Alles Sektenscheiße!

von Interkulturelle Spielgruppe RANTANPLAN Hamburg-Altona

12/09

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Ein paar Leute können inzwischen die Sekt(en)korken knallen lassen. Sie haben es geschafft, dass der urdeutsche Begriff des „Scheiß-Juden“ im Wallstreet-Journal, der Financial Times, der Jerusalem Post, in Le Monde und anderen internationalen Publikationen zitiert wurde, um einem Skandal um die Blockierung der Vorführung eines israelfreundlichen Films von Claude Lanzmann im Hamburger Kleinkino B-Movie die richtige antisemitische Konnotation zu geben.

Die Aufregung ist immer noch groß: Unterschriftenlisten kursieren, eine Demo wird vorbereitet, in der Roten Flora werden Hausverbote ausgesprochen, das deutsche bürgerliche Medienwesen ist immer noch dabei, den Vorfall intensiv zur Kenntnis zu nehmen, und die Semi-Prominenz der deutschen Poplinken meldet sich exzessiv zu Wort.

Unsere Gruppe, die Interkulturelle Spielgruppe Rantanplan aus Hamburg-Altona spielt dagegen immer noch wesentlich Volleyball, beteiligt sich an der einen oder anderen antirassistischen Aktion und versucht sich bei der praktischen Unterstützung von rechtlosen Migranten. Wenn wir im vorliegenden Sektenstreit zwischen „antiimperialistischen Antisemiten“ und „antideutschen Faschisten“ überhaupt Stellung nehmen, geschieht dies vor allem deshalb, um unserer Verachtung vor der Verkommenheit einer „linken“ Debatte, die nur noch der identitären Selbstversicherung dient, angemessen Ausdruck zu verleihen.

1. Die B5-Gruppen haben Scheiße gebaut

Die praktische Verhinderung einer Filmvorführung eines prozionistischen Films von Claude Lanzmann über die Entstehungsgeschichte Israels durch einige Gruppen aus der B5 war politisch und moralisch inakzeptabel. Es hilft alles nix: Auch wenn die Auseinandersetzung um den Antisemitismus (bzw. der Funktionalisierung des Antisemitismusvorwurfs) auf einem beklagenswert niedrigen Niveau geführt wird, bleibt das Mittel dieser Auseinandersetzung die öffentliche Rede, die Debatte, die Demo, der Artikel, die Radiosendung, der Film, der – wenn nötig – auch lautstarke Streit in der Kneipe oder in der WG. Natürlich: Auch für viele Mitglieder unserer Gruppe war die proisraelische Kundgebung während des Gaza-Kriegs in Hamburg-Eimsbüttel ein politisch-moralischer Skandal – aber wir wären ziemlich schlecht beraten, den Anhängern des israelischen Militärstaats ihr Recht auf öffentliche Meinungsäußerung streitig zu machen. Die Vorführung des Lanzmann-Films im B-Movie hätte im Vorfeld und im Anschluss an den Film auf vielfältige Weise öffentlich thematisiert werden können – darauf haben die beteiligten Gruppen aus der B5 verzichtet, und das macht sie zu politischen Sektierern, die zu Recht Gegenwind von Leuten erfahren, für die das Recht auf freie Meinungsäußerung keine Nebensache ist.

Wir wollen jedenfalls einen Zustand vermeiden, der uns in letzter Konsequenz in eine Lage führt, wo – womöglich – unüberwindbare Widersprüche mit Pistolenschüssen in die Knie ausgetragen werden. Das haben uns vor einiger Zeit hier in Hamburg mal einige zerstrittene türkische Stalinistengruppen vorgeführt.

Übrigens finden wir – unter politisch-propagandistischen Gesichtspunkten – überhaupt nichts Schlechtes daran, die Anhänger des israelischen Militärstaats mit der theatermäßigen Simulation eines israelischen Check-Points zu konfrontieren: So was kann manchmal Bewegung in verwirrte Köpfe bringen. Aber wenn die Leute unbedingt einen kritikwürdigen Film sehen wollen, sollten sie ihn trotzdem sehen können. Claro?

2. Die Gruppe „Kritikmaximierung“ – Territorialkämpfer im nördlichen St. Pauli

Die Gruppe „Kritikmaximierung“, die uns unbekannt ist und die ausweislich ihrer Website bisher noch nicht durch maximale Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen dieses Landes hervorgetreten ist, wollte mit der Filmvorführung im B-Movie provozieren. Das B-Movie ist mit der B5 räumlich eng verbunden: Die antiimperialistischen Gruppen in der B5 mussten die Vorführung eines prozionistischen Propagandafilms in „ihrem“ Territorium als „feindliche Landnahme“ begreifen, und genau dieser Effekt war beabsichtigt. Es war eines dieser taktischen Spielchen, die – von beiden Seiten – in den vergangenen Jahren beim FSK, in der Flora, bei antinationalen und antifaschistischen Demos immer wieder eine Rolle spielte und hochgradig symbolisch aufgeladen wurden: Es ging (und geht) um blauweiße Winkelemente, um textil angemessenes Outfit in der Flora (Khuffije-Verbot), es ging beim FSK darum, ob über die Jahre ausschließlich Endlosschleifen über den linken Antisemitismus ventiliert werden sollten und ob der Wertmullah einen Vortrag in einer linken Kneipe halten durfte. Man freut sich über billige kleine Siege und minimale territoriale Zugewinne: Sektenkämpfe eben.

Bei der B5 kam noch etwas anders hinzu: Hier treffen sich nicht nur mehr oder weniger traditionskommunistische Gruppen, sondern die B5 ist auch ein soziales Zentrum linker migrantischer Jugendlicher vor allem aus dem „orientalischen“ Teil dieser Erde: Türkisch, Arabisch oder ein afghanischer Dialekt wird hier gesprochen.

Da es unter „israelsolidarischen“ Gruppen inzwischen zum analytischen Standard gehört, das historische Zentrum des Antisemitismus aus der deutsch-europäischen Region in die orientalisch-arabische Weltgegend zu verlagern (der Mufti!), könnte man einen voraussehbaren und provozierten Krawall um einen israelischen Propagandafilm als Auseinandersetzung mit dem „Islamofaschismus“ interpretieren – glücklicherweise sind die „orientalischen“ Jugendlichen im Zentrum darauf nicht hereingefallen und haben sich an der Auseinandersetzung kaum beteiligt.

Die Geschichte mit den „Judenschweinen“ war der Gipfelpunkt der Perfidie – und hat wunderbar funktioniert. Einer will’s (gerüchteweise) gehört haben, fast alle haben rein gar nix gehört, und die Leute aus der B5 haben öffentlich erklärt, dass solche antisemitischen Beschimpfungen nie und nimmer Bestandteil ihrer sprachlichen Ausdrucksweise sind. Aber: Die Sache war in der Welt, wurde national und international in hunderten von Medienoutlets gespiegelt, und bewiesen war, was zu beweisen war: Der LINKE ANTISEMITISMUS erhebt sein Medusenhaupt im nördlichen St. Pauli.

Eine Steilvorlage für die mediale Verwurstung: Die (politisch und moralisch fragwürdige) Blockade eines israelfreundlichen Propagandafilms durch eine zionismuskritische Gruppe wird zur „Judenhatz der Roten SA in Hamburg“ (DIE WELT).

Es war halt einer dieser kleinen Siege im Sektenstreit. Die allzu deutschen Vertreter jenes israelischen „Gun-Zionism“ (Hannah Arendt) können allerdings ein grundlegendes Problem nicht lösen: Eine fundierte Kritik an den militärischen Aktionen des israelischen Staats dadurch abzuwehren, indem man grundsätzlich diese Kritik als „antisemitisch kontaminiert“ beschreibt, mag in dieser überschaubaren Szene identitätsstiftend wirken: Für die Masse des informierten Publikums wirkt die Sache nur noch lächerlich – Daniel Barenboim jedenfalls fühlt sich durch solche Zuschreibungen inzwischen durchaus geehrt: Er weiß, woher sie kommen.

3. Der Film

Claude Lanzmanns Film „Shoa“ ist ein tief bewegendes dokumentarisches Essay über die Vernichtung der europäischen Juden durch die deutschen Faschisten. Durch seine Dokumentations- und Interviewtechnik „enthüllt“ Lanzmann die Funktionsmechanismen der „Endlösung“, ihre technischen und logistischen Voraussetzungen, die Leiden der Opfer und die bürokratische Brutalität der Täter. Niemand kann sich der Wirkung dieses Werks entziehen.

Lanzmann versetzt sich in diesem Film häufig selbst in die Position des neugierigen, nachfragenden, emotional kontrollierten Aufklärers: Er klärt auf, indem er genau hinschaut und sein Publikum daran teilhaben lässt.

Seine beiden Filme über Israels Gründung und die IDF (Tsahal) haben einen vollkommen anderen Charakter: Er bekennt sich als französischer Jude zu Israel und möchte als „Wissender“ dem Publikum seine zentrale These näher bringen: Die Gründung Israels sei hauptseitig und ideologisch konstituierend der Erfahrung des Holocaust geschuldet – es sei der Staat der Überlebenden und ihrer Nachkommen. Jede politische oder militärische Maßnahme Israels sei auch heute noch unmittelbar durch die Grunderfahrung des antisemitischen Furors begründbar, zu erklären und zu rechtfertigen. Beide Filme sind in diesem Sinne eindimensional und propagandistisch – sie bebildern seine Zentralthese und vermeiden eine filmisch-dokumentarische Arbeitsweise, die Erkenntnis aus der Erfahrung und der Abbildung des Widerspruchs bezieht. Konsequenterweise kommen in beiden Filmen die autochthonen Bewohner Palästinas praktisch nicht vor. Sie bleiben Schattengebilde am Wegrand – stattdessen wird häufig vor imposanter militärischer Kulisse die alte These des historischen Zionismus bebildert: „Ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land.“

Eine israelisch- jüdische Kritik (Amnon Kapeliuk) der filmischen Arbeitsweise Lanzmanns kann man sich unter www.pij.org/details.php?id=686  anschauen. (1)

Den israelsolidarischen „Antideutschen“ kommt der ideologische Ansatz Claude Lanzmanns durchaus entgegen, da er die Entwicklungsgeschichte der zionistisch-jüdischen Bewegung einengt auf die Leidenserfahrung des Holocaust. Unstrittig ist, dass der Versuch der deutschen Nazis, das europäische Judentum vollständig zu vernichten, konstituierend für die Gründung Israels im Jahre 1948 gewesen ist: Die Überlebenden brauchten Schutz und Unterstützung, und die Weltgemeinschaft stimmte der Gründung Israels –geographisch fixiert durch einen Teilungsplan Palästinas – zu.

Die historische jüdisch-zionistische Bewegung, deren Einfluss in Vergangenheit und Gegenwart die Politik Israels maßgeblich bestimmt, speist sich dagegen aus verschiedenen Quellen: Die frühe jüdische Arbeiterbewegung Osteuropas spielt eine Rolle, die antijüdischen Progrome in Russland um die Jahrhundertwende, ein gewaltiger Schuss Kolonialideologie in der Tradition der „weißen“ europäischen Kolonialmächte, der messianische Glaube an ein ethnokratisches, den Juden allein vorbehaltenes Gottesreich im historischen Land der Bibel und schließlich eine Sichtweise, die das ALTE TESTAMENT als eine Art Grundbuch Gottes begreift und aus vorgeschichtlichen Mythen Eigentumsansprüche im historischen Palästina ableitet („vom Fluss (Jordan) bis zum Meer“).

Alle diese Elemente spielen auch heute noch eine Rolle, und die Hartnäckigkeit, mit der die israelischen Siedler im Westjordanland an ihren territorialen Eroberungen palästinensischen Bodens festhalten, ist ohne ihre mythologisch-religiöse Prägung („God gave us the land“) überhaupt nicht zu verstehen.

Wenn gegenwärtig die israelische Regierung jegliche Gewalttat gegenüber der palästinensischen Bevölkerung mit der Leidenserfahrung der jüdischen Holocaustopfer begründet und rechtfertigt, mag das unsere „antideutschen“ Freunde Israels tief befriedigen – sie begreifen einfach nicht, dass etwa die Tötung von über 350 palästinensischen Kindern im letzten Gazakrieg unter expliziter Berufung auf die Erfahrung des Holocausts eine der schlimmsten Beleidigungen ist, die man den Millionen toten Opfern der Shoa nachträglich zufügen kann.

Zurück zum Film: Man soll ihn sich kritisch ansehen. Gelegenheit dazu gibt es mehrfach. Eine der in der B5 vertretenen Gruppen (Sozialistische Linke) wird den Film „Pourquoi Israel“ von Claude Lanzmann in der B5 zeigen: Am Mittwoch, dem 9. Dezember um 17.00 in der B5, Brigittenstraße 5, Hamburg St,Pauli. Eine anschließende Diskussion ist vorgesehen.

(Das ist übrigens das Beste, was die Leute aus der B5 jetzt machen können, um der Sektiererfalle zu entgehen)

4. Eine Sonntagsdemonstration

Wenn’s am nächsten Sonntag darum gehen würde, auf einer Kundgebung den Blockierern aus der B5 zu verdeutlichen, dass sich die Hamburger Linke nicht vorschreiben lässt, welchen Film sie sich ansieht und welchen nicht, wären wir eventuell dabei.

Es geht hier aber um etwas anderes. Der Vorfall in der B5 soll dazu herhalten, quasi „endgültig“ eine politische Agenda zu implementieren, die eine linke Kritik an der Politik des Militärstaats Israels als „kruden Antisemitismus“ delegitimiert.

Dieselben Leute, die vor 4 Jahren mit dem Wertmullah an der Spitze mit blau-weißer Winkelemente-Choreographie durchs Schanzenviertel zogen, „Waffen für Israel“ forderten und die Szene um die Rote Flora als „antisemitisch verseuchte Wursthaarträger“ apostrophierten, sehen auf Grund des bekloppten Verhaltens der Blockierer aus der B5 ihre Chance, die Reste der radikalen Linken in einen permanenten sektiererischen Diskurs über den „Antisemitismus in der Linken“ zu verstricken.

Wir sollten dagegenhalten. Unsere Aufgaben sehen anders aus: Es geht um die permanente Denunziation der kapitalistischen Normalität, um den Kampf gegen die innerstaatliche Repression, um die soziale Frage, um eine Stadt, in der wir leben und atmen können, um den Kampf gegen den ‚zivilen’ Rassismus der gesellschaftlichen Mitte, um antifaschistische Notwendigkeiten, um antikapitalistische Klimabündnisse. Es sei im Übrigen auf die – für manche Leute erstaunliche – Tatsache hingewiesen, dass dieser deutsche Staat seit einigen Jahren in einer weit entfernten Weltgegend Krieg führt und das eine oder andere Massaker an der dortigen Zivilbevölkerung veranstaltet. Wie wär’s also mit einer antimilitaristischen Kampagne gegen den „deutschen Krieg“ im Norden Afghanistans? Oder könnte es sein, dass Leuten, die mit der ausnehmend elaborierten Parole „Staat, Nation, Kapitalismus, Scheiße“ durch die Straßen laufen, den deutschen Kriegseinsatz in Afghanistan nur deshalb partout nicht zur Kenntnis nehmen, weil es sich bei den „Kollateralschäden“ dieses Krieges um Angehörige nichtswürdiger muslimischer Völkerschaften handelt??

Wir merken schon: Wir schweifen ab. Für die Demo am Sonntag unser exklusiver Tipp: Bei Fahnen-Fleck gibt’s blau-weiße Nationalfahnen im Ausverkauf – es bietet sich eventuell eine Kombination mit schwarz-rot-goldenen Fußballcaps an – die gibt’s dort auch: In der Grabbelkiste. Und: Solidarische Grüße an die zwei Jungs von der Emanzipatorischen Linken Lüdenscheid.

Und wir? Werden – wie immer – am Sonntag Volleyball spielen.

Im Auftrag der Spielgruppe: Georg, Cem und Rudi, 7. Dezember 2009
 

Editorische Anmerkungen

Wir spiegelten den Artikel von Indymedia.