Und wieder wird er laufen an „Heilig
Abend“, „Der kleine Lord“. Die Geschichte ist so einfach
gestrickt, wie man sich das nur wünschen kann; sie lebt
ganz und gar von der Konfrontation
1.
eines Lords, an dem alles stimmt
(großer privater Reichtum), nur dass er leider ein
komplettes Arschloch ist,
2.
mit einem kleinen Jungen (noch
nicht anerkannter Enkel des Lord) an dem alles stimmt (der
komplette Gutmensch, selbstlos, ganz und gar „artig“) nur,
dass er arm ist.
Man muss nicht lange rätselraten, um
zu erahnen, wie dieser für den gesunden bürgerlichen
Menschenverstand unerträgliche Widerspruch gelöst wird:
1.
der Lord wird zum Gutmenschen, ohne
seinen privaten Reichtum zu verlieren
2.
der Junge wird reich, ohne
aufzuhören ein Gutmensch zu sein. |
|
So ist alles beieinander, was man sich für
„soziale Befreiung“ wünscht, ohne dass die bestehende Ordnung
auch nur im mindesten geändert werden muss: privater Reichtum
und „solidarische Gesellschaft“. Zu haben ist das Ganze schon
mit wenig Aufwand: es kostet nur ein bisschen guten Willen,
Geduld und eine etwas größere Portion ebenso unschuldige und
ahnungslose Naivität.
Das Ganze wirkt wie eine
bewusstseinsbeschränkende Droge, die vergessen lässt. In
unglaublicher Gefühlsduselei breitet sich ein Nebelschleier über
die erfahrene soziale Realität aus. Das spricht nicht gegen die
Gefühle, die hier mobilisiert werden, aber es spricht gegen die
Art, wie sie für den Zweck (Hoffnung auf Glück und die
Menschlichkeit privaten Reichtums) mobilisiert und gelenkt
werden.
Das Gift wirkt umso besser, je fester
bereits zwei Werte bei den Adressaten verankert sind:
1.
die Sehnsucht nach riesigem privaten
Reichtum (man denke an die Leidenschaft zum Glücksspiel, Lotto
etc.)
2.
die Sehnsucht nach gegenseitiger
Solidarität, Hilfsbereitschaft etc. (man denke an
Spendenbereitschaft im Katastrophenfall etc.)
Millionen werden sich am „Heiligen Abend“
mit Hilfe dieses Films berauschen, sich in angemessene Stimmung
versetzen und von ihrer „sozialen Befreiung“ träumen.
Ich wünschte mir, dass in dem Film ein paar
Jungs und Mädchen z.B. aus den Pariser Banlieus auflaufen
würden, um den Laden mal so richtig aufzumischen! Nicht weil das
den realen Konflikt schon anders lösen würde, sondern um ihn
überhaupt deutlich zu machen
In diesem Sinne
schöne Feiertage und einen guten Rutsch
Peter Trotzig
Editorische Anmerkungen
Peter Trotzig schreibt ab der Nr. 1-05 in unregelmäßigen
Abständen seine Kommentare zum Zeitgeschehen.