Stuttgart 21
Die Schlichtung ist am Ende

von
Theo Tiger

12/10

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Am 30.11., zwei Monate nach den Angriffen der Polizei auf die Protestbewegung im Stuttgarter Schloßpark, folgte der Schlichterspruch von Heiner Geissler. Bei der entscheidenden Frage, nämlich „oben“ oder „unten“, blieb Geissler bei den Aussagen von Ministerpräsident Mappus und Bahnchef Grube stehen. Es gäbe einen gültigen Vertrag mit der Bahn und es ist nicht möglich, diesen zu ändern.

Zuvor hatte Geissler in schillernden Tönen den demokratischen Prozess der Schlichtung gefeiert, den Fernsehsendern für die Liveübertragungen gedankt und das große Engagement aller Beteiligten für die Demokratie gewürdigt. Dann erfuhren wir aber, dass ein Vertrag zwischen Land/Staat und DB mehr Wert hat, als alle demokratischen Prozeduren und Beschwörungen.

Fast schon lächerlich mutete die Begründung für die Ablehnung von K21 an. Zwar hätten die Entwickler beweisen können, dass ihr Konzept wirklich eine „Alternative“ zu S21 darstellt und dadurch auch viele Mängel von S21 nachweisen können, aber leider fehlt nun mal die endgültige Plankostenfeststellung und natürlich die Baugenehmigung für einen veränderten Kopfbahnhof.

Damit ist K21 abgelehnt, weil Landesregierung, Stadt und Bahn nicht den Auftrag gegeben haben und seltsamerweise derzeit keine Baugenehmigung vorliegt - soviel zum Thema Schlichtung, offener Prozess und Demokratie.

Diese Schlichtung war niemals „ergebnisoffen“, die Position der Bahn war von Beginn an die bestimmende Position, schließlich liegt bei ihr ein Milliardenauftrag und dementsprechende Profitversprechen. Und so war die Stimmung bei der DB auch recht ausgelassen nach der Schlichtung, ihr juristischer Vertrag inklusive Kapitalinteressen, wird politisch von der Schlichtung anerkannt und gestützt.

Der Schlichter gab sein offizielles Ja-Wort für S21 und nahm gleichzeitig viele Änderungsvorschläge aus dem Konzept von K21 an. So soll die Anzahl der Gleise im Tiefbahnhof  erhöht werden (von 8 auf 10) und an den ICE/S-Bahn-Knoten eine „Zweigleisigkeit“ gewährleistet sein, um mögliche Verspätungen auf dem gemeinsamen Netz von Fern- und Nahverkehr zu regeln. Die Bahn muss jetzt in sog. „Stresstests“ diese Forderungen simulieren, um zu prüfen, ob Änderungen realisierbar sind, wie bei Gleisen und Tunneln von K21 gefordert. Das Prüfen übernimmt die Bahn, fern von jeder demokratischen Kontrolle und Transparenz. 

Was ist die politische Perspektive? 

Dieses Vorgehen von Geissler lässt dem K21 Bündnis (Grüne, BUND, SÖS...) Möglichkeiten, die Schlichtung auch als eigenen „Sieg“ zu feiern. Schließlich gelang es dem K21-Bündnis zu beweisen, dass S21 nicht „vernünftig“ durchdacht ist, was der Bewegung seit zig Monaten auf der Straße und im Park klar ist. K21 fordert nun wieder einen Baustopp. Schließlich müsse nun, nach der Schlichtung noch eine erneute Prüfung stattfinden und bis dahin sollte es einen Baustopp geben. Im Endeffekt ist die Bewegung wieder beim Ausgangspunkt der Verhandlungen angekommen. Die Bahn definiert, was Baustopp bedeutet und stellt selbst die Gutachten fertig.

Einen Unterschied gibt es aber im Vergleich zum Start der Verhandlungen. Jetzt stehen nicht Zehntausende jede Woche auf der Straße, das K21-Bündnis hat viel Protest einschlafen lassen, die Samstagsdemos abgesagt und wochenlang die Bewegung demobilisiert.

Das ist auch der größte Gewinn für Bahn und CDU/FDP: die Bewegung ist geschwächt, hat sich nicht verbreitert in den letzten Wochen. Dies ist, neben Geisslers Anerkennung von S21, der wichtigste Sieg für Grube und Mappus. K21 hat „stellvertretend“ die Massenbewegung geschwächt und sich damit zum Handlanger für die Gegenseite profiliert.

Diese reformistischen und kleinbürgerlichen Kräfte haben von Beginn auf die parlamentarische Demokratie gesetzt. Die Illusion, am Verhandlungstisch S21 zu stoppen, ist zerplatzt. Das K21-Bündnis schwächte die Massenproteste, das war ihr Beitrag für die „demokratische“ Schlichtung. Bei Mappus und Grube reichte es schon aus, überhaupt an der Schlichtung teilzunehmen.

Wie weiter?

Hoffnung gibt, dass auch das Verlesen der Schlichtung von Protestierenden begleitet wurde, ein lautes „Oben bleiben, Mappus weg und Lügenpack“ kam via Phönix durch den Äther.

Allerdings wird es jetzt wichtig, dass die Bewegung überprüft, ob der Begriff „Lügenpack“ nicht auch etwas großzügiger die nächsten Tage und Wochen angewandt werden muss. Die Verhandler haben bewusst die Schlichtung vorgeschlagen (Grüne ) und die Bewegung erstmal kaltgestellt, just in dem Moment, als die Bewegung einen kämpferischen Massencharakter gewann. Die Kämpfe um den Nordflügel und den Schlosspark, die Besetzung des Südflügels (als letztes kämpferisches Signal der Bewegung) - all das darf nicht durch diese Schlichtung verunglimpft werden.

Ebenfalls muss die Bewegung offen die Verhandlungen auswerten und darüber abstimmen, wie es jetzt weitergeht. Teile des Widerstands versuchen sich inzwischen, gegen die ParkbewohnerInnen zu positionieren. So wurde eine Demo gegen die Parkschützer sabotiert, weil dort Leute aus dem Park sprechen sollten. So beginnt eine Spaltung einer Bewegung und das Gleiche steht bevor, wenn es über Sinn und Zweck dieser Schlichtung geht.

Teile des K21-Bündnisses werden die Tatsache der Schlichtung und die Anerkennung der Kritik schon als „demokratischen“ Erfolg verkaufen, während gleichzeitig weitergehende und kämpferische Aktionen abgelehnt und bekämpft werden.

Für die kämpferischen, aktivistischen und antikapitalistischen Gruppen und AktivistInnen bietet diese Schlichtung aber auch eine große Chance. Das Konzept von Grünen, SÖS und BUND ist geplatzt, am Ende fehlt K21 eine Baugenehmigung und S21 bleibt Vertragsrecht und wird ausgeführt.

Dadurch können wir aufzeigen, dass Parlamente, Schlichtungen oder andere Schauspiele bürgerlicher Demokratie, eben nicht geeignet sind, den Willen der Mehrheit und ihren Protest umzusetzen, sondern allein im Interesse der Konzerne und jeweiligen Regierungen agieren.

Der Protest kann zurückkommen und jetzt ist die Möglichkeit, die offenen Fragen anzugehen. Wie können mehr politische Gruppen für weitere Aktionen und weiteren Widerstand gewonnen werden, wie kann sich die Jugendoffensive an den Schulen ausbreiten, wie können wir den Widerstand in die Gewerkschaften hinein tragen und mit ihnen gemeinsam demonstrieren und streiken gegen S21.

Die nächsten Aktionskonferenzen können die Bewegung wieder in Gang setzen, diese Schlichtung muss auf der Straße, im Betrieb und in Schule/Uni bekämpft werden!

Editorische Anmerkungen

ARBEITERMACHT-INFOMAIL
Nummer 522
3. Dezember 2010


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