warlord Laurent
Nkunda, ein ostkongolesischer Tutsi, wurde der neuen Allianz
geopfert und in Rwanda unter Arrest gestellt.
Mutmaßlich
manipulierte Wählerregister
Neben den ethnisierten „Argumenten“ spielt für die Opposition
der Vorwurf einer Manipulation der Wählerlisten eine wichtige
Rolle. Er ist nicht von der Hand zu weisen. Seit der letzten
Wahl vor fünf Jahre stieg die Zahl der volljährigen
Wahlberechtigten offiziell von 25,7 auf nunmehr 32 Millionen.
Doch die Anzahl der registrierten Stimmberechtigten wuchs in den
Ostprovinzen, die als Kabila gegenüber günstig eingestellt
gelten, wesentlich schneller - zwischen 20 und 30 Prozent - als
in der Hauptstadt Kinshasa mit elf Prozent, obwohl in
Wirklichkeit vor allem diese Metropole durch die anhaltende
Landflucht wächst.
Am vorletzten Samstag (26. November 11), also zwei Tage vor der
Wahl, kehrten beide wichtigsten Kandidaten - Kabila und
Thisekedi - von ihrer Tournee durch die Provinzen in die
Hauptstadt Kinshasa zurück. Doch der Herausforderer Etienne
Tshisekedi wurde acht Stunden lang am Flughafen blockiert.
Daraufhin rief er für den Sonntag, an dem theoretisch politisch
Kundgebungen - so dicht vor dem Urnengang - bereits verboten
waren, seine Anhänger zu öffentlichen Versammlungen auf. Diese
wurden durch die Polizei attackiert. Bei Auseinandersetzungen
starben mindestens achtzehn Menschen in den 48 Stunden vor der
Wahl. Zugleich rief Etienne Thisekedi seine Parteigänger
mindestens einmal explizit zur Gewalt und zum Stürmen von
Gefängnissen auf.
Bereits an diesem Sonntag, den 04. Dezember flohen mindestens
3.000 Personen aus der Hauptstadt Kinshasa über den Fluss nach
Brazzaville, der Hauptstadt des gleichnamigen Nachbarlands
Congo-Brazzaville. Beide Hauptstädte trennt nur der Kongo-Strom.
Der Innenminister der RDC, Raymond Zéphirin Mboulou, begab sich
vor Ort auf die andere Flussseite, wo er jedoch beruhigend
kommentierte: „Wir sind nicht in einer erklärten
Krisensituation.“
Auch in Brüssel, wo viele Bürger der RDC leben, und Paris fanden
in den Tagen vor und nach der Wahl zu Demonstrationen gegen die
Kabila-Regierung statt. Dabei kam es in der Hauptstadt Belgiens,
der früheren Kolonialmacht in Belgien, am Montag Abend dieser
Woche (05. Dezember) zu erheblichen Ausschreitungen. Am Rande
einer nicht genehmigten Demonstration lieferten sich einige
hundert Tshisekedi-Anhänger Auseinandersetzungen mit der Polizei
im Stadtteil Ixelles, genauer im „Kongolesenviertel“ von Matonge.
Auch die Scheiben von Läden und des Kinos Cinéma Vendôme
wurden dabei eingeworfen. Am Donnerstag, den 08. Dezember kam es
ebenfalls in Ixelles wiederum zu Ausschreitungen. Auch in London
sowie in den kanadischen Städten Toronto und Ottowa kam es im
Laufe der Woche, besonders am Dienstag (06. Dezember), zu
gewalttätigen Konflikten am Rande von Demonstrationen mit Bezug
auf die Wahl im Kongo.
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