An der Universität Frankfurt wurde am
Montag, den 30.11.09, das Hörsaalgebäude Casino auf dem
prestigeträchtigen IG-Farben-Campus besetzt. Die gewonnen Räume
wurden drei Tage für Workshops zur Bildungspolitik,
Ausgangspunkt für Protestaktionen und als kultureller Ort
genutzt.
Am dritten Tag der Besetzung, Mittwoch
2.12.09, betrat um ca. 18:15 Uhr Präsident Müller-Esterl das
Casino, forderte die Besetzer zum Verlassen des Gebäudes auf und
kündigte die Räumung durch die Polizei, die bereits mit etwa 150
Mann vor dem Gebäude stand, binnen 10 Minuten an. Auf die Bitte,
sich einer Diskussion zu stellen, reagierte er nicht, sondern
verließ umgehend wieder das Gebäude.
Etwa 200 der anwesenden Besetzer ließen
sich durch die Räumungsankündigung des Präsidenten nicht
einschüchtern, sondern beschlossen spontan, ihre inhaltliche
Arbeit fortzusetzen, zu deren Durchführung die Besetzung
notwendig geworden war. So begann das von Emanuel Kapfinger und
Thomas Sablowski gestaltete Seminar „Idealistischer und
sozialistischer Bildungsbegriff in der Kontroverse. Was ist die
richtige Alternative zur Ökonomisierung der Bildung?“ um 18:30
Uhr mit einer halben Stunde Verspätung im Festsaal des Casinos.
Kurz darauf stürmten behelmte und gepanzerte Polizisten das
Casino. Die Polizisten gingen zunächst in den ersten Stock des
Casinos und trieben alle dort noch befindlichen Personen nach
unten. Danach drängte eine Polizeikette mit vorgehaltenen
Schildern alle im Casino-Vorraum befindlichen Personen ins
Freie. Draußen bildeten die Polizisten vor dem Haupteingang
einen Halbkreis, so dass niemand mehr ins Casino hinein kam.
Etwa 10 Minuten nach Seminarbeginn stürmten etwa 40 Polizisten
den Festsaal und umzingelten die Seminarteilnehmer. Sie zogen
die Vorhänge zu und beschnitt damit die Möglichkeit der
zahlreichen Studierenden, Dozenten und Journalisten außerhalb
des Gebäudes, von draußen das Vorgehen der Polizei zu beobachten
und so zu kontrollieren. Etlichen Anwesenden wurde es daraufhin
wegen des unberechenbaren Verhaltens der Polizei mulmig. Dazu
trug auch bei, dass im Festsaal selbst anfangs nur wenige
Journalisten anwesend waren. Der einzige anwesende Filmemacher
wurde von der Polizei massiv bedrängt und bei seiner Arbeit
behindert. Das sind Repressalien, die gegen das Grundrecht der
Pressefreiheit verstoßen und der Polizei nicht zustehen.
Glücklicherweise kamen später weitere Journalisten und auch
Filmteams hinzu. Die Polizei gab daher ihren Versuch auf, die
Räumung unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchzuführen.
Die Teilnehmer des Workshops blieben trotz der bedrohlichen
Situation ruhig und entschlossen. Sie ignorierten die Polizei,
so gut es ging. Da unter den gegebenen Umständen – dem Lärm, der
allgemeinen Nervosität – eine Diskussion unmöglich war, verlas
Emanuel Kapfinger nach seinem Referat über den sozialistischen
und den idealistischen Bildungsbegriff ein Positionspapier, das
in der Münchner Uni-Besetzung entstanden war. Im Anschluss daran
las Thomas Sablowski Passagen aus „Das Kapital“ von Karl Marx
vor und kommentierte diese.
Während der Workshop lief, wurden die
Seminarteilnehmer einzeln hinauskomplimentiert – wer sich
weigerte, freiwillig mitzukommen, wurde gewaltsam
hinausgeschleift. Im Foyer des Gebäudes wurden die Personalien
aller SeminarteilnehmerInnen aufgenommen und sie wurden per
Video gefilmt. Obwohl die Zahl der SeminarteilnehmerInnen immer
kleiner wurde, entspann sich zuletzt noch eine intensive
Diskussion um die Kritik der politischen Ökonomie.
Die Leitung der Universität machte es Studierenden durch den
Einsatz von Gewalt unmöglich, einem Vortrag zuzuhören, zu
diskutieren und sich zu bilden – und zwar in ihrer eigenen
Universität, in Räumlichkeiten, die die ganze Woche über von der
Commerzbank genutzt worden wären bzw. eben von der vorgegebenen
Lehre besetzt waren. Diese Form von Lehre kann von Studierenden
mit regulären Mitteln nicht beeinflusst werden und muss von
ihnen hingenommen werden; gegen sie richtet sich gerade ihr
Protest. Das Argument vieler Studierender gegen den Streik vom
letzten Semester kann jetzt umgedreht werden: Es hieß immer, der
Streik würde Bildung verhindern. Die Antwort der Streikenden
darauf war: Es wird die Bildung verhindert, die fremdbestimmt
ist und abgeschafft werden soll. Jetzt hat der Präsident
höchstpersönlich eine selbstbestimmte Form der Bildung
verhindert.
Während innerhalb des Gebäudes der Polizeieinsatz im Ganzen
ertragbar ablief, bot sich draußen ein anderes Bild. Dort hatten
sich schon kurz nach Ankunft des Präsidenten zahlreiche
Unterstützer versammelt, die Parolen skandierten und den
Besetzern drinnen zuwinkten, bis die Polizei die Vorhänge zuzog.
Nach Ende der Räumung begann die Polizei, Platzverweise für den
ganzen IG-Farben-Campus auszusprechen, dessen Eigentumsrecht
eigentlich beim Präsidenten liegt. Daraufhin trieben mit Schild
und Schlagstock bewaffnete Polizeireihen den völlig
friedfertigen Block der Unterstützer vor sich her und vom Campus
herunter. Dabei wurde mit den Schlagstöcken zugeschlagen und
Polizeihunde ohne Maulkorb auf die Unterstützer losgelassen. Die
Studierenden wurden von ihrem eigenen Campus geprügelt.
Vom Campus abgedrängt formierten sich die Studierenden zu einer
Spontandemo, die sich ebenfalls intensiver Polizeigewalt in Form
von Tritten, Schlägen, Kesseln etc. ausgesetzt sah. Sie verlief
für etliche Demonstranten äußerst schmerzhaft. Einige mussten
danach im Krankenhaus behandelt werden. In diesem brutalen
Vorgehen gegen die Protestierenden außerhalb des Casinos konnte
die Polizei vermutlich ihrer Enttäuschung Luft machen, dass sie
das Gesetz des Handelns im Saal nicht alleine in der Hand hatte.
Die Räumung in Frankfurt ist nur eine in einer ganzen Kette: In
den Tagen zuvor gab es unter anderem Polizeieinsätze an den
Hochschulen in Dortmund, Düsseldorf, Bonn, Bochum und Osnabrück.
Die Hochschulleitungen haben ihr Vorgehen gegenüber den
Studierenden bei der Hochschulrektorenkonferenz in Leipzig am
24.11. abgestimmt, auch wenn sich dort nicht alle auf eine Linie
einigen konnten. Es ist auch nicht der erste Polizeieinsatz an
dieser Universität. Er entspricht genau dem Geist der
herrschenden Hochschulpolitik.
Begründet hat der Präsident die
polizeiliche Räumung des Casinos und die Strafanzeigen mit den
juristischen Tatbeständen der Sachbeschädigung und des
Hausfriedensbruchs. Der Personenkreis, der jetzt konkret
kriminalisiert wird, ist jedoch durch die Teilnahme an dem
Seminar bestimmt und nicht durch irgendwelche
Sachbeschädigungen. Grundlage der Kriminalisierung sind nicht
Sachbeschädigungen, sondern es ist die Teilnahme am sit-in, am
Seminar. Außerdem droht das Präsidium den teilnehmenden
Studierenden nun auch noch mit Zwangsexmatrikulation, weil sie
nicht von ihrem Recht lassen wollten, sich in ihrer Universität
selbstbestimmt zu bilden.
Bestraft wird ein Akt des gewaltfreien, zivilen Ungehorsams. Er
steht objektiv in der Tradition der Fabrikbesetzungen in den USA
1936/37, der sit-down-strikes, mit denen die
Industriegewerkschaften ihre Anerkennung durch die Unternehmer
erzwangen und Tarifverträge durchsetzten, der sit-ins und
teach-ins der Studentenbewegung von 1968, der Blockaden von
Atomwaffenlagern durch die Friedensbewegung Anfang der 1980er
Jahre, der Blockaden der Castor-Transporte und der Blockade des
G 8-Gipfels in Heiligendamm 2007.