Schneegestöber, Menschenauflauf, Polizeieinsatz: amtliche
Einweihung einer Stele in Erinnerung an die Errichtung der
„SS-Kameradschaftssiedlung Krumme Lanke“ an der Zufahrtsstraße
„Teschener Weg“, benannt nach der immer noch nicht vom
Bezirksamt umbenannten Hitlereroberung von Český Těšín /
Cieszyn, einer tschechisch-polnischen Grenzstadt, im Jahre 1939
zu „Teschen“ germanisiert.
Die
SS-Funktionärssiedlung wurde zwischen 1938 und 1940 von der
Gemeinnützigen Aktiengesellschaft für Angestellten-Heimstätten
(GAGFAH) errichtet, der sie heute noch gehört, „Seit langem ist
es schon mein Wunsch, für die drei SS-Hauptämter in Berlin eine
geschlossene Siedlungsanlage zu schaffen, in der die Angehörigen
der SS ausreichenden und gesunden Wohnraum finden, der
insbesondere den Aufstieg der Familie zu fördern geeignet ist“,
schrieb Reichsführer SS Heinrich Himmler am 2. Juni 1937 an das
Reichsarbeitsministerium, das ihm per „Gesetz zur Verminderung
der Arbeitslosigkeit“ Billigarbeitskräfte zur Verfügung stellte.
Formelhaft-sakral die Einweihungsrede der Zehlendorfer
Kulturstadträtin Cerstin Richter-Kotowski, fälschend-jovial das
Referat des Architekturforschers und Gedenkstelentextautors
Wolfgang Schäche. Daß mit dieser Siedlung das Nazikonzept
„Zurück zum Dorf! Zurück zur Ständegesellschaft des
Mittelalters!“ umgesetzt wurde, und dies militarisiert mit
Betonstraßen und Luftschutzkellern, übergeht er und suggeriert,
die Siedlung sei ein Beispiel für urbane Gartenstadtkultur. Die
SS ein Wegbereiter der Moderne? Es ächzen die zwischen den
volkstümelnden Bauernhäusern stehenden Blautannen, die wegen
ihrer nordamerikanischen Herkunft damals hier nicht leben
durften.
Schneegestöber, Wortgestöber …
Was
auffällt: Kein Repräsentant der GAGFAH als Gedenkredner. Das hat
Gründe: Mindestens 15 Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat
der GAGFAH waren hohe bis höchste NS-Würdenträger. Bis heute
wird die enge Verflechtung von GAGFAH, NSDAP, SS und NS-Staat
verschwiegen, die Einsetzung einer Unabhängigen Historischen
Kommission verhindert.
SS-Brigadeführer Herbert Backe, Leiter des „Siedlungsamtes im
Rasse- und Siedlungshauptamt SS“, vertrauensvoller
Kooperationspartner der GAGFAH beim Bau dieser Siedlung; Johann
Wilhelm Ludowici, Mitglied des Aufsichtsrates der GAGFAH, Leiter
des Reichsheimstättenamtes und Siedlungsbeauftragter der NSDAP
für ganz Deutschland im Verbindungsstab des Stellvertreters des
Führers; NSDAP-Aktivist Willy Marschler, Vorsitzender des
Aufsichtsrates der GAGFAH und von 1933 bis 1945
Ministerpräsident des Landes Thüringen. Weiter? Holte als
Landessiedlungschef 1935 die GAGFAH-Zentrale nach Weimar, und
mit dem Aufbau des KZ Buchenwald standen ihm und der GAGFAH eine
der größten Sklavenarmeen Deutschlands zur Verfügung. Weiter?
Baukosten der Siedlung, auch nach Schäches
Architekturkompendium, angeblich unbekannt. Im Gedenkstelentext
steht nichts von alledem. Als schuldig identifiziert wird einzig
und allein der Oberbürgermeister von Berlin, genauer gesagt,
seine Unterschrift, und aus der GAGFAH, die sich bis heute
weigert, ihre Geschäftsbücher aus der Nazizeit zu
veröffentlichen, wird unversehens ein unschuldiges Opfer der SS
– dies die Quintessenz des auch von den Zehlendorfer
Sozialdemokraten und Grünen beschlossenen Gedenkstelentextes.
Wenige
Tage vor Einweihung der Gedenktafel Spuk am Führerplatz, pardon,
Selmaplatz, Gewisper in und vor den kleinen Läden, ein meldender
Anwohner hinter vorgehaltener Hand: „Die Juden! Die Juden haben
das ausgeheckt! Die Juden wollen nicht, daß sich die Wunden
schließen!“ Wie eine Anfrage ergab, hat die Jüdische Gemeinde zu
Berlin nicht einmal etwas gewußt von diesem Gedenkspektakel.
Rotarmisten befreiten 1945 auch dieses Viertel, die SS-Männer
entzogen sich ihrer Verantwortung durch Flucht. Die Alliierten
sorgten dafür, daß hier Naziverfolgte einzogen: Häftlinge der
Lager und Zuchthäuser, Widerstandskämpfer, ausgebombte
Nazigegner, jüdische Illegale und politische Emigranten. Einige
der Überlebenden wohnen nach wie vor in diesem Viertel. Befragt
worden sind sie zur Gedenkstele nicht, weder zur Idee noch zum
Text.
Was
hinter dem Gedenkpulk gerade geschieht, wo sich die Siedlung
still hinstreckt bis zum Grunewald? Ein Ächzen der Anwohner,
denn die GAGFAH führt großen Stils nicht nur Ansehens-, sondern
auch Mietssteigerungen durch. Kürzlich ist ein arbeitsloser
Angehöriger der Zweiten Generation des Befreiervolkes aus seiner
Wohnung gedrängt worden, nicht ohne höflichen Hinweis von GAGFAH
und Jobcenter auf seine nichtdeutsche Herkunft. Ein
russisch-jüdischer Wohnungsunternehmer rettete ihn und seine
Habe. Die Juden, ja, wieder die Juden. Ratlos schaut man
unwillkürlich nach oben, doch plötzlich Gesichter im
Schneegestöber, hoch über dem Gedenkpulk Backe, der sich nach
1945 entleibte, Ludowici, der spurlos verschwand, auch
Marschler, der sich mittels Westflucht verflüchtigte, und all
die anderen GAGFAH-isten, für eine Sekunde sogar der durch
Selbstvergiftung verschwundene Himmler, keine Fratzen, keine
Bestien, sondern ganz normale Menschengesichter, die, wenn man
sie …
Editorische
Anmerkungen
Wir
erhielten den Artikel und das Foto vom Autor.