Der
Stuttgarter IG-Metall- Gewerkschafter Werner Sauerborn zu seinen
Vorschlägen einer neuen Kampagne zur Arbeitszeitverkürzung
1.)
Warum soll die Gewerkschaft das Thema Arbeitszeitverkürzung
wieder auf ihre politische Agenda setzen?
W.S.:
Weil wir uns selbst aufgeben würden, wenn wir uns auf Dauer vom
Thema Arbeitszeitverkürzung verabschiedeten. Denn inzwischen
machen die Arbeitsgeber ihre Arbeitszeitpolitik: Deregulierung
und Verlängerung der Arbeitszeit, Teilzeitarbeit völlig ohne
Lohnausgleich. Das war nur möglich, weil die Gewerkschaften den
Kampf um die Arbeitszeitverkürzung in den letzten 20 Jahren
aufgegeben haben. Mit der Tarifrunde im Öffentlichen Dienst, die
jetzt anläuft, bietet sich die Möglichkeit, die
Arbeitszeitverkürzung wieder zurück in die gewerkschaftliche
Diskussion zu bringen.
2.) Warum
sehen Sie gerade jetzt einen günstigen Zeitpunkt dafür?
W.S:. Der
öffentliche Sektor ist durch die Krise im öffentlichen Ansehen
gestärkt werden und könnte eine größere beschäftigungspolitische
Verantwortung übernehmen. Außerdem schlägt die unmittelbare
Dumpingkonkurrenz hier noch nicht so durch. Andererseits sind
die Arbeitsbedingungen und die Hektik inzwischen oft so extrem,
z.B. bei in den KiTas oder Krankenhäusern, dass die Kollegen
bereit sind, für bessere Bedingungen zu kämpfen, um überhaupt
noch gesund das Rentenalter zu erreichen.
3.) Aber
bisher haben doch die Gewerkschaften eher auf Lohnerhöhung
gesetzt?
W.S.: Die
Formel, mit der bisher diese Lohnforderungen begründet wurden,
setzte sich aus dem gesamtgesellschaftlichen
Produktivitätszuwachs plus dem Inflationsausgleich zusammen.
Nun gibt es zurzeit unterausgelastete Kapazitäten und auch die
Inflationsrate pendelt bei Null. Also eine gute Gelegenheit,
Arbeitsumverteilung per Arbeitszeitverkürzung wieder zum Thema
der Tarifverhandlungen zu machen.
4.) Welche
Reaktionen gibt es in den Gewerkschaften zu Ihrem Vorstoß?
W.S.: Es
geht darum, innerhalb der Gewerkschaften eine Diskussion
anzustoßen. Das ist schon gelungen. Verschiedene
ver.di-Gliederungen im Südwesten, die Gewerkschaftsjugend u.a.
unterstützen die Forderungen. Die Debatte wird unabhängig von
den Tarifverhandlungen weitergehen. Denn Arbeitszeitverkürzung
ist eine Frage der Solidarität mit den Erwerbslosen und weniger
Arbeitslosigkeit ist ein Beitrag zur Stärkung der
Gewerkschaften.
5.) Wie
hoch ist die Bereitschaft, für die Arbeitszeitverkürzung
notfalls zu streiken?
W.S.:
Arbeitszeitverkürzung als Forderung ist im Prinzip akzeptiert -
aus Gründen der persönlichen Arbeitssituation, angesichts der
Vereinbarkeitsprobleme zwischen Arbeit und Leben und auch
gesellschaftspolitisch. Doch ob die Kollegen dafür auch kämpfen,
hängt davon ab, ob sie die Arbeitszeitverkürzung, vor allem den
Lohnausgleich, für durchsetzbar halten und die berechtigte
Sorge, dass das alles in mehr Arbeitshetze endet, beantwortet
werden kann. Deshalb müssen wir die Forderung mit einer
konkreten Durchsetzungsstrategie koppeln. Dazu muss
Arbeitszeitverkürzung als Eckpfeiler einer gewerkschaftlichen
Gegenstrategie gegen die Krise verankert werden – in einem
breiten Gegenkonsens und auch grenzüberschreitend. Nur die
Forderung in den Raum zu stellen und dann zu hoffen, dass die
Kollegen schon begeistert sind, reicht sicherlich nicht aus.
6.) In der
gewerkschaftlichen Diskussion war die Frage der
Arbeitszeitverkürzung immer mit der Forderung nach einem vollen
Lohnausgleich verbunden. Halten Sie das heute für realistisch?
W.S.:
Unser
Ziel bleibt der volle Lohnausgleich. Aber können wir auf
Arbeitszeitverkürzung verzichten, wenn wir trotz allen Kämpfens
den vollen Lohnausgleich nicht durchsetzen können? Diese Logik
hat zu einem 20-jährigen Stillstand in der Arbeitsumverteilung
und der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit geführt.
Massenarbeitslosigkeit ist nicht verkürzte Arbeitszeit und
bedeutet Schwächung der Gewerkschaften und die hat am Ende zu
viel größeren Verlusten der Einkommensposition der Arbeitnehmer
geführt.
7.) Wie
wollen Sie verhindern, dass es bei einer Arbeitszeitverkürzung
zu einer Arbeitsverdichtung kommt und sich damit die Belastungen
der Kollegen nicht
verringern?
W.S.: Z.B. durch Arbeitszeitkürzung in der Variante
zusätzlicher freier Tage. Das würde die Arbeitgeber eher zwingen
verkürzte Arbeitszeiten in der Personalplanung zu
berücksichtigen.
Interview:
Peter Nowak
Editorische
Anmerkungen
Wir erhielten das
Interview von Peter Nowak für diese Ausgabe.
|