In und bei der Partei Die Linke gibt
es auch eine Bundesarbeitsgemeinschaft, die vehement für ein
bedingungsloses Grundeinkommen streitet. Diese
Arbeitsgemeinschaft hat eine Kritik am Programmentwurf
geschrieben. Man wirft der Partei vor, dass sie zu sehr „die
Zentralität der Lohnarbeit“ im Kapitalismus betone.
Da ist unsereins doch neugierig und will
wissen warum.
Die Arbeitsgemeinschaft entwickelt folgende
Argumentation:
"Marxistisch zugespitzt formuliert, ist Lohnarbeit nur für die
Reproduktion der Akkumulation des Kapitals in einer bestimmten
historischen Formation des Kapitalismus zentral wichtig.
Die Gesellschaft kann sich nicht nur theoretisch ohne
Lohnarbeit reproduzieren, sie tut es auch größtenteils. Weit
mehr als die Hälfte der in der BRD geleisteten Arbeit (96 Mrd.
Stunden) sind unbezahlte Arbeitsstunden außerhalb der
Erwerbsarbeit (56 Mrd. Stunden). Ohne diese Arbeit, die
überwiegend in Haushalten und von Frauen, aber auch im
Ehrenamt oder in freiwilligen Kooperationen (z. B. freie
Software) geleistet wird, würde die Gesellschaft sich nicht
reproduzieren können. Mehr noch: Das System der
kapitalistischen Akkumulation würde sich ohne die unbezahlte
Arbeit auch nicht reproduzieren können. Das Einfließen der
unbezahlten Arbeit in der Gesellschaft, unter anderem zur
Reproduktion der Arbeitskraft, aber auch zur Produktion von
gesellschaftlichen Zusammenhängen, Ideen etc., in den Prozess
der Mehrwertproduktion ermöglicht erst die kapitalistische
Akkumulation. Dieser Zusammenhang wird im Programmentwurf
nicht offengelegt und dadurch verschleiert.
Die neben der Warenproduktion existierenden
Produktionsweisen, z. B. die häusliche Produktion (Sorge,
Erziehung und Pflege) oder die Produktion in freien
Kooperationen (z. B. freie Software, künstlerische Werke) oder
der Bereich der Selbstbildung etc., werden in ihrer
tatsächlichen Bedeutung für Gesellschaft und Wirtschaft nicht
gesehen. Statt dessen wird davon gesprochen, dass die
Erwerbsarbeit Grundlage der Produktivkraftentwicklung sei und
dies auch auf absehbare Zeit bleiben werde."
I.
Die heutige Gesellschaft in den
hochentwickelten kapitalistischen Ländern reproduziert sich also
weitgehend ohne Lohnarbeit. Beweis dafür sei, dass 56 Milliarden
Arbeitsstunden – ich will gar nicht hinterfragen, was alles dazu
gezählt wird und mit welchen Methoden man diese Zahl ermittelt
hat – unbezahlt seien. Was ist das Produkt dieser Arbeiten? Da
wird aufgezählt etwa für die „häusliche Produktion“:
·
Sorge
·
Erziehung
·
Pflege
Über die Produkte von Ehrenämtern lässt man
den interessierten Leser ganz im Dunkeln. Freiwillige
Kooperationen liefern z.B. Software. usw.
Nun ist es aber so, dass sich Gesellschaft
genausowenig durch Arbeitsstunden reproduziert, wie durch Geld.
Sie reproduziert sich wesentlich durch das, was die geleistete
Arbeit an Produkten liefert, die Mensch konsumiert.
Konsequenz aus den Sätzen der
Arbeitsgemeinschaft: die Gesellschaft reproduziert sich
hauptsächlich durch Sorge, Erziehung, Pflege und z.B. freie
Software.
Nachdem ich das verstanden habe, gehe ich
mal so durch meine Wohnung, um nicht vollständig die
Bodenhaftung zu verlieren. Man tritt ein durch eine Tür aus Holz
mit einem Schloss (Material: Eisen- und Nichteisenmetalle). Auf
dem Boden liegt ein Teppich, in den Räumen befinden sich Stühle,
Tische, Betten etc., wiederum aus irgendeinem Metall oder Holz
gefertigt sind. In der Küche gibt es Wasch- und
Geschirrspülmaschine, Töpfe, Essbestecke, Teller und Tassen usw.
Darin verarbeitet wiederum Metalle, aber auch Kunststoffe und
Keramik. Auch Stereo-Anlage, Fernseher und Computer fehlen
nicht. Welchen Stellenwert haben diese Dinge, neben Essen und
Trinken, für meine Reproduktion? Kann ich weitgehend auf sie
verzichten und mich „größtenteils“ durch Sorge,
Erziehung, Pflege, Inanspruchnahme von ehrenamtlicher Tätigkeit
und freier Software reproduzieren? Ich glaube, dass das nicht
funktioniert.
All die aufgeführten Sachen in meiner
Wohnung sind von „zentraler Bedeutung“ für meine Reproduktion,
und ich möchte nicht auf diese Dinge verzichten.
All diese aufgeführten Sachen sind Produkte
von Lohnarbeit, die in industrieller Produktion durch das
Kapital angewandt wird. Industrielle Produktion, Lohnarbeit und
Kapital sind verschiedene Seiten ein und derselben Medaille, der
kapitalistischen Produktionsweise. Während sich die Begriffe
Lohnarbeit und Kapital auf die soziale Form beziehen, drückt die
industrielle Produktion eine bestimmte Stufe der Produktivkraft
von menschlicher Arbeit aus. „Marxistisch zugespitzt“
bezeichnet man das auch als System der Lohnarbeit. Denkt man an
die Anzahl der Menschen, die diese Lohnarbeit leisten und an die
Produkte, die sie für gesellschaftliche Produktion (von
Produktionsmitteln, also Maschinen etc. will ich hier gar nicht
erst anfangen) und Reproduktion liefert, dann ist diese
Lohnarbeit zweifellos und offensichtlich „zentral“ für die
gesellschaftliche Reproduktion unter kapitalistischen
Produktionsverhältnissen. Die Produktivkraft menschlicher Arbeit
drückt sich zweifellos vor allem in der industriellen Produktion
und der darin verausgabten Lohnarbeit aus und nicht in
„häuslicher Produktion“, Ehrenämtern und freien Kooperativen.
Letzteres ist ganz verwiesen auf die Produkte industrieller
Fertigung.
Lohnarbeit reproduziert nicht nur das
Kapitalverhältnis, sondern sie produziert eben nebenbei auch
jede Menge nützliche (und zweifellos auch schädliche) Waren mit
einem Gebrauchswert für unterschiedlichste Anwendung. Sie
liefert also all das, woran KämpferInnen für bedingungsloses
Grundeinkommen eine „gleichberechtigte Teilhabe“
verlangen. Dieser möglichen Teilhabe an den Früchten der so
nebensächlichen kapitalistischen Lohnarbeit soll das
Grundeinkommen ja dienen. Wenn die Gesellschaft sich tatsächlich
hauptsächlich ohne Lohnarbeit reproduzieren würde, wozu dann
überhaupt ein solches Einkommen? Den Schnickschnack den
Lohnarbeit in Form von Waren produziert braucht doch
offensichtlich niemand der sich hauptsächlich über Sorge,
Erziehung, Pflege und z.B. den Konsum von freier Software
reproduziert.
II.
Aber nicht nur für die materielle
Reproduktion der kapitalistischen Gesellschaft ist die
Lohnarbeit zentral, sie bliebe es auch für ein angeblich
bedingungsloses Grundeinkommen, wenn man nicht einfach die
Gelddruckmaschine anwerfen will.
Der Adressat für die Forderung nach so
einem Grundeinkommen ist offensichtlich der Staat. Dessen
Einkommen sind Steuern, die er „zentral“ auf Lohneinkommen und
Profite der Unternehmen (direkte Steuern), sowie auf den Umsatz
von Ware in Geld (indirekte Steuern) erhebt. Die staatlichen
Steuereinnahmen sind damit vollständig abhängig von
erfolgreicher kapitalistischer Produktion und Akkumulation.
Damit wäre also auch das vom Staat auszuzahlende bedingungslose
Grundeinkommen vollständig abhängig vom System der Lohnarbeit.
Es gibt also im Kapitalismus auf jeden Fall Bedingungen für ein
angeblich bedingungsloses Grundeinkommen, selbst dann, wenn der
Staat, denen, die es verlangen, keine Bedingungen stellt.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft interessiert
sich aber weder für die Art und Weise, wie sich kapitalistische
Gesellschaft materiell reproduziert, noch interessiert es sie,
welche ökonomischen Zusammenhänge im Spiel sind, die die
„Zentralität der Lohnarbeit“ für jede Form von Geldeinkünften
ausmachen. Sie will der „Philosophie des bedingungslosen
Grundeinkommens“ zum Durchbruch verhelfen. Danach stehe den
Menschen „qua Existenz die Garantie der Gesellschaft“ zu,
„ein Leben in Würde, Selbstbestimmung, gleichberechtigter
Teilhabe und freier Entfaltung seiner Persönlichkeit führen zu
können“.
Man fragt sich, wieso diese Garantie nicht
längst eingelöst ist. Hat man aber einmal dieses (bürgerliche)
Terrain der universellen Menschenrechte betreten, dann braucht
man sich um die (unter kapitalistischen Produktionsverhältnissen
fehlenden) Voraussetzungen ihrer Verwirklichung nicht mehr zu
kümmern. Die Freiheit wird grenzenlos. „Die Philosophie des
bedingungslosen Grundeinkommens“ kann keine Rücksicht nehmen
auf irgendwelche Bedingungen oder Voraussetzungen. Ist der
Mensch einmal geboren, dann steht ihm was zu, hat er einen
Garantieanspruch … mindestens auf ein erbärmliches (das bliebe
es nämlich in Anbetracht der durch industrielle
Produktivität tatsächlichen Möglichkeiten für ein gutes Leben)
Grundeinkommen.
In der klassenlosen Gesellschaft von Beziehern des
Grundeinkommens bestehen keinerlei Verpflichtungen zur
„Gegenleistung“ für die Individuen gegenüber dem Gemeinwesen
(Gesellschaft) deren Teil sie sind. Es handelt sich offenbar
nicht um gesellschaftliche Individuen, sondern um Bezieher
einer unbedingt „individualisierten“ Geldleistung, die die
„Gesellschaft“ den Individuen zu garantieren hat. In der
„Philosophie des bedingungslosen Grundeinkommens“ stehen
sich Gesellschaft und Individuen exakt so gegenüber, wie das
heute, in der bürgerlichen Gesellschaft, verwirklicht ist. Darum
gibt es in der Spitze der sozialen Hierarchie der bürgerlichen
Gesellschaft bereits eine Gruppe von Menschen, für die ein
zentrales Anliegen dieser „Philosophie“ auf eindrückliche Weise
Realität ist: Leute, denen „die Gesellschaft“ ein
„individualisiertes“ Geldeinkommen verschafft, ohne das für sie
ein Verpflichtung besteht, „eine Gegenleistung“ zu erbringen.
Für Milliardäre gibt es (leider) keine „Bedürftigkeitsprüfung“!
Solange es aber keine durch soziale Revolution nachhaltig
praktizierte „Bedürftigkeitsprüfung“ für privaten Reichtum gibt,
dieser vielmehr unbegrenzt wachsen kann, solange wird es auch
keine Garantie auf irgendeine Form von Grundsicherung für
Menschen „qua Existenz“ geben!
III.
Ist die lästige „Zentralität der
Lohnarbeit“ im Kapitalismus erstmal ideologisch aus der Welt
geschafft, braucht die soziale Emanzipation von den Zwängen der
Lohnarbeit, vom Kapital, nicht mehr als Selbstbefreiung von
tatsächlichen und potentiellen LohnarbeiterInnen gedacht werden.
Da tut sich ein neuer Klassenwiderspruch auf, den manche
bürgerlichen Ideologen schon lange erkannt haben: es handelt
sich um den Widerspruch zwischen denen, die einen
Lohnarbeitsplatz „besitzen“ und jenen, die keinen haben. Bei der
Arbeitsgemeinschaft und ihrer Kritik am Programmentwurf der
Linken Partei liest sich das so:
"Die mangelhafte Analyse zieht nach
sich, dass aktuelle Klassenformierungsprozesse im Programm
unerwähnt bleiben. Die Phänomene der Prekarisierung von
Lohnarbeit und des Umbaus vom Wohlfahrts- zum Workfarestaat
werden dabei zwar teilweise beschrieben, jedoch nicht in ihrer
Bedeutung begriffen. Dabei wird in allen entwickelten
Industriestaaten die Bildung einer Klasse von Arbeitenden
“unterhalb” der doppelt freien LohnarbeiterInnen
vorangetrieben. Mit Arbeitszwang gegen Alimentierung weit
unter den tatsächlichen Reproduktionskosten, ohne
Möglichkeiten, den Lohn zu verhandeln, und dabei unter
verminderten politischen und anderen Bürgerrechten stehend,
unterscheiden sich diese Arbeitenden deutlich von den doppelt
freien LohnarbeiterInnen. Sie stellen eine Klasse mit eigenen
Interessen dar."
Da soll also eine neue Klasse mit eigenen
Interessen entstanden sein. Nach diesen eigenen Interessen muss
man nicht lange suchen: sie lassen sich zusammenfassen als
Interesse am bedingungslosen Grundeinkommen. Langsam wird klar,
worauf die Leugnung der „Zentralität von Lohnarbeit“ im
Kapitalismus hinauslaufen soll: auf einen neuen potentiellen
Träger sozialer Emanzipation, dessen Interesse darin bestünde,
den Zwang zur Lohnarbeit schon im Kapitalismus, unter den
Bedingungen kapitalistischer Produktionsverhältnisse,
aufzuheben. Man kann also ohne soziale Revolution auskommen! Wie
schön!
Dass diese angeblich neue Klasse in großen
Teilen nichts als eine „industrielle Reservearmee“
(Marx), Manövriermasse des Kapitals ist, und als solche sein
ureigenstes Produkt, „Zwillingsbruder“ der Lohnarbeit, das
interessiert auch in diesem Zusammenhang nicht. Schließlich geht
es um bedingungsloses Grundeinkommen! Spätestens an diesem Punkt
wird jedoch deutlich, dass sich bei der „Philosophie des
bedingungslosen Grundeinkommens“ um einen Spaltpilz handelt,
der nicht zuletzt deshalb auch von Vertretern der bürgerlichen
Klasse (Götz Werner etc.) aufgegriffen wurde. Hier soll (auch im
sozialen und politischen Widerstand) ein Keil getrieben werden
zwischen den Teilen der Lohnabhängigen, die vom Kapital
beschäftigt werden, und jenen, die ihnen als Reserve dienen,
nicht zuletzt, um den Preis der Ware Arbeitskraft zu drücken.
Wenn das gelingt, können KommunistInnen ihre Hoffnung auf
erneute „Bildung des Proletariats zur Klasse“ vergessen!
p.s.:
1.
Dies sollte nicht als Verteidigung des
Programms der Partei Die Linke missverstanden werden!
2.
Eins könnten KommunistInnen von der
Verfechtern eines Bedingungslosen Grundeinkommens lernen: wie
man sich auf eine zentrale Forderung verständigt, die man dann
ausführlich und immer wieder begründet, um sie zu popularisieren
und Verständigung herbei zu führen.
Editorische Anmerkungen
Peter Trotzig schreibt ab der Nr. 1-05 in unregelmäßigen
Abständen seine Kommentare zum Zeitgeschehen.