Der Kampf gegen Stuttgart21 ist auch bei einer Abstimmungsniederlage ein Erfolg

von
Wal Buchenberg

12/11

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Am heutigen Sonntag findet in Baden-Württemberg eine in Deutschland seltene Volksabstimmung über das Stuttgarter Bahnhofs-Megaprojekt statt. Die Abstimmung kann von den Gegnern von Stuttgart 21 nicht gewonnen werden, und dennoch hat der Kampf gegen Stuttgart21 die politische Lage in Deutschland verändert.

Die Volksabstimmung kann von den Stuttgart21-Gegnern nicht gewonnen werden, weil in ganz Baden-Württemberg eine Frage abgestimmt wird, die eigentlich nur die Einwohner von Stuttgart angeht. Je weiter die 7,6 Millionen wahlberechtigten Baden-Württemberger von diesem Konfliktherd entfernt leben, desto eher wird sich die Gegnerschaft auf ein „antistaatliches Bauchgefühl“ reduzieren - im Sinne von: „Die da oben verschleudern unser gutes Geld!“.

Die Abstimmung kann von den Stuttgart21-Gegnern nicht gewonnen werden, weil die Landesbehörden eine doppelte Hürde eingebaut haben: Die Mehrheit der abgegebenen Stimmen reicht den Gegnern nicht zum Sieg. Sie müssen auch noch ein Quorum von einem Drittel aller Stimmberechtigten überspringen. Bei einer relativ hohen Stimmbeteiligung von etwa 40 Prozent müssten die Gegner mindestens 2,3 Millionen Gegenstimmen und damit deutlich über 80 Prozent der abgegebenen Stimmen stellen. Bei einer noch niedrigeren Beteiligung müssten die Gegner nahezu 100 Prozent der Stimmen stellen. Das macht die ganze Abstimmung zu einer Farce.

Die Abstimmung kann von den Stuttgart21-Gegner nicht gewonnen werden, weil der Abstimmungstext absichtlich unklar im Juristenjargon verfasst ist. Der Abstimmungstext lautet:

„Stimmen Sie der Gesetzesvorlage „Gesetz über die Ausübung von Kündigungsrechten bei den vertraglichen Vereinbarungen für das Bahnprojekt Stuttgart 21 (S 21-Kündigungsgesetz)“ zu?“
Es erfolgen drei Hinweise: „Mit „Ja“ stimmen Sie für die Verpflichtung der Landesregierung, Kündigungsrechte zur Auflösung der vertraglichen Vereinbarungen mit Finanzierungspflichten des Landes bezüglich des Bahnprojekts Stuttgart 21 auszuüben. Mit „Nein“ stimmen Sie gegen die Verpflichtung der Landesregierung, Kündigungsrechte zur Auflösung der vertraglichen Vereinbarungen mit Finanzierungspflichten des Landes bezüglich des Bahnprojekts Stuttgart 21 auszuüben.
Sie haben 1 Stimme. Bitte in nur einen Kreis ein Kreuz (X) einsetzen."


Trotz der voraussichtlichen Abstimmungs-Niederlage (ist eingetreten - s.u. / kamue) der Stuttgart21-Gegner hat der Kampf gegen das Mega-Projekt die politische Lage in Deutschland verändert.

Wie bei den Kämpfen gegen andere Großprojekte, dem Bau von Kernkraftwerken, der Einrichtung von Atom-Lagern, dem Ausbau des Frankfurter Flughafens, dem Kampf gegen die Castor-Transporte usw. wird durch den Kampf gegen Stuttgart21 an einem Punkt den Herrschenden die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel (was Investitionsentscheidungen mit einschließt) streitig gemacht. Der Kampf gegen Stuttgart21 ist deshalb im Kern ein antikapitalistischer Kampf. Diese Bedrohung wird von den Kapitalisten und ihren Staatsdienern auch klar gesehen. Sie haben sich dahingehend geäußert, dass durch ein Scheitern von Stuttgart21 die kapitalistischen Investitionsfreiheit am „Standort Deutschland“ in Frage gestellt wird.

In diesem Kampf gegen kapitalistische Großprojekte verstärkt und manifestiert sich auf Seiten der Gegner die richtige Vorstellung, dass die kapitalistische Profitwirtschaft keineswegs „im Interesse aller“ ist, sondern nur ganz Wenigen dient, und die Lebensgrundlagen der Vielen zerstört. Das ist ein antikapitalistisches Potential, das radikale Linke fördern sollten.

Die heutige Volksabstimmung ist eine bürokratische Angelegenheit, die von der Staatsmacht organisiert ist, und die den „Bürgern“ nur die Aufgabe zuweist, ein Kreuzchen zu machen. Egal, wie das Abstimmungsergebnis lauten wird, die Stuttgart21-Gegner haben den Druck auf die Staatsmacht hochgeschraubt, den Herrschenden die freie Machtausübung erschwert und die Staatsmacht in die Defensive gedrängt. Das werden sich andere lokale Kämpfe zum Vorbild nehmen. Lokale Konfliktpunkte gibt es zu Hauf.

An der Abstimmung in Baden-Württemberg haben 3,6 Millionen Menschen teilgenommen. Damit lag die Beteiligung mit 48,3 Prozent niedriger als bei der letzten Landtagswahl (66 %), aber deutlich höher als bei anderen Volksabstimmungen. 2,1 Millionen (58 % der abgegebenen Stimmen) sprachen sich für den Weiterbau von Stuttgart21 aus, 1,5 Millionen (41 %) votierten für den Ausstieg.

Das ist das Resultat in Zahlen. Und was ist das politische Resultat?

Die Landesregierung mit viel Aufwand und Mühe nur erreicht, was sie schon immer auf ihrer Seite hatte: Gültige Verträge mit Großinvestoren, die gesetzeskonform zustande gekommen sind.

Die Gegner von Stuttgart21 haben der Staatsmacht hohe legale und nichtlegale Hürden in den Weg gelegt. Verhindern konnten sie das verhasste Projekt nicht. Dennoch wird sich der Widerstand gegen andere kapitalistische (Groß)Projekte an den Stuttgartern ein Beispiel nehmen. Nicht von ungefähr war der gleichzeitige Widerstand gegen den Castortransport so heftig und wirksam wie nie zuvor.

(nachgetragen am 28.11.2011)

Editorische Hinweise

Den Artikel erhielten wir von dem Autor. Er betreibt das "Marx-Forum", wo sein Kommentar zuerst veröffentlicht wurde. Er kann dort diskutiert werden.