Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Innenminister Claude Guéant gibt Marine Le Pen zur „Ausländerfrage“ ausdrücklich Recht

12/11

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Dass es einen Wettlauf zwischen Konservativen und Rechtsextremen - welche sich teilweise um dieselbe Wählerschaft balgen - gibt, ist in Frankreich nichts Neues. Dass französische Konservative und Wirtschaftsliberale dabei auch Versatzstücke aus dem rechtsextremen politischen Diskurs übernehmen, ebenfalls nicht.

Unerhört und ungewohnt ist es allerdings, dass ein konservativer Spitzenpolitiker einer Spitzenfigur der extremen Rechten in einer Kernfrage von deren Diskurs oder Programmatik ausdrücklich Recht gibt. Üblich ist es ansonsten vielmehr, dass Konservative etwa behaupten, die extreme Rechte stelle zum Teil „die richtigen Fragen“, übertreibe es dabei aber und gebe noch dazu die falschen Antworten. 

An diesem Sonntag, den 27. November 11 wählte Innenminister Claude Guéant eine andere Taktik. Er wurde anlässlich einer gemeinsamen Sendung des Radiosenders ,Europe 1’, des TV-Senders ,i télé’ und der Boulevardzeitung ,Le Parisien’ befragt. Und dabei wurde ihm auch die Frage gestellt, wie er sich zu den Auslassungen der Chefin des Front National, Marine Le Pen, positioniere. Und konkret zu ihren Äuberungen, wonach Jahr für Jahr „zu viele“ Einwanderer nach Frankreich gelangten. 

„Auch ich finde, dass das zu viel ist“, erwiderte Claude Guéant darauf und gab der rechtsextremen Politikerin dadurch ausdrücklich Recht. Und er fuhr fort, ein seit langem durch Marine Le Pen benutztes Beispiel (ihren berühmten Städtevergleich) aufgreifend: „Wir akzeptieren jedes Jahr auf unserem Boden 200.000 Ausländer auf legale Weise. Das ist so viel wie die Einwohnerschaft von Rennes, oder das doppelte der Einwohnerzahl von Perpignan.“ Nur ist die Zahl als solche natürlich falsch: Anders, als Marine Le Pen es immer wieder - und gestern auch Claude Guéant - darstellte, kommt nicht jährlich „die Bevölkerung einer Grobstadt“ zur französischen Wohnbevölkerung hinzu.  

Vielmehr werden zwar jährlich 200.000 neue Aufenthaltstitel erteilt. Dies betrifft aber u.a. auch Personen ausländischer Staatsbürgerschaft, die sich in Wirklichkeit seit längerem auf dem französischen Staatsgebiet aufhalten (Stichwort „Legalisierung“ von Sans papiers, also „illegalisierten“ Immigranten), und sich nur vorübergehend in Frankreich aufhaltende Personen wie etwa ausländische Studierende. Allein die Letztgenannten machen über 65.000 unter den im vergangenen Jahr erteilten Aufenthaltstiteln aus. Rund 80.000 Aufenthaltstitel zählen zur „familiären Einwanderung“ (Ehegatten und -Gattinnen von französischen Staatsbürger/inne/n, Familiennachzug von „legal“ im Lande lebenden Ausländer/inne/n), die zum Teil direkt in die französische „Generationen-Erneuerung“ einmünden. 

Guéant begleitete seinen Ausspruch mit einer autoritären Assimilierungsforderung („Warum ist das zu viel? Weil ich wie die Regierung, wie der Präsident wünsche, dass die Ausländer, die zu uns kommen, integriert werden, dass sie unsere Gesetze annehmen, dass sie unsere Lebensweise annehmen“). Und er fügte den quasi obligatorischen Nachsatz hinzu: „Frankreich ist nicht verschlossen, Frankreich ist kein fremdenfeindliches Land.“ Im selben Atemzug bekräftigte er seine Ankündigung (im ,Figaro Magazine’ vom 08. April 2011), die „legale“ ausländische Wohnbevölkerung zu verringern und die Erteilung von Aufenthaltstitel um „zunächst“ 10 Prozent zu reduzieren. Hinzu fügte er ebenfalls, dass Eheschlüsse und Familiennachzug fortan stärker kontrolliert würden, da es „viel Missbrauch“ gebe.  

Marine Le Pen selbst reagierte am Montag, den 28. November 11 auf die Auslassungen des konservativ-repressiven Innenministers mit folgenden Worten: „Danke an Claude Guéant! Durch seine Erklärungen erlaubt er es den Franzosen, zu sehen, wie die wahre Bilanz der Einwanderungspolitik Nicolas Sarkozys aussieht.“ (Vgl. http://actu.orange.fr/) Letzterer zeichnete als Innenminister während seiner Amtszeiten von Mai 2002 bis März 2004 sowie von Juni 2005 bis kurz vor der Präsidentschaftswahl vom April/Mai 2007, sowie als Präsident im Zeitraum (bisher) 2007 bis 2011 für die französische Zuwanderungspolitik verantwortlich.  

Auf Seiten der (etablierten und radikaleren) Linksparteien und -kräfte, unter anderem, riefen die jüngsten Vorstöbe des Hardliners im Innenministerium heftige Kritik hervor. Der Grünen-Politiker und frühere Präsidentschaftskandidat im Jahr 2002 sowie Ex-Fernsehjournalist Noël Mamère befand: „Die UMP spricht die Sprache Le Pens“; vgl. http://www.lefigaro.fr/  - Der sozialdemokratische Politiker und smarte Anwalt Arnaud Montebourg kommentierte, Claude Guéant sei „der Minister des Front National“, vgl. http://www.lefigaro.fr/ -  

An diesem Dienstag, den 29. November 11 kam die linksliberal-sozialdemokratische Tageszeitung Libération mit einer Titelseite heraus, auf welcher unter einem Foto des Ministers zu lesen stand: „Claude Guéant - Die Stimme Le Pens.“ Dieser Aufmacher rief einige Aufmerksamkeit hervor, und war sogar in den 13-Uhr-Nachrichten des öffentlich-rechtlichen französischen Fernsehens Thema. Guéant reagierte daraufhin, indem er behauptete, er habe „nichts mit dem Front National gemeinsam“: „Marine Le Pen hat ihre eigenen Thesen, es sind nicht die meinen.“ Doch dafür, „dass Integration machbar ist, müssen jährlich weniger Ausländer aufgenommen werden“, fügte er hinzu; vgl. http://www.lefigaro.fr/ Am selben Tag wurde Guéant im französischen Parlament durch die Abgeordneten der Opposition zur Rede gestellt, und sozialdemokratische Parlamentarier riefen, während er am Mikrophon stand: „Lügner! Lügner! Lügner!“ Am Abend fing die satirische Polit-Puppensendung des französischen Privatfernsehsenders Canal +, Les Guignols de l’info, mit einer sarkastischen Darstellung Claude Guéants an. Dieser tauchte als hölzerne Figur in einer Kuckucksuhr auf, welche für ihren „täglichen Kuckuck(s-Ruf) an die Wähler des Front National herauskommt“.

Editorische Hinweise

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.