Am Ende nur Rote Karten an der Siegessäule
Nach der geringen Resonanz bei den Protesten gegen das Sparprogramm der Bundesregierung stellt sich die Frage nach der Zukunft der Krisenproteste

von
Peter Nowak

12/10

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Ca. 3000 Menschen haben am 26.November in der Nähe des Berliner Abgeordnetenhauses gegen das Sparpaket der Bundesregierung protestiert. Ein Drittel davon waren Berliner Schüler, die dem Aufruf des Bündnisses „Bildungsblockaden einreißen“ gefolgt sind. „Ohne die Beteiligung der Schüler wäre die Aktion ein totales Desaster geworden“, diese Einschätzung eines Erwerbslosenaktivisten teilten viele an diesem Tag. Denn keines, der hochgesteckten Ziele konnte erreicht werden. Weil die Resonanz so niedrig war, konnte auch von einer Bundestagsbelagerung an diesem Tag keine Rede sein. Alle Versuche, auch nur in die Nähe des Gebäudes zu kommen, wurden von der massiv aufgetretenen Polizei verhindert. Am Ende wurden in der Nähe der Siegessäule rote Karten gegen das Sparpaket hochgehalten. Soll das der Höhepunkt des monatelang vorbereiteten heißen Herbstes des sozialen Bewegungen gewesen sein?

Nicht ganz. Als die Demonstration beendet war, setzte sich eine große Polizeiarmada zur Bundeszentrale der CDU in Bewegung. Vom Lautsprecherwagen war zuvor fälschlicherweise verkündet worden, das Gebäude sein besetzt worden. Am Ende blieb es bei einer Kundgebung von ca. 1000 Menschen, die vor allem den Autoverkehr für einige Zeit lahmlegte.

Ende der Krisenproteste?

Mit der misslungenen Bundestagsbelagerung dürfte vorerst der Versuch beendet sein, unter dem Label Krisenproteste Menschen zu mobilisieren. Im Frühjahr 2009 wurden die ersten Proteste unter dem Motto „Wir zahlen nicht für Eure Krise“ organisiert. Die Resonanz war nicht berauschend, aber für die Organisatoren ausbaufähig. Denn in dieser Zeit hatten auch die bürgerlichen Medien außerhalb des Feuilletons Marx zitiert und entdeckt, dass der Kapitalismus ein Verfallsdatum haben kann. Doch schnell zeigte sich, dass die Mehrheit der Gewerkschaften bei den Krisenprotesten nicht mitziehen würde. Vor allem die IG-Metall propagierte im Schulterschluss mit den Unternehmern die Standortverteidigung, setzte auf die Abwrackprämie und die Kurzarbeiterregelung. Derweil übten sich die Krisenprotestorganisatoren in Zweckoptimismus und redeten sich ein, die Proteste werden doch wachsen, wenn die Krise bei den Menschen angekommen ist und die Bundesregierung endlich die Sparprogramme vorlegen würde, die sie wegen der NRW-Wahl lange in den Schubläden ließ.

Desaster begann früher

Im November 2010 ist die Zeit der Selbsttäuschung vorbei. Denn die Bundesregierung hat mit der Gesundheitsreform und dem Sparpaket Maßnahmen eingeleitet, die Millionen Menschen in Zukunft negativ belasten werden. Doch der Protest dagegen wurde kaum wahrgenommen. Demonstrationen mit einer fünfstelligen Teilnehmerzahl fanden im Rahmen der Aktionswochen des DGB gegen das Sparpaket statt, fanden auf den Medien allerdings nur auf den hinteren Seiten Platz. Schließlich waren die Aktionen derart konstruktiv angelegt, dass sie den Medien zu harmlos schien. Deshalb wollten die Gewerkschaften mehrheitlich, mit Ausnahme von ver.di-Berlin und Stuttgart, ihre Proteste auch nicht in den Kontext des Krisenbündnisses stellen. Das musste auf seine eigenen Kräfte zurückgreifen und die sind, wie sich nicht erst am 26. November zeigte, extrem schwach.

Das Desaster zeichnete sich schon ab, als die monatelang vorbereitete und für den 18. Oktober geplante Blockade von Großbanken in Frankfurt/Main wegen zu geringer Resonanz abgesagt werden musste. Bis auf einige hämische Artikel gab es in den linken Medien und Foren kaum Auseinandersetzung über das Scheitern. Dafür wuchs der Frust bei den Aktivisten, die viel Zeit und Kraft in die Vorbereitung gesteckt hatten. Wie die Bankenblockade hatte auch die Bundestagsbelagerung das Ziel, die sozialen Proteste zu radikalisieren und Möglichkeiten des Widerstands jenseits von Demonstrationen aufzuzeigen. Dieses Ziel ist in beiden Fällen nicht erreicht worden. Auf einer Konferenz des bundesweiten Krisenprotestbündnisses in Berlin wurde im Anschluss an die Demonstration eine selbstkritische Analyse angemahnt. Man müsse darüber reden, warum es der sozialen Bewegung nicht gelungen sei, in diesem Herbst einen Punkt zu setzen, forderte Guido Grüner von der Arbeitslosenselbsthilfe (ALSO).

Krise- welche Krise?

Ein Gewerkschafter bemängelte die überholte Krisenanalyse des Bündnisses. Den raschen Wirtschaftsaufschwung habe vor einem Jahr niemand für möglich gehalten. Statt der Krise komme nun mit sinkenden Arbeitslosenzahlen und weniger Kurzarbeit der Aufschwung „bei den Menschen in den Betrieben“ an. Aber auch der Aufschwung ist erkauft mit der Zunahme von prekären Beschäftigungsverhältnissen und, von Löhnen, die mit Hartz IV aufgestockt werden müssen. Für viele Erwerbslose wiederum sind Schikanen auf Jobcentern oder in der Beschäftigungsindustrie die Krise und nicht die Börsenkurse oder der Dax. Ein Bündnis gegen diese Krisen im Leben vieler Menschen ist bisher nicht in Sicht. Einige Demonstranten haben am 26. November mit der Parole „Wir sind die Krise des Kapitalismus“ auf ihren Schilder zumindest Fragen hinterlassen.

Wie Weiter?

Auf dem bundesweiten Treffens des Krisenbündnisses gab es vor allem bei einigen AktivistInnen die Tendenz, die Nachbereitung der Aktion möglichst auf die Berliner Vorbereitungsgruppe zu delegieren und sich stattdessen auf die Zukunft zu richten. Doch diese Haltung wäre falsch. Schließlich war die geplante Bundestagsbelagerung nicht der Plan einer Berliner Gruppe sondern eindeutig und nachlesbar als Höhepunkt der bundesweiten Krisenproteste angekündigt. Außerdem ist eine Aufarbeitung der Aktionen nicht das Gegenteil von politischer Praxis sondern ein Teil davon. Denn nur eine genaue Analyse der verschiedenen Aspekte, die zum Scheitern des heißen Herbstes der Sozialproteste führen, führt zu einer Praxis, die vielleicht einige Fehler vermeidet. Worin eine Nichtaufarbeitung auch von Niederlagen führt, zeigte sich an der oben erwähnten kurzfristig abgesagten Bankenblockade. Da konnte man noch argumentieren, dazu ist vor dem 26.November keine Zeit. Doch dieses Argument gilt nun nach dem Abschluss dieses herbstlichen Protestzyklus nicht mehr. Eine solche Aufarbeitung sollte natürlich keine Schlammschlacht sein und hämische Bemerkungen a la, wir haben doch schon immer gewusst, dass es nichts werden kann, wie sie die verhinderten Bankenblockierer zu hören bekamen, sind auch fehl am Platz. Was aber wichtig wäre, ist die Aufarbeitung der einzelnen Aktionen dieses Protestherbstes, die Stärken und Schwächen, die objektiven und subjektiven Gründe und auch die Frage, wie daran weiter angeknüpft werden kann.

Da wäre an erster Stelle die Erwerbslosendemonstration „Krachschlagen statt Kohldampf schieben, die mit einer sehr konkreten Forderung von Erwerbslosen, mit einem Bündnis von gewerkschaftlichen und autonomen Erwerbslosengruppen und mit der Aktionsform des Kochtopfschlagen ein gelungener Beginn war. Hier wäre aber auch die Frage stellen, wie kann die relativ einfach zu gestaltende Protestform (ein alter Kochtopf und ein Löffel reichen) sich verbreitern, damit wirklich über dort, wo sich die Hartz IV-Politiker treffen Krach geschlagen wird. Gelegenheit gibt es in der nächsten Zeit sicher genug und nur darauf zu hoffen, dass auch die neuen ALGII-Sätze vom Gericht gestoppt werden, wäre naiv und gefährlich.

Exkurs: Die gescheiterte Bankenblockade und ihre Kritiker

Dann käme die gescheiterte Bankenblockade, wobei dabei auch die besondere Kritik am Ziel der Banken eine Rolle spielen musste. Verschiedene linke Gruppen haben darauf verwiesen, dass damit eine verkürzte und tendenziell antisemitische Kapitalismuskritik gefördert werden könnte, siehe beispielsweise: http://lbdw.blogsport.de

Bei dieser notwendigen Kritik wurde allerdings oft sehr holzschnittartig argumentiert, wenn es beispielsweise in dem verlinkten Papier der Offenbacher antifa ko heißt:

„ die unterstützer_innen-liste der blockade liest sich wie ein „who-is-who“ der, strukturell bis offen antisemitischen, bauchlinken der brd (ank, dkp, attac,fdj, die linke, jede menge christliche organisationen), in sofern müsste der ton des papiers noch verschärft werden, da ein großteil der unterstützer immer wieder mit antisemitischen äußerungen auf sich aufmerksam macht“.

Das liest sich wie ein plattes Bashing der gesamten linken Szene. Da wäre auch mehr Differenzierung notwendig, gerade weil die Kernpunkte der Kritik an einer verkürzten Kapitalismuskritik durch die Konzentration auf den Bankensektor richtig ist.

Der Schlussteil der Kritik ist wesentlich besser:

„ Alles in allem bleibt für uns noch die Frage nach der Strategie einer wünschenswerten Verschärfung des Widerstands: Wieso sollen die sozial Schwachen und die Verlierer der Krise mobilisiert werden, um sich über vermeintliche oder tatsächliche Profiteure in irgendwelchen verglasten Wolkenkratzern zu empören, anstatt sich kritisch mit den bestehenden Verhältnissen auseinanderzusetzen und einen Gesellschaftsentwurf anzufertigen, in dem alle profitieren? »In Ordnung leben heißt hungern und geschunden werden. « (Georg Büchner)

Staat & Kapital den Kampf ansagen!

Das von antif ko formulierte Grundanliegen wird sicher von vielen geteilt, die in diesen Herbst, die Sozialproteste über die üblichen Latschdemos hinaus zu radikalisieren. Deshalb ist zu hoffen, dass jenseits des Streits um die Bankenblockade der Gesprächsfaden zwischen den unterschiedlichen antikapitalistischen Gruppen im Rhein/Main-Gebiet nicht abreißt. Kindisch ist es, wenn dann mit kleinlichen Befindlichkeiten auf beiden Seiten eine weitere Debatte abgebrochen wird, siehe: http://antifako.blogsport.de/tarchiv/texte3/2disko181010/ . Dabei werden doch auch in diesem Text konkrete inhaltliche Differenzen benannt und Argumente ausgetauscht. Warum aber dann eine Diskussion darüber nicht möglich sein soll, bleibt schleierhaft. Denn die interessantesten Diskussionen werden nicht zwischen Menschen mit identischen Positionen geführt, sondern von Menschen mit politischen Differenzen. Da die Antifa ko sich mit der Mobilisierung zum hessischen Unternehmertag selber auch an einer lokalen Organisierung gegen die Krise beteiligte, wäre auch der Ablauf dieser Aktion in eine Analyse der Proteste einzubeziehen.

Neben dieser wichtigen Diskussion steht die Frage im Raum, ob nicht von beiden Seiten die bankenkritische Stimmung in der Bevölkerung überschätzt wurde. Denn die Absage der Aktion erfolge nicht wegen der linken Kritiker sondern wegen schlichten Desinteresses der soviel geschmähten Bauchlinken und großer Teile der Bevölkerung.

Als letzter Punkt sollte die Aufarbeitung der gescheiterten Bundestagsbelagerung erfolgen. Dabei sollte es nicht nur um den konkreten Ablauf am 26.11. gehen sondern um die Entwicklung der Idee. War die Aktion von Anfang an illusionär? Wurde sie nur beschlossen, weil keine Alternativen vorlagen? Wäre stattdessen eine stärkere Konzentration auf den Widerstand gegen die Verabschiedung der Gesundheitsreform möglich und sinnvoll gewesen? Was geschah eigentlich am 17.11., als den Bundestagsabgeordneten die gelbe Karte in ihren Büros gezeigt werden sollte? Diese Aktion sollte in der Presse und Öffentlichkeit für die Bundestagsbelagerung mobilisieren. Da davon überhaupt nichts zu hören war, ist anzunehmen, dass diese Besuche kaum stattgefunden haben oder dass nur wenige Menschen daran teilgenommen haben. Wenn der Eindruck täuscht, sollte das korrigiert werden.

Eine solche Fehleranalyse muss natürlich in erster Linie lokal geführt werden. Dabei sind auch unterschiedliche Schwerpunkte zu beachten. Natürlich wird im Rhein-Main-Gebiet die gescheiterte Bankenblockade eine größere Rolle spielen, in Oldenburg die gelungene Erwerbslosendemonstration etc. Bei diesen lokalen Bezügen sollte in der Debatte aber auch beachtet werden, dass die Aktionen im bundesweiten Zusammenhang der Krisenproteste verstanden wurden. Deshalb sollten vielleicht auch Vertreter der unterschiedlichen Aktionsansätze zur Debatte eingeladen werden. Wenn diese Diskussion lokal geführt, könnte vielleicht in absehbarer Zeit (März 2011) eine bundesweiter Konferenz veranstaltet werden, wo der Protestherbst dann aufgearbeitet wird und auch Ansätze für den weiteren Widerstand vorgestellt werden, beispielsweise dezentrale Krachschlagen-Aktionen etc.

Es ist wichtig, dass die Aufarbeitung sehr schnell beginnt. Wird sie unterlassen werden die Niederlagen dieses Herbstes nur vergrößert, weil sich viele Aktive frustriet zurückziehen und die Mobilisierung noch erschwert wird.
In Berlin haben am Krisenbündnis beteiligte Gruppen schon mit der Organisierung der öffentlichen Diskussion des Protestherbstes begonnen. Am 5. Januar wird es dazu um 20 Uhr im Stadtteilladen Zielona Gora eine Veranstaltung geben, an der u.a. der Publizist Holger Marcks teilnehmen, der in der Jungle World schon vor dem 26.11. eine kritische Bestandaufnahme  des Protestherbstes geleistet hat. Weitere ReferentInnen sind angefragt.
 

Editorische Anmerkungen

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