Texte
zur antikapitalistischen
Organisations- und Programmdebatte

12/11

trend
onlinezeitung

Es gibt einen Überblick über alle bei TREND 2011 veröffentlichten Texte zur Debatte über Organisation und Programm, angeregt durch die "Sozialistische Initiative Berlin" (vormals Berlin-Schöneberg)

Für die Selbstorganisation der Klasse
von Karl-Heinz Schubert (6.12.2011)

Nachdem DGS in diesem Blog (gemeint ist der SIB-Blog - red. trend) mitgeteilt hat, dass sie das „Konzept des revolutionären Bruchs“ nicht erklären kann und nun stattdessen die Streichung dieses Prinzips in der SIB abstimmen lassen wird, sollte sich die Diskussion im SIB-Blog endlich der BRD-Klassenwirklichkeit widmen, in die die zugründende antikapitalistische Organisation politisch praktisch intervenieren soll/will.

In meinem Referat vom Juni 2011 schrieb ich dazu:

+ Fast täglich finden Warnstreiks und Protestumzüge von Belegschaften für den Erhalt von Arbeitsplätzen, für Lohnerhöhungen und „faire“ Entlohnungsbedingungen statt. Kurzum: Der zum normalen Geschäftbetrieb des Kapitalismus gehörende immanente Kampf um den Preis der Ware Arbeitskraft und ihre Verwertungsbedingungen nimmt infolge der jüngsten Weltwirtschaftskrise augenscheinlich zu. Auffallend zudem noch: Es kämpfen zunehmend häufiger KollegInnen aus neuen Dienstleistungsberufen und dem Handel.
+ Innerhalb der von Lohnarbeit ausgeschlossenen Millionenmassen bildeten sich seit „Hartz IV“ zahllose lokale Zusammenschlüsse von Erwerbslosen und Prekarisierten, die bis hin zu breiten Bündnisaktion auf vielfältige Weise um für ihre Wiederaufnahme ins Lohnarbeitsverhältnis kämpfen, ohne dabei das Lohnsystem selber in Frage zu stellen.
+ In den großen Städten gibt es im Hinblick auf den kapitalistischen Stadtumbau sporadische Ansätze von Gegenwehr. Die Träger dieser Kämpfe sind klassenmäßig heterogen (siehe: Mediaspree, Flughafen Schönefeld, Stuttgart 21). Ein Mietkampf ist kaum wahrnehmbar.
+ Sporadisch kommt es im Bildungs-, Schul- und Hochschulbereich zu Protesten, die sich gegen materielle Verschlechterungen, Leistungsdruck und die Lernorganisation wenden. Auch hier ist eine antikapitalistische Orientierung inhaltlich nicht zu bemerken. Dies gilt auch für den Kampf gegen ökologische Gefahren.

Quelle: http://www.infopartisan.net/trend/trd0611/t290611.html

Und ich folgerte daraus:

Angesichts der Klassenkämpfe in der BRD und angesichts des Zustands aller hiesigen sozialemanzipatorischen Zirkel, Zusammenhänge und Strömungen, ist es nur allzu verständlich, dass es sehr divergierende Ansichten über die Selbstorganisierung des Proletariats gibt. Welcher Weg dabei der richtige, lässt sich m.E. nur bedingt mithilfe der Geschichte beantworten. Denn zuvorderst ergibt sich das heute notwendige Organisationskonzept aus den vorgefundenen Klassenverhältnissen und den Kämpfen, sowie aus den daraus abgeleiteten (programmatischen) Zielen.
Allerdings lassen sich unter den heutigen Klassenverhältnissen kaum schlüssige Argumente für zentralistische Organisationskonzepte finden. Das Kapitalverhältnis ist in den Metropolen so allumfassend, dass es keine Hierarchisierung der Teilkämpfe in Betrieb, Stadtteil, Schule usw. mehr gibt, vor allem dann nicht, wenn der Staat in den Kämpfen als Adressat genommen werden muss.
Insgesamt ist daraus zu folgern, dass nur flache und dezentrale Strukturen für die vorgefundenen Kampfbedingungen angemessen sind. Vor allem auch deshalb, weil die öffentlichen Strukturen der Informationsverarbeitung, -verbreitung und -bevorratung Kommunikation auf gleicher Augenhöhe und in voller inhaltlicher Breite (technisch) möglich machen. Unter solchen Verhältnissen wird es die Hauptaufgabe bei der Gründung eines Zirkels, der das Zirkelwesen selber überwinden will, sein, zeitgenössische Strukturen und Verkehrsformen für eine revolutionär-proletarische Organisation zu entwickeln, anstatt ein weiteres Mal in die Mottenkiste der ArbeiterInnenbewegung zu greifen.
Quelle: ebd.

Dazu möchte ich folgendes ergänzen:

Dem Leninschen Parteikonzept – mit und ohne Fraktionsverbot – ging immer die Prämisse voraus, dass die Klasse für sich nur ein ökonomisches Bewusstsein hervorzubringen vermag, sodass daraus eine organisatorische Trennung zwischen Gewerkschaft und Partei notwendigerweise folgte. Da diese Partei auf das historische Ziel der Zerschlagung der zaristischen Selbstherrschaft ausgerichtet war, um dann in einem zweiten Schritt die notwendigen Voraussetzungen für eine proletarische Revolution zu schaffen, fiel ihr unter diesen Bedingungen tatsächlich eine Avantgarderolle zu.

Heute dagegen ist diese Trennung nicht mehr haltbar, weil die Klassenrealität eine völlig andere ist und folglich die gedanklichen Widerspiegelungen – trotz aller Verzerrungen und Entfremdungen – eine solche Aufspaltung nicht mehr hervorbringen.

Beispiele, dafür das heute der ökonomische Kampf immer bereits schon ein politischer Kampf ist:

1) Leiharbeit – Der Kampf um die gleiche Entlohnung ist gar nicht zuführen ohne gegen die politischen Regelungen anzukämpfen, die diese Form von Ausbeutung verrechtlichen.

2) Mieten – Der Kampf gegen die Mieterhöhungen im Zusammenhang mit dem kapitalistischen Stadtumbau (der übrigens aus den veränderten Produktions- Reproduktionsbedingungen des Einzelkapitals resultiert – Berlin als Dienstleistungs- und Tourismusmetropole) stößt sofort auf den Widerstand der staatlichen Struktur (Verwaltung, Quartiermanagement).

3) Schule, Bildung, Uni …..

4) Verkehr ……

Ich breche hier mal einfach ab, weil das Verhältnisse sind, die ich als bekannt voraussetzen darf.

Wenn wir die politische Selbstorganisation der Klasse – ihr Fürsichsein – unterstützen und vorantreiben wollen, dann müssen wir sehen, welche selbständigen Formen von Organisierung in den Teilkämpfen der Klasse auf welcher inhaltlichen Grundlage dort hervorgebracht werden. Das sind die praktischen Schnittstellen eines Plans für eine „NAO“ – anders wird sie nicht aus dem Knick kommen, den die SIB gerade mit ihren ehernen Prinzipien durchlebt hat.

Und die theoretische Debatte hätte sich an diesen Schnittstellen zu orientieren.

Bezogen auf das „Bochumer Programm“ hieße das konkret:

Hey GenossInnen, warum tretet Ihr nicht für die Vollbeschäftigung ein, sondern fordert nur eine Verlängerung der Arbeitslosengeldzahlung? Oder: Warum kommt die Wohnungsfrage in Euren Programm gar nicht vor? Soll das Bochumer Programm eines sein, dass für die Verbindlichkeit in der gemeinsam Aktion wirbt, Prinzipien enthält es ja wenn – nur andeutungsweise. Und wie steht es mit der Frauen-/Geschlechterfrage?

Okay ich mach jetzt mal Schluss.

Editorischer Hinweis

Quelle: http://arschhoch.blogsport.de/2011/12/06/fuer-die-selbstorganisation-der-klasse/