Peter Trotzig
Kommentare zum Zeitgeschehen
Ein Stück alljährlicher Gehirnwäsche
oder wie Deutschland sich soziale Befreiung wünscht

12/10

trend
onlinezeitung

Und wieder wird er laufen an „Heilig Abend“, „Der kleine Lord“. Die Geschichte ist so einfach gestrickt, wie man sich das nur wünschen kann; sie lebt ganz und gar von der Konfrontation

1.      eines Lords, an dem alles stimmt (großer privater Reichtum), nur dass er leider ein komplettes Arschloch ist,

2.      mit einem kleinen Jungen (noch nicht anerkannter Enkel des Lord) an dem alles stimmt (der komplette Gutmensch, selbstlos, ganz und gar „artig“) nur, dass er arm ist. 

Man muss nicht lange rätselraten, um zu erahnen, wie dieser für den gesunden bürgerlichen Menschenverstand unerträgliche Widerspruch gelöst wird:

1.      der Lord wird zum Gutmenschen, ohne seinen privaten Reichtum zu verlieren

2.      der Junge wird reich, ohne aufzuhören ein Gutmensch zu sein.

So ist alles beieinander, was man sich für „soziale Befreiung“ wünscht, ohne dass die bestehende Ordnung auch nur im mindesten geändert werden muss: privater Reichtum und „solidarische Gesellschaft“. Zu haben ist das Ganze schon mit wenig Aufwand: es kostet nur ein bisschen guten Willen, Geduld und eine etwas größere Portion ebenso unschuldige und ahnungslose Naivität.

Das Ganze wirkt wie eine bewusstseinsbeschränkende Droge, die vergessen lässt. In unglaublicher Gefühlsduselei breitet sich ein Nebelschleier über die erfahrene soziale Realität aus. Das spricht nicht gegen die Gefühle, die hier mobilisiert werden, aber es spricht gegen die Art, wie sie für den Zweck (Hoffnung auf Glück und die Menschlichkeit privaten Reichtums) mobilisiert und gelenkt werden.

Das Gift wirkt umso besser, je fester bereits zwei Werte bei den Adressaten verankert sind:

1.      die Sehnsucht nach riesigem privaten Reichtum (man denke an die Leidenschaft zum Glücksspiel, Lotto etc.)

2.      die Sehnsucht nach gegenseitiger Solidarität, Hilfsbereitschaft etc. (man denke an Spendenbereitschaft im Katastrophenfall etc.) 

Millionen werden sich am „Heiligen Abend“ mit Hilfe dieses Films berauschen, sich in angemessene Stimmung versetzen und von ihrer „sozialen Befreiung“ träumen.

Ich wünschte mir, dass in dem Film ein paar Jungs und Mädchen z.B. aus den Pariser Banlieus auflaufen würden, um den Laden mal so richtig aufzumischen! Nicht weil das den realen Konflikt schon anders lösen würde, sondern um ihn überhaupt deutlich zu machen

In diesem Sinne
schöne Feiertage und einen guten Rutsch
Peter Trotzig

Editorische Anmerkungen

Peter Trotzig schreibt ab der Nr. 1-05 in unregelmäßigen Abständen seine Kommentare zum Zeitgeschehen.