Die Eurokrise und wir

von Wal Buchenberg

12/11

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In „gut unterrichteten Kreisen“ der Finanzwelt, in den Banketagen und Konzernzentralen geht die Angst um, die Angst um den Euro. Der britische „Economist“ sieht den Euro reif für die Intensivstation. Deutsche Zeitungen blasen ins selbe Horn. Unter Wirtschaftsfachleuten macht sich Panik breit.

Trotzdem sind die meisten Lohnarbeiter in Deutschland noch ganz gelassen. Fehlt ihnen der Durchblick? Das wäre nicht verwunderlich, denn man hat nicht den Eindruck, als hätten unsere „Macher“ und ihre Speichellecker einen Durchblick. Reagieren die Lohnarbeiter mit Fatalismus, weil sie sowieso keinen Einfluss auf die Finanzpolitik der Eurozone haben? Auch das wäre nicht verwunderlich, weil es nicht so aussieht, als hätte noch irgendein Akteur in den Bank- und Konzernetagen oder auf den Regierungssesseln einen Einfluss auf den kommenden Krisenverlauf.

1) Staatsschulden

Die Entwicklung der europäischen Staatsschulden ist einigermaßen bekannt. Anfangs hatten Regierung und Staatsmedien immer nur Griechenland im Focus. Es wurden drei Rettungspakete in der Eurozone aufgelegt, aber die Probleme Griechenlands wurden nicht kleiner, sondern größer. Trotz diesem eklatanten Scheitern gibt es kaum öffentliche Kritik an den Regierungen, weil die es verstanden haben, alle staatstragenden Parteien der Regierung und der Opposition ins „Rettungsboot“ zu holen.

Das Euro-Rettungsboot schwimmt irgendwo auf hoher See, hat aber noch nirgends irgendwen gerettet oder irgendwas vor dem Untergang bewahrt. Inzwischen ist Griechenland aus der Berichterstattung verschwunden und die „Retter“ befassen sich mit Spanien, Italien und Frankreich. Nichts deutet darauf hin, dass die „Euro-Rettungsmannschaft“ irgendwie klüger, nützlicher oder effektiver geworden sei. Aber die Staatsmedien spielen als Musikkapelle an Bord weiter ihre Begleitmusik. Angeblich soll auf dem nächsten EU-Gipfel am 8./9. Dezember alles anders und besser werden.

Bisher galten die europäischen Staaten als „sichere Schuldner“, mit dieser Illusion ist es spätestens nach dem 50prozentigen Schuldenschnitt für die Gläubiger Griechenlands vorbei. Die europäischen Staaten werden auf Jahre hinaus entweder kein neues Geld leihen können oder nur zu erhöhten Zinsen, die das erhöhte Risiko wettmachen. Das ist keine Sache der „Gier“ oder „Bosheit“ von Spekulanten, sondern bloße Folge der Konkurrenz zwischen Gläubiger und Schuldner: Ein Schuldner in Nöten muss Geld um jeden Preis leihen. Ein Gläubiger hat keine Not und muss sein Geld nicht hergeben.

2) EU-Banken schwächeln, USA-Banken schwimmen in Geld

Die europäischen Banken haben ähnliche Probleme wie die europäischen Regierungen. Etliche Banken waren erst in der letzten Finanzkrise mit Staatsgeldern gerettet worden. Das hat die Staatsverschuldung noch weiter hochgetrieben. Seit die Geldzufuhr für die Staaten Südeuropas versiegt ist, wäre es um so dringender, dass für die europäischen Banken mehr Geld aus nichtstaatlichen Quellen des Finanzmarktes fließt. Das Gegenteil ist der Fall.

Normalerweise beschaffen sich Banken mit eigenen Bankenbonds langfristiges Geld zu relativ niedrigen Zinsen. Dieses Geld wird dann kurzfristig zu höheren Zinsen verliehen oder gewinnträchtig angelegt. Das ist das Geschäftsmodell der Banken. Der Geldzufluss für europäische Banken ist jedoch seit Juli dieses Jahres weitgehend ausgetrocknet. Seit Juli dieses Jahres haben die EU-Banken unbesicherte Bonds für nur 17 Milliarden emittieren können. Im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren es 120 Milliarden Euro.

Eine zweite, kurzfristige, Geldquelle haben die Banken im Inter-Banken-Markt. Dort leihen sich Banken gegenseitig Geld zu niedrigen Zinsen. Aus dem europäischen Inter-Banken-Markt haben sich die US-Banken weitgehend zurückgezogen und im letzten halben Jahr ihre kurzzeitigen Kredite um rund 40 Prozent vermindert. Aber auch die europäischen Banken trauen sich gegenseitig nicht mehr über den Weg. Wie während der Lehmannkrise wird deshalb die EZB als sicherer Hafen benutzt, um dort über Nacht Geld zu „parken“. Die großen Autofirmen in Deutschland haben ebenfalls begonnen, ihre Gelder bei der EZB zu „parken“. Sie können das, weil sie als Kreditgeber für Autokunden auch Banklizenzen besitzen. (Angaben aus „Economist“ vom 3.12.2011)

Indem aber alle Beteiligten ängstlich ihr Geld bei sich behalten und horten, trocknen die Geldmärkte erst recht aus. Schlimmstenfalls droht eine allseitige „Kreditklemme“, in der weder Banken noch Regierungen, noch Produktionsbetriebe an ausreichend frisches Geld kommen.

Reiche Griechen haben massenhaft Gelder von ihren Konten abgezogen uns ins europäische Ausland transferiert. Von reichen Spaniern und Italienern ist anzunehmen, dass sie ihr Geldkapital ebenfalls ins „sichere“ Nordeuropa bringen.
Manche Europäer verweisen auf Großbritannien und die USA und vermuten böse Finanzverschwörer, weil beide Länder noch stärker verschuldet sind, aber bei weitem nicht die Vielzahl der Probleme haben, die die europäischen Kapitalisten haben. Die USA-Banken sind allerdings weniger in Südeuropa engagiert. Man rechnet damit, dass die Citigroup rund 16 Milliarden Dollar in südeuropäische Staatsanleihen investiert hat, Goldmann Sachs nur 2,5 Milliarden. Tatsächlich schwimmen die US-Banken genauso wie die amerikanischen Töchter von europäischen Banken im Geld. (siehe Economist vom 3.12.2011).

Wenn Europäer mit dem Finger auf Verhältnisse in anderen Ländern zeigen, dann beweist das nur ihre eigene Hilf- und Ratlosigkeit. Alle sind überschuldet, aber jeder hofft darauf, dass es einen anderen zuerst und härter trifft. In guten Zeiten sind Kapitalisten solidarische Brüder, die mit den Konkurrenten Märkte und Profite teilen. In Krisenzeiten kennen Kapitalisten weder Nachbarn noch Freunde und beten: Heiliger Florian, verschon mein Haus, zünd andere an!“

3) Rezession droht in Europa

Die europäische Industrie läuft jetzt schon im Rückwärtsgang. Die deutsche Industrie sackte im September gegenüber dem Urlaubsmonat August um 2,9 Prozent ab. In Frankreich lief es um 1,9 Prozent rückwärts, in Italien um 4,8 Prozent. Für den nächsten Winter wird mit weiterem Schrumpfen gerechnet. Dass ein Wirtschaftsaufschwung alle Probleme wie Schnee in der Frühlingssonne wegschmelzen wird, darauf braucht keiner zu hoffen. Eine europaweite Rezession wird überall die Einnahmen schrumpfen und die Ausgaben steigen lassen. Alle Probleme und Sorgen werden durch eine Rezession noch wachsen.

4) Was geschieht mit Löhnen und Sozialeinkommen?

Das Wallstreet Journal hat berechnet, welche Auswirkungen ein Auseinanderbrechen der Eurozone im schlimmsten Fall haben wird und haben kann. Nach den Prognosen des Wallstreets Journals hätte ein Austritt einzelner Länder aus der Eurozone geringe Auswirkungen auf den Eurokurs und die Wirtschaft in Europa. Schlimmer wären die Folgen, wenn die Eurozone komplett auseinander fiele und wieder durch nationale Währungen ersetzt würden.
In diesem Fall würde der Euro-Kurs gegenüber dem Dollar von heute 1,33 Dollar auf noch 0,85 Dollar fallen. Das wäre ein Absturz um gut ein Drittel des heutigen Wertes. Das würde zwar europäische Exporte verbilligen, aber damit auch die im Ausland zu erzielenden Profite schmälern. Das könnten nur die allergrößten und konkurrenzfähigsten Unternehmen verkraften. Insgesamt würde die europäische Wirtschaftskraft in der Welt geschwächt. Gleichzeitig würden sich die Importe von Energie und Rohstoffen nach Europa erheblich verteuern. Wir bekämen in Deutschland eine importierte Inflation, die die durchschnittlichen Lebenshaltungskosten um rund 10 Prozent anheben würde.
Was die innereuropäischen Wechselkurse angeht, so würde eine neue italienische Lira gegenüber einer neuen D-Mark um 25 Prozent fallen. Die Spanische Pesete um rund 50 Prozent und die griechische Drachme um rund 80 Prozent. In diesen Ländern wären die Auswirkungen im Außenhandel entsprechend tiefgreifender als in Deutschland und dem sonstigen Nordeuropa.

Alles das wird erhebliche Auswirkungen auf uns Lohnabhängige haben: Es drohen auch in Deutschland Entlassungswellen, die bei der Krise von 2008 noch durch staatlich finanzierte Kurzarbeit aufgefangen wurden. Eine Inflationswelle wird erhebliche Einbußen an realer Kaufkraft mit sich bringen. Das trifft vor allem die Ärmsten unter uns.
Da rächt es sich, dass in den vergangenen Lohnrunden nicht für Festgelderhöhungen gekämpft wurde, was den unteren Lohngruppen stärkere Anhebungen gebracht hätte. Vielleicht kann in der einen oder anderen kommenden Lohnrunde das Steuer noch herumgerissen werden.

Da rächt es sich weiter, dass die HartzIV-Empfängerinnen und –Empfänger von der Gewerkschaftsbewegung weitgehend allein gelassen wurden. Auch hier wäre eine deutliche Erhöhung statt der lächerlichen 5 Euro nötig gewesen.

Auch die Rentner werden unter den Folgen der Krise besonders zu leiden haben.
Es bleibt die Erkenntnis: Den Banken wird geholfen. Die Besitzlosen müssen sich selbst helfen.
 

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe. Erstveröffentlicht wurde der Artikel im "Marx-Forum"