Hamburg 11, Bei den
Mühren, Hausnummer 70. Hier, in dem bekannten
Überseehafen, ist der Sitz der Transtechnica GmbH & Co. Das
ist eine am Südamerikageschäft beteiligte Firma, ordentlich im
Handelsregister eingetragen, aber im Hamburger Telefonbuch
nicht zu finden. Die Geschäftsleitung dieses mysteriösen
Unternehmens verschickte an einen exklusiven Kreis von
Empfängern in der Bundesrepublik Deutschland schon am 20.
September 1973 , neun Tage nach dem blutigen Putsch in Chile,
den „Situationsbericht Chile“ eines dieser Firma „nahestehenden
Herrn aus Santiago“. Dieser namenlose Herr gab durch
Transtechnica bekannt: „Wir wissen, dass es schwierig ist, vor
der Weltöffentlichkeit diesen Militärputsch zu rechtfertigen.
Doch für uns, die wir im einzelnen wussten, welche Schritte
man plante, besteht keinerlei Zweifel, dass die einzige Lösung
ein Militärputsch war ...“ Und so kündigte Transtechnica auch
gleich „großen Bedarf an Importgütern“ in Chile an und empfahl
allen kapitalistischen Staaten, bald die chilenische Junta
anzuerkennen. Nur einen Tag später wurde in Bonn bestätigt,
dass das Auswärtige Amt und die Botschaft der Bundesrepublik
Deutschland in Santiago den amtlichen Verkehr mit dem
verfassungsfeindlichen Militärregime in Chile aufgenommen
haben.
Spuren des Geheimdienstes
Wer aber waren in der Bundesrepublik Deutschland jene, die „im
einzelnen wussten, welche Schritte man plante“? Das 1971
erschienene antikommunistische Testament des Generalleutnants a.
D. der Bundeswehr Reinhard Gehlen, der bereits zu Hitlers
Spionage- und Sabotageexperten zählte und bis 1968 Chef des
Geheimdienstes der Bundesrepublik Deutschland
(Bundesnachrichtendienst, BND) war, gibt darüber Auskunft. In
seinem Buch heißt es: „Wir haben alle Veranlassung, die
Entwicklung in Chile und in anderen Ländern, in denen eine
Beteiligung der Kommunisten an der Regierungsmacht bereits
verwirklicht ist oder bevorsteht, mit großer Aufmerksamkeit und
Sorge zu beobachten.“(92) Die nachfolgend aufgeführten
Aktivitäten des Bundesnachrichtendienst (BND) sind bereits
solche aus der besorgt empfohlenen Aufmerksamkeit getane
Schritte. Gehlens Nachfolger im Amt, Generalleutnant der
Bundeswehr Gerhard Wessel, der sich wie Gehlen seine Sporen
unter Hitler verdient hatte, setzte sofort nach dem Wahlsieg
Präsident Allendes den weit verzweigten Apparat des BND gegen
die Regierung der Unidad Popular in Gang. Bald bestätigte das
Nachrichtenmagazin der Bundesrepublik Deutschland „Der Spiegel“
dem BND ausdrücklich die geleistete „Qualitätsarbeit in einigen
Sachreferaten - wie etwa für Nahost und Südamerika“.(93) Fortan
beschäftigten die drei operativen Abteilungen des
Bundesnachrichtendienstes (BND) ihre Lateinamerika-Referate mit
der Untergrundarbeit in Chile. Unterstützt wurden sie dabei von
den Auslandsniederlassungen der Monopole der Bundesrepublik
Deutschland und aus dem Kreis der 12.000 in Chile tätigen
BRD-Bürger, die für subversive Aufgaben eingesetzt waren. Doch
nicht nur das. Auch mit „Südamerikanern arbeitet ... der
BND“(94). „Wessels BND ist“, so verlautete „Der Spiegel“ erst
kürzlich, „zugleich Stammfirma zahlreicher
Wirtschaftsunternehmen, die bei Finanzämtern und
Handelsgerichten ordnungsgemäß angemeldet sind. Er sitzt im
Kaffee-Import und Schifffahrtslinien ... Scheinfirmen und
Tarnfirmen, Scheinbüros und Tarnwohnungen sind die Maschen eines
nachrichtendienstlichen Netzes, das sich über die ganze Welt
zieht und in der Bundesrepublik Deutschland geknüpft wird.“(95)
Ganz offenbar gehört die Hamburger Transtechnica GmbH, auf deren
Chile-Ratschläge die Regierung der Bundesrepublik Deutschland
unmittelbar reagierte, zu diesem Untergrundsystem.
[Quellen-Kontext 1974]
Agenturen für Wühltätigkeit
Geheimdienstler wirken, wie es in der Bundesrepublik Deutschland
heißt, „in Gesellschaften, die Beziehungen nach Afrika, Nahost,
Südamerika und Fernost pflegen“(96). In der Bundesrepublik
Deutschland werden jedoch die Namen dieser sorgsam getarnten
Subversionsorgane, die beispielsweise die UP-Politik in Chile
sabotierten, nicht genannt. Wir aber kennen sie, und wir nennen
sie:(97) [Quellen-Kontext 1974:]
„Konrad-Adenauer-Stiftung“ der CDU mit einer Filiale in Chile;
„Friedrich-Ebert-Stiftung“ der SPD mit einer Filiale in Chile;
„Ibero-Amerika-Verein“ in Hamburg;(98)
„Deutsch-Ibero-Amerikanische Gesellschaft“ in Frankfurt am Main;
„Ibero-Club“ in Bonn;
„Deutsche Ibero-Amerika-Stiftung“ in Hamburg;
„Institut für Ibero-Amerika-Kunde“ in Hamburg;
„Deutscher Entwicklungsdienst (DED)“ („Servicio de Voluntarios
Alemanes“) in Bad Godesberg mit einer Filiale in Chile und
„Goethe-Institut“ in München mit Filialen in Santiago und
Valparaiso („Instituto Chileno-Alemán de Cultura“).(99)
Wie tief diese Institutionen in die Vorbereitung des
faschistischen Putsches verstrickt waren, lässt sich auch daran
erkennen, dass jene Bürger der Bundesrepublik Deutschland, die
zugegebenermaßen „im einzelnen wussten, welche Schritte man
plante“, von den brutalen Übergriffen der Junta gegen
ausländische Diplomaten, Journalisten, Wissenschaftler und
Studenten sorgsam ausgenommen wurden. „Die Botschaftsangehörigen
in Chile, die Angehörigen des Generalkonsulats, des
Goethe-Instituts, die Mitglieder des DED, die Angehörigen der
Adenauer- und der Friedrich-Ebert-Stiftung seien nicht zu
Schaden gekommen“, meldete in der Zeit der chilenischen
Massenmorde „Der Tagesspiegel“ am 15. September 1973.
Bundeswehr und Junta
Zwei Monate waren nach dem Putsch der Verfassungsfeinde in Chile
vergangen. Es gab wohl kaum einen zivilisierten Flecken auf der
Erde, wohin nicht die Nachricht über die Verbrechen der Junta
gedrungen wären. Weltweit hallten zornige Proteste. Da nahm am
10. November 1973 der Brigadegeneral a. D. der Bundeswehr Dr.
Jur. Friedrich Beermann sogar die blutrünstige Militärjunta
öffentlich auf dem SPD-Parteitag von Schleswig-Holstein in
Heiligenhafen in Schutz und diffamierte alle Andersdenkenden,
indem er sie als „Verfassungsfeinde“ abzustempeln suchte.
Brigadegeneral Beermann ist nicht irgendwer. Aus seinem
Lebenslauf geht hervor: 1934 Offiziersanwärter in der
Reichswehr; 1944 Oberstleutnant und Regimentskommandeur der
Hitlerwehrmacht; seit 1947 Mitglied der SPD; 1955 bis 1959
Referent für „Sicherheitsfragen“ beim SPD-Vorstand; 1962 Oberst
im Generalstab und BRD-Repräsentant bei der Standing Group der
NATO in Washington; 1963 Geheimdienstoberst der Bundeswehr und
Militärattaché der Bundesrepublik Deutschland in Indien und
Nepal; seit 1969 als im Herzogtum Lauenburg gewähltes Mitglied
in Bundestag. Und seine Meinung ist gewiss viel mehr als nur
eine private. „Die Welt“ weiß zu berichten: „Friedrich Beermann
hat die gleichen Ansichten schon einmal vorgetragen. In der
Bundestagsfraktion der SPD. Dort sind sie schweigend zur
Kenntnis genommen worden.“(100) Aber nicht nur die Person
Beermanns beweist die schon traditionellen Bindungen der
reaktionären Militärs Chiles an die Generalität des deutschen
Imperialismus. Dafür gibt es noch diverse Beispiele:
[Quellen-Kontext 1974]
Die Bundeswehr bildete im letzten Jahrzehnt 14 chilenische
Offiziere an ihren Führungs- und Stabsakademien in Hamburg
beziehungsweise an der Schule der Bundeswehr für „Innere
Führung“ in Koblenz-Pfaffendorf aus. Vor 1970 inspizierten
nacheinander die Nazikriegsverbrecher General Hans Speidel als
Befehlshaber der NATO-Landstreitkräfte Europa-Mitte und
Generalinspekteur der Bundeswehr Josef Moll Chile. Am 23. März
1971 hatte sich im Konferenzsaal des Bundeswehrbereichskommandos
VI in der Münchner Dachauer Str. 128 eine exklusive Runde
zusammengefunden. Die Eingangskontrolle war besonders scharf. Es
tagten die Südamerikaexperten der Bundeswehr und der
militaristischen BRD-„Gesellschaft für Wehrkunde“. Referent des
Tages: Oberst Dr. rer. pol. Dietrich Fiechtner, aus Chile
zurückgekehrter Militärattaché der Bundeswehr, einstiger
Generalstabsmajor im Oberkommando des faschistischen
Heeres.(101) Diskussionsthema der Konferenz: Worin muss der
Beitrag der Bundeswehr bestehen, um gemeinsam mit dem
NATO-Partner USA Volksfrontregierungen in Lateinamerika zu
verhindern. Schon zwei Monate nach dem blutigen Putsch
überreichte der Bonner „Deutsch-chilenische Freundeskreis“ eine
hohe Geldspende gerade an den Junta-Polizeigeneral Mendoza.
Diesem „Freundeskreis“ gehörten über 20 hohe Offiziere der
Hitlerwehrmacht beziehungsweise der Bundeswehr sowie
Bundestagsabgeordnete, Ministerialbeamte und Industrielle an,
darunter als einer der Gründer der ehemalige Heeresinspekteur
der Bundeswehr Generalleutnant a. D. Albert Schnez, der
Inspekteur der Bundesmarine Vizeadmiral Heinz Kühnle, der schon
genannte Standortkommandant von München Oberst a. D. Dr.
Fiechtner, der Major und „Ritterkreuzträger“ Minister a. D.
Erich Mende (CDU) und Hauptmann a. D. Knut Freiherr von
Kühlmann-Stumm (CDU).
Nazioffiziere nach Chile
[Quellen-Kontext 1974:]
Schon seit langem fällt auf, dass sich die Bundesrepublik
Deutschland in Chile gern von belasteten Nazis und ehemaligen
Angehörigen des faschistischen Offizierskorps repräsentieren
lässt. Das trifft zum Beispiel auch auf die Oberstleutnante im
Generalstab Karl-Heinz Marbach und Franz Loyo zu, die als
Militärattachés der Bundeswehr in Chile zum Einsatz kamen. Aber
nicht nur mit solchen offiziellen Repräsentanten der Bundeswehr
hat man es dort zu tun. Andere machen ihren Einfluss als
„Zivilpersonen“ geltend.
So tauchte der faschistisch belastete Vizeadmiral Friedrich
Frisius als Großgrundbesitzer und konterrevolutionärer
Bodenspekulant im chilenischen Rancagua auf, seine Sippe stand
1973 „natürlich“ auf der Seite der Putschisten. Die Santiagoer
Lufthansa-Filiale wird von Reinhold Freiherr von
Malapert-Neufville dirigiert, einem ehemaligen Kapitänleutnant
der faschistischen Kriegsmarine. Frisius und der adlige
Malapert-Neufville sind zudem insgeheim in der Bad Godesberger
„Marine-Offizier-Vereinigung (MOV)“ organisiert, deren Satzung
alle Mitglieder verpflichtet, wo auch immer, der Bundeswehr zu
assistieren. Das „Instituto Chileno-Alemàn de Cultura“ der
Bundesrepublik Deutschland in Santiago wurde von Dr. Phil.
Günter Bär aufgebaut, der als Offizier in Hitlers „Afrika-Korps“
großgeworden ist. Jetzt amtiert [1974] in diesem Institut der
Augsburger Dr. phil. Rudolf M. Hartweg, der an der faschistisch
geleiteten Universität von Madrid [Kontext 1974] für seine
Funktion vorbereitet wurde. Die Niederlassung dieses
BRD-Instituts in Valparaiso, das chilenische Kader
imperialistisch beeinflusst und schult sowie das
„Auslandsdeutschtum“ aktiviert, wird von Dr. phil. Dieter
Greiner geführt, der die DDR illegal verlassen hat, nachdem ihm
schon 1953 konterrevolutionäre Umtriebe nachgewiesen werden
konnten. [Kontext 1974]
Typisch für den Charakter der Santiagoer Junta ist, dass sie den
ehemaligen SS-Standartenführer Walter Rauff, der als
Eichmann-Komplice und Massenmörder 1958 nach Punta Arenas in
Chile geflüchtet war, zu ihrem Berater ernannte. Kurz darauf
rauchten im Mai 1974 im KZ von Chacabuco die Essen des neu
eingerichteten Krematoriums. Dieser Rauff hatte schon für
Hitlerdeutschland durch die von ihm entwickelten fahrbaren
Gaskammern 97.000 Juden und Partisanen, Sozialisten und
Kommunisten fünf europäischer Nationen vernichten helfen. Seine
beiden Söhne zählen heute zu den Absolventen der chilenischen
Militärakademie.[Kontext 1974]
Es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, welche politischen
Aufträge solche Dunkelmänner im Interesse der imperialistischen
Globalstrategie in Chile erledigten.
Anmerkungen
(nummeriert nach Original)
92 Reinhard Gehlen, Der Dienst, Mainz/Wiesbaden 1971, S.
385/386.
93 Zitiert nach „Der Spiegel“, Hamburg, Nr. 11/1971, S. 46.
94 Ebenda, S. 68.
95 Ebenda, S. 66 und 68.
96 Hermann Zolling/Heinz Höhne, Pullach intern - General Gehlen
und die Geschichte des BND, Hamburg 1971, S. 14.
97 Vgl. dazu: Die SPD/FDP-Regierung der BRD und der geheime
Bundesnachrichtendienst. In: „Dokumentation der Zeit“, Berlin,
Nr. 14/1971, S. 16.
98 Vgl. Julius Mader, La „Sociedad Iberoamericana“, un club
neonazista de los monopolios germanooccidentales. In: „Puente“,
Dresden, Nr. 5/1969, S. 40/41; „Die Wirtschaft“, Berlin, Nr.
40/1969, S. 15.
99 Vgl. Ruth Holz/Julius Mader, Abuso de un nombre sagrado. In:
„Puente“, Dresden, Nr. 6 und 7/1968, S. 8f. bzw. S. 40f.
100 „Die Welt“, Hamburg, vom 13. November 1973.
101 Vgl. Albrecht Charisius/Julius Mader, Nicht länger geheim,
a. a. O., S. 590.
Editorische
Anmerkungen
Der
Bundesnachrichtendienst (BND) kehrt demnächst mit
Hauptsitz zurück nach Berlin - an seine
historische Wirkungsstätte.
Reinhold
Schramm besorgte uns daher diesen Auszug aus:
Julius Mader. Instruction 37/57, T
atsachen und Hintergründe des Putsches in Chile 1973.
Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin
1974. (S. 92-98)
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