G-G´ Allgemeine Bestimmungen zu Finanz- und fiktivem Kapital
 
von Georg Gangl

12/08

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onlinezeitung

Momentan scheinen sich die Nachrichten beinah zu überschlagen. Kein Tag vergeht an dem nicht ein neuer fauler Kredit, eine fast fallierende Bank, ein vielleicht sogar nahe an die Zahlungsunfähigkeit getriebener Staat bekannt würde. Dabei nimmt sich die ganze Sache doch ein wenig seltsam aus. Letztes Jahr geraten HäuslebauerInnen in den USA ins Strudeln, was meint sie können Kredite nicht mehr bedienen, und ein knappes Jahr später kommt es fast zur Kernschmelze des gesamten (Welt-)Finanzsystems. Plötzlich ist auch Europa betroffen, wovon nicht nur das sonst so beschauliche Eiland Island ein Lied singen kann. Innerhalb der EU sind die Staaten behänd dabei Sparguthaben zu sichern, und, nach einer gewissen national bornierten Rangelei, hat nun auch die EU als Gesamtsubjekt einen Rettungsplan für die angeschlagene Finanzwirtschaft geschmiedet.

Doch nicht nur das. Die Finanzwirtschaft, das sog. „Finanzkapital“(Rudolf Hilferding, vgl. Hilferding 1968) brodelt nicht einfach so selbstreferenziell vor sich hin. Es sind bereits Meldungen zu vernehmen, die ein Rückschlagen der Krise auf die sog. „Realwirtschaft“ diagnostizieren. Die ersten exportorientierten Industrien, wie die Autoindustrie, stellen ihre Fließbänder bereits still, und beginnen schon ArbeiterInnen zu entlassen. Ganz prinzipiell wird Kredit jetzt knapp; und auch der Konsum bricht langsam ein. Kurzum, die Krise nimmt ihren Lauf und zieht immer mehr und mehr in ihren Schlund.

Dass die Krise von einer Immobilienblase in den USA ausgegangen ist, verrät aber schon einiges über jenen Zusammenhang, der als globaler, heutzutage meist sogar globalisierter, Kapitalismus bekannt ist. Eine Störung da kann immense Auswirkungen dort zeitigen. In diesem Text sollen nun erst einmal die Grundlagen für sog. Spekulationskrisen im Kapitalismus dargelegt werden. Denn darin, in diesem ganzen Schlamassel Schuldige zu finden, ist eins prinzipiell recht schnell. Oft hört man von der „Gier der SpekulantInnen“, und ManagerInnenschelte ist bereits zum Volkssport nicht nur an Stammtischen geworden. Das globale kapitalistische System in seinen Grundzügen, die Gesetze der kapitalistischen Akkumulation, werden dabei zumeist aber nicht verstanden. Dieser Text will nun ebendiese Gesetze und Grundlagen in der gebotenen Kürze darlegen. Dazu bedarf es im ersten Kapitel einer Rekurrenz auf Marx, insbesondere auf seine Darlegung des sog. „fiktives Kapitals“ (vgl. Marx 1965, MEW 25; 413ff.) im dritten Band des Kapitals. Dort bezeichnet er diese Art der Akkumulation auch als „äußerlichste und fetischartigste Form“ (Marx 1965, MEW 25; 404) des Kapitals. Daran anschließend wird versucht darzustellen, wie und warum das Finanzkapital in der heutigen, globalisierten Welt einen solch hohen Stellenwert gewonnen hat. Dieser Stellenwert lässt sich dabei auch schon am obig angeführten Beispiel illustrieren. Eine finanzkapitalistisch induzierte Immobilienblase in den USA hat zu einem veritablen Weltmarktbeben geführt, welches Auswirkungen auf nahezu alle Menschen dieser Welt hat. Es stellt sich also die Frage nach den Bedingungen und Formen dieser Art von „finanzgetriebener Akkumulation“ (vgl. Huffschmid 2002 und Kurz 2005). Schließlich soll am Ende dieser Arbeit noch auf die ideologischen Fallstricke gewisser Kritiken kurz eingegangen werden. Denn gerade diejenigen, die die jetzige Krise aus der reinen Gier der ManagerInnen erklären wollen, oder, wie bereits geschehen, von finanzkapitalistischen Heuschrecken sprechen, geraten in Gefahr sich in tendenziell antisemitisches Brackwasser zu manövrieren. Dies soll anhand des Begriffes des „strukturellen Antisemitismus“ (vgl. Kurz 2005; 342ff.) in aller Kürze entwickelt werden. Auf die konkreten Auslöser der jetzigen Krise kann in diesem Text aber nicht genauer eingegangen werden[1]. Hier geht es vielmehr darum, zuvörderst die strukturellen Voraussetzungen für die Krise verstehen zu lernen. Und diese fußen nun mal in den strukturellen Zwängen der kapitalistischen Produktionsweise. Wer also –durchaus zurecht- meint mit den Krisen müsse Schluss sein, der/die muss dann eben auch das Kapitalverhältnis selbst in den Blick nehmen. 

Fiktives Kapital und Finanzkapital – allgemeine Voraussetzungen der Krise 

Der Kapitalismus ist in sich selbst krisenhaft. Dies ergibt sich schon allein aus der Geldform. Denn Ware und Geld fallen im Kapitalismus in einem polaren Gegensatz auseinander. Ist das Geld die Königsware[2], so der restliche Warenkörper der Warenpöbel. In Form des Geldes als „allgemeinem Äquivalent“ (vgl. Marx 2005, MEW 23; 79ff.) kann die Zirkulation immer unterbrochen werden. Das Geld wird sodann abgezogen und als Schatz gehortet. Dies ist aber schon eine grundsätzliche rein gesellschaftlich gemachte Krisenanfälligkeit[3]. Denn prinzipiell gehören Ware und Geld zusammen, sie können sich aber insbesondere in der Form des Geldes, als dingliche Form der Gesellschaftlichkeit, gegeneinander verselbständigen. Marx schreibt nun in Bezug auf Ware und Geld: „Geht die äußerliche Verselbstständigung des innerlich Unselbstständigen, weil einander ergänzenden, bis zu einem gewissen Punkt fort, so macht sich die Einheit gewaltsam geltend durch eine – Krise (...). Diese Formen schließen daher die Möglichkeit aber auch nur die Möglichkeit der Krisen ein. Die Entwicklung dieser Möglichkeit zur Wirklichkeit erfordert einen ganzen Umkreis von Verhältnissen“ (Marx 2005, MEW 23; 127f.). Was Marx hier also bestimmt, ist nur die allgemeinste Möglichkeit von Krisen im Kapitalismus, welche bereits in der Geldform, dem polarischen Auseinanderfallen von Ware und Geld, angelegt ist.

Um nun das Finanzkapital zu verstehen gerade auch dahingehend, dass es ebenso als Krisenindikator und Katalysator fungieren kann, ist es nötig, weitere Bestimmungen vorzunehmen. Nun tendiert der Kapitalismus in seinem Drang zur Verwertung beinah alles und jedes in die Warenform zu zwingen, kurzum zu kommodifizieren. Dies gilt besonders auch für das Geld selbst, da dieses als Königsware und Inkarnation der Gesellschaftlichkeit als Ausgangspunkt jedweder weiteren Akkumulation dienen kann. Geld ist immer und in jeder Form mögliches Kapital: „In dieser Eigenschaft als mögliches Kapital, als Mittel zur Produktion des Profits, wird es Ware, aber eine Ware sui generis. Oder was auf dasselbe herauskommt, Kapital als Kapital wird zur Ware“ (Marx 1965; MEW 25; 351). Geld wird somit als mögliches Kapital verliehen. Andere KapitalistInnen, die sich Geld leihen,  können mit diesem Geld nun in ihrem Sinne fuhrwerken und versuchen, damit Profit zu machen. Ein Teil dieses Profits, neben der eigentlichen Leihsumme, muss –bei Gelingen wie Misslingen- wieder an den/die ursprünglichen Kapitalistin/en zurückgegeben werden – das Kapital hat somit Zins abgeworfen. Nun haben KapitalistInnen im Allgemeinen einiges an Geldkapital brachliegen. Denn im Laufe des „Produktivkraftfortschrittes“ kommt es zu einem immer größeren Einsatz an konstantem Kapitals (wird seit Marxens Zeiten mit c abgekürzt), genauer des konstanten fixen Kapitals (zu dieser Unterscheidung vgl. Marx 1963, MEW 24; 31ff. sowie 104ff.). Denn dieses, z.B. als großflächige Maschinen im Produktionsprozess oder als die Gebäude selbst, in denen die Produkte als Waren produziert werden, überträgt nur einen Teil seines Werts pro rata an die zu produzierende Ware. Mit jedem Rücklauf an Geld, mit jedem Umschlag des Kapitals in Marxschen Worten, kehrt also ein kleiner Teil des Werts der Maschine zurück, da die Amortisationszeit derselben recht lange ist. Der/die KapitalistIn hat also brachliegendes Kapital, das zur Anlage, zum Verleihen, bereit liegt. „Den portionsweise zurückfließenden Anteil des konstanten fixen Kapitals am jeweils realisierten, in Geld(kapital) zurückverwandelten Wert muss der Kapitalist über entsprechend längeren Zeitraum ansammeln oder ´aufschatzen´“ (Kurz 2005; 250). Selbiges gilt aber auch für die von der Wertverwertung durch Konkurrenz bei Strafe des Untergangs anbefohlene Erweiterung der eigenen Produktion. Auch hierfür müsste eigentlich rückfließendes Kapital, insbesondere rückfließender Mehrwert, zur Seite gelegt werden, und würde somit brachliegen. KapitalistInnen sind also prinzipiell immer als GeldnehmerInnen wie GeldgeberInnen, als SchuldnerInnen wie GläubigerInnen an Kreditierungsgeschäften interessiert.

Hier kommen nun die Banken ins Spiel. Historisch sind diese aus den gegenseitigen sog. „Wechseln“ der KapitalistInnen entstanden (vgl. MEW 25; 481ff.)[4]. Die Banken sind nun jetzt nicht (mehr) nur Kreditierungsinstitutionen, die die gegenseitigen Kredite vermitteln. Sie schaffen auch eine spezifische Form des Geldes – das Kreditgeld (vgl. Heinrich 2004; 158ff.). Denn das bei der Bank, von KapitalistInnen wie ArbeiterInnen, eingelagerte (überschüssige) Geld wird zum Weiterverleihen benutzt. Die Bank streift dabei immer einen gewissen Zinssatz ein, sofern der/die SchuldnerIn nicht völlig bankrottiert und komplett zahlungsunfähig wird. Dies gibt Banken eine Schlüsselstellung innerhalb der Nervenbahnen der kapitalistischen Produktion. Sie stellen das allseits gebrauchte Schmiermittel, das Geld, zur Verfügung (vgl. auch Decker 2008). Und sie haben auch im großen Stil die Verfügungsgewalt über das einzige Medium der Plusmacherei selbst – ebenjenes Geld. Der sozialdemokratisch-marxistische Theoretiker Rudolf Hilferding hat diesen Prozess, in dem die Banken enorm an Wichtigkeit gewinnen, versucht, in seinem Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts erschienenen Buch namens „das Finanzkapital“ (vgl. Hilferding 1969 bzw. Kurz 2005 246ff.) zu fassen. Dieses –das Finanzkapital- zeichnet sich, laut ihm, nun durch ein Zusammenfließen von Produktions- und Geld-, meint Leihkapital, aus. „Die Getrenntheit oder Parallelität dieser beiden Kapitalformen verwandelte sich in eine immer stärkere Verzahnung und geradezu Verschmelzung. Mit der ständigen Ausdehnung des Kapitalkredits wurden die Banken aus bloßen Vermittlungsinstanzen zu einer Art stiller Teilhaber und allmählich sogar Dirigenten des Industrie- und Dienstleistungskapitals“ (Kurz 2005; 252).

Dabei ist die finanzkapitalistische Funktion der Banken essentiell für das reibungslose Funktionieren der Akkumulation. Einzelne KapitalistInnen, wie auch die Lohnabhängigen in geringerem Maße, müssen nun nicht mehr notwendigerweise Teile ihres Profits bzw. Lohns abzwacken, um sie bei Bedarf wieder in Maschinen oder Konsumgüter zu reinvestieren. Sie können sich die ganze Chose von Banken vorfinanzieren lassen. Dies bringt riesige Vorteile gerade auch für das gesellschaftliche Gesamtkapital. „Eine expansive Kreditvergabe kann daher zu einem erheblichen Akkumulationsschub führen(genauso wie eine restriktive Kreditvergabe den Akkumulationsschub abwürgen kann). Insofern stellt das Kreditsystem eine strukturelle Steuerungsinstanz der kapitalistischen Ökonomie dar“ (Heinrich 2004; 167, Hervorhebung i. O.). Gleichzeitig ist im Kreditsystem dadurch auch wieder schon –diesmal auf bereits konkreterer Ebene als durch das alleinige Auseinanderfallen von Ware und Geld gegeben- der Keim der Krise angelegt. Auch Marx hat diese Janusköpfigkeit des Kredits bereits gesehen, und diesem darob attestiert, dass er „daher die materielle Entwicklung der Produktivkräfte [beschleunigt]“, sogleich aber auch „Haupthebel von Überproduktion und Überspekulation im Handel“ (Marx 1965, MEW 25; 457) sei. Denn auf den Kreditmärkten, insbesondere dort wo „fiktives Kapital“ (Marx 1965, MEW 25; 413, siehe das ganze 25. Kapitel  des dritten Bandes des Kapitals, 413ff.) mit im Spiel ist, herrscht die Unsicherheit.

Prototypisch für ebenjenes „fiktive Kapital“ waren für Marx Aktien. Eine Aktie ist nichts weiter als ein Anteilschein an einem Unternehmen. Kauft eins sich Aktien, kann eins als MiteigertümerIn dieser Firma gelten[5]. Aktien selbst werden nun ebenso an Märkten gehandelt, und haben einen Preis. Dieser bestimmt sich alleinig aus Angebot und Nachfrage, und ist nichts weiter als eine Wette auf die erhoffte Gewinnerwartung eines Unternehmens. Der Aktienkurs zeigt also nichts weiter als eine erwartete, ja erhoffte, Gewinnerwartung an. Er ist deshalb rein fiktiv – er kann sich realisieren, müssen tut er als Vorgriff auf eine ungewisse raue Zukunft aber nicht. Diese  Realisation ist vielmehr von äußeren Umständen abhängig, welche von den einzelnen AktionärInnen kaum bis gar nicht kontrolliert werden können[6].

Gerade diese hoch spekulativen, vom Aktien- und Wertpapierhandel ausgehenden, Erwartungen und Mutmaßungen sind ein zentrales Element der Krisenanfälligkeit der Finanzmärkte. Denn die Spekulation kann misslingen, und es kommt immer wieder zur Bildung sog. Finanzblasen. Dabei gibt es einen Run auf bestimmte Formen von Anlagen, und die Preise für diese steigen in astronomische Höhen. Früher oder später können die Gewinnerwartungen aber nicht eingehalten werden und erweisen sich ungedeckt in der realen Entwicklung -  die Blase platzt. Die auf den Finanzmärkten vorherrschende Psychologie der Lemminge dreht sich nun um, und alle versuchen auf Gedeih und Verderb, das sinkende Schiff zu verlassen und die zu Ramsch gewordenen Papiere, wie es im eingeschliffenen Jargon so tönt, zu emittieren– die Krise ist somit endgültig hereingebrochen.

Konkret bedeutet eine solche Krise dann, dass das fiktive Kapital mit einem Schlag entwertet wird, und nichts mehr wert ist. „In einer Finanzkrise verflüchtigt sich das Kreditgeld, die Preise für Wertpapiere und andere Vermögensgegenstände fallen ins Bodenlose, die Hebelwirkung der Derivate vervielfacht die Verluste. Bankenzusammenbrüche vertiefen die Kreditkrise, Spekulation den Verfall der Wertpapiermärkte, und beide Bewegungen verstärken sich gegenseitig“ (Huffschmid 2002; 164). Sobald einmal die Banken in Mitleidenschaft gezogen sind, geht der große Kladderatatsch auch den Staat etwas an. Denn mit den Banken gehen auch die Sparguthaben der AnlegerInnen, insbesondere der gemeinen Lohnabhängigen,  flöten. Konkret geraten aber diejenigen SpekulantInnen zuerst in die Krise, welche die Wertpapiere und Aktien auf Pump gekauft haben. Sie verkaufen zuerst und tragen zum Kursverfall rapide bei. Es beginnt somit die Furcht auf den Märkten umzugehen, denn keineR weiß, wer auf wie vielen faulen Krediten sitzt. Aufgrund des allgemeinen Misstrauens steigen die Kreditzinsen, und es kommt zu einer Kreditklemme. An allen Ecken und Enden mangelt es am allgemeinen Äquivalent, am Geld. Die Klemme selbst hat wiederum Auswirkungen auf die „Realwirtschaft“, und, aufgrund fehlender liquider Mittel aus Krediten, werden die ersten ArbeiterInnen aufs Pflaster geworfen. Langsam aber sicher bricht so auch der Konsum ein, und die Arbeitslosigkeit erreicht neue Höhen. Geld und Kredit sind in diesen Zeiten also mehr als knapp – [d]er Kern jeder Finanzkrise ist der allgemeine Mangel an Liquidität“ (Huffschmid 2002; 167, Hervorhebung i. O.).

Mit dieser Einsicht können wir dieses Kapitel auch schon beschließen. Jetzt wo wir verstehen, dass Finanzkapital, Kredit wie fiktives Kapital aus sich heraus Krisen gebären, können wir uns anschauen, wie und warum es in den letzten Jahrzehnten gehäuft zu ebensolchen gekommen ist; kurzum wie sich die strukturellen Rahmenbedingungen der Akkumulation geändert haben. Es wird von „struktureller Überakkumulation“, Fordismus und Postfordismus zu reden sein. 

Strukturelle Überakkumulation: vom eingehegten Fordismus
zum deregulierten
Neoliberalismus
 

Viel ist seit den 80er Jahren von Thatcherismus, Reagonomics und dem Ende des rheinischen Kapitalismus mitsamt der sog. Deutschland-AG (selbiges gilt für die Japan-AG) zu hören. All dies sind schillernde Begriffe. Einer, noch viel schillernder aber wohl auch noch nichts sagender, der als Grund all dieser Veränderungen angegeben wird, ist der ominöse Begriff Neoliberalismus. Rein empirisch besehen, ist nun das kapitalistische Klima in den letzten 30 Jahren um einiges rauer geworden. Davon zeugen die vielen Krisen der vergangenen Dezennien. Als da wären, um nur die Größten zu nennen, die Schuldenkrise 1982 in Mexiko und Lateinamerika, der Börsencrash 1987, die japanische Spekulationskrise 1989/90, die Zusammenbrüche in Russland und Brasilien während der 90er Jahre, das Platzen der vielgehypten New-Economy Blase anno 2000/2001 und die auf den Fuße folgende Argentinienkrise (vgl. Kurz 2005; 226)[7].

In diesem Teil des Texts soll nun die neue Krisenhaftigkeit des Kapitalismus aus dem Übergang von einem Akkumulationsmodell in ein Anderes erklärt werden. Denn die Zeit vor der „neoliberalen“ Wende, die Ende der 70er Jahre begann, wird auch als fordistische Periode bezeichnet. In dieser gab es über längere Zeit hinweg, jenseits von Krisen, höhere Profitraten, sowie sich auch Massenkaufkraft und Konsumismus der abhängigen ArbeiterInnen entwickeln konnten – zumindest in den kapitalistischen Zentren. Unter dem Dach der US-Hegemonie, und dem spezifischen Kontext des kalten Krieges, wurde der krisenhafte Charakter der Kapitalakkumulation für eine Zeit lang überwunden, und Reichtum für alle, ja die Gesellschaft der MittelständlerInnen –die „nivellierte Mittelstandsgesellschaft“ (Helmut Schelsky) samt eigenem ideologischen Brimborium erschien als Möglichkeit am Horizont einer in der Schockstarre des Kalten Krieges verharrenden Welt. Diese Zeit war trotz ihrer ideologischen Nachwirkungen aber nur relativ kurz; viele der ideologischen Vorstellungen heutzutage träumen freilich dennoch vom keynesianisch eingehegten Wolkenkuckucksheim namens Deutschland-AG oder Ähnlichem. Joachim Hirsch fasst nun die Grundmerkmale des Fordismus konzise zusammen: „Grundlegend für den Fordismus ist die Durchsetzung der tayloristischen Arbeitsorganisation in der Massenproduktion standardisierter Konsumgüter(...). Die gesellschaftliche Trennung von Hand- und Kopfarbeit wurde damit erheblich verändert und dies führte zu einer starken Rationalisierung und Arbeitsintensivierung. Die Arbeitsproduktivität stieg enorm an und dies wiederum begründete ein vergleichsweise starkes Wachstum. Dadurch wurden beträchtliche Lohnsteigerungen möglich, die die Grundlage des sich entwickelnden Massenkonsums bildeten“ (Hirsch 2005; 116). Die ArbeiterInnen bezahlten die relativ billigen Massengüter also bereits mit einer bis dahin unbekannten Entleerung ihrer eigenen Tätigkeit, und einer bis dato ebenso wenig gekannten Subsumption unter den herzlosen Takt der Maschinen. Den Fordismus aber zeichnete ebenso ein gewisses institutionelles Backing aus. Zum einen waren die einzelnen Kapitalfraktionen aufgrund der unmittelbaren „Systemalternative“ kulanter in den Zugeständnissen an die ArbeiterInnen. Zum anderen konnten die Gewerkschaften an der prosperierenden Akkumulation mitnaschen, da sie den ArbeiterInnen höhere Löhne garantierte[8]. Der Fordismus ist also ein spezifisches Arrangement in der Geschichte des Kapitalismus in welchem –in den kapitalistischen Zentren- über einen längeren Zeitraum hinweg die Profitraten kontinuierlich stiegen, sowie auch das Lohnniveau der MassenarbeiterInnen (vgl. Brenner 1998; 39ff.). „Der fordistische Staat war ´Sicherheitsstaat´ im doppelten Sinne des Wortes: als ´Wohlfahrts´- und als bürokratischer ´Kontroll- und Überwachungsstaat´“ (Hirsch 2005; 119, Hervorhebung i. O.). Weltgesellschaftlich stützen die USA mit dem Dollar als Quasi-Weltgeld und einem festen Wechselkurssystem den Fordismus (vgl. Gerstenberger 2008, 11ff.). Damit einhergehend gab es auch feste Kapitalverkehrsbeschränkungen – das herumstreunende Kapital konnte also nicht das gesamte Erdenrund zu seinem Geheg machen[9]. Den Auslandsinvestitionen der USA in der Blockkonfrontation ist es auch zu verdanken, dass die ehemaligen –faschistischen- Opponenten Deutschland und Japan wieder aufgepeppelt wurden, und somit den ökonomischen Anschluss an die USA finden sollten[10].

Im Fordismus fiel nun, vereinfacht gesagt, der Preis dieser Güter rapide, sodass die ArbeiterInnen selbst die industriell gefertigten (Massen-)Produkte kaufen konnten, und dennoch am Ende mehr Gewinn für die UnternehmerInnen raussprang. – „nötig ist ein Zuwachs, der trotz sinkenden Werts pro Produkt ein absolutes Plus an Wertschöpfung beinhaltet“ (Kurz 1999; 674). Wenn sich aber bei weiterhin sinkenden Preisen keine weiteren KäuferInnenschichten finden lassen, da nun mal die Kaufkraft der Menschen eine endliche ist und sich auch erschöpft, dann hat die Produktivkraftentwicklung die sinkenden Preise ausgehebelt. Mit diesem Prozess kam auch die keynesianistische Staatsintervention des Fordismus ins Trudeln – qua „struktureller Überakkumulation“ kam zu einem sog. „profit-squeeze“ (vgl. Kurz 1999; 676ff. oder auch Heinrich 2004; 119ff.), und die Staatsverschuldung stieg rapide an(Folge: Stagnation + Inflation= „Stagflation“)[11]. Schon während der fordistischen Prosperitätsphase kam es aber zu einer Öffnung der nationalstaatlich zentrierten Märkte (vgl. auch Brenner 1998; 7). Folge: „Die internationalen Handels- und Kapitalströme gerieten immer mehr aus dem Gleichgewicht und der auf den Institutionen des Bretton-Woods Systems beruhende Regulationsmodus kam ins Wanken“ (Hirsch 2005; 125f.). Denn durch den ökonomischen Stagnationsprozess war viel liquides Kapital vorhanden, welches sich in den Finanzüberbau verflüchtigte, und somit die Krise des international starren Finanzsystems noch verstärkte, und auf dessen Deregulierung drang. Anfang der 80er Jahre übersetzte sich diese Dynamik dann auch politisch in die neoliberalen Wenden der Regierungen Reagan und Thatcher, die diese mit monetaristischen Programmen zur Geldwertstabilität einläuteten, welche für das Finanzkapital wie für die Exportindustrie von besonderer Wichtigkeit ist. Die fordistische Regulation war damit endgültig zerbrochen. Mit dem Ende dieser Art von spezifischer Regulation kam auch das feste Wechselkursregime ins Trudeln. Die USA hintertrieben, gerade durch die astronomischen Ausgaben für den Vietnamkrieg, die Golddeckung der eigenen Währung, welche ab der Vereinbarung von Bretton Woods als einzige goldgedeckte Währung galt, und durch diese Golddeckung die fixen Wechselkurse aufrecht erhalten konnte. Nachdem die festen Wechselkurse aufgegeben worden waren, war der Weg für die Währungsspekulation geebnet – die AnlegerInnen hofften damit dem „profit squeeze“ zu entkommen (vgl. Gerstenberger 2008). „Sie verlagern ihre Tätigkeit von der produktiven Investition auf das Finanzinvestment. Durch die Abschaffung fester Wechselkurse wird Geld in den internationalen Beziehungen zum Anlageobjekt“ (Huffschmid 2002; 127).

Robert Kurz argumentiert nun (z.B. Kurz 2005; 232), dass das Ende des Fordismus, wie das Aufkommen der finanzgetriebenen Akkumulation durch die „mikroelektronischen Produktivkräfte“ induziert sei. Diese hätten „ein weltweites alle Formen des Geldkapitals übergreifendes Kredit- und Spekulationssystem gebildet, dessen transnationaler Charakter viel direkter und weiter fortgeschritten ist als derjenige des realen Kapitalstocks. Hier fallen ja auch keinerlei Transportkosten an, sondern die Transaktionen bewegen sich mit Lichtgeschwindigkeit, also in ´Echtzeit´ unmittelbar und pausenlos um den Globus“ (Kurz 2005; 232). Diese von Kurz angesprochene Finanzialisierung schreitet nun seit den 80er Jahren kontinuierlich voran, und wird auch von den politischen Eliten vorangetrieben  - siehe nur die einleitenden Bemerkungen zu Reagonomics, Thatcherismus und dergleichen mehr. Diese wurde eben gerade auch mit einem rabiaten Kampf gegen gewerkschaftliche Organisierung und ArbeiterInneninteressen durchgeboxt. Dem zugrunde liegt das monetaristische Dogma der Geldwertstabilität. Es gilt es nämlich mit allen Mitteln die Inflation niedrig zu halten (vgl. Huffschmid 2002 140ff.). Japan, die USA, und Europa gingen in den 80er Jahren in diesem Prozess jeweils graduell andere Wege, wobei der gesamten ökonomischen Trias gemein ist, dass sie ihre Märkte stark deregulierte und auf dem neoliberalen Pfad verharrte. Japan traf es krisenhaft in diesem Sinne bereits Anfang der 90er Jahre hart; die USA konnten sich gerade in den 80er Jahren von krisenhaften Erscheinungen erholen, und wurden das globale Zentrum der Finanzspekulation – was sich gerade jetzt anno 2008 rächen dürfte; die EU schließlich bezahlte in den letzten 15 Jahren mit einer großen Wachstumsschwäche, ohne dass jedoch eine rabiate Krise über sie hereingebrochen wäre (vgl. Huffschmid 2002; 150ff.).

Die Finanzialisierung, ja wenn eins so will, die Entsubstanzialisierung selbst hat dabei schon megalomanische Ausmaße angenommen. So werden auf den weltweiten Devisenmärkten 1 bis 1.5 Billionen US-Dollar hin- und hergeschoben, und „gerade einmal 3 Prozent davon dienen der Vermittlung realer Transaktionen von Waren und Kapitalexport, 97 Prozent vermitteln nichts anderes als die Aggregierungen der spekulativen Finanzblasenökonomie von Aktien, Immobilien, Staats- und Unternehmensanleihen, Devisenspekulationen und den immer komplexer werdenden Derivaten dieser sogenannten ´Finanzindustrie´“ (Kurz 2005; 234)[12]. Diese Spekulationen, die im Endeffekt in Blasen resultieren, sind auch in mehrere Hinsicht mit der sog. „Realwirtschaft“ verzahnt, ja sie befeuern diese sogar mit ihrem aus dem Nichts geschöpften Geld. „Indem somit in bestimmten Weltregionen Liquidität für Konsum und Investitionen geschöpft und eine Scheinkonjunktur angekurbelt wird, regt diese wiederum Importe von Waren und Dienstleistungen an“ (Kurz 2005; 243). Kurzum, die finanzgetriebene Akkumulation vollzieht sich großteils auf Pump, und speist sich aus den fiktiven Werten und Erwartungen der Finanzmärkte, die somit gerade auch die „Realwirtschaft“ in prekärer Weise mit antreibt. Das fiktive Kapital begattet sich fröhlich selbst, und schlittert gerade deshalb in die Krise.

In diesem Kapitel wurden auf einer konkreteren Ebene als im Vorangegangenen die Möglichkeiten einer Krise bestimmt. Denn gerade der um sich greifende Neoliberalismus der letzten 30 Jahre hat erst die Möglichkeit der heutigen Finanzkrise geschaffen. Dabei sind die jetzige Finanzialisierung und die Globalisierung des Kapitals –auch dies sollte hier klar geworden sein- keineswegs den Machinationen einiger StaatenlenkerInnen oder zwielichtiger Gestalten entsprungen. Vielmehr lässt sich diese Entwicklung aus dem Ausbrennen der fordistischen Dynamik, und dem darauf folgenden „profit squeeze“ samt großer Menge brachliegenden Kapitals heraus erklären. Dass eine solche Erklärung der jetzigen Krise, und der allgemeinen Krisenanfälligkeit des Kapitals, aus den Machinationen einiger immer falsch ist und ungewollte Konsequenzen zeitigen kann, ja dass eine solche potenziell sogar antisemitische Implikationen enthält, dies soll im nächsten und letzten Kapitel noch dargelegt werden.

Schluss – Von falscher und richtiger Kritik  

Der Staat wie die BürgerInnen selbst sind im Rahmen der Krise behänd dabei Schuldige auszumachen. Ein Topos, das angrenzend immer wiederkehrt, ist die angebliche „Gier“ der ManagerInnen, die einfach nur –koste es was es wolle- Geld in den Schlund der Finanzwirtschaft reißen wollten. Die bürgerliche Presse gibt sich dabei schon distinguierter und spricht von einer „Vertrauenskrise“. Nun hat zweitere Analyse zumindest ein wahres Moment. Wie bereits herausgearbeitet worden ist, ist das allgemeine Kainsmal einer kapitalistischen Krise die fehlende Liquidität. Banken trauen einander nicht mehr; sie schrecken davor zurück sich und anderen Geld zu leihen, und dementsprechend wird der Kredit knapp – dies könnte eins schon Vertrauenskrise nennen. Das Problem ist nur, dass die Analyse zumeist hier auch schon endet, und der Zusammenhang zur Akkumulation des Kapitals nicht gesehen wird. Die inhärente Krisenhaftigkeit des Kapitals und des Finanzüberbaus in potenzierter Form wird auch in dieser Analyse auf das Fehlverhalten einiger Wirtschaftskapitäne und deren verlängerten Armen in den Regierungen(zumeist das Bush-Regime) reduziert. In diesem Punkt trifft diese zum Teil richtige Kritik auch die resentimenthafte  an der Gier der ManagerInnen. Beide machen letztendlich das voraussetzungslos gedachte  Handeln einzelner Menschen und deren Fehlverhalten –Gier- als Grund der Krise aus.

Nun wurde schon in der Einleitung zu diesem Text betont, dass Marx das zinstragende Kapital, und Selbiges gilt auch für das Finanzkapital, als „äußerlichste und fetischartigste Form“ (Marx 1965, MEW 25; 404) des Kapitals beschrieben hat. Der bornierte Zweck der kapitalistischen Produktionsweise, die Plusmacherei, drückt sich in diesem in reinster Form aus: G-G´. Geld scheint aus sich selbst heraus ohne die Dazwischenkunft menschlicher Hände oder Arbeit mehr Geld zu gebären. „Das gesellschaftliche Verhältnis ist vollendet als Verhältnis eines Dings, des Geldes zu sich selbst(...). Es wird ganz so Eigenschaft des Geldes, Wert zu schaffen, Zins abzuwerfen, wie die eines Birnbaumes, Birnen zu tragen“ (Marx 1965, MEW 25; 405, siehe auch 822ff.). In dieser fetischisierten Wahrnehmung der Leute hat Geld aus sich heraus die Eigenschaft, mehr Geld zu schaffen – quasi als Naturverhältnis; einem Birnbaum gleich. Dabei wird die Vermittlung zwischen Zins und Kapitalverhältnis vollends ausgeblendet. Diese Auslassung lässt leicht einen Teil des verzwickten Zusammenhangs sodann –den Zins- als das Böse erscheinen, und dem produktiven „Realkapital“, das Güter schaffe, gegenüberstellen. Kulminiert ist diese Vorstellung in der von den Nazis vorgenommenen Trennung zwischen vermeintlich produktivem schaffendem und unproduktivem raffendem Kapital. Dabei fällt aber völlig unter den Tisch, dass auch der Zweck der güterproduzierenden Industrien keineswegs die Bedürfnisbefriedigung der Menschleins ist. Ihr Zweck ist nämlich ebenso, aus Geld mehr Geld zu machen. Auch die „Realwirtschaft“ möchte die wundersame Vermehrung G-G´ durchführen, auch wenn hier noch die wertschaffende Ware Arbeitskraft als W im Produktionsprozess dazwischentritt. Wie aber bereits gezeigt, ist der Kredit eben als Schmiermittel und Transmissionsriemen gerade ebendieser „Realwirtschaft“ in einer ausgebildeten kapitalistischen Gesellschaft eine conditio sine qua non. „Realwirtschaft“ wie auch Finanzüberbau sind bis ins Kleinste ineinander verzahnt, und können eigentlich so gar nicht ohne einander.

Die Unterscheidung in produktives und unproduktives Kapital ist nun aber historisch auch ganz klar konnotiert. Denn das schaffende Kapital war in der Nazidiktion immer „arisch“ und das Raffende galt als jüdisch. Hier findet also eine prinzipielle –biologistisch zugeordnete- Personifizierung gesellschaftlicher Verhältnisse statt. Eine notwendige Eigenschaft der kapitalistischen Produktionsweise –das Zinssystem- wurde den Jüdinnen und Juden als Charaktereigenschaft, als Zeichen ihrer Gier und ihren Wuchers, zugeschrieben (vgl. Kurz 2005; 342ff.). Diese Zuschreibung an Jüdinnen und Juden hat geschichtlich gesehen ihren Ursprung im christlichen Antijudaismus und dem damaligen Zinsverbot für ChristInnen (vgl. Weiss 1996). Seither hat sich diese Ideologie zum modernen Antisemitismus weiterentwickelt, welcher gerade eben insbesondere auf der Identifizierung der Jüdinnen und Juden mit der Geldsphäre und dem Zins fußt (vgl. dazu Postone 2005, insbesondere 182ff.). Wenn nun also heute wieder von der Gier der ManagerInnen und FinanzjongleurInnen oder Heuschrecken gesprochen wird, so kann hier mit einigen Abstrichen von strukturellem Antisemitismus gesprochen werden. Denn auch hier findet die Personifizierung des Kapitalverhältnisses in den ManagerInnen selbst statt. Ihnen werden ganz bestimmte Charaktereigenschaften zugeschrieben (Gier), und ihrem –vorausetzungslos gedachten- unersättlichen Willen nach immer mehr scheint die Krise zu entspringen. Von Jüdinnen und Juden ist hier zwar nicht mehr die Rede, dennoch gibt es –gerade auch in postnazistischen Ländern- ein diskursives Band, welches ein solches Sprech an die tief im kollektiven Gedächtnis eingesunkene Vorstellung der „Geldjuden“ bindet. Gleichsam ist diese Form der Kritik nicht tutto completto als antisemitisch zu denunzieren, vielmehr geht es darum zu zeigen, dass sie den Kern des Kapitalverhältnisses verfehlt, dieses allenthalben also falsch bestimmt. Darüber hinaus bietet diese Art der Kritik eben genau Andockstellen an eine offen antisemitische Form des Ressentiments, welche sich gerade in Krisenzeiten immer wieder bemerkbar macht.  

Die in diesem Text gebrachten Argumente sollten aber gerade vor einer solchen Form der Kritik bewahren. Denn in den diesem vorangegangenen zwei Kapiteln ging es ja gerade darum zu zeigen, dass das Kapitalverhältnis aus sich heraus krisenanfällig ist, und dass die seit knapp 30 Jahren zu beobachtende Finanzialisierung des Kapitalismus samt ihrer Krisendynamik aus dem Akkumulationstrieb und der Akkumulationstendenz desselbigen erklärbar ist. Eine Kritik am Kapitalverhältnis dürfte also gerade nicht in Attac-Manier auf den Finanzsektor oder das Finanzkapital alleinig sich beschränken. Vielmehr herrscht ja auch in der drögen „Realwirtschaft“ das Prinzip der Plusmacherei vor, und die Abgemeierten, rein als Kostenfaktor geltenden, sind weiterhin die ArbeiterInnen. Wer also keine kapitalistische Krisen mehr will, muss auch mit dem Normalbetrieb des Kapitalismus -theoretisch wie praktisch- brechen. Diese gehören nämlich zu jenem wie die Birnen zum Birnbaum, und dieser ist auch in besagtem Normalbetrieb, jenseits der immer drohenden Krise, für Erde und ArbeiterIn eine ziemlich ungemütliche, ja eigentlich verheerende, Veranstaltung.[13] 

Literatur 

Brenner, Robert (1998): The Economics of Global Turbulence. A Special Report on the World Economy, 1950-98, New Left Review 229/1998 

Decker, Peter (2008): Ehrenwerte Geschäfte. Was der Kollaps des Finanzsystems über den Reichtum der kapitalistischen Nation lehrt,  veröffentlicht auf: http://www.jungewelt.de/2008/09-29/027.php (zuletzt besucht am 9.11.08) 

Gerstenberger, Heide (2008): Staatsgewalt im globalen Kapitalismus, In: Grundrisse. Zeitschrift für linke Theorie und Debatte 27/2008, S. 8-17 

Heinrich, Michael (2004): Kritik der politischen Ökonomie. Eine Einführung, Schmetterling-Verlag, Stuttgart 

Heinrich, Michael (2008): Der Bürger bürgt, veröffentlicht auf: http://jungle-world.com/artikel/2008/43/27220.html (zuletzt besucht am 8.11.08) 

Hilferding, Rudolf (1968): Das Finanzkapital. Eine Studie über die jüngste Entwicklung des Kapitalismus, Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt/Main 

Hirsch, Joachim (2005): Materialistische Staatstheorie. Transformationsprozesse des kapitalistischen Staatensystems, VSA-Verlag, Hamburg 

Hirsch, Joachim (2008): Weltwirtschaftskrise 2.0 oder der Zusammenbruch des neoliberalen Finanzkapitalismus, veröffentlicht auf: http://links-netz.de/K_texte/K_hirsch_finanzkrise.html  (zuletzt besucht am 8.11.08) 

Huffschmid, Jörg (2002): Politische Ökonomie der Finanzmärkte, VSA-Verlag, Hamburg 

Marx, Karl (1963): Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, Band II, MEW 24, Dietz Verlag, Berlin/Ost 

Marx, Karl (1965): Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, Band III, MEW 25, Dietz Verlag, Berlin/Ost 

Marx, Karl (2005): Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, Band I, MEW 23, Dietz Verlag , Berlin,  

Kurz, Robert(1999). Schwarzbuch Kapitalismus. Ein Abgesang auf die Marktwirtschaft, Eichborn, Frankfurt/Main 

Kurz, Robert(2005): Das Weltkapital. Globalisierung und innere Schranke des modernen warenproduzierenden Systems, Edition TIAMAT, Berlin 

Kurz, Robert (2008a): Interview mit der brasilianischen Internet-Zeitschrift „IHU-Online“, veröffentlicht auf: http://www.exit-online.org(zuletzt besucht am 8.11.08) 

Kurz, Robert (2008b): Der Einsatz steigt, veröffentlicht auf: http://www.freitag.de/2008/43/08430101.php (zuletzt besucht am 9.11.08) 

Lohoff, Ernst (2008): Finanzmarktsozialismus, veröffentlicht auf: http://www.balzix.de/el%20Finanzmarkt-Homepageversion.html (zuletzt besucht am 9.11.08) 

Postone Moishe (2005): Antisemitismus und Nationalsozialismus, In: Ders.: Deutschland die Linke und der Holocaust, Ca-Ira, Freiburg i. Br. S. 165-195

Weiss, John (1997): Das christliche Erbe, In: Ders.: Der lange Weg zum Holocaust: die Geschichte der Judenfeindschaft in Deutschland und Österreich, Campe, Hamburg, S. 17-39

Anmerkungen

[1] Da die jetzige Krise ja noch voll im Schwange ist, sei hier alleinig auf eine Anzahl bisher im Internet veröffentlichter Analysen derselben verwiesen. Diese wären, unter vielen anderen Decker 2008, Heinrich 2008, Hirsch 2008, Kurz 2008a und b, sowie Lohoff 2008.

[2] Das Geld als „allgemeines Äquivalent“ (vgl. Marx, 2005, MEW 23, 64ff.) stellt ein Real-Paradoxon sondergleichen dar. Denn in ihm erscheint das Allgemein-Abstrakte in dinglicher Form wirklich. Alle Dinge stellen sich in diesem einen dar; ja dieses Eine –das Geld- ist die dingliche Quintessenz aller Dinge. Marx bringt in der Erstausgabe des ersten Bandes des Kapitals aus dem Jahre 1867 ein instruktives Beispiel zum Real-Paradoxon des Geldes: „Es ist als ob neben und außer Löwen, Tigern, Hasen und allen anderen wirklichen Thieren, die gruppirt die verschiedenen Geschlechter, Arten, Unterarten, Familien u.s.w. des Thierreichs bilden, auch noch das Thier existierte, die individuelle Incarnation des ganzen Thierreichs“ (zit. nach Heinrich 2004; 76, Rechtschreibung und Hervorhebung i. O.).

[3] Robert Kurz betont in einem erst kürzlich gegeben Interview(vgl. Kurz 2008a) zur momentanen Finanzkrise, dass es gerade eines der Hauptmankos der bürgerlich-positivistischen Wirtschaftswissenschaft darstellt, dass sie die Geldform nicht zu begreifen vermag, und immer nur in der Lage ist vom „Geldschleier“ oder Ähnlichem zu sprechen: „Die bürgerliche Ökonomie sowohl der Klassik als auch der Neoklassik geht kontrafaktisch von einer reinen Güterwirtschaft und von naturalen Tauschbeziehungen der Marktsubjekte aus. Sie abstrahiert vom Geld und spricht vom „Geldschleier“ über den „eigentlichen“ ökonomischen Transaktionen. Das Geld erscheint dabei als bloßes Zeichen ohne eigenen Gehalt, als juristisches Konstrukt aufgrund einer gesellschaftlichen Vereinbarung oder aufgrund staatlicher Verordnung. Damit die Ökonomie funktioniert, komme es nur darauf an, die Geldmenge der Gütermenge anzupassen (Quantitätstheorie)“ (Kurz 2008a).

[4] „Der ständige Händewechsel von Ware und Geld macht diese Transaktionen schwerfällig, und je stärker sich die Warenproduktion ausdehnt, desto mehr wird sie von der Notwendigkeit des Bargelds als Zahlungsmittel behindert. Aus diesem Problem heraus hat sich das papierene Zahlungsversprechen, der (zeitlich befristete) Wechsel entwickelt bzw. wurde kapitalistisch adaptiert“ (Kurz 2005; 248).

[5] Marx selbst hat in gewissem Überschwang, das kann heute wohl gesagt werden, die Aktiengesellschaft als „Aufhebung der kapitalistischen Privatindustrie auf Grundlage des kapitalistischen Systems selbst“ (Marx 1965, MEW 25; 454) bezeichnet.

[6] Nun hat sich das Aktienwesen in den letzten Jahrzehnten quasi selbst begattet, und immer neuere sog. Derivate hervorgebracht. Diese, als Futures, Swaps oder dergleichen bekannte, Ansprüche auf Ansprüche sind nichts weiter als eine allgemeine Potenzierung des fiktiven Charakters dieser Form des Kapitals. „Die ´Innovationen, die in den letzen Jahrzehnten an den internationalen Finanzmärkten stattgefunden haben(vor allem die sog. Derivate) bestehen vor allem in der Erfindung immer neuer Arten von handelbaren Ansprüchen, also immer neuen Formen fiktiven Kapitals“ (Heinrich 2004; 164, Fn. 52).

[7] Huffschmid (2004; 163) gibt noch eine vollständigere Auflistung der verschiedenen Krisen der letzten 25 Jahre. Und Joachim Hirsch hat in der Debatte um die aktuelle Finanzkrise, angemerkt, dass die Halbwertszeit von Prosperitätsphasen immer kürzer zu werden scheint: „Von der großen Depression in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts bis zur ersten Weltwirtschaftskrise des zwanzigsten dauerte es über fünfzig Jahre. Der darauf folgende Fordismus währte bis Mitte der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts, also nur noch knapp fünf Jahrzehnte. Auf seine Krise folgte die als Globalisierung bezeichnete Etablierung des neoliberalen Finanzkapitalismus, auch Postfordismus genannt. Der ist nun, etwas über dreißig Jahre später, ebenfalls am Ende und wieder verschieben sich damit die globalen ökonomischen und politischen Machtverhältnisse“ ( Hirsch 2008)

[8] Was natürlich nicht heißt, dass die Ausbeutung damit verringert worden wäre. Gerade die Rate der Ausbeutung kann sich erhöhen auch wenn die Löhne steigen. Es kommt immer darauf an in welchem Verhältnis steigende Löhne zur gesteigerten Exploitation stehen (vgl. MEW 25; 87ff.).

[9] Siehe Marx: „Die Entdeckung der Gold- und Silberländer in Amerika, die Ausrottung, Versklavung und Vergrabung der eingebornen Bevölkerung in die Bergwerke, die beginnende Eroberung und Ausplünderung von Ostindien, die Verwandlung von Afrika in ein Geheg zur Handelsjagd auf Schwarzhäute, bezeichnen die Morgenröte der kapitalistischen Produktionsära. Diese idyllischen Prozesse sind Hauptmomente der ursprünglichen Akkumulation. Auf dem Fuß folgt der Handelskrieg der europäischen Nationen, mit dem Erdrund als Schauplatz“ (Marx 2005, MEW 23; 779).

[10] Robert Brenner betont in seiner umfassenden und beeindruckenden Studie(Brenner 1998) zum Fordismus und dessen Ende, dass die USA sich mit dieser Taktik ihre eigenen ökonomischen Konkurrenten geschaffen haben. Im Rahmen des kalten Krieges hatte aber der Wiederaufbau besagter Ökonomien Vorrang, sodass diese ja nicht in die Einflusszonen der Sowjetunion fielen (vgl. z.B. Brenner 1998; 43ff.).

[11] Auch heute wird oft noch argumentiert, dass nicht die immanente Krisendynamik des Kapitals selbst die Krise des Fordismus ausgelöst hätte, sondern der externe –politisch induzierte- Effekt des Ölpreisschocks 1973.  Dieser hatte zwar verstärkende und katalysierende Wirkung auf die Krise, kann aber keineswegs als ihr Auslöser betrachtet werden, da sich die Profitraten schon zeitlich weit früher, nämlich ab 1965, im Sinkflug befanden (vgl. Brenner 1998; 93ff., sowie 145ff.). Der Ölpreisschock selbst und Widerstände der ArbeiterInnen waren dabei weitere Katalysatoren der strukturell immanenten Krisendynamik. So argumentiert auch Robert Brenner, „that the rise of working-class resistance in the three economies[gemeint sind die damals führenden Nationen im Weltmarktzusammenhang: die USA, Japan und West-Deutschland; Anm. G.G] in this period was more a consequence than a cause of the problems of profitability“ (Brenner 1998; 94)

[12] Für Robert Kurz ist die Finanzblasenökonomie ein Anzeichen für die finale Krise des Kapitalismus selbst. Dies deshalb, da –vereinfacht gesagt- durch die Produktivitätsschübe der dritten industriellen Revolution die Mehrwertmasse absolut sinke, und immer mehr menschliche Arbeit –die einzige Quelle der Wertschöpfung- aus dem unmittelbaren Produktionsprozess hinausgedrängt würde (vgl. z.B. Kurzens Behandlung des fiktiven Kapitals in Kurz 2005 261ff.).  Kurz (2005) bringt dafür auch einiges an Argumenten; auf diese kann hier aber nicht gesondert eingegangen werden, weil es dafür einer kompletten Rekapitulation der Marxschen Wertformanalyse (vgl. Marx 2005, MEW 23; 56ff.) bedürfte.

[13] Dieser Satz ist natürlich eine Anspielung auf das folgende sehr bekannte Zitat aus dem ersten Band des Kapitals: „Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter“(Marx 2005, MEW 23; 529f.).

Editorische Anmerkungen

Den Text  erhielten wir vom Autor zur Veröffentlichung. Georg Gangl schreibt auch für "EXIT"