Stichwort Castor

Statements der Gruppe "vonmarxlernen.de"
Heiße Ware aus Frankreich
Neue Castortransporte und der Protest dagegen

12/10

trend
onlinezeitung

Es ist kein Geheimnis, wie verrückt es zugeht in Sachen Atommüllentsorgung. Abfallprodukt der Stromerzeugung im AKW ist jede Menge schwach-, mittel- und hochradioaktiver Müll, der auf Jahrtausende Ärger machen wird. In den europäischen Staaten wird dieser Müll nacheinander an verschiedenen Orten `behandelt´ (Herunterkühlen, Auseinandersortieren, Umverpacken, wieder Herunterkühlen, Zwischenlagern etc.); zwischendrin finden die leidigen Transporte statt. An jedem Punkt dieser ganzen Kette von Bearbeiten, Verladen und Bewegen gibt es kleine oder größere Umweltverstrahlungen. Und natürlich: Ein Ende der Kette ist nicht in Sicht, es gibt nirgends ein Endlager, in dem der gefährliche Schrott für immer verschwinden könnte.

Umweltminister Röttgen verspricht im Nachtrag des Laufzeitverlängerungsbeschlusses die Atommülllagerfrage zügig zu behandeln – das ist der erklärte Wille, ein Endlager auch dann zu beschließen, wenn von „strengen Eignungskriterien“ Abstriche gemacht werden müssen. EU-Energiekommissar Oettinger, der schwäbische Atompolitiker, `verpflichtet´ neuerdings alle AKW betreibenden EU-Mitglieder, einen Fahrplan für die nationale Endlagerung zu entwickeln… Der `Mut´ zur politischen Klärung technischer Fragen wächst ganz offensichtlich. 

Der Protest

Kein Wunder, dass sich Protest dagegen rührt. Dass die Castortransporte für eine nationale Atompolitik stehen, die rücksichtslos gegen die Lebensinteressen von Anwohnern rund um Gorleben, aber darüber hinaus rücksichtslos gegen Gesundheitsinteressen der Bevölkerung überhaupt verfährt, schafft nicht nur Unmut, sondern führt zu öffentlichen Bekundungen des Willens, so etwas nicht hinzunehmen.

Allerdings sollten sich die Demonstranten Klarheit verschaffen, wen sie eigentlich vor sich haben im deutschen Staat, der so eine Energiepolitik betreibt. Der Protest, den in Frankreich und Deutschland Tausende Aktivisten und Demonstranten mit symbolischen Blockadeaktionen mittragen, steht u. a. unter der Überschrift „Sackgasse!“.
Das ist mindestens doppeldeutig.

• Will man damit ausdrücken, dass die haltlose Verschieberei und Auftürmung von Müll unabhängig von einer Klärung der End-Entsorgung für eine Atompolitik steht, die das Interesse der Leute an Gesundheit und Schutz vor Gefahren ganz nachrangig behandelt?

• Oder will man damit ausdrücken, dass eine staatliche Entsorgungspolitik, die keine endgültige Antwort auf ihre eigenen Fragen kenne, in die Irre führt und die ganze Atompolitik als Fehltritt für die Nation und Beweis für die Unfähigkeit und Unverantwortlichkeit der zuständigen Politiker entlarvt?

Wer sich in dieser Frage nicht entscheidet, diese zwei Lesarten vielleicht für miteinander verträglich oder vielleicht sogar für identisch hält, täuscht sich gewaltig. Er hat offenbar gar nicht mitgekriegt, wie viel Rücksichtslosigkeit nicht nur im Bereich Energiepolitik notwendig ist, wenn demokratische Politiker welcher Partei auch immer eine kapitalistische Marktwirtschaft regieren. Deren Wachstum und deren nötige Konkurrenzerfolge, wovon unser aller Leben ja in jeder Hinsicht abhängig gemacht ist, gehen tatsächlich nur, wenn dabei gesundheitsschädigende „Nebenwirkungen“ aller Art in Kauf genommen werden (vom Verschleiß der Ware Arbeitskraft in der Produktion ganz zu schweigen!). Diese systembedingte Rücksichtslosigkeit geben ja auch die für den besonders gefährlichen Bereich der Atompolitik Zuständigen (wie ihre Kollegen aus den Ministerien für Lebensmittel- oder Arbeitschutzkontrolle) seit jeher bekannt, wenn sie jeden Beschluss und jeden Erlass unter die schönfärberische, aber zugleich vielsagende Überschrift stellen: „größtmögliche Sicherheit ist unser oberstes Ziel!“ Was hier „größtmöglich“ ist, ergibt sich eben aus den Abwägungen des Staats, des „ideellen Gesamtkapitalisten“, der sich für den Erfolg des nationalen Standorts zuständig weiß.

Das ist die prinzipielle Härte demokratisch verantwortlichen Regierens. Wer meint, dass es dazu parteipolitische Alternativen im deutschen Politbetrieb gibt, ein kleineres Übel hier, das Vermeiden „unnötiger“ Reibungsverluste dort, findet auch vor Ort sofort die „richtige“ Adresse. Nicht umsonst tummeln sich in Wendland neben den Demonstranten auch Politprofis aus dem Lager der Opposition, die die Proteste für sich vereinnahmen wollen. Sie wittern Morgenluft dort, wo der Protest die Verantwortung der Politik vermisst. Hier können sie sich einklinken und in bewährter demokratischer Manier ins Spiel bringen: Unzufriedenheit als bester Grund dafür, sie zu wählen – als die zuständigen Repräsentanten des Protests.

Dass die von der Merkelregierung gerade beschlossene Verlängerung der AKW-Laufzeiten genau in der Logik des Ausstiegsbeschlusses von Rot-Grün liegt (Weiterbetrieb gefährlicher Meiler ungeachtet der offenen Müllentsorgungsfrage gilt für den Beschluss zum sog. Ausstieg in 2000 genau so wie für den jetzigen Beschluss zur nochmaligen Verlängerung!), bleibt außen vor. Dies sollte den Protestierern genau so zu denken geben wie die Tatsache, dass diese Politprofis aus dem „fortschrittlichen Lager“ sich ausdrücklich dessen rühmen, Proteste erfolgreich ruhig gestellt zu haben, und Merkel vorwerfen, den Frieden der Nation zu gefährden: „Merkel und ihre vier Freunde sind es, die einen gesellschaftlichen Großkonflikt wieder eröffnet haben, der durch den Atomausstieg längst befriedet war“ (SPD-Chef Gabriel).

Editorische Anmerkungen

Wir erhielten den Artikel von den AutorInnen mit der Bitte um Zweitveröffentlichung.