Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Beim Front National herrscht:
LE GRAND SAUSTALL

12/08

trend
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Harte Zeiten, harte Zeiten: Jetzt muss die (französische) extreme Rechte schon im Ausland nach Bewundernswertem suchen. Oder nach Erfolgrezepten, die zu funktionieren scheinen. So klagt „Denis“, der Betreiber der rechtsextremen Homepage „France42.info“ (eine Webpage, die ursprünglich dem MNR von Bruno Mégret im Département Nummer 42 – Loire – zugehörte, aber seit einigen Monaten zu politischen Parteien auf Distanz ging und für eine überparteiliche „Einigung der nationalen Rechten“ eintritt) bitterlich: „Warum kommt die Nationale Rechte überall in Europa voran? Und warum macht sie in Frankreich Rückschritte?“ Ja, warum nur? Heul, flenn...

Auf die Frage, die er in einem Eintrag auf seinem Blog vom 30. November 2008 aufwarf, gibt der unermüdliche Aktivist „Denis“ – dessen Texte wie üblich von französischen Rechtschreibfehlern nur so wimmeln, ausnahmslos jeder Satz ist damit gespickt – auch eine Antwort. Sie lautet: „Aufgrund ihrer Uneinigkeit, natürlich. Aber auch weil viele ihrer Köpfe sehr <politisch korrekt> geworden sind. Sie wagen nicht mehr laut auszusprechen, was die Franzosen leise denken.“ Gut, OK, es möge ja gewisse Gesetze – solche $zur Strafbarkeit von Rassismus oder Antisemitismus dürften gemeint sein – geben, die ein freies Aussprechen der fraglichen Ideen mitunter verhinderten. Aber, fährt „Denis“ fort, „manchmal ist es nötig, Risiken einzugehen. Die Anführer der Europäischen, vor allem aber der Deutschen, Dänischen und Italienischen Nationalen Rechten (Anm.: Grobschreibung im Original) stören sich nicht daran. Ihre Äuberungen über die Islamisierung lösen wahrhafte Skandale aus, und sie gewinnen dabei am Ende.“ 

Ausländische Modelle „en vogue“... 

Dabei dürfte „Denis“ sich wohl wiederum zum Teil in Illusionen wiegen, da er (neben der norditalienischen Lega Nord, die sich tatsächlich im Aufschwung befindet und in Rom in der Regierung sitzt, und den „Rechtspopulisten“ von Dänemarks „Volkspartei“ DFP) offenkundig auch an die verkorkste Gurkentruppe von „Pro Köln“ gedacht hat. Aber das Klagelied, das er anstimmt, widerspiegelt symptomhaft den derzeitigen Zustand der extremen Rechten in Frankreich.  

Auch der „rechtsintellektuelle“ Think Tank des ‚Club de l’Horloge’ setzt zur selben Zeit auf ausländischen Erfolgsrezepte: Anlässlich seiner kommenden „Jahresuniversität“, die am 6. und 7. Dezember 2008 im neunen Pariser Bezirk stattfindet (in anderen Organisationen gibt es „Sommerakademenien“...), wird der illustre Club zum Thema „Der Populismus, Lösung für ein Europa in der Krise“ beraten. Als Referenten eingeladen sind u.a. ein namentlich noch nicht genannter Abgeordneter des österreichischen Parlaments, der Vlaams Belang-Spitzenpolitiker Franck Vanecke sowie der – von seinem Auftritt in Köln am 20. September dieses Jahres auch dem deutschen Antifapublikum bekannte - Senator der Lega Nord, Mario Borghezio. Unter den geladenen Gästen auf dem Podium befindet sich, laut Programmankündigung, kein aktiver französischer Parteipolitiker. Allerdings tauchen zwei ehemalige Parteiaktivisten auf, die derzeit auberhalb von Parteistrukturen an der ideologischen Aufrüstung der extremen Rechten arbeiten: nämlich der Ultrakatholik Bernard Antony (früher FN, seit 2006 nicht mehr dort aktiv) sowie der aus der eher neuheidnischen ‚Neuen Rechten’ kommende Jean-Yves Le Gallou (früher FN, dann seit der Spaltung 1999 „Nummer Zwei“ des MNR, jetzt an der Spitze seiner Stiftung „Polemia“). 

Was ist kaputt? 

Dies alles widerspiegelt, neben anderen Krisenphänomenen, den aktuellen Zustand der parteiförmig organisierten extremen Rechten in Frankreich. Der oben zitierte „Denis“ macht übrigens überwiegend die Aufsteigerin des Jahres und Cheftochter Marine Le Pen – Anwärterin auf die Präsidentschaft des Front National (FN) ab dem angekündigten Rückzug ihres Vaters Jean-Marie Le Pen aus der aktiven Politik, im Jahr 2010 – dafür verantwortlich. Stellt er doch seinen Artikel unter die Überschrift „Der FN wird nicht zur Ruhe kommen, so lange Marine Le Pen dort die Herrin ist.“ Ihr gilt auch, zuvörderst, der von dem Blog-Betreiber erhobene Vorwurf einer Verwässerung und Aufweichung ideologischer Positionen: Solcher „Softcore“positionen wird Marine Le Pen auch von als „Dissidenten“ auftretenden Strömungen innerhalb des FN inzwischen regelmäbig verdächtigt. Auch wenn sie sich in jüngerer Zeit reichlich Mühe gibt, das gesamte Spektrum der extremen Rechten abzudecken, und sich deswegen schon auch mal wie im Juni 2008 auf einer neuheidnischen „Sonnenwendfeier“ blicken lässt.  

„Denis“ jedenfalls sieht nur zwei Möglichkeiten für die nähere „Zukunft der nationalen Rechten“, wie er in einem anderen Beitrag vom 22. November 2008 ausführte: Entweder die unterschiedlichen Komponenten der „Nationalen Rechten“ auberhalb des FN (d.h. Gruppierungen wie der MNR, die am 1. Juni 2008 gegründete Sammelbewegung für FN-Absplitterungen Nouvelle Droite Populaire/NDP, aber auch die Rechtskatholiken unter Philippe de Villiers) schlössen sich vor der nächsten Präsidentschaftswahl ohne den FN zusammen – oder aber „die Mitglieder des FN kippen Marine Le Pen und platzieren einen <Nicht-Marinisten> an der Spitze“. Im letzteren Falle werde eine umfassende Allianz der gesamten „nationalen Rechten“ wieder möglich.  

Allerdings dürften in Wirklichkeit beide Optionen im Augenblick illusorisch sein bzw. nur geringen Erfolg respektive (im ersteren Falle) „Masseneinfluss“ versprechen. Beim breiten Publikum der extremen Rechten zieht noch immer der Titel „Le Pen“ respektive der Parteiname des FN, auch wenn die Partei sich zur Zeit voll in der Krise befindet und ihr die Wähler/innen zumindest momentan weglaufen. Noch vor der jüngsten Zuspitzung der innerparteilichen Krise beim FN, die ab Mitte November 2008 einsetzte, zitierte die Pariser Abendzeitung ‚Le Monde’ vom 31. Oktober eine Umfrage im Hinblick auf die kommende  Europaparlamentswahl im Juni 2009.  

Demnach hätten zu dem Zeitpunkt, vor Ausbruch des innerparteilichen „Bebens“, 6 Prozent für eine Liste des FN gestimmt, jedoch 8,5 Prozent für eine „souveränistische“ (= EU-skeptische) Liste des Nationalkonservativen Philippe de Villiers. Zusammenschlüsse kleinerer Gruppen auf der extremen Rechten dürften da nur quantitativ geringfügige „Abschürfungen“ des Wählerpotenzials eines nationalistischen Gesamtspektrums bewerkstelligen.  (Es sei denn, Philippe de Villiers selbst zöge dabei mit. Doch mit offen rechtsradikalen Splitterparteien dürfte der konservative Graf sich derzeit wohl kaum belasten, vielmehr befindet er sich mit Nicolas Sarkozys Regierungslager mitten in Verhandlungen über ein – erklärtes oder unerklärtes – Bündnis inklusive Aufteilung der wahlpolitischen Rollen. Sarkozy und de Villiers haben sich am 27. Oktober, auf Einladung des Präsidenten hin, „diskret“ im Elysée-Palast getroffen.) 

Chaostruppe FN 

Seit dem 13. November ist es nun quasi amtlich: Es wird nicht nur konkurrierende Listen zu denen des Front National (FN) bei den kommenden Europaparlamentswahlen geben, die aus der französischen extremen Rechten hervorgingen. Sie werden auch mit prominenten „Abweichlern“ aus den Reihen des FN bestückt sein. 

Nach einigem Hin & Her und tagelangem Zögern gab Carl Lang, der frühere Generalsekretär des FN - der im Oktober 2005 von diesem Amt zurücktrat - es an jenem Donnerstag bekannt: Er wird eine rivalisierende Liste zu der des FN anführen. Bisher plante die Parteiführung, ihn als „Nummer Zwei“ auf der Liste in der Großregion Nord-Nordwest - hinter Marine Le Pen als Spitzenkandidatin - antreten zu lassen. Dies verweigert Carl Lang nun jedoch klipp und klar, mit den Worten, er setze „keinerlei Vertrauen, weder politischer noch technischer noch menschlicher Natur“ in die Tochter des FN-Chefs Jean-Marie Le Pen. Damit hat er wohl zweifellos den Rubikon überschritten. Noch ist er nicht aus dem FN ausgeschlossen worden. Aber dies dürfte nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen. 

Zuvor hatte bereits (im Oktober) Jean-Claude Martinez, bisheriger Spitzenkader des FN in Montpellier, die Aufstellung einer eigenen Liste unter dem Namen „Haus der Freiheit und des Lebens“ ((sic) zur Europaparlamentswahl angekündigt. Auch er hatte es verweigert, einem der Köpfe der „Modernisierer“-Generation in der Partei – dem jungen Generalsekretär des FN, Louis Aliot, der „Cheftochter“ Marine Le Pen nahe steht – als Spitzenkandidat Platz zu machen und auf Listenplatz Nummer Zwei hinter ihm anzutreten. 

Nun hat also auch Carl Lang den Absprung gewagt und angekündigt, zur Wahl am 7. Juni 2009 eine eigene Liste im Superwahlkreis Nord/Nordwest gegen die offizielle Kandidatenliste des FN aufzustellen. Der blonde 51jährige hatte von 1988 bis 1995 und abermals von 1999 (nach  der damaligen Spaltung der Partei in Le Pen- und Mégret-Anhänger) bis zu seinem Rücktritt vom Amt im Oktober 2005 als Generalsekretär und „Nummer Drei“ firmiert. Einstmals hatte Jean-Marie Le Pen den – damals – jungen Mann, der fast seine gesamte berufliche Karriere beim FN absolvierte (auch wenn er dereinst als Kinesitherapeut anfing, dann freilich mit 29 Jahren in die hauptberufliche Politik überwechselte), als einen Musterschüler und „unseren Besten“ betrachtet. Das war jedenfalls so, bevor der alternde Chef unbedingt seiner Tochter den Weg an die Spitze ebnen wollte. Nunmehr wirft Lang ihm vor, die Partei gehe von der ‚Préférence nationale’ (Forderung nach „Bevorzugung der Staatsbürger“, auf allen Ebenen, gegenüber Ausländer/inne/n) in ihrem Programm zur ‚préférence familiale’ (Bevorzugung der eigenen Familienmitglieder) über. Diese steht aber nicht im Programm... Einen ähnlichen Vorwurf hatte Ende Oktober der, nunmehr gleichzeitig mit Lang „vom Dienst an der Partei suspendierte“, Jean-Claude Martinez erhoben: Mit den Le Pen, Vaters und Tochter, drohe Politik „zum geschlossenen Familientreffen“ (‚une sorte de huis-clos familial’) zu werden. (Vgl. http://www.rue89.com/

Aber der Hauptvorwurf ist klar ideologischer Natur: Marine Le Pen, so warnt der sich gern zum „Hüter des Programms“ aufschwingende Carl Lang (FUSSNOTE NUMMER 1), biete aufgrund ihrer starken Ausrichtung auf die Medien keine Gewähr für „die Fähigkeit, der Diabolisierung trotzen und in der Stunde der Prüfung zusammenhalten zu können“. Durch diese Worte spielt Carl Lang offen auf die Episode im Januar 2005 an, als Marine Le Pen infolge eines Interviews ihres Vaters mit dem altfaschistischen Wochenblatt ‚Rivarol’ – das auch innerhalb des FN umstrittenen und vielfach als „unnütze Provokation“ betrachtet wurde, und ansonsten einen Proteststurm auslöste – auf Distanz zum alten Chef ging. In dem Interview (dessen gerichtliches Nachspiel zur Zeit stattfindet und noch nicht durch alle Instanzen hindurch abgeschlossen ist) hatte Le Pen – Vater – davon gesprochen, die deutsche Besatzung in Frankreich sei „nicht besonders inhuman“ gewesen. Daraufhin hatte Marine Le Pen, die eifrig an der „Modernisierung“ der Partei arbeitete, sich für einige Monate aus allen Instanzen der Partei zurückzogen, bevor sie wieder auftauchte und aktiv weitermachte. Dies erhebt Carl Lang ihr nun in dem Schreiben „an die Aktivisten des FN“, das am 21. November „exklusiv“ auf der neofaschistischen Website ‚Novopress’ (eine Art rechtsradikales Gegen-Indymedia, steht der aktivistischen Strömung der ‚Identitaires’ nahe) veröffentlicht wurde, zum Vorwurf. 

Das Antwortschreiben Marine Le Pens wiederum wurde am 24. November ebenfalls durch ‚Novopress’ publiziert. Darin erinnert sie u.a. daran, dass auch Carl Lang damals, Anfang 2005, eine gewisse persönliche Distanzierung zu den oben zitierten Auslassungen des Chefs habe erkennen lassen. (Damals war die Mehrzahl der Kader der Auffassung, es bringe nichts, mit Sprüchen zur „Geschichte“ zu provozieren und dadurch bereits verlorene Schlachten noch einmal zu schlagen; die Propaganda müsse sich vielmehr auf die Gegenwart konzentrieren.) Zudem richtet Marine Le Pen an Carl Lang den Vorwurf, er betreibe nur – oder nur noch - aus Gründen der Selbstversorgung Politik. Und er sei lediglich sauer, weil er sich durch den vorgeschlagenen zweiten Listenplatz (hinter Marine Le Pen) im Superwahlkreis Nord/Nordwest nicht sicher sei, wieder ins Europaparlament einzuziehen, um so finanziell aus dem Schneider zu sein. Schon Jean-Marie Le Pen hatte einige Tage zuvor, in einem „Brief an die Kader des Front National“, einen ähnlichen Vorwurf gegen Carl Lang erhoben. Und ihn auf mit der spitzen Formulierung auf den Nenner gebracht: „Ich glaubte, als ich ihn nach dem Tod Jean-Pierre Stirbois (Anm.: Amtsvorgänger, im November 1988 bei einem Autounfall tödlich verunglückt) zum Generalsekretär ernannt habe, Carl Lang sei aus jenem Stahl, aus dem man die besten Waffen schmiedet. Ich werde mir heute bewusst, dass er aus jenem Zink ist, aus dem die Fressnäpfe gebaut werden.“ (Vgl. http://www.frontnational.com) Nie um eine scharfe Formulierung verlegen, der alte Le Pen. 

Widersprüchlich dazu ist jedoch, dass Marine Le Pen in ihrem Antwortschreiben vom 24. November gleichzeitig einem Vorwurf Carl Langs widerspricht, der darauf hinausläuft, man habe ihn materiell zu korrumpieren versucht: Denn falls er den angebotenen zweiten Listenplatz (hinter Marine) annehme, so behauptete Carl Lang in seinem Offenen Brief, habe man ihm „zwei Jahre volle Bezahlung angeboten“. Unwahr, gibt Marine Le Pen zurück, man habe ihm lediglich eine „Absicherung, bis Du die Rente durch hast, und für den Fall Deiner Nichtwahl (ins Europaparlament)“ angeboten. Offenkundig wurde also schon durchaus mit materiellen Versprechen operiert. Und die „politischere“ Vorgehensweise bei dem Streit scheint jene Carl Langs gewesen zu sein. 

Eine Abspaltung formiert sich 

Lang konnte dabei offenkundig einen Gutteil der Parteifunktionäre und Aktivisten in seiner Region (Nord-Pas de Calais), und darüber hinaus in dem zur Europawahl zu bildenden „Superwahlkreis“ Nord/Nordwest, mit sich ziehen. So sind 10 (laut anderen Angaben auch 12) von insgesamt 16 bisherigen Regionalparlamentariern des FN in der nordfranzösischen Regionalhauptstadt Lille entweder ausgetreten oder jüngst ausgeschlossen worden. In der Nachbarregion Normandie, die zum selben „Superwahlkreis“ bei der EP-Wahl zählt, trat u.a. der gesamte DPS („Abteilung Schutz und Sicherheit“), also der von Kritikern oft als paramilitärisch bezeichnete Ordnerdienst, aus dem FN aus und „stellte sich Carl Lang zur Verfügung“. Die üblicherweise in blaue Blazeruniformen gekleidete Truppe, die bei „härteren“ Einsätzen schon auch mal in ausrangierten (und durch einen Laden, der vom Innenministerium beliefert wird, weiterkauften) Polizeiuniformen auftritt, zählte in der Region Normandie bislang 37 ständige Mitglieder. Nunmehr sind sie allem Anschein nach „wie ein Mann“ übergelaufen.  Gleichzeitig „verbot“ der lokale DPS-Chef Alain Taillepied es Jean-Marie Le Pen, sich künftig noch jemals „auf das vergossene Blut zu berufen“. (Denn sein Bruder?, der damals 25jährige DPS-Angehörige Steeve Taillepied, war 1994 „im Kampf für die Sache“ zu Tode gekommen; er war im Mai jenes Jahres im Anschluss an eine Veranstaltung mit Le Pen durch ein Auto überfahren worden. „Absichtlich“, wie die Anhänger der rechtsextremen Partei seither unermüdlich behaupten.) 

Von derzeit sieben amtierenden Europaparlamentariern des FN sind nun drei aus der Partei ausgetreten und drohen mit konkurrierenden Listen: Carl Lang im Norden/Nordwesten wird durch den Normannen Ferdinand de Rachinel – den früheren Drucker im Partei, der aus finanziellen Motiven mit ihre Führung im Sommer dieses Jahres im Gerichtsstreit lag – unterstützt. Und in Montpellier, also im Superwahlkreis Südwest, wird als Dritter im Bunde der Steuerrechtsprofessor und langjährige Parteivorständler Jean-Claude Martinez ebenfalls eine rivalisierende Liste aufstellen. Der 63jährige sab schon als Abgeordneter in der FN-Fraktion der französischen Nationalversammlung, die nur unter dem Verhältniswahlrecht 1986-88 existiert hat. Martinez plant auch, Verbündete in allen anderen acht Superwahlkreisen zu finden, um jeweils konkurrierende Listen aufzustellen.  

Im Südosten könnten Lang (und de Rachinel) einerseits, Martinez andererseits einen gewichtigen Verbündeten gefunden haben. Dort plant Jacques Bompard, der letzte heute noch verbliebene rechtsextreme Rathauschef in Frankreich – er ist Bürgermeister von Orange -, seinerseits eine rechtsextreme Liste in Konkurrenz zu jener des FN aufzustellen. Bompard war im September 2005 aus dem FN aus- und im November 2005 der Kleinpartei „Bewegung für Frankreich“ (MPF) des nationalkonservativen Katholiken Philippe de Villiers beigetreten. Trotz seines Übertritts zur Partei de Villiers, der sich eher als „Befestiger des rechten Rands“ dem bürgerlichen Lager und Regierungsblock anbietet, blieb Jacques Bompard jedoch weiterhin aus offen rechtsextremen Positionen. Ob sich das mit Phillippe de Villiers eigener Strategie – auch etwa im Vorfeld der Europaparlamentswahl – vertragen wird oder ob die Beiden sich dann in Quere kommen, gilt es noch abzuwarten.  

Die extreme Rechte befindet sich also in einem Umgruppierungsprozess, auch wenn nicht sicher ist, ob sich dabei wirklich starke Kräfte (auberhalb des Rumpf-FN) herausbilden. Auf Seiten der „Dissidenten“ im der nordfranzösischen Region Nord-Pas de Calais scheint ein Teil auf relativ offene rechte Bündnislisten zusteuern zu wollen. So erklärte der neue Vorsitzende des „Unterstützungskomitees“ für Carl Lang im Département Nord (um Lille), Dominique Slabolepzsy, es werde bei der Listenaufstellung „keine Feinde im rechten Lager geben, gleichgültig ob beim MNR (Anm.: Anhänger Bruno Mégrets, Abspaltung vom FN), beim MPF (Anm.: Nationalkonservative unter Philippe de Villiers), bei der Jägerpartei oder bei ‚Aufrechte Republik’ (Anm.: d.h. bei den Leuten von Nicolas Dupont-Aignan, ein Traditionsgaullist, Dissident im konservativ-liberalen Lager und EU-Kritiker in den Reihen der Bürgerlichen)“. (Vgl. http://www.lavoixdunord.fr/Locales) Hingegen wirbt eine andere „Dissidentin“ aus der nordfranzösischen Region, Marie-Paul Dachicourt, auf ihrem Blog für eine „nationale und identitäre Rechte“ (droite nationale et identitaire). Sie benutzt damit eine Begrifflichkeit, die für eine härtere politische Konzeption steht: Die aktivistische Bewegung der ‚Identitaires’ (Bloc identitaires und, als Jugendorganisation, Jeunesses identitaires wirft dem FN vor, die Ablehnung der Migranten nur an der Frage der Assimilation sowie der Staatsbürgerschaft festzumachen. Hingegen könne ein in Frankreich lebender Maghrebiner sich zwar assimilieren und/oder Franzosen werden, aber eben nicht im „identitären“ Sinne dazu gehören. Denn auch wenn der fragliche Maghrebiner die französische Staatsbürgerschaft annimmt, „wird er dadurch aber kein Okzitanier, Bretone oder Baske, und auch kein Europäer“. (Vgl. dazu Interview mit einem der Anführer des ‚Bloc identitaire’, Fabrice Robert, in der parteiübergreifenden rechtsextremen Wochenzeitung ‚Minute’ vom 05. November 2008.)

Insofern deutet sich eine politische Polarisierung zwischen zwei unterschiedlichen Polarisierungen an: eine Öffnung zu mehr oder minder klar nicht-faschistischen, bürgerlich-nationalen Kräften auf der einen Seite - zu den radikalen ‚Identitaires’, die eine rechts-fundamentaloppositionelle politische Kraft mit echter örtlicher Verankerung und Aktivität jenseits der „puren Wahlpartei“ FN aufbauen möchten, auf der anderen Seite. Ob und wie lange dieses Nebeneinander gut gehen wird, bleibt ebenfalls abzuwarten. (FUSSNOTE NUMMER 2) - Im Augenblick jedenfalls streiten die „Dissidenten“ sich noch nicht unter sich, ihr Augenmerk gilt ganz dem Konflikt mit dem harten Kern der Parteiführung (d.h. vor allem Le Pen Vater und Tochter). Dabei geht es unter Umständen ziemlich erheiternd, jedenfalls für Aubenstehende, zu. Unvergessen bleibt der Zusammenprall zwischen dem langjährigen FN-Kader Christian Baeckeroot – jetzt Vorsitzender des „nationale Unterstützungskomitees“ für Carl Lang – und dem Uralt-Militaristen Roger Holeindre, seit 35 Jahren ein Getreuer Le Pens. Originalton (Kostprobe), es spricht Christian Baeckeroot: „Du bist ein Stück Scheibe, Du bist ein Drecksack, Du bist Unrat, ich habe es schon immer gewusst!“ (Pardon, liebe Leser/innen... Vgl. http://www.frontnational.com

Treu zu Le Pen gebliebene Parteifunktionäre prophezeien den „Dissidenten“ unterdessen ihrerseits, sie würden am Schluss „bei einem Prozent enden“. Auch dies ist nicht ausgeschlossen, wenngleich ebenso wenig gesichert. (Und was, wenn dieses Mal der „offizielle“ FN auf den hinteren Plätzen enden, und durch eine seiner Abspaltungen bei den Wahlen überrundet würde? Zugegeben, das ist aufgrund der Zugkraft, die vor allem vom Namen „FN“ ausgehen dürfte, nicht der wahrscheinlichste Ausgang.)

Aber falls diese düstere Vorhersage für die „Dissidenten“ eintrifft, dann dürften ihr Abgang, das Auftauchen konkurrierender Listen und die laufenden Umgruppierungsprozesse dennoch einen erheblichen Aderlass für den FN bedeuten. Letzter ist organisatorisch noch heute von der Abspaltung der Mégret-Anhänger 1998/99 geschwächt, in deren Zug der (vormals vor allem durch die damaligen „Dissidenten“ betriebene) Versuch zur Umwandlung einer Partei mit Basisaktivitäten weitgehend aufgegeben wurde. Daraufhin wurde eine Funktion des FN als reine Wahl- und Stimmzettelpartei nunmehr durch die Restpartei überwiegend hingenommen. Auf die Dauer verspricht dies aber nicht den Aufbau einer „soliden“ Kraft, vielmehr bleibt eine solche reine Chef- und Wahlpartei krisenanfällig und von ihren (in den Medien prominenten) Führungspersönlichkeiten abhängig. – Allerdings scheinen sich auch einzelne Figuren oder Fraktionen der extremen Rechten, etwa aus der Erbmasse des weitgehend gescheiterten Parteigründungsprojekts Bruno Mégrets, auf den Rumpf-FN zu zu bewegen. So steuern die im September 2008 ausgeschlossenen Vorstandsmitglieder des MNR, rund um dessen Ex-Generalsekretär Nicolas Bay, in ihrer Struktur ‚Convergences nationales’ nun offen auf Marine Le Pen zu. Hingegen hat der kleine ‚Parti populiste’ einen Bericht der altfaschistischen Wochenzeitung ‚Rivarol’, wonach er sich ähnlich positioniere, dementiert. ‚Rivarol’ hatte am 21. November unter dem Titel „FN, von der Abspaltung zur Implosion“ über die laufenden Prozesse berichtet.  

Bruno Gollnisch vor dem Rücktritt? 

Unterdessen wird die Rumpfpartei Front National weiterhin durch Abgänge, oder drohende Abgänge, schwergewichtiger Funktionsträger erschüttert. Am Montag, 17. November hatte das „Exekutivbüro“ (die höchste Führungsinstanz des FN) Car Lang und Jean-Claude Martinez auf Antrags des Chefs hin „von ihren Mitgliedsrechten suspendiert“. Das bedeutet, dass sie sich nicht öffentlich auf ihre Mitgliedschaft beim FN berufen, dessen Namen oder Parteiprogramm nicht für ihre Zwecke benutzen dürfen; darüber soll eigens ein Anwalt wachen. Es wird jedoch kaum Unklarheit darüber gelassen, dass die nächste Etappe der Ausschluss sein wird, was nur noch eine Frage der Zeit sein dürfte. Bei der darauf folgenden Sitzung, eine Woche später, legte dann der Vorsitzende der Pariser Parteisektion – Martial Bild – sein Amt nach neun Jahren nieder. Bild war seit Jahren derjenige, der bei öffentlichen Auftritten der Partei (Aufmärsche, Versammlungen) auf der Bühne die Ankündigungen tätigen durfte. Offiziell hat sein Rücktritt aber nur „persönliche Gründe“, wie er in einer Erklärung versicherte, welche die Marinisten eilfertig auf ihrer Webpage NPI veröffentlichten, um „Schluss mit den Polemiken“ zu machen. (NPI: „Nationspresse.info“, das quasi-offizielle Verlautbarungsorgan des Lagers rund um Marine Le Pen, das zum Teil die frühere parteinahe Wochenzeitung ‚National Hebdo’ – seit dem Frühjahr 2008 bankrott – ersetzt hat.) 

Auf derselben Sitzung der obersten Instanz des FN am 24. November „bot“ allerdings auch Bruno Gollnisch, der Vizepräsident des FN mit Zuständigkeit für internationale Fragen – und theoretisch gleichberichtigte „Nummer Zwei“ neben Marine Le Pen – seinerseits seinen sofortigen Rücktritt an. Dieser wurde jedoch durch Le Pen und die versammelten Leitungsmitglieder ausgeschlagen. Gollnisch erklärte sich daraufhin bereit, sein Amt weiterhin zu führen. Es handelt sich also um eine Art Vertrauensfrage, die, nachdem er sie gestellt hatte, zunächst eine positive Antwort gefunden hat.

Allerdings hat Gollnisch, der als notorisch konfliktscheu und (gegenüber Jean-Marie Le Pen) autoritätsergeben, aber zugleich als grober Rivale seiner Tochter Marine im Ringen um den Vorsitz gilt, sich in Interviews zur Sache geäubert. Darin erklärt er mit reichlich fatalistischem Ton, er selbst sei zwar gegen rivalisierende Listen, doch Lang und Martinez seien seine Freunde. Er, Gollnisch, habe „versucht, die widerstreitenden Parteien einander anzunähern, aber vergeblich“. In Regionalzeitungen in Lyon – wo er ansässig ist – fuhr er fort, er könne „diese Kameraden (Carl Lang und Martinez) angesichts des Kontexts ihrer Kandidaturen schwerlich verurteilen“. Und er, Gollnisch, habe „eine politische Analyse, die mir von Jean-Marie und Marine Le Pen nicht in Gänze geteilt zu werden scheint“. Allerdings glaube er noch an eine „mögliche Aussöhnung“ (vgl. http://www.leprogres.fr/). An anderem Ort hatte er auf die Frage hin, ob er seine Kandidatur im Superwahlkreis „Ost“ – rund um Lyon – zur EP-Wahl auch danach aufrecht erhalte, geantwortet: „im Moment“. 

Zuvor hatten Carl Lang und Jean-Claude Martinez in ihren Abgangserklärung die momentane „Nummer Zwei“, Bruno Gollnisch, eifrig gestichelt: Lang erklärte, leider sei, falls er ausgeschlossen werde, „Gollnisch der Letzte auf der (Abschuss-) Liste“. Unglückerlicher Weise wisse er es nur noch nicht. Und Martinez hatte sich in der Öffentlichkeit laut gefragt: „Wie kann Gollnisch diesen langsamen Tod nur ertragen?“ 

Sollte Gollnisch, der jedenfalls innerhalb der eigenen Partei Konflikten notorisch ausweicht, nun doch einen Abgang (und sei es nur aus bestimmten Funktionen) vollziehen, dann bricht endgültig ein Gutteil des Apparats zusammen. Denn die innerparteilichen Opponenten gegen den Aufstieg Marine Le Pens, gerade unter den alten Aktivisten und den höherrangigen Kadern, hatten Gollnisch bislang noch als ihr „Bollwerk“ gestützt. Dies gilt vor allem für die katholischen Fundamentalisten, die lange Zeit Gollnisch unterstützten, deren Parteiflügel jedoch durch Austritte und stille Abgänge (in Richtung Nationalkonservative unter Philippe de Villiers, oder ins Lager der – momentan – Parteilosen) erheblich geschwächt worden ist. 

Alternativ aber bestünde die Möglichkeit, dass der Aufstieg der gefürchteten „Modernisiererin“ Marine Le Pen doch noch gestoppt wird. Durch einen, „kalten“ oder nicht, Putsch der alten Kader beispielsweise.  

FUSSNOTEN :

ANMERKUNG NUMERO 1: Der blonde Halbglatzenträger Carl Lang gilt seit Jahren als einer der „Orthodoxen“, also als fanatischer Verteidiger des „Parteiprogramms“ gegen jegliche Aufweichung, insbesondere in Sachen „Immigration“ respektive Rassismus. Zum Jahresende 1999 zählte er (zusammen mit Jacques Bompard, dem Bürgermeister von Orange, der seit 2005 bereits den FN verlassen hat) zu jenen führenden Kader, die Jean-Marie Le Pens damaligen Schwiegersohn Samuel Maréchal hinausekelten. Maréchal hatte zuvor programmatische Lockerungsübungen vollzogen, indem er sich öffentlich für eine Anerkennung des „multikonfessionellen“ Charakters Frankreichs aussprach. (Vgl.  http://www.antifaschistische-nachrichten.de) Carl Lang gilt zudem als „Neuheide“, was ihn freilich zum – bislang seit der Spaltung von 1999 eher dominierenden, in jüngerer Zeit aber ohnehin schrumpfenden - katholisch-fundamentalistischen Parteiflügel in Widerspruch setzt.  

ANMERKUNG NUMERO 2: Inzwischen haben sich Aktivisten anderer organisatorischer Strömungen der extremen Rechten sich positiv auf die Initiative Carl Langs bezogen. Zunächst erklärte Pierre Vial in einem Pressekommuniqué, er unterstütze die Kandidatur Langs. Vial ist einer der radikalsten „Rassen“ideologen der französischen extremen Rechten. Er kommt ursprünglich aus dem Denklaboratorium GRECE und schloss sich 1988 dem FN an, zog bei der Spaltung 1999 mit den Mégret-Anhängern aus, war aber schon kurz darauf von der Entwicklung von Bruno Mégrets neuer Partei MNR (Mouvement national républicain) enttäuscht. Als Chef des völkischen Zirkels ‚Terre et peuple’ (Volk & Erde) blieb er eine Zeitlang außerhalb der Parteien auf der extremen Rechten tätig. Nach 5 bis 6 Jahren als parteiunabhängiger Aktivist nahm er allerdings am 1. Juni 2008 in Paris am Gründungskongress der NDP (Nouvelle Droite Populaire, „Neue Rechte der kleinen Leute“) teil. 

Auch die NDP als solche hat kurz darauf selbst in einer Presseerklärung bekannt gegeben, sie unterstütze die künftig Liste unter Carl Lang als Spitzenkandidat.

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir vom Autor zur Veröffentlichung