SPÖVP-Regierung: Der Raubzug geht weiter!
Neuauflage der SPÖVP-Koalition bedeutet verschärfte Angriffe auf die Lohnabhängigen, MigrantInnen und Jugendliche
 
von Michael Pröbsting

12/08

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Nach der Bildung der SPÖVP-Koalition und der Veröffentlichung des Regierungsprogramms konnte die Tageszeitung „Die Presse“ – das Zentralorgan des österreichischen Großkapitals – zufrieden in einer Überschrift feststellen: „Der Koalitionspakt: Handschrift der ÖVP klar ersichtlich“.

In der Tat: Der ÖVP gelang es nicht nur, die SPÖ bei der Verteilung der Ministerien noch schlechter aussteigen zu lassen, als dies schon Gusenbauer vor 2 Jahren zuwege brachte. So haben die Schwarzen fast alle (!) Machtministerien in der Hand (Finanzen, Wirtschaft, Inneres, Äußeres, Justiz sowie Wissenschaft und Landwirtschaft), während die SPÖ sich mit Verteidigung, Infrastruktur, Gesundheit, Soziales, Frauen und Bildung und Kunst abspeisen ließ. Das bedeutet erstens, daß die ÖVP mit dem Finanzministerium die Budgetmittel für alle anderen Ministerien kontrolliert. Und zweitens, daß die kommenden Sparmaßnahmen im Bereich Soziales und Gesundheit von SPÖ-Ministern verwaltet werden müssen und die ÖVP auf diese Weise ihren Koalitionspartner zum Buhmann machen kann. 

Noch wichtiger jedoch sind eine Reihe von geplanten Maßnahmen, die deutlich machen, daß das Regierungsprogramm ein Programm im Dienste der herrschenden Klasse ist. Sie zeigen, daß die Faymann-SPÖ die gleiche Politik der kapitalistischen Offensive betreibt wie die Gusenbauer-SPÖ. 

Die Angriffe im Einzelnen

Unterstützungspakete für die Kapitalisten 

Das Regierungsprogramm sieht einerseits weitere Unterstützungspakete für das Kapital vor. Neben dem bereits getätigten 100 Milliarden Rettungspaket für die Banken soll es in beiden nächsten Jahren zwei weitere Konjunkturprogramme geben. Diese beinhalten u.a. die Möglichkeit für Unternehmer, Investitionen auf bewegliche Wirtschaftsgüter abschreiben zu können. Staatliche Zuschüsse soll es auch für Kapitalisten geben, die Investitionen „mit Beschäftigungseffekt“ tätigen. In Wirklichkeit bedeutet all dies, daß die Unternehmer Subventionen bekommen, die aus Steuergeldern der ArbeiterInnenklasse finanziert sind und die den Unternehmern Gewinnen einbringen. Darüberhinaus bekommen ÖBB und ASFINAG Geldspritzen für Investitionen – mit den entsprechenden daraus folgenden Aufträgen für Bauunternehmer u.a. –, wobei ÖBB und ASFINAG Mehreinnahmen durch höhere Maut und Vignittenpreis von den KonsumentInnen abzocken können. (siehe Regierungsprogramm S. 9f.) 

Steuerreform … und Abgabenerhöhung 

Die Regierung lobt sich für ihre Steuerreform. Diese enthält zwar auch geringfügige Steuersenkungen für die unteren und mittleren Schichten der ArbeiterInnenklasse (zwischen 6 und ca. 50 Euro im Monat). Einen wirklichen Treffer haben allerdings Angehörige der oberen Mittelschicht und Manager gelandet. Für jene kleine Minderheit von Gehaltsempfänger, deren Steuerbemessungsgrundlage bei jährlich zwischen 51.000 und 60.000 Euro beträgt, fällt der Grenzsteuersatz von 50% auf 43,2%. Ebenso erhöhen sich die von der Steuer absetzbaren Freibeträge für die Selbständigen. (siehe Regierungsprogramm S. 257 und 265) 

Gleichzeitig kündigt die Regierung umfassende Abgabenerhöhungen an. So soll es eine jährliche Anpassung des Mietzinses an die Inflationsrate geben (siehe Regierungsprogramm S. 121). Desweiteren heißt es im Regierungsprogramm: „Zur Abgeltung der Teuerung werden sämtliche Gebühren wie z.B. Vignette einer jährlichen Valorisierung unterzogen“ (S. 250) Mit anderen Worten: das bißchen, was die Regierung den Lohnabhängigen durch die Steuerreform gibt, holt sie sich umgehend wieder durch Abgabenerhöhungen zurück! Natürlich keine Rede davon, daß auch die Löhne und Gehälter automatisch der Inflation angepaßt werden sollen. 

Pensionen 

Zur Frage der Pensionssicherung verwenden SPÖVP eine aalglatt-unschuldige Formulierung. Sie verpflichtet sich zu einer „nachhaltigen Finanzierung des staatlichen Umlagesystems zur Erhaltung der Lebensstandardsicherung im Alter. Hiezu ist ein langfristiges Monitoring unerlässlich. (…) Klare Indikatoren für das Monitoring (z.B. Lebenserwartung, Produktivität, Einnahmen, Aufwendungen und Bundesmittel – in Prozent des BIP – einschließlich des Aufwandes für Ausgleichszulagen) sind gesetzlich festzulegen. Die Auswirkungen etwaiger Maßnahmen insbesondere Änderung beim Beitragssatz, Kontoprozentsatz, Anfallsalter, bei der Pensionsanpassung und dem Bundesbeitrag auf die Indikatoren sind zu analysieren. Zur Vergleichbarkeit auf internationaler Ebene sind Brutto- und Nettogesamtaufwendungen der Bundesmittel auszuweisen.“ (siehe Regierungsprogramm S. 165) 

In Wirklichkeit zielt dies in genau die gleiche Richtung ab wie die Pensionspläne der SPÖVP-Regierung im Sommer vor den Neuwahlen. Nur ist diesmal nicht formell eine sogenannte gesetzlich festgelegte Automatik enthalten. Ansonsten jedoch ist dies der gleiche Inhalt. 

Darüberhinaus soll die sogenannte „Hacklerregelung“ im Jahr 2013 enden und durch eine Neuregelung ersetzt werden, die – so die rosigen Worte des Regierungsprogramms – „abrupte Ende vermeidet und durch eine leistbare Regelung ersetzt.“ (S. 167) 

Gesundheitssektor 

Im Gesundheitssektor werden weitere Angriffe auf unsere Errungenschaften auf uns zukommen. Die Regierung knüpft öffentliche Zuschüsse an niedrigere Ausgaben (also Einsparen bei den Leistungen bzw. den Beschäftigten der Kassen) und höheren Einnahmen (also höhere Selbstbehalte o.ä.). So heißt es: „Die Bundesregierung bekennt sich zum schrittweisen Abbau des negativen Reinvermögens der Krankenversicherungsträger und knüpft diese an eine erbrachte oder fix vereinbarte, nachvollziehbare Dämpfung der Ausgabendynamik und neue Verteilungsmodelle unter stärkerer Berücksichtigung von Strukturfragen. (…) Die Träger haben alle Anstrengungen zu unternehmen um alle Kostendämpfungspotentiale zu realisieren. Die Bundesregierung wird die Träger durch Verbesserung der gesetzlichen Rahmenbedingungen unterstützen eine einnahmenorientierte Ausgabenpolitik zu ermöglichen.“ (siehe Regierungsprogramm S. 185) 

Die von der schwarz-blauen Regierung 2001 durchgesetzte Entmachtung der Gewerkschaften in den Sozialversicherungen bleibt damit aufrecht, was nur rhetorisch durch Floskelsätze wie „Die Bundesregierung bekennt sich zur im System der Selbstverwaltung geführten Sozialversicherung“ übertüncht wird. (siehe Regierungsprogramm S. 179) 

Stärkung des Repressionsapparates 

Ein weiterer Hammer ist die Stärkung des Repressionsapparates und seiner Befugnisse. Während überall im öffentlichen Dienst Arbeitsplätze vernichtet werden, soll es mehr PolizistInnen geben. So ist pro Jahr die Aufnahme von je 1.000 neuen Polizisten vorgesehen. 

Darüberhinaus finden sich im Regierungsprogramm bewußt unpräzise Formulierungen, die sich der Staat je nach politischem Bedarf gegen alle radikaleren Oppositionsströmungen zunutze machen kann und wird.

Die Regelungen im Umgang mit Hasspredigern werden verschärft, sodass diese auch strafbar sind, wenn sie im kleinen Kreis Aufhetzung betreiben. (…) Daher werden wir die Methoden und Werkzeuge im Kampf gegen terroristische Gefahren weiter verbessern, etwa durch:

• Die bloße Teilnahme an Terrorcamps, im In- oder Ausland, wird strafbar  (siehe Regierungsprogramm S. 92) 

Man kann getrost davon ausgehen, daß mit „Hasspredigern“ nicht rechte Hetzer wie Strache und Winter gemeint sind, sondern vielmehr Islamisten und wohl auch Linke. Und was sind „Terrorcamps“ im Inland?! Wahrscheinlich sind damit nicht paramilitärische Nazi-Lager gemeint, an denen Strache vor einiger Zeit teilnahm. 

Schließlich ist eine massive Ausweitung des Überwachungsstaates vorgesehen. So soll es die Möglichkeit für die berüchtigten „Online-Durchsuchung“ geben (siehe Regierungsprogramm S. 92). Ebenso verpflichten sich SPÖVP zur „Schaffung von gesetzlichen Regelungen über den Einsatz von Überwachungstechnologien (Videoüberwachung) - Schaffung von Standardanwendungen für gleich gelagerte Fälle (Trafiken, Juweliere etc.)“ (siehe Regierungsprogramm S. 100). Wird bald jeder Kauf einer Zeitung in der Trafik per Video überwacht?! 

Rassismus gegen MigrantInnen 

Wenig überraschend setzen SPÖ und ÖVP ihre rassistische Politik gegen MigrantInnen fort. So soll es eine „Rot-Weiß-Rote Card“ geben. Deren Hauptzweck besteht darin, den heimischen Kapitalisten jene Arbeitskräfte zuzuführen, die sich brauchen: möglichst billige und möglichst qualifizierte MigrantInnen. Damit lassen sich gerade in Zeiten der Krise die Profite erhöhen. So sollen – neben Saisonnier und ErntearbeiterInnen – v.a. MigrantInnen mit höherer Qualifikation und guten Deutschkenntnissen nach Österreich geholt werden. 

Darüberhinaus soll das Abschieben von „straffälligen“ AsylantInnen – jeder Migrant weiß, wie leicht man in diesem rassistischen Staat als kriminell verurteilt werden kann! – erleichtert werden. 

Universitäten 

Die Studiengebühren wurden zwar durch die parlamentarische Zusammenarbeit von SPÖ, FPÖ, BZÖ und Grünen zum Teil abgeschafft. Dafür müssen nun alle StudentInnen eingangs eine „Studien- und Eingangsphase“ durchmachen, nach der wohl viele von ihnen nicht mehr weiterstudieren dürfen. Nichts anderes verbirgt sich hinter der diplomatischen Formulierung: „Die Universitäten sollen verpflichtende flexible Studieneingangs- und Orientierungsphasen durchführen, als deren Ergebnis eine transparente, leistungsorientierte Feststellung der Kenntnisse für das Weiterstudieren stehen soll.“ (siehe Regierungsprogramm S. 203) 

Ebenso kann die Universitätsleitung bei Master-Studien nach freien Ermessen Zugangsbeschränkungen einführen. Dies ist ein weiterer Schritt auf dem Weg der schärferen Zugangsbeschränkungen, der 2005 eingeschlagen wurde. 

Militarismus 

Auch im Bereich des Militarismus setzt die SPÖVP-Regierung ihre bisherige Politik fort. Aufrüstung und Beteiligung an imperialistischen Kolonialabenteuern im Ausland im Interesse der herrschenden Klasse Österreichs und der EU. Das bedeutet neben der Fortführung des Ankaufs der Eurofighter auch weitere Beteiligungen an den imperialistischen Militäreinsätzen der EU oder der NATO-Struktur Partnership for Peace (PfP). 

Zu berücksichtigen sind weiters Beiträge zur Weiterentwicklung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik und die Mitwirkung an der schrittweisen Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik der EU, die zu einer gemeinsamen Verteidigung führen könnte. (…) Das Bundesheer soll dabei zum gesamten militärischen Aufgabenspektrum der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik auch nach kurzen Vorwarnzeiten beitragen können. Das betrifft auch die Wahrnehmung der Teilnahme an schnellen Krisenreaktionskräften der EU (Battle-Group-Konzept) und die Weiterentwicklung des Beitrages dazu auf Basis der Erfahrungen der für 2011 und 2012 festgelegten Teilnahmen. Eine österreichische Beteiligung an solchen Einsätzen der EU erfolgt auf Basis der einschlägigen Bestimmungen des österreichischen Verfassungsrechts unter Berücksichtigung der entsprechenden Bestimmungen im EU-Vertrag. Ein Schwerpunkt dabei ist die Erreichung des bestehenden EU-Planungsziels ("Headline Goal 2010“).

Gleichzeitig wird auf das ambitionierte Ziel hingearbeitet, kurzfristig verfügbare, strukturierte Kräfte zur Führung einer multinationalen Framework-Brigade mit Aufgaben im gesamten Spektrum der Petersberg-Aufgaben neu ins Ausland zu entsenden. Die Realisierung dieses Ziels erfolgt insbesondere unter Berücksichtigung der für Aufgaben im Inland benötigten Ressourcen.“ (siehe Regierungsprogramm S. 139f.) 

Nach der Teilnahme an dem EU-Militäreinsatz im Tschad hat der österreichische Imperialismus offenkundig Appetit auf mehr bekommen und möchte nun sogar auch Führungsaufgaben bei Auslandseinsätzen übernehmen. 

Desweiteren wird auch offen der Einsatz des Bundesheeres innerhalb Österreichs in Aussicht gestellt. „Das Bundesheer muss auch weiterhin Assistenzleistungen im Inneren erbringen können, soweit die zivilen Behörden seine Mitwirkung in Anspruch nehmen. Das kann unter den absehbaren sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen etwa zur Unterstützung sicherheitspolizeilicher Aufgaben, dem Schutz kritischer Infrastrukturen, durch Hilfestellungen bei der Bewältigung terroristischer Bedrohungen oder im Katastropheneinsatz gefordert sein.“ (siehe Regierungsprogramm S. 138f.) 

Bei den Protesten gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm in Deutschland im Juli 2007 haben wir bereits erlebt, daß die herrschende Klasse durchaus gewillt ist, das Militär im Inneren gegen ihre antikapitalistischen Feinde einzusetzen. Gut möglich, daß die österreichische Regierung ihrem deutschen Vorbild bald nacheifern wird. 

Volksabstimmungen zu EU-Fragen 

Auch wenn der Rücktritt von Außenministerin Plassnik gegenteiliges suggeriert: die SPÖVP-Regierung steht voll und ganz auf der reaktionären Linie der EU-Verfassung und der damit verbundenen Schaffung eines imperialistischen EU-Staates: „Der Vertrag von Lissabon bleibt für Österreich ein wichtiger und bewahrenswerter Schritt. Ziel ist die rasche Inkraftsetzung und Umsetzung des Vertrages.“ (siehe Regierungsprogramm S. 227.) 

In der Frage von Volksabstimmungen über Fragen der EU hat sich Faymann in die Geiselhaft der ÖVP begeben. Denn eine Volksabstimmung darf nur dann stattfinden, wenn der Koalitionspartner dem zustimmt. Mit anderen Worten: Über die EU-Verfassung darf nur dann abgestimmt, wenn die ÖVP – eine fanatische Befürworterin dieses Vertrags – dies erlaubt. 

Ganz anders hingegen in der Frage des EU-Beitritts der Türkei. Bei diesem Lieblingsthema der rassistischen Rechten erlaubt das Regierungsprogramm ohne Wenn und Aber eine Volksabstimmung: „Die österreichischen Bürger werden bei Vorliegen eines Verhandlungsergebnisses mit Beitrittsziel für die Türkei in einer Volksabstimmung das letzte Wort haben.“ (siehe Regierungsprogramm S. 227.) 

Einige Überlegungen zur Regierungsbildung 

Viele Maßnahmen, die auf uns zukommen, sind im Regierungspapier nicht konkretisiert. Darüber mokieren sich viele Zeitungskommentatoren, womit diese jedoch ihr Unverständnis wesentlicher Beweggründe der Regierung zur Schau stellen. Denn einerseits wollen SPÖVP ihre Angriffe nach dem Prinzip der Salami-Taktik Schritt für Schritt starten und nicht gleich zu Beginn einen geballten Widerstand an mehreren Fronten provozieren. Andererseits standen die beiden Parteien unter erhöhten Zeitdruck, galt es doch angesichts der begonnen schweren Wirtschaftskrise möglichst rasch „politische Stabilität“ zu gewährleisten –unter diesem Begriff des Politiker-Deutsch verstehen die bürgerlichen Kommentatoren die Etablierung einer aktionsfähigen Regierung und damit einer zuverlässigen Exekutive für die Kapitalistenklasse. 

Die Neuauflage der SPÖVP-Regierung ist alles andere als überraschend. Im Unterschied zu jenen linken SozialdemokratInnen, die behaupteten, das Bürgertum wolle die SPÖ aus der Regierung raus haben, haben wir wiederholt darauf hingewiesen, daß die SPÖVP-Koalition sehr wohl den Interessen des Großkapitals diente. Angesichts der verschärften Wirtschaftskrise ist klar, daß die herrschende Klasse auf alle Fälle die Sozialdemokratie in der Regierung haben möchte, ja muß, um so über deren Einfluß auf die Gewerkschaftsspitze den Ausbruch von Abwehrkämpfen nach Möglichkeit verhindern zu können. Schon in unserer Stellungnahme zum Wahlergebnis haben wir daher die Neuauflage der SPÖVP-Koalition als die wahrscheinlichste Regierungsvariante bezeichnet (siehe „Der Rechtsruck ist eine Abstrafung für sozialdemokratische Politik!“ Stellungnahme der Liga der Sozialistischen Revolution zu den Ergebnissen der vorgezogenen Nationalratswahl, 1. 10. 2008; in: BEFREIUNG Nr. 169, S. 3) 

Worin unterscheidet sich die jetzige SPÖVP-Regierung von ihrer vorhergehenden Version? 

So sehr die Regierung auch eine Fortsetzung der bisherigen SPÖVP-Koalition ist, so dürfen doch nicht folgende Unterschiede übersehen werden.

i) Die jetzige SPÖVP-Regierung agiert vor dem Hintergrund der schwersten Rezession seit dem zweiten Weltkrieg

ii) SPÖ-Chef Faymann hat Gewerkschaftsbürokratie wieder miteinbezogen und sie mit zwei Ministerposten belohnt 

Die jetzige Regierung verwaltet die Geschäfte der herrschenden Kapitalistenklasse vor dem Hintergrund der schwersten Wirtschaftskrise seit vielen Jahrzehnten. Sie wird daher einerseits gezwungen sein, massive Angriffe auf unsere sozialen und demokratischen Errungenschaften zu führen. Andererseits aber wird es auch ihr Ziel sein, nach Möglichkeit Klassenkämpfe von unten gegen diese Angriffe zu unterbinden. 

Genau darin liegt auch die Bedeutung der Einbindung der SPÖ in die Regierungsgeschäfte und über diese die Einbindung der ÖGB-Spitzen. Für die herrschende Klasse ist es wichtig, in diesen potentiell explosiven Zeiten zu verhindern, daß die Gewerkschaften Streiks gegen die Kündigungswelle und den Lohnraub organisieren. Darin liegt ja auch der für die Kapitalistenklasse wertvolle Verdienst Faymanns, daß er die Gewerkschaftsbürokratie in die Spitzengeschäfte des kapitalistischen Systems einbezieht. So sind nun zwei Top-Bürokraten – der bisherige ÖGB-Präsident Hundstorfer und der hochrangige oberösterreichische Metaller-Gewerkschaftsfunktionär Alois Stöger – zu Ministern aufgestiegen. Im Nationalrat sitzen zusätzlich noch GPA-Chef Wolfgang Katzian und Renate Csörgits. 

Genau darin liegt auch die Gefahr für die ArbeiterInnenbewegung. Die Gewerkschaftsbürokratie wird alle Hebel der Macht in Gang zu setzen, um die Basis zu knebeln und Kampfaktion wie Streiks und Großdemonstrationen zu verhindern. Hundstorfer selbst hat die Abwehr von Jobverlusten erst vor kurzem als „irsinnig schwierige Aufgabe“ bezeichnet. Schwierige Aufgabe für wen? Für die Regierung natürlich. Dieser „Gewerkschaftsführer“ verliert kein Wort darüber, daß die Regierung keineswegs ein Interesse hat den Jobverlust zu stoppen und es eigentlich die Aufgabe der Gewerkschaften ist, diese Vorhaben mit Kampfmaßnahmen abzuwehren.  

Diese Regierung muß einen größeren Spagat machen, als jede andere Regierung seit 1918. Sie muß einerseits die Interessen der herrschenden Klasse in einer Periode der scharfen Wirtschaftskrise verwalten und durchsetzen. Gleichzeitig – und darin liegt ja auch der Sinn der Einbeziehung der SPÖ- und Gewerkschaftsbürokratie in die Regierungsgeschäfte – ist es ihre Funktion, Klassenkämpfe zu unterbinden und das Proletariat ruhigzustellen und zu demoralisieren. 

Dies zeigt die Rolle der Sozialdemokratie. Wir sozialistischen RevolutionärInnen haben immer wieder auf den reaktionären, aber widersprüchlichen Charakter der SPÖ hingewiesen. Sie ist nach wie vor eine bürgerliche ArbeiterInnenpartei. Das bedeutet, eine Partei, die von einer Bürokratie beherrscht wird, die materiell und ideologisch auf das engste mit dem kapitalistischen Staat verbunden ist. Doch ihre soziale Verankerung, ihrer Klassenhauptbasis, liegt im Proletariat, mit dem sie organisch über verschiedene Schienen verbunden ist (v.a. Gewerkschaften). Wie die fast hundertjährige Geschichte der SPÖ als eine bürokratische, reformistische Partei beweist, ist sie nicht reformierbar. 

Auch wenn die SPÖ nun in den vergangenen Jahren einen Prozeß der Neoliberalisierung und der Schwächung ihrer Basis in der ArbeiterInnenklasse durchlaufen hat, so existieren diese organischen Verbindungen nach wie vor. Und gerade dadurch kann die Bürokratie auch so ein gefährliches, zähes Hindernis für das Ausbrechen von Kampfaktionen gegen die Kündigungswelle und gegen den Sozial- und Lohnraub verkörpern. (Eine genauere Analyse der Rolle der SPÖ und der verschiedenen Formen, wie der Reformismus der Bourgeoisie dient, findet sich in der LSR-Broschüre „Neoliberale SPÖ: Ursachen und Alternativen“) Das Aufbrechen der Unterordnung der ArbeiterInnenklasse durch die Bürokratie ist daher für alle klassenkämpferischen Kräfte eine der wichtigsten Aufgaben in der kommenden Periode. 

Die Heuchelei der SJ 

Für dieses Ziel ist die Sozialistische Jugend – die SPÖ-Jugendorganisation – in keinster Weise eine Hilfe, sondern viel mehr ein Hindernis. Dies zeigt sich anhand des praktischen Verhaltens der SJ in den vergangenen Monaten. 

So erklärt der SJ-Verbandsvorsitzender Wolfgang Moitzi in einem „Offenen Brief“ vom 25.11.: „Das vorliegende Regierungsprogramm gibt auf diese zentralen Fragen und Herausforderungen keine ausreichenden Antworten. Aus diesem Grund stimmt die Sozialistische Jugend dem Koalitionsabkommen mit der ÖVP nicht zu. 

Doch unabhängig davon, was die SJ-Führung in Briefchen schreibt, sprechen die Tatsachen eine völlig andere Sprache: 

Laut übereinstimmenden Presseberichten gab es bei der SPÖ-Parteivorstandssitzung am 24.11. nur eine einzige Gegenstimme gegen das Regierungsprogramm und diese Stimme kam nicht von der SJ, sondern von der Vertreterin der StudentInnenorganisation VSStÖ. Mit anderen Worten, der SJ-Vertreter hat NICHT gegen das Regierungsprogramm gestimmt! Es ist natürlich kein Zufall, daß die SJ auf ihrer Homepage mit keinem Wort das Abstimmungsverhalten ihres Vertreters bei der Parteivorstandssitzung erwähnt. Der Offene Brief ist nichts anderes als eine der üblichen Nebelgranaten der sozialdemokratischen Jung-Bürokratie, um ihr wiederholtes Umfallen gegenüber der Parteibürokratie zu verschleiern. 

Darüberhinaus hat die SJ monatelang einen Wahlkampf für die Faymann-SPÖ betrieben und vielen Lohnabhängigen und Jugendlichen vorgelogen, daß die Partei eine Interessensvertretung der arbeitenden Bevölkerung sei. SJÖ-Chef Moitzi meint sogar allen Ernstes: „Die SPÖ ist nach wie vor die einzige nennenswerte Partei in Österreich, in deren Interesse es liegt, sozialen Fortschritt zu erzielen.“ (Wolfgang Moitzi: Trotz alledem … SPÖ; in: Trotzdem, Juli 2008, S. 3) Der Wiener SJ-Funktionär Konecny behauptet ebenso, daß „dass in Österreich eine fortschrittliche Politik nur mit der Sozialdemokratie möglich ist“. Nun muß sogar der SJ-Chef selber in seinem Offenen Brief zugeben, daß die SPÖ ein Regierungsprogramm ausverhandelte, daß daß für die breite Mehrheit der Bevölkerung einen sozialen Rückschritt bedeutet. 

Tatsache ist, daß die SPÖ-Bürokratie seit vielen Jahren nicht nur das kapitalistische System mitverwaltet, daß die SPÖ-Bürokratie nicht nur mit dem Kapitalismus über unzählige Posten und Privilegien verbunden ist, sondern daß sie auch die neoliberale Offensive des Soziallabbaus, der Militarisierung und des Rassismus aktiv mit betreibt. Das jüngste Regierungsprogramm, welches so offensichtlich reaktionär ist, daß es selbst die SJ-Führung kritisieren muß, belegt dies mehr als deutlich. Die SPÖ-Bürokratie ist daher der Feind der Lohnabhängigen, MigrantInnen und Jugendlichen. Die Aufgabe einer fortschrittlichen Jugendorganisation ist daher der Kampf für eine kämpferische Politik mittels breiter Aktionen auf der Straße gegen die kapitalistische Krise und gegen die Vorantreiber der kapitalistischen Krisenpolitik. Dazu gehört auch die SPÖ-Bürokratie und anstatt sich in finanzielle Abhängigkeit von dieser zu begeben und Karriere in der Partei zu machen, sollte die SJ mit der SPÖ brechen und am Aufbau einer neuen Partei und Jugendbewegung im Interesse der ArbeiterInnenklasse und der Jugend mitwirken. 

Doch stattdessen werden die SJ-BürokratInnen selbst nach der Wahl nicht müde, die Werbetrommel für ihre Finanziers in der Löwelstraße zu rühren. So lobt z.B. der Wiener SJ-Funktionär Martin Konecny die SPÖ, daß diese „zum ersten Mal seit Kreisky wieder ernsthaft in die Offensive ging.“ (Martin A. Konecny: Erster und doch verloren, FAKTOR 3/08, S. 8) 

Darüberhinaus bezeichnet Konecny das parlamentarische Manöver der Faymann-SPÖ, wenige Tage vor der Wahl gemeinsam mit FPÖ, dem BZÖ und den Grünen die Studiengebühren zu verringern, als Wegweiser für fortschrittliche Politik: „Durch die Abschaffung der Studiengebühren hat sich wieder einmal gezeigt, dass in Österreich eine fortschrittliche Politik nur mit der Sozialdemokratie möglich ist, dass eine Sozialdemokratie nicht der Garant, aber die Bedingung für eine solche Politik ist, dass es letztlich auf den notwendigen Druck ankommt und dass der beste Ort diesen auszuüben nicht außerhalb der Sozialdemokratie, sondern in ihr liegt. Nun gilt es weiter zu kämpfen, damit Österreich in Bildungsfragen - und am besten in allen Fragen - zu einem Schlaraffenland wird. Wie das geht, wissen wir ja jetzt.“ (Martin A. Konecny: Schlaraffenland Österreich, FAKTOR 3/08, S. 12) 

Ja, wie das geht, wissen wir jetzt: Lobhudelei für Parteispitze und dann verbessern sich die Chancen für zukünftige Karrieresprünge in der Parteihierachie. Martin Konecny hat hier sicher einige Vorbilder – sei es der Herr Papa oder sei es die Frau Rudas, die in den letzten Jahren von einer SJ-Funktionärin zur SPÖ-Bundesgeschäftsführerin aufgestiegen ist. 

Die Aufgaben der ArbeiterInnenbewegung 

In den kommenden Wochen und Monaten gilt es, entschlossenen Widerstand gegen die Kündigungswelle, gegen den Sozial- und Lohnraub, gegen das Regierungsprogramm zu organisieren. In den Betrieben, in den Schulen und auf den Universitäten gilt es, Streiks und Demonstrationen zu organisieren. Denn dies ist die einzige Sprache, die von Regierung und Unternehmern verstanden wird. 

Die Liga der Sozialistischen Revolution schlägt daher die umgehende Organisierung von Versammlungen in Betrieben, Schulen und Universitäten sowie die Organisierung von Demonstrationen und Streiks vor. Die Gewerkschaftsführung darf nicht wie schon in den letzten Jahren nachgeben. Um entsprechenden Druck auf die Funktionäre aufbauen und wenn nötig einen Arbeitskampf auch ohne sie zu organisieren, müssen wir Aktionskomitees an der Basis aufbauen. 

Ansätze wie z.B. der Zusammenschluß kritischer PersonalvertreterInnen bei der Post sind ein erster wichtiger Schritt. Angesichts der offensichtlichen Sabotage der Gewerkschaftsbürokratie gegen einen entschlossenen Arbeitskampf kommt es darauf an, daß sich die Basis und alle kampfwilligen Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre – ob in der FSG, in anderen Fraktionen oder unabhängige – zusammenschließen und versuchen, den Widerstand notfalls auch eigenständig zu organisieren. 

Das zentrale Problem der kommenden Periode lautet. Wir kann die ArbeiterInnenklasse sich gegen die Kündigungswelle, gegen den Sozial- und Lohnraub wehren, wenn gleichzeitig ihre offiziellen VertreterInnen direkt mit in die Regierungsgeschäfte eingebunden sind? 

Es gilt daher, einen Keil hineinzutreiben zwischen der Basis und der führenden Bürokratie. Dazu bedarf es einer stetigen Aufklärung über die Rolle der Bürokratie und eines unnachgiebigen Kampfes gegen die verschleiernde und versöhnlerische Politik der sozialdemokratischen Führung in der Partei, der Gewerkschaft und der Jugendorganisation. Ebenso notwendig jedoch ist auch die konsequente Zusammenarbeit mit allen Kräften, die aktiv etwas gegen die Unternehmeroffensive unternehmen wollen. Es gilt, immer wieder Vorschläge für gemeinsame Kampfaktionen an alle ArbeiterInnen und Jugendliche zu machen, die sich gegen die Angriffe zur Wehr setzen wollen. Unabhängig davon, ob diese Mitglieder in Organisationen der ArbeiterInnenbewegung sind oder nicht, wir müssen gemeinsam gegen die Unternehmer und ihre Regierung kämpfen. 

In diesem Sinne ist es auch notwendig, Forderungen an die bestehenden Führungen der Gewerkschaft, der Jugendorganisation usw. zu stellen. Die Gewerkschaftsführung bei Post, Telekom, AUA usw. soll nicht mit dem Management packeln, darf keine halbherzigen, kleinen Protestaktionen zum Dampfablassen setzen, sondern muß einen tatsächliche, entschlossenen Arbeitskampf aufnahmen. Wir fordern, daß Gewerkschaftsvertreter ab sofort sich aus allen Managementfunktionen wie z.B. Aufsichtsräte zurückziehen. Die Gewerkschaft muß von Hundstorfer und Stöger fordern, umgehend die Regierung zu verlassen und andernfalls mit ihnen brechen. Die Gewerkschaft darf nicht mit der Wirtschaftskammer und der Regierung über die im Regierungsprogramm vorgesehenen Abbau- und Liberalisierungsmaßnahmen verhandeln, sondern muß den Kampf dagegen aufnehmen. 

Letztlich gilt es, daß Gewerkschaften und Jugendorganisationen mit der SPÖ-Bürokratie brechen. Wir brauchen keine Partei, die dem Kapital dient! Stattdessen ist es notwendig, auf breiter Basis eine neue Partei der Lohnabhängigen, MigrantInnen und Jugendlichen schaffen, die auf der Grundlage eines revolutionären Programms gegen das kapitalistische Ausbeutersystem kämpft. 

Doch all dies passiert nicht von selbst. Im Gegenteil, es bedarf einer organisierten politischen Kraft, welche sich ihrer Aufgabe bewußt ist und welche die tagtägliche Arbeit mit einem strategischen Plan verknüpft. Mit anderen Worten, es bedarf des organisierten Zusammenschlusses aller konsequenten MarxistInnen, aller sozialistischen RevolutionärInnen. 

Dieses Ziel haben wir uns von der Liga der Sozialistischen Revolution gesetzt. Wir bauen eine revolutionäre Vorhutorganisation auf, die konsequent für eine Perspektive des Klassenkampfes von unten gegen Entlassungen, Sozialabbau und Rassismus eintritt und sich aktiv an Protesten beteiligen. Aber unsere Taktik ist nicht losgelöst von unserer Strategie, unsere tagtägliche Arbeit nicht vom Ziel der sozialistischen Revolution. Deswegen verknüpfen wir diese Abwehrkämpfe mit einer weiterführenden Perspektive, dem revolutionären Sturz des Kapitalismus. Solange der Kapitalismus existiert, solange wird er unweigerlich Krisen, Kriege und Katastrophen hervorbringen. Und der Kapitalismus wird solange existieren, solange wir ihn existieren lassen, solange wir ihm nicht durch eine Revolution in Österreich und weltweit ein Ende bereiten. Deswegen organisieren wir uns in der Liga der Sozialistischen Revolution! Schließ dich uns an im Kampf gegen Rechtsruck, Rassismus, Entlassungen und Sozialabbau und für Klassenkampf, Revolution und Sozialismus!

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir durch die LSR per Mail:
Erstveröffentlicht wurde er in Red Newsletter Nr. 366, 29. November 2008, www.sozialistische-revolution.org