Texte
zur antikapitalistischen
Organisations- und Programmdebatte

12/11

trend
onlinezeitung

Es gibt einen Überblick über alle bei TREND 2011 veröffentlichten Texte zur Debatte über Organisation und Programm, angeregt durch die "Sozialistische Initiative Berlin" (vormals Berlin-Schöneberg)

Berichte vom TREND Gespräch Nr.1
über Organisation & Programm

1. Bericht von Detlef Georgia Schulze

Beim gestrigen trend-Gespräch zwischen Karl-Heinz Schubert und mir sagte ersterer: Um die verschiedenen revolutionären Zirkel usw. mit einander ins Gespräch zu bringen, sei sinnvoller, von konkreten Kämpfen und Bewegungen, in denen diese involviert sind, auszugehen, als zu versuchen, vorab eine Einigung über Prinzipien zu erreichen. Bspw. wäre gut, wenn die SAV, die im CFM-Streik in Berlin eine wichtige Rolle spiele, und Avanti, die in der Stadtteil- und Mietenpolitik wichtig sei, ein Gespräch über die Verbindung von Stadtteil- und Betriebskämpfen führen würden – und entsprechend mit den anderen Kleinorganisationen, Grüppchen usw.
Nach kurzer kontroverser Diskussion ließ sich auch klären, daß eine solche Vernetzung der Bewegungs- und Bündnisarbeit der subjektiven RevolutionärInnen noch keine revolutionäre Organisation wäre, aber ein wichtiger Schritt, um hin zu einer neuen revolutionären Organisation zu gelangen. Micha Prütz goß dies in die Worte, daß zwischen einem Bündnis der RevolutionärInnen und einer revolutionären Organisation ein „qualitativer Sprung“ liege.
Ich hoffe, wir waren uns auch einig, daß es in einem solchen Bündnis der subjektiven RevolutionärInnen nicht nur um ‚technische’ Fragen der Tagespolitik gehen dürfte, sondern die zentrale Frage sein müßte, wie sich RevolutionärInnen an Tageskämpfen beteiligen sollten, damit diese tatsächlich – und nicht nur dem Anspruch nach – einen Beitrag zur schließlichen Revolutionierung aller Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnis leisten. Die Orientierung auf einen „revolutionären Bruch“ wäre also nicht nur für Sonntagsreden oder ein Grundsatzprogramm aufzusparen, sondern die Frage wäre, wie die Perspektive des revolutionären Bruchs effektiv in den Tageskämpfen zum Thema gemacht werden kann.

Ich möchte daher vorschlagen, in den verschiedenen Städten zu derartigen Plena der subjektiven RevolutionärInnen einzuladen. Das wird sicherlich nicht (sofort) zu einem gemeinsamen Vorgehen alldieser subjektiven RevolutionärInnen in den Tageskämpfen und in Bündnissen mit GradualistInnen und ReformistInnen führen. Aber es dürfte erleichtern von einander zu lernen und die diskussionsbedürftigen grundlegenden Punkte zu identifizieren, die bisher einem gemeinsamen Vorgehen der subjektiven RevolutionärInnen entgegenstehen.

Und im Zuge eines solchen Diskussions- und Arbeitsprozeß ließe sich – ohne Hintenanstellung der parallel fortzusetzenden ‚Prinzipiendiskussion’ – dann hoffentlich ein solches Maß an Gemeinsamkeit jedenfalls zwischen einem Teil der subjektiven RevolutionärInnen herstellen, das dann – zusammen mit den Ergebnissen der ‚Prinzipiendiskussion’ – eine Organisationsgründung erlaubt.

Quelle: http://arschhoch.blogsport.de

2. Bericht von Karl-Heinz Schubert

Mein Vorschlag, dass es sinnvoller sei, um die verschiedenen revolutionären Zirkel usw. mit einander ins Gespräch zu bringen, von konkreten Kämpfen und Bewegungen, in denen diese involviert sind, auszugehen, als zu versuchen, vorab eine Einigung über Prinzipien zu erreichen, steht im engen Zusammenhang mit den drei Thesen über Organisation & Programm, die ich als Input zum gestrigen Abend vorgetragen habe.

Deshalb folgende Erläuterungen zu diesem Vorschlag mit Bezug auf meine Thesen:

Die Grundfrage jeder Organisierung lautet schlicht: Wer organisiert wen für was? Diese Frage ist vorgängig zu beantworten, bevor überhaupt die erste Zeile einer Gründungserklärung einer „Antikapitalistischen Organisation“ geschrieben wird. Um diese Frage im marxistischen Sinne – d.h. gestützt auf die Marxsche Kritik der Politischen Ökonomie – beantworten zu können, muss Folgendes klar sein: Die Antwort auf diese Frage wird weder durch reine Theoriearbeit am Schreibtisch noch direkt aus der unmittelbaren Erfahrung im Klassenkampf gewonnen.

Richten wir nun unseren Blick auf den Zustand der „Klassenlinken“ in der BRD (Definition: Alle, die die Möglichkeit der Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise vom revolutionären Wirken des Proletariats abhängig machen), dann müssen wir eine heillose Zersplitterung in Gruppen, Sekten und Grüppchen feststellen und auf der anderen Seite eine ebenso fragmentierte proletarische Klasse. Allerdings nicht in Folge von selbstverschuldeten Irrungen und Wirrungen, sondern infolge eines kapitalistischen Arbeits- Verwertungsprozesses, der den engen Rahmen des Nationalstaates längst hinter sich gelassen hat.

Unbeschadet dessen haben die Klassenauseinandersetzungen in den Metropolen im letzten Jahrzehnt rasant zugenommen. Einen nennenswerten Einfluss von revolutionären Zirkeln auf diese Entwicklung war dagegen zumindest in der BRD nicht feststellbar.

Vor diesem Hintergrund sollte jeder Zirkel, jede Gruppe, jede Einzelperson die an dem Diskurs über die Vereinheitlichung der Klassenlinken und Gründung einer revolutionären Organisation teilnehmen will, Auskunft darüber geben, ob es darum gehen soll zunächst die Kräfte zu sammeln, die in den spontanen Bewegungen der Klasse aktiv sind oder ob es sich um einen Sammlungsprozess innerhalb der Klassenlinken handeln soll. Oder um beides – jedoch mit unterschiedlicher Gewichtung. Die Antwort resultiert nicht aus dem Willen, sondern leitet sich aus der Analyse der Klassenauseinandersetzungen und den darin gesammelten Erfahrungen ab, wobei zu beachten ist, dass Klassenkämpfe generell an drei „Fronten“ (ökonomisch, politisch, ideologisch) ausgetragen werden.

Aufgrund der Entscheidung in dieser Frage werden davon die Programmatische Arbeit und ihre Form der Organisierung bestimmt sein. Daraus ergibt sich eine zweite zentrale Fragestellung: Soll es sich bei dem Programm, um eine Prinzipienerklärung oder um einen Organisationsplan für gemeinsame Aktionen handeln bzw. um eine Mischform aus beidem?

Angesichts der Erfahrungen mit den westdeutschen Versuchen (z.B. BWK, VSP) innerhalb der revolutionären Linken eine gemeinsame Organisation zu schaffen und angesichts des Zustands des derzeitigen Zirkelwesens in der BRD, halte ich den Weg einer Prinzipiendebatte für nicht „zielführend“. Ich tendiere daher dazu, sich einen verbindlichen Rahmen für gemeinsame Interventionen in verschiedenen gesellschaftlichen Sektoren zu schaffen. Dazu ist eine Debatte nötig, die solche Entwürfe wie z.B. das „Bochumer Programm“ aus der virtuellen Welt in die wirklichen Klassenauseinandersetzungen überführt. Gleichwohl versteht es sich von selbst, dass so ein Programm nicht als Dogma an die Erfahrungen linker AktivistInnen in sozialen Bewegungen herangetragen werden kann, sondern in kollektiven und verbindlichen Strukturen einer Überprüfung und Veränderung unterworfen sein wird.

Mein Vorschlag, dass die SAV, die im CFM-Streik in Berlin eine wichtige Rolle spielt, mit Avanti, die in der Berliner Stadtteil- und Mietenpolitik tätig ist, Gespräche über die Verbindung von Stadtteil- und Betriebskämpfen führen sollten, war ein konstruiertes Beispiel als Antwort auf die Frage, ob es HEUTE richtig ist, über ein Aktionsprogramm die Einheit der Klassenlinken herzustellen, statt „fünf Prinzipien“ auszurufen, unter denen sich jede Gruppe, jede Strömung und Einzelperson etwas anderes vorstellt.

Ich halte so einer Konsultation tatsächlich für einen ersten Schritt, selbstverschuldete Sektengrenzen zu durchbrechen.

Quelle: ebenda

Editorischer Hinweis

An dem Gesprächskreis nahmen 15 Personen teil, die aus verschiedenen politischen Spektren stammten. Alle Anwesenden lobten die entspannte, solidarische und dennoch nicht Widerspruchsarme (z.B. Aktionsprogramm versus Prinzipienprogramm) Atmosphäre der mehr als dreistündigen Diskussion. Sie gaben ihrer Hoffnung Ausdruck, dass sich diese politische Kultur weiter entwickelt und in den nächsten TREND-Gespräch gefestigt wird.