Vorwort:
Kurz vor dem definitiven Beschluss des größten
italienischen Gewerkschaftsbundes CGIL, am 12.Dezember 2008
einen achtstündigen Generalstreik gegen die Politik der
Regierung Berlusconi zu organisieren, brachte die Tageszeitung
„Liberazione“ am 8.11.2008 das folgende Interview mit Giorgio
Cremaschi, dem führenden Kopf des radikalen Teils der
CGIL-Linken Rete 28 Aprile, das auf dem letzten
Gewerkschaftstag 3% der Organisation vertrat. Darin setzt er
sich mit der veränderten Lage und ihren Perspektiven
auseinander.
In Italien geht es wieder aufwärts. Nicht mit der
Wirtschaft, die eine der tiefsten Krisen innerhalb der EU
erlebt und ohnehin auf schwachen Fundamenten ruht, sondern mit
der Arbeiter- und der Jugendbewegung. Eine wichtige
Starterfunktion hatte dabei die Schüler- und
Studentenbewegung, die seit Monaten mit großen
Mobilisierungserfolgen und der Unterstützung eines Großteils
der Lehrer/innen gegen die drastischen Kürzungen und
Gegenreformen der Berlusconi-Exekutive im Bildungsbereich
kämpft und dabei die regierende Rechtskoalition bereits zu
mehreren Rückziehern und „Öffnungsgesten“ zwang. Erst
dementierte der sog. „Cavaliere“ Berlusconi umgehend seinen
öffentlich verkündeten Plan, die besetzten Schulen von der
Polizei räumen zu lassen, dann wurde das bereits
verabschiedete Gesetzesdekret zur Schulreform auf Eis gelegt
und nun verkündet Bildungsministerin Gelmini ihre Bereitschaft
zum „Dialog“ mit der abgehalfterten Demokratischen Partei von
Walter Veltroni.
Aber auch innerhalb der Gewerkschaften tut sich einiges. Sah
noch im Sommer alles danach aus als würde auch der größte,
ehemals KP nahe Gewerkschaftsbund CGIL die „Reform des
Tarifsystems“ mit einer faktischen Abschaffung des nationalen
Branchentarifvertrages zugunsten betrieblicher Abkommen
mittragen und auch sonst – mit Ausnahme der intern isolierten,
linken Metallarbeitergewerkschaft FIOM – den Steigbügelhalter
machen, scheint jetzt auch die CGIL-Spitze unter Guglielmo
Epifani begriffen zu haben, dass ein solcher Kurs glatter
Selbstmord wäre. Nach landesweiten Streiks und
Großdemonstrationen im Bildungswesen und im Öffentlichen
Dienst plant die CGIL für den 12.Dezember 2008 einen
landesweiten achtstündigen Generalstreik und hat sich damit
dem von der FIOM für diesen Tag ausgerufenen Ausstand
angeschlossen. Ähnlich wie 2002 hat die CGIL dabei erneut mit
der von den kleineren Bünden CISL und UIL betriebenen
Spaltungs- und Kollaborationspolitik zu kämpfen.
Giorgio Cremaschi, Mitglied des Nationalen Sekretariats der FIOM-CGIL und Führer des Rete 28 Aprile
„Den Generalstreik der CGIL, um die
Sozialpartnerschaft zu überwinden“
Fabio Sebastiani:
Gab es wirklich eine Kehrtwende oder hat die CGIL nur eine taktische Entscheidung getroffen?
GC: „Bevor ich auf Deine Frage antworte, möchte ich vorab zwei Sachen sagen.“
FS: Bitte.
CG:
„Zuallererst
einmal möchte ich an ((die kurz zuvor verstorbene
Gewerkschaftsredakteurin der linken Tageszeitung „il manifesto“))
Carla Casalini erinnern. Ihr Verlust ist für uns alle enorm.
Sie stand allen wichtigen gewerkschaftlichen
Auseinandersetzungen und Kämpfen zur Seite. Und dann möchte
ich darauf hinweisen, dass die Website des Rete 28 Aprile
durch einen gezielten Hackerangriff verwüstet wurde. Das ist
Teil des Klimas, das sich derzeit aus autoritären Vorstößen
und faschistischen Übergriffen entwickelt.“
FS: Kehren wir zur ersten
Frage zurück.
GC: „Nein, das ist nicht nur
Taktik. Das ist eine Notwendigkeit. Die CGIL hat beschlossen
zu kämpfen und ich glaube, dass es nötig sein wird, bis zum
Generalstreik zu gehen. Dieser Entscheidung liegen zwei Dinge
zugrunde: der Druck eines Teils der CGIL, der
((Metallarbeitergewerkschaft)) FIOM und der ((Gewerkschaft des
Öffentlichen Dienstes)) Funzione Pubblica einerseits sowie der
Basis andererseits. Jetzt gibt es Kampf. Die CGIL muss
allerdings eine neue inhaltliche Plattform erarbeiten, die die
Phase der Sozialpartnerschaft überwindet und dazu bedarf es
eines Kongresses. In der Zwischenzeit haben wir jedoch eine
lange Konfliktphase vor uns.“
FS: Bis vor wenigen
Monaten war der Generalstreik allerdings eine weit entfernte
Hypothese.
GC: „Es ist klar, dass
die Führung der CGIL im letzten Moment vor dem Abgrund
gestoppt hat. Eine CGIL, die – zusammen mit ((den
christdemokratischen und rechtssozialdemokratischen
Gewerkschaftszentralen)) CISL und UIL – die vom
Industriellenverband Confindustria ausgegebenen Leitlinien
übernommen hätte, wäre sowohl für die Gewerkschaft als auch
für die italienischen Arbeiter eine Katastrophe gewesen. Die
CGIL-Versammlung im Palalottomatica in Rom hat Forderungen
aufgestellt, die über die Plattform des Gewerkschaftsbundes
hinausgehen. Ich denke da an den Punkt zur prekären
Beschäftigung und den zur Kurzarbeit (Cassa integrazione).“
FS: Will heißen, dass der
Ausbruch der Krise die auf dem Tisch liegenden Karten ein
bisschen verändert hat.
GC: „Die Krise gibt es
und die hat viel verändert. Ich halte es allerdings für eine
positive Sache, dass die CGIL nicht undurchdringlich geblieben
ist. Das ist ein Zeichen für die Aufgeschlossenheit der CGIL.
Wir haben jahrelang gegen diese Struktur gekämpft. Ich denke
daran, wie die Organisationskonferenz Ende Mai abgelaufen ist,
wo wir mit sehr Wenigen dagegen gestimmt haben und die FIOM,
was das Tarifsystem anbelangt, in die Minderheit gedrängt
wurde. Ein Klima, das noch voll und ganz unter der negativen
Periode der Regierung Prodi litt. Wenn ich das mit der
Aussicht auf den Generalstreik, der Mobilisierung der
Metallarbeiter für den 12.Dezember und der Aktion anderer
Branchengewerkschaften wie der im Handel und im Öffentlichen
Dienst vergleiche, ist klar, dass sich die Situation
vollkommen verändert hat. Angesichts der Krise werden die
Alternativen sehr viel deutlicher. Oder man entscheidet sich
für die Linie von Arbeitsminister Sacconi , der zu
Handlangerdiensten aufgerufen hat. CISL und UIL sind darauf
eingegangen und man wird sehen, ob sie das auch gegenüber
ihren Mitgliedern durchsetzen können. Es stimmt, dass es eine
Wirtschaftskrise gibt. Es stimmt, dass es eine Rückkehr zur
öffentlichen Intervention gibt, aber im Wesentlichen versuchen
sie eine Neuauflage der gesamten Wirtschafts- und
Finanzpolitik, die sie auch vorher verfolgt haben.“
FS: Du sagtest, die CGIL
sei aufgeschlossen, aber was ist mit Alitalia?
GC: „Da hat man eindeutig
nachgegeben, aus dem einfachen Grund, weil die Prinzipien der
Demokratie, die vor einem Monat vertreten wurden, jetzt nicht
mehr verteidigt werden, während es andererseits eine Regierung
und ein Kapitalkonsortium CAI gibt, die einen unzeitgemäßen ‚Reaganismus’
ausprobieren. Ein kollektives Abkommen, über das die
Beschäftigten nicht abgestimmt haben, in einen Vertrag zu
verwandeln, dem man individuell unterzeichnen soll, ist eine
Monströsität, die völlig unabhängig vom Inhalt des Abkommens
bekämpft werden muss.“
FS: Ein Generalstreik,
der mit den Kadern der Sozialpartnerschaft vorbereitet wird,
könnte Gefahren bergen oder nicht?
GC: „Es ist klar, dass
die Gewerkschaft noch immer die der Sozialpartnerschaft ist,
auch wenn es die Sozialpartnerschaft nicht mehr gibt. Ich
denke, dass der Generalstreik gelingen wird, weil er ein
tiefes Bedürfnis der Leute befriedigt. Schuld an der Krise hat
sowohl die Finanzbranche als auch die Industrie. Und der
Streik dient dazu den Menschen aus Fleisch und Blut Stimme zu
verleihen.“
FS: Ist die FIOM, Deiner
Meinung nach aus dem Einkreisungslogik herausgekommen?
GC: „Wir kommen aus einer
Phase, in der es tief greifende Differenzen zwischen FIOM und
CGIL gab. Am 23.Juli 2008 gab es in Rom eine große, selbst
organisierte Versammlung der Mehrheit der FIOM sowie von
Lavoro e Società und dem Rete 28 Aprile ((d.h. den beiden
linken CGIL-Strömungen)). Damals sagten wir, dass es eines
heißen Herbstes und eines Generalstreiks bedürfe. Die Lage
verschiebt sich. Diese Verschiebung kann allerdings zu einer
Wiederholung von 2002 führen ((als die CGIL einen
Konfrontationskurs gegen die damalige Berlusconi-Regierung
fuhr und sich CISL und UIL in gelbe Hiwi-Vereine
verwandelte)). Die Situation hat sich tief greifend verändert.
Die Sozialpartnerschaft ist zu Ende und kommt auch nicht
wieder. Der Generalstreik ist notwendig, allerdings als Beginn
einer weiteren Bewegungsphase. Wir brauchen eine lange Phase,
in der sich – wie man einst sagte – die Kraft der Arbeit
reorganisiert.“
FS: Ja, ein Slogan der
60er und 70er Jahre. Heute machen jedoch die vier Millionen
prekär Beschäftigten den Unterschied aus.
GC: „Das was gegenwärtig
bei den Prekären passiert, die von einem Tag auf den anderen
entlassen werden, zeigt dass die Gesetze der 90er Jahre das
selbst gesteckte Ziel verfehlt haben, das heißt die
Beschäftigung zu prekarisieren und die Zahl der Arbeitsplätze
zu erhöhen. Heute sind sie das Mittel, um die Leute in
Windeseile und schmerzlos rauszuschmeißen. Im CGIL-Programm
müssen alle Gesetze gekippt werden. In unmittelbarer Zukunft
muss man in Bezug auf die Arbeitskämpfe der Prekären Kämpfe,
Solidarität und Übereinkünfte schaffen, genauso wie die
Schüler- und Studentenbewegung die Prekarität von Leben und
Arbeit thematisiert. Die Frage der sozialen Gleichheit kehrt
auf die Tagesordnung zurück und die ist das genaue Gegenteil
der Ideologie des Verdienstes. Ich bin nicht gegen den
Verdienst / gegen leistungsbezogene Entlohnung, aber der
Verdienst hat nichts mit dem zu tun, was heute unter diesem
Namen vorgeschlagen wird. In Wirklichkeit handelt es sich
dabei um eine Prämie für Treue, Gehorsam und
Klassenselektion.“
FS: Nochmal zur FIOM: Die
Vorschläge der FIOM scheinen eine Tendenz zu haben, die über
das von der Sozialpartnerschaft errichtete, branchenbezogene
Gehege hinausgeht.
GC: „Ich sehe eine
Perspektive, in der die Erfahrung und die Kultur der
Metallarbeiter, so wie in den besten Momenten der
CGIL-Geschichte, zum allgemeinen Instrument der Erneuerung des
gesamten Gewerkschaftsbundes werden. Die FIOM selbst steht vor
einer Herausforderung. Die Angriffe der Unternehmen nehmen zu
und werden sehr hart werden – sowohl was den nationalen
Tarifvertrag anbelangt als auch auf der betrieblichen Ebene.
Das alles in einer schwierigen Krisensituation, die von den
Padroni benutzt wird, um zu spalten und zu zersplittern.“
FS: Die
Gewerkschaftseinheit ist allerdings bereits zerbrochen.
GC: „Heute gibt es einen
moderaten Syndikalismus, in dem sich die Positionen von CISL,
UIL und UGL treffen sowie die Rückkehr eines kämpferischen
Massensyndikalismus, der nicht nur aus der CGIL besteht, wie
der Erfolg des Streiks der Basisgewerkschaften zeigt. Ich
denke, wenn Du von Einheit redest, dann sollte die CGIL mit
den Basisgewerkschaften in Dialog treten. Die Zukunft besteht
in einer Gewerkschaftsdemokratie, die es den Arbeitern
ermöglicht, mit Transparenz und ohne garantierte Posten für
irgendwen selbst zu entscheiden.“
Editorische
Anmerkungen
Das Gewerkschaftsforum
Hannover bearbeitete (Vorwort und Klammertexte) und
veröffentlichte den Artikel am 21.11.2008 bei Indymedia.
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