Die Grenzen der linken Regierung
Eine Besprechung des Buches "Den Sozialismus neu denken"
von Peter Nowak

12/10

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Die Einschätzungen zu  den linken Regierungen in Lateinamerika sind nicht nur in Deutschland  sehr kontrovers. Handelt es sich um  Wege zu einer emanzipatorischen und sozial gerechteren Gesellschaft oder wird der Kapitalismus nur verwaltet? Welchen Handlungsspielraum  haben diese Regierungen   im globalen Kapitalismus? Diese Fragen stellt sich der argentinische Politologe Atilio Boron in seiner knapp hundertzwanzigseitigen Streitschrift, die kürzlich im VSA-Verlag in deutscher Sprache erschienen ist.

  In dem Büchlein werden viele Themenbereiche angesprochen, was die Lektüre nicht immer einfach macht. So rezipiert Boron in den ersten Kapitel n die Grundzüge der Debatten um Entwicklung und Unterentwicklung, die vor 40 Jahren unter Soziologen nicht nur in  Lateinamerika eine große Bedeutung hatten.      Boron teilt die Meinung der Depedenztheoretiker, die damals die These vertreten haben, dass es für die Länder des globalen Südens gar nicht möglich ist, die USA und Westeuropa zu kopieren und  für einen unabhängigen Weg plädierten.

Für ihn haben sich die Prognosen dieser linken Theoretiker in den letzten 40 Jahren bestätigt. Den Mitte-Links-Regierungen auf dem amerikanischen Kontinent bescheinigte Boron dagegen, dass sie „mit blinden Optimismus darauf vertrauen, dass ihr Marsch in Richtung Entwicklung erfolgreich sein wird – obwohl dieser Weg schon seit langem versperrt ist.“

Bezugspunkt Kuba

Mehrmals geht der Autor in dem Buch auf die Entwicklung in Kuba ein. Für ihn ist das Land ein wichtiger Bezugspunkt für die lateinamerikanische Linke. Damit unterscheidet sich Boron positiv von vielen europäischen Linken, die Kuba entweder ignorieren, wenn sie über die lateinamerikanische Linke reden oder die sogar klar gegen Kuba Partei ergreifen. Bei seiner Auseinandersetzung mit verschiedenen Aspekten der Linken zitiert Boron häufig auch Fidel Castro.  Dazu gehört die Debatte über die Planwirtschaft ebenso, wie über sozialistische Demokratie und Bürokratismus.       

  Besonders in der  Kritik von Boron steht der mittlerweile verstorbene ehemalige argentinische Präsident Nestor Kirchner, der das Ziel verfolgt habe „einen ernsthaften Kapitalismus“ zu schaffen.

Die Hauptkritik  richtet sich allerdings gegen die Lula-Regierung in Brasilien. „Während der ersten Amtszeit von Lula machte das Kapital phänomenale Gewinne auf Kosten der nationalen Bourgeoisie, die nicht in der Lage war, die Richtung der ultraneoliberalen Wirtschaftspolitik zu verändern“.  Boron geht mit der Lula-Regierung besonders hart ins Gericht, weil sie wegen des politischen und wirtschaftlichen  Gewichts  Brasilien  in der Lage gewesen wäre, eine politische Alternative zur neoliberalen Entwicklung einzuschlagen. Sein Fazit ist ernüchternd: „Nichts hat sich in Brasilien verändert. Der neoliberale Weg wird weiter beschritten“.

 Vorsichtig optimistisch äußert sich Boron zur Entwicklung in Venezuela. „Nach einer Reihe von unvermeidlichen Anfangsschwierigkeiten hat die bolivarische Revolution Beweise geliefert, dass es einen Weg aus dem Neoliberalismus gibt, wenngleich ein sehr steiniger Weg ist, auf dem zahlreiche Gefahren lauern.“

Im dritten Kapitel liefert beteiligt sich Boran an der Debatte um die Grundlagen eines Sozialismus des 21.Jahrhunderts. Er stimmt den Soziologen Michael Lebowitz zu, der erklärte: „Der Sozialismus des 21. Jahrhunderts muss bereit sein, gegen das Kapital zu kämpfen. .. Man muss willens sein, mit der   Logik des Kapitals zu brechen, wenn man eine bessere Welt aufbauen will“.

Als zentrale Lehre aus dem Scheitern bisheriger sozialistischer Experimente legt Boron Wert auf eine Abkehr vom blinden Vertrauen in die Produktivkräfte und einen „technokratischen Despotismus“.  Dabei bezieht er sich ausdrücklich auf Schriften von Che Guevara.  Seinen Kampfmethoden erteilt Boran aber eine Absage. „Es wäre falsch zu glauben, dass der Sozialismus des 21.Jahrhunderts in einem aggressiven Kapitalismus durch einen revolutionären Prozess entstehen würde. In Lateinamerika wird dieser Prozess des Aufbaus des Sozialismus in verschiedenen Ländern verschiedene Charakteristika  aufweisen, er wird aber in jedem Fall zunächst im Gewand des Reformismus daherkommen.“        Wie sich dann aber, der von Boron als notwendig erkannte „Bruch mit der Vergangenheit“ vollziehen soll, bleibt offen. Lediglich auf das richtige Bewusstsein und die richtige Organisation wird am Schluss rekurriert. So bleibt der Autor, der in dem Buch viele interessante Fragen aufgeworfen hat,   am Ende  leider doch recht vage.

 

Atilio Boron
Den Sozialismus neu denken

VSA-Verlag
Hamburg 2010
119 Seiten
12,20 Euro
ISBN: 978-3-89965-423-3