Kommunismus- was sonst?
Plädoyer für die Neubegründung einer
kommunistischen Bewegung

von Robert Schlosser

12/08

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I.

In einer Erklärung der KRISIS-Redaktion zur aktuellen Weltwirtschaftskrise („Crashkurs“) heißt es:

„Die Krise stellt die Systemfrage. Es kommt drauf an, sie zu beantworten.“

Bezeichnender Weise endet der Artikel so und drückt damit die aktuelle Ohnmacht und Orientierungslosigkeit sich kommunistisch verstehender Tendenzen zum Ausdruck.

Ich will an dieser Stelle beginnen, denn in der Tat stellt der Krisenverlauf schon jetzt die Systemfrage. Das haben offensichtlich auch die bürgerlichen Medien verstanden, in denen immer wieder die Frage gestellt wird, ob Marx nicht doch recht hatte. Neulich gab es sogar eine Talkshow unter dem provozierenden Titel „Marx hatte recht! - Gebt uns unseren Sozialismus wieder!“

Niemand kann den weiteren Verlauf und das Ausmaß des Zusammenbruchs der Kapitalakkumulation voraussagen, aber das angehäufte Krisenpotential ist enorm. Und selbst wenn die jetzige Weltwirtschaftskrise noch einigermaßen glimpflich verlaufen sollte, so steht doch eins fest: mit der kapitalistischen Lösung der jetzigen Krise werden noch größere vorbereitet. Dem Kapital gehen langsam die Mittel aus:

"Wodurch überwindet die Bourgeosie die Krisen? Einerseits durch die erzwungene Vernichtung einer Masse von Produktivkräften; andererseits durch die Eroberung neuer Märkte und die gründlichere Ausbeutung der alten Märkte. Wodurch also? Dadurch, dass sie allseitigere und gewaltigere Krisen vorbereitet und die Mittel, den Krisen vorzubeugen, vermindert."

"Es tritt hiermit offen hervor, dass die Bourgeoisie unfähig ist, noch länger die herrschende Klasse der Gesellschaft zu bleiben...Sie ist unfähig zu herrschen, weil sie unfähig ist, ihrem Sklaven die Existenz selbst innerhalb der Sklaverei zu sichern ..." usw. (Kommunistisches Manifest)

Diese Entwicklungsdynamik der Kapitals, – nachgewiesen in den berühmten 3 blauen Bänden mit der Entdeckung des „ökonomischen Bewegungsgesetzes der bürgerlichen Gesellschaft“ -  ist unaufhaltsam und kann auf kapitalistischem Wege nur überwunden werden durch eine erneute Phase der Barbarei, wie sie der durch die Nazis angezettelte 2. Weltkrieg verkörperte. Darin liegt eine ungeheure Bedrohung! (Dabei soll nicht vergessen werden, dass Barbarei eine ständige Begleiterscheinung kapitalistischer Durchdringung der Welt ist. Wo Menschen auf den Müllhalden von den Abfällen der kapitalistischen Zivilisation leben müssen, wo Bandenkrieg mit Raub, Mord und Vergewaltigung den Alltag prägen, da herrschen Zustände, die man am besten mit dem Wort Barbarei kennzeichnen kann.)

Heute (29.11.2008) las ich in der FR einen Artikel über Japan. Darin heißt es:

„Tokio. "Nein zur Armut!", schallte es aus dem Megafon. "Steht auf und verändert die Gesellschaft!" Mit solchen Forderungen zogen kürzlich Tausende Japaner durch Tokio. Sie waren in diesem Jahr nicht allein: In mehr als 40 Städten gingen Menschen auf die Straße. Ihre Proteste richteten sich gegen die unsicheren Lebensverhältnisse im Land - und signalisierten ein neues Bewusstsein: Die sozialen Verlierer in Japan begehren auf und lassen sich nicht mehr länger als Versager abstempeln. "Ich bekomme kaum Arbeit und finde nur schwer eine Wohnung", beschwerte sich eine junge Frau. "Man sagt mir oft, ich sei dafür selbst verantwortlich. Aber das stimmt einfach nicht."
Hintergrund ist ein massiver Wandel der Arbeitswelt: Mehr als jeder zweite Japaner arbeitet inzwischen befristet, als Leiharbeiter oder in Teilzeit. Zehn Millionen Menschen verdienen weniger als zwei Millionen Yen im Jahr, weniger als 1300 Euro monatlich. "Viele Eltern können ihre Kinder nur versorgen, wenn sie zwei Jobs haben und viele Überstunden machen", klagte eine ältere Demonstrantin. Für viele reicht das Geld nur für zwei Mahlzeiten am Tag, eine Krankenversicherung ist oft unbezahlbar. Tausende Obdachlose übernachten in den engen Boxen der Internet-Cafés.

„Japan hat nach den USA unter den G7-Ländern die meisten Armen. Die Schere zwischen Unten und Oben hat sich in 20 Jahren um 30 Prozent geöffnet. Einen Wohlfahrtsstaat kennt Japan nicht. Sozialhilfe gibt es nur für Arbeitsunfähige und Senioren ohne Rente. Der Staat tut auch wenig für berufliche Weiterbildung. Von allen Industrieländern investiert Japan am wenigsten in den Arbeitsmarkt. Kritiker sprechen deshalb von einer "Rutsch-Gesellschaft": Wer einmal unten ist, kommt nicht wieder hoch. Eine ganze Generation junger Leute fand in der Rezession der neunziger Jahre keine feste Anstellung und konnte auf dem Arbeitsmarkt bis heute nicht mehr Fuß fassen.

Der 1929 verfasste Proletarier-Roman "Kanikosen" über die Ausbeutung von Arbeitern auf einem Krabbenfänger-Schiff entwickelt sich zu einem Bestseller. Mehr als eine halbe Million Exemplare wurden in diesem Jahr verkauft, weil sich viele Leser nach Ansicht des Verlages in den sklavenartigen Arbeitsbedingungen jener Zeit wiedererkennen. In den Buchläden stapeln sich anti-kapitalistische Werke. Das erfolgreichste Buch des Jahres - "Gieriger Kapitalismus und die Selbstzerstörung der Wall Street" von Hideki Mitani - wirft Japan vor, seine Unternehmenskultur auf dem Altar des angelsächsischen Kapitalismus geopfert zu haben. Im Dezember erscheint "Das Kapital" von Karl Marx erstmals als Manga.“

Das von Marx entdeckte allgemeine Gesetz kapitalistischer Akkumulation produziert immer schärfer und weltweit eine soziale Polarisierung ungeheuren Ausmaßes.

Doch dies soll kein krisentheoretischer Artikel sein. Es gibt eine Zeit, da muss die theoretische Kritik des Kapitals im Vordergrund stehen und es gibt eine Zeit, die verlangt praktisch-programmatische Klärung und die Beantwortung der Systemfrage. Diese Zeit bricht jetzt meiner Meinung nach an! Die Zeit seit den 70iger Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde teils gut, teils schlecht genutzt, um die theoretische Kritik des Kapitals soweit zu entwickeln, dass die Konturen eines Übergangsprogramms deutlich werden. Die Zeit wurde vor allem schlecht genutzt, um die dringende Frage zu klären, an welchen theoretischen und praktischen Traditionen der sozialistischen und kommunistischen Bewegung die heutigen Sozialisten/Kommunisten anknüpfen können und welche sie unbedingt verwerfen müssen, wenn sie erfolgreich eine kommunistische Perspektive eröffnen wollen.

Im Folgenden will ich genau dazu Stellung nehmen und dadurch die Ansätze eines neuen kommunistischen Selbstverständnisses und einer erneuerten Programmatik deutlich machen. Die Spreu muss vom Weizen getrennt werden! Als jemand, der seine Manuskripte nach der Lohnarbeit ausarbeiten muss, habe ich nicht die Zeit, meine Gedanken systematisch auszuarbeiten, also muss ich Euch eine etwas sprunghafte Zusammenstellung von Argumentationen und Texten zumuten und garantiere keine saubere wissenschaftliche Beweisführung mit jeweils exakter Zitatangabe.

II.

Zum Beispiel Todesstrafe (Kommunismus und Humanismus)

Um das ganze Ausmaß des Niedergangs und der Selbstzerstörung kommunistischer Positionen deutlich zu machen, beginne ich mit einigen Anmerkungen zur Todesstrafe.
Im „Bürgerkrieg in Frankreich“ berichtet Marx:

„Die Kommune ließ sowohl die alte wie die neue Guillotine ... öffentlich verbrennen.“ (Ausgabe des Dietzverlages von 1963, S. 156)

Meines Wissens ist das Erfurter Programm der SPD von 1891(!!!) das einzige in Deutschland verfasste sozialistische Programm, das die Forderung nach Abschaffung der Todesstrafe aufstellte. (Ich werde auf dieses wichtige, Orientierung gebende Programm, dass sich in seinem allgemeinen Teil am Marxschen „Kapital“ und nicht an Lenins Imperialismustheorie und in seinem praktischen Teil an den Prinzipien der Pariser Kommune und nicht am „Realsozialismus“ orientierte, noch zurückkommen).

Heute wird die Forderung nach Abschaffung der Todesstrafe weltweit von einigen bürgerlichen Parteien und Regierungen, sowie von Organisationen wie Amnesty International, getragen. Organisationen und Gruppen, die sich als kommunistisch bezeichnen, nehmen nicht Teil am Kampf gegen die Todesstrafe. Die Abschaffung der Todesstrafe scheint nicht mehr Teil einer kommunistischen Programmatik im Kampf um sozialrevolutionäre Demokrie zu sein. Das ist ein kleiner Offenbarungseid!

Soweit es sich dabei um marxistisch-leninistische Organisationen handelt, ist die Streichung der Forderung nach Abschaffung der Todesstrafe leicht nachvollziehbar. Man kann schlecht jenen „Sozialismus“ in Russland oder China verteidigen, der wahre Hinrichtungsorgien (um die Todesstrafe zu kassieren, dazu reichte zu bestimmten Zeiten eine abweichende Meinung!) organisiert hat und gleichzeitig prinzipiell gegen die Todesstrafe sein.
Und so, wie mit der Todesstrafe ist es mit vielen anderen Punkten eines praktischen kommunistischen Programms: die kommunistische Bewegung hat ihre eigenen ursprünglich proklamierten praktischen Ziele, insbesondere jene der sozialrevolutionären Demokratie  preisgegeben, teils in ihr Gegenteil verwandelt. Sowas nennt man ein Programm der Selbstzerstörung, der eine komplette Desorientierung zurück läßt.
Es handelt sich um die Geschichte der Einführung des Sozialismus in so rückständigen Ländern wie Russland oder China. Unter Positionen, wie sie im Erfurter Programm der SPD oder später in der programmtischen Erklärung der USPD (auch darauf komme ich zurück) formuliert wurden, erstarkte die sozialistische/kommunistische Bewegung, wurde zu einer Massenbewegung. Unter Positionen, wie sie durch den Realsozialismus spätestens seit der Industrialisierungsdebatte und der danach einsetzenden Unterdrückung jedes demokratischen Lebens, in der SU inspiriert waren, wurde eben diese Bewegung zerstört. Die Siege die noch Errungen wurden, verdankten sich militärischer Stärke, nicht der Anziehungskraft kommunistischer Ziele.

III.

Rosa Luxemburg sah es kommen.

In ihrer Stellungnahme zur russischen Revolution schrieb Rosa Luxembur bereits 1918:

Die stillschweigende Voraussetzung der Diktatur-Theorie im Lenin-Trotzkyschen Sinn ist, daß die sozialistische Umwälzung eine Sache sei, für die ein fertiges Rezept in der Tasche der Revolutionspartei liege, das dann nur mit Energie verwirklicht zu werden brauche. Dem ist leider — oder je nach dem: zum Glück — nicht so. Weit entfernt, eine Summe fertiger Vorschriften zu sein, die man nur anzuwenden hätte, ist die praktische Verwirklichung des Sozialismus als eines wirtschaftlichen, sozialen und rechtlichen Systems, eine Sache, die völlig im Nebel der Zukunft liegt. Was wir in unserem Programm besitzen, sind nur wenige große Wegweiser, die die Richtung anzeigen, in der die Maßnahmen gesucht werden müssen, dazu vorwiegend negativen Charakters. [...]
Lenin und Trotzky haben an Stelle der aus allgemeinen Volkswahlen hervorgegangenen Vertretungskörperschaften die Sowjets als die einzige wahre Vertretung der arbeitenden Massen hingestellt. Aber mit dem Erdrücken des politischen Lebens im ganzen Lande muß auch das Leben in den Sowjets immer mehr erlahmen. Ohne allgemeine Wahlen, ungehemmte Preß- und Versammlungsfreiheit, freien Meinungskampf erstirbt das Leben in jeder öffentlichen Institution, wird zum Scheinleben, in der die Bureaukratie allein das tätige Element bleibt. Diesem Gesetz entzieht sich niemand. Das öffentliche Leben schläft allmählich ein, einige Dutzend Parteiführer von unerschöpflicher Energie und grenzenlosem Idealismus dirigieren und regieren, unter ihnen leitet in Wirklichkeit ein Dutzend hervorragender Köpfe und eine Elite der Arbeiterschaft wird von Zeit zu Zeit zu Versammlungen aufgeboten, um den Reden der Führer Beifall zu klatschen, vorgelegten Resolutionen einstimmig zuzu-stimmen, im Grunde also eine Cliquenwirtschaft — eine Diktatur allerdings, aber nicht die Diktatur des Proletariats, sondern die Diktatur einer Handvoll Politiker, d. h. Diktatur im bürgerlichen Sinne, im Sinne der Jakobiner-Herrschaft (das Verschieben der Sowjet-Kongresse von drei Monaten auf sechs Monate!). Ja noch weiter: solche Zustände müssen eine Verwilderung des öffentlichen Lebens zeitigen: Attentate, Geiselerschießung usw. [. . .]“

Wer wissen will, warum der sogenannte Realsozialismus gescheitert ist, der findet hier eine der wesentlichen Antworten, die einer Prognose gleichkommt. Denn all das, was Rosa hier schreibt ist erst wirklich war geworden unter der Stalinschen Führung. Die Frage der sozialrevolutionären Demokratie ist eine, vielleicht die entscheidende Frage auch für die Entwicklung von sozialistischer Produktion und Verteilung jenseits des Privateigentums an Produktionsmitteln!

In seinem Buch "Kollaps der Modernisierung" hat R. Kurz eine Position auf den Punkt gebracht, wonach der sogenannte Realsozialismus" ein Opfer des angeblich dort wirkenden Wertgesetzes geworden sei. Dass dieser "Realsozialismus" Kapitalismus (bloß verstanden als warenproduzierende System, nicht als System der Produktion und Aneignung von Mehrwert) gewesen sei, wird von vielen behauptet. in meiner Kritik "Im Club der toten Dinge" und an anderen stellen vertrete ich eine dezidiert andere Position. Soweit der "Realsozialismus" den Markt abgeschafft hat, die freie Konkurrenz selbständiger Unternehmen, soweit hat er die Wirkungsweise des Wertgesetzes unterbunden. damit hat er auch die Dynamik des Marktes, der Konkurrenz unterbunden, die in einer privatwirtschaftlichen Gesellschaft jedem Einzelkapital das allgemein wirkende Gesetz der Verwertung von Wert aufzwingt (Entwicklung der Produktivkräfte inklusive etc.). Schafft man das Wertgesetz ab, dann muss eine andere Dynamik her, die nur getragen werden kann, von der freiwilligen Intiative und Kreativität der frei assoziierten Menschen. Indem der "Realsozialismus" durch die Diktatur der Partei diese Initiative und Kreativität unterdrückt hat, hat er letztlich jede gesellschaftliche Dynamik erstickt, wodurch dieses Zerrbild von Kommunismus sich endlich (!) in Luft auflöste.

IV.
Zanon und was da auf uns zukommt

„Wenn aber die genossenschaftliche Produktion nicht eitel Schein und Schwindel bleiben, wenn sie das kapitalistische System verdrängen, wenn die Gesamtheit der Genossenschaften die nationale Produktion nach einem gemeinsamen Plan regeln, sie damit unter ihre eigene Leitung nehmen und der beständigen Anarchie und den periodisch wiederkehrenden Konvulsionen, welche das unvermeidliche Schicksal der kapitalistischen Produktion sind, ein Ende machen soll – was wäre das andres, meine Herren, als der Kommunismus, der 'mögliche Kommunismus'?
Die Arbeiterklasse verlangt keine Wunder von der Kommune. ... Sie hat keine Ideale zu verwirklichen; sie hat nur die Elemente der neuen Gesellschaft in Freiheit zu setzen, die sich bereits im Schoße der zusammenbrechenden Bourgeoisgesellschaft entwickelt haben.“ (Marx, „Bürgerkrieg in Frankreich“, Dietz Verlag Berlin, 1963, S. 77)

Doch halt, da melden sich die „Sachverständigen“ zu Wort und widersprechen. Zusammenbrechende Bourgeoisgesellschaft? Elmar Altvater belehrt uns:

„Krisen sind ... alles andere als die Vorboten eines Zusammenbruchs. Darauf kann man solange warten, bis dass die Erde auf die Sonne fällt, sagt Rosa Luxemburg.“ („Krisen – das wiederkehrende 'Weltmarktungewitter'“, www.marx21.de, 21. Sept. 2008)

Ja, so Gewitter, die kommen und gehen halt. Von einer Dynamik sich verschärfender Krisen ist da nichts zu sehen, auch nicht davon, dass der Bourgeoisie die Mittel zu ihrer Überwindung verloren gehen. Für Altvater ist das alles so eine Art „Jungbrunnen“ des Kapitals (ebenda). Die Entwicklung seit der Weltwirtschaftskrise 1974/75 straft ihn Lügen und die weitere Entwicklung wird es noch mehr tun!

Dass er sich mit seinen Bewertungen ausgerechnet auf Rosa Luxemburg bezieht, das ist schon einigermaßen frech. Die schrieb nämlich gegen solche „Sachverständigen“ wie Elmar Altvater:

"Nehmen wir (hingegen) mit den 'Sachverständigen' die ökonomische Schrankenlosigkeit der kapitalistischen Akkumulation an, dann schwindet dem Sozialismus der granitene Boden der objektiven historischen Notwendigkeit unter den Füßen. Wir verflüchtigen uns alsdann in die Nebel der vormarxschen Systeme und Schulen, die den Sozialismus aus bloßer Ungerechtigkeit und Schlechtigkeit der heutigen Welt und aus der bloßen revolutionären Entschlossenheit der arbeitenden Klassen ab leiten wollen." (Rosa Luxemburg in ihrer lehrreichen "Antikritik")

Dies jedoch nur nebenbei.

Marx kennzeichnet hier den Kommunismus als eine „Gesamtheit von Genossenschaften“, die „die Produktion nach einem gemeinsamen Plan“ regeln. Die in der SU unter Stalins Führung installierte  Planwirtschaft hatte damit absolut nichts zu tun. Das war eine bürokratisch-diktatorische Karrikatur auf die „Gesamtheit von Genossenschaften“!
In der Oktoberrevolution übergab der bolschewistische Aufstand dem Rätekongress die Macht ... um sie ihm bald danach wieder zu nehmen! Soweit es zu einer Aneignungsbewegung durch die Belegschaften von Betrieben gekommen war, wurde durch die Entmachtung der Räte diese Aneignung wieder rückgängig gemacht. Von sozialrevolutionärer Demokratie kann in der Phase des von der Partei eingeführten „Sozialismus“ durch Planung nicht die Rede sein. Das, was beispielhaft in der programmatischen Erklärung der USPD in Deutschland verlangt wurde, ist nie umgesetzt worden! In dieser Erklärung heißt es u.a.:

„Im Rätesystem hat sich die proletarische Revolution diese Kampforganisation geschaffen. Sie fasst die Arbeitermassen in den Betrieben zu revolutionärem Handeln zusammen. Sie schafft dem Proletariat das Recht der Selbstverwaltung in den Betrieben, in den Gemeinden und im Staate. Sie führt die Umwandlung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung in die sozialistische durch.“ (Programmatische Kundgebung der USPD, März 1919)

Solche Vorstellungen wurden schon bald in der SU wie in der Kommunistischen Internationale verfolgt und „ausgemerzt“, wie die Forderung nach Abschaffung der Todesstrafe!

Marx hat an anderer Stelle geschrieben:

“Wir empfehlen den Arbeitern, sich eher mit Produktivgenossenschaften als mit Konsumgenossenschaften zu befassen. Die letzteren berühren nur die Oberfläche des heutigen ökonomischen Systems, die ersteren greifen es in seinen Grundfesten an.“ (MEW, Bd. 16, S. 195,196).

In der Tat greifen Produktivgenossenschaften das System in den Grundfesten an! Das scheinen mittlerweile auch „fundamental wertkritische“ Autoren verstanden zu haben. In der neuesten Ausgabe von „Streifzüge“ heißt es dazu:

„Unbequem wäre es auch, Arbeitskämpfe zu Kämpfen um die gesellschaftliche Kontrolle der Produktion zu radikalisieren.“ (Andreas Exner, „Die große Illustion“)

Wie freundlich! Wäre das denn überhaupt möglich, wo die Klassenkämpfe doch angeblich nur systemimmanent sind? Sind die „historischen Idioten des Marxismus“, von denen die „Krisis“ so gerne sprach, nun doch nicht ganz so blöde?

Seit Jahren hält sich die Zanon-Belegschaft wacker! Eine „sozialistische Insel“ in einem Meer des Kapitalismus, ein „kleines gallisches Dorf“. Neulich sah ich Ausschnitte aus dem 2. Film über Zanon und war erneut tief beeindruckt! Eine tolle Sache ... voller Haken und Ösen und wir führten in Anschluss an diesen Film interessante, produktive und weitreichende Diskussionen, die mir nach meinem Referat viele Anregungen gaben! Zanon, das bedeutet Aneignungsbewegung! Zanon zeigt, wie sehr das System in solchen Aneignungsbewegungen in seinen Grundfesten angegriffen wird. Bei Zanon entstehen auch neue Beziehungen zwischen „Produzenten“ und „Konsumenten“ und bei Zanon entsteht eine andere Kultur ... rund um eine selbstverwaltete, demokratische Produktion!

Bei Zanon sind selbstverständlich Kräfte aktiv, die sich als Kommunisten verstehen und Zanon zeigt, welche positive Rolle solche Menschen spielen können, wenn sie nicht diesen absurden Führungsanspruch der Partei vor sich hertragen (oder ihn gar auf administrativem Wege, diktatorisch  durchsetzen wollen) und wenn sie begriffen haben, dass die soziale Emanzipation nur das Werk der Klasse selbst sein kann und nicht irgend einer „durchgeknallten“ Partei.. Zanon zeigt wie, ganz en miniature, das Verhältnis zwischen organisierten Kommunisten und der der Klasse der Lohnabhängigen im Sinne des Kommunistischen Manifests zu gestalten ist ... und das hat nichts mit dem Selbstverständnis „bolschewistischer“ Parteien zu tun! Im Manifest stehen Sätze, wie:

„Die Kommunisten sind keine besondere Partei gegenüber den andern Arbeiterparteien. Sie haben keine von den Interessen des ganzen Proletariats getrennten Interessen. Sie stellen keine besonderen Prinzipien auf, wonach sie die proletarische Bewegung modeln wollen. Die Kommunisten unterscheiden sich von den übrigen proletarischen Parteien nur dadurch, daß sie einerseits in den verschiedenen nationalen Kämpfen der Proletarier die gemeinsamen, von der Nationalität unabhängigen Interessen des gesamten Proletariats hervorheben und zur Geltung bringen, andrerseits dadurch, daß sie in den verschiedenen Entwicklungsstufen, welche der Kampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie durchläuft, stets das Interesse der Gesamtbewegung vertreten.

Die Kommunisten sind also praktisch der entschiedenste, immer weitertreibende Teil der Arbeiterparteien aller Länder; sie haben theoretisch vor der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung voraus. Der nächste Zweck der Kommunisten ist derselbe wie der aller übrigen proletarischen Parteien: Bildung des Proletariats zur Klasse, Sturz der Bourgeoisherrschaft, Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat. Die theoretischen Sätze der Kommunisten beruhen keineswegs auf Ideen, auf Prinzipien, die von diesem oder jenem Weltverbesserer erfunden oder entdeckt sind.ʺ (Marx/Engels, „Kommunistisches Manifest“)

Die bürgerlichen Medien, die unter dem Druck einer bedrohlichen Krise des Kapitals die Systemfrage aufwerfen, sorgen gleichzeitig durch ihr Verschweigen solcher Aneignungsbewegungen wie bei Zanon dafür, dass die Beantwortung der Systemfrage nur zur Bejahung und zur bescheidenen „Einkehr“ führen kann. Beliebt ist allemal die Feststellung, dass der „Realsozialismus“ ja wohl keine Alternative sein könne. Zu Talkshows werden dann schon mal VertreterInnen der „Linken“ eingeladen, sogar Sarah Wagenknecht als „Kommunistin“, die dann brav ihren „Anti-Monopolismus“ herunterbetet. (Doch dazu gleich mehr.)

Hat das Beispiel Zanon eine Perspektive?

Zanon war Produkt einer tiefen ökonomischen Krise Argentiniens, in deren Verlauf es zu einer Aneignungsbewegung in vielen von den Kapitalisten verlassenen Betrieben kam. In Deutschland, wie in anderen kapitalistischen Ländern haben wir es schon seit längerem mit einer überzyklisch ansteigenden Pleitenflut zu tun, die im Gefolge der jetzigen Krise weiter ansteigen wird.

Nach einer Schätzung von Deutschlands führendem Kreditversicherer (Allianz Gruppe) wird der viel gefeierte Rückgang der Pleiten in den letzten zwölf Monaten bereits im neuen Jahr wieder zum Stillstand kommen, die Zahl der Unternehmenszusammenbrüche sogar ansteigen, und zwar um 3,6 Prozent auf 40.000. Das wäre ein neuer Negativrekord !

Besorgniserregend ist die steigende Insolvenzquote

Interessanter als absolute sind auch hier relative Insolvenzzahlen. So liegt die „Insolvenzquote“, also das Verhältnis zwischen insolventen Firmen und bestehenden Unternehmen, derzeit bei 1,3 Prozent, bzw. bei 130 Pleiten je 10.000 Unternehmen. Für 2006 rechnet Euler Hermes sogar mit 137, die Quote erreicht dann fast 1,4 Prozent. Anfang der siebziger Jahre betrug sie dagegen nur 0,2 Prozent.

Die Insolvenzquote ist somit in den zurückliegenden Jahrzehnten „schubartig“ gestiegen, und zwar jeweils im Gefolge der drei Rezessionen in den siebziger, achtziger und neunziger Jahren sowie der Wachstumsschwäche seit Beginn dieses Jahrzehnts. Allerdings bildete sich die Quote in den konjunkturell guten Jahren nicht genügend zurück, so dass jeweils die nächste Rezession von einem höheren Sockel aus begann. Eine wirkliche Erholung fand nur während der langjährigen Aufschwungphase in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre statt.

Trauriges Fazit der Kreditversicherer: „Langfristig nimmt die Insolvenzquote zu.“

Und immer mehr gute Firmen gehen pleite
Besorgniserregend ist zudem, dass immer mehr eigentlich gut aufgestellte („markterfahrene“)

Unternehmen vom Pleitestrudel erfasst werden. So stieg deren Anteil von 20 Prozent Anfang der neunziger Jahre auf aktuell 30 Prozent, ein deutliches Indiz für die Verfestigung der Insolvenzanfälligkeit innerhalb der letzten zehn Jahren.

Quelle: Das Ende der Pleitewelle ? Insolvenzprognose 2006 für Deutschland und die Industrieländer, Wirtschaft Konkret, Nr. 411, Euler Hermes Kreditversicherung (Allianz Gruppe)

Die krisenhafte Entwicklung der Kapitalverwertung wird die Notwendigkeit und Möglichkeit einer solchen Aneignungsbewegung wie bei Zanon im internationalen Maßstab in allen kapitalistischen Ländern  auf die Tagesordnung setzen und zwar als Alternative zum erneuten Absinken in die Barbarei. Sollte es zu einer solchen breiten gesellschaftlichen Aneignungbewegung kommen, dann wird damit die Voraussetzung für den Übergang zum Kommunismus geschaffen, zu einer sozialrevolutionär demokratischen Planwirtschaft. Die Linksreformisten mit ihren keynesianischen Phantasien (etwa die SOST) träumen stattdessen von einer „sozialistischen Marktwirtschaft“. Eine gesellschaftlichen Aneignungsbewegung durch die Klasse der Lohnabhängigen ist darin nicht vorgesehen. Sie können sich keine andere Planwirtschaft als die des Stalinismus vorstellen, erklären damit jede Planwirtschaft für gescheitert und wollen weiterleben mit allgemeiner Warenproduktion. Eine Aneignungsbewegung durch die Klasse der Lohnabhängigen, also der einzelnen Belegschaften in den Unternehmen, wird mit Sicherheit nicht von heute auf morgen Ware und Geld abschaffen können, also so eine Art „sozialistischer Marktwirtschaft“ praktizieren müssen, aber sie wird mit Sicherheit nicht dabei stehen bleiben können, wenn sie die Verwertung von Wert und die daraus resultierenden Krisen überwinden will.

Ohne Übergangsgesellschaft und ein entsprechendes Programm kann die soziale Emanzipation, also der zum Abschluss zu bringende Prozess sozialer Befreiung nicht in Gang gesetzt werden. Die anzustrebenden Maßnahmen mögen Theoretikern etwa der „fundamentalen Wertkritik“- im Sinne des Kommunistischen Manifests -  als „ungenügend“ erscheinen, aber ohne sie geht gar nichts. Allein diese Maßnahmen können eine andere gesellschaftliche Dynamik einleiten, und damit „über sich selbst hinaustreiben“ (Manifest).

V.

An welche Traditionen also anknüpfen und welche verwerfen?

Neulich empfahl mir ein Genosse die Lektüre eines Artikels im „Roten Morgen“ (Zentralorgan der KPD). Dieser Artikel befasst sich mit der aktuellen Krise des Weltkapitalismus. Und was lese ich da:

„Die Grundlage der Krisen im Kapitalismus ist der Widerspruch zwischen dem gesellschaftlichenCharakter der Produktion und der privatkapitalistischen Form der Aneignung der Arbeitserzeugnisse.“

Im Kommunistischen Manifest heißt es dagegen:

„Der Kommunismus nimmt keinem die Macht, sich gesellschaftliche Produkte anzueignen, er nimmt nur die Macht, sich durch diese Aneignung fremde Arbeit zu unterjochen.“(Manifest der Kommunistischen Partei.)

Das macht den feinen Unterschied! Doch der Reihe nach.

Was heißt „privatkapitalistische Form der Aneignung der Arbeitserzeugnisse“? Das heißt nichts anderes als Kauf von Waren, denn das, was die Lohnabhängigen während ihrer Arbeit produzieren gehört den Kapitalisten sowieso. Sie brauchen es sich nicht mehr aneignen. Angeeignet haben sie sich die Produktionsmittel schon vor langer Zeit und damit gehört alles ihnen, was Lohnabhängige mit diesen Produktionsmitteln erzeugen. Aneignen, nämlich kaufen – solange sie nicht Krieg führen und rauben- , müssen sich die Kapitalisten alle weiteren Arbeitserzeugnisse, die sie für die Mehrwertproduktion brauchen. Aber auch die Lohnabhängigen unterliegen der „privatkapitalistischen Form der Aneignung von Arbeitserzeugnissen“, denn alle „Arbeitserzeugnisse“ werden als Waren für den Markt produziert. Also verlangt die Aneignung von Arbeitserzeugnissen, nämlich Lebensmitteln, durch die Lohnabhängigen den Kauf von Waren. Sie selbst sind also Teil der „privatkapitalistischen Aneignung der Arbeitserzeugnisse“.

Doch weiter.

Menschen sind soziale Wesen und folglich ist alle menschliche Produktion gesellschaftlich. Was den gesellschaftlichen Charakter der Produktion in verschiedenen Epochen unterscheidet ist Intensität, Ausmaß, Stufenleiter der Vergesellschaftung der Arbeit. Der gesellschaftliche Charakter der Produktion ist nichts spezifisch kapitalistisches!
Private Aneignung (ich sprech mal lieber nicht von Produkten sondern von Mehrprodukt, um die Verwirrung nicht komplett zu machen) hat es in allen Klassengesellschaften gegeben.
Also kann man in Anlehnung an diesen vermeintlichen Grundwiderspruch sagen, dass alle bisherigen Klassengesellschaften kapitalistisch waren, weil sie auf dem Grundwiderspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung von Arbeitserzeugnissen beruhten. Man kann dann eben auch sagen, dass ein Produktionsverhältnis mit Sklavenarbeit kapitalistisch ist.
Mit der Konstruktion dieses Grundwiderspruchs ist das historisch-spezifische der kapitalistischen Produktionsverhälnisse ausgelöscht: die gesellschaftliche Form der voneinander unabhängigen Privatarbeit, die die Arbeitsprodukte zu Waren macht, und die besondere Form der Ausbeutung in Gestalt der doppelt freien Lohnarbeit. Das daraus entspringende „ökonomische Bewegungsgesetz der bürgerlichen Gesellschaft“ löst sich so in Wohlgefallen auf, wenigstens theoretisch.

Der Frage nachzugehen, wie das Wertgesetz sich durchsetzt (Marx), davon findet man bei den Theoretikern des Grundwiderspruchs nichts. Sie hat allenfalls noch interessiert, wie intensiv ausgebeutet und angeeignet wird und wie ausufernd sich Herrschaft entwickelte. Im Rahmen der Monopoltheorie kommt man dabei ganz gut ohne Wertgesetz aus und braucht sich speziell um die widersprüchliche Entfaltung des Gesetzes vom tendenziellen Fall der Profitrate nicht zu kümmern. In allen Fragen, die mit der Einschätzung der Entwicklungsdynamik des Kapitals und der bürgerlichen Gesellschaft zusammen hängen, lagen die Marxisten-Leninisten fast immer vollständig daneben, was diese selbsternannten weisen Führer der Arbeiterklasse aber niemals störte. Glaubensgemeinschaften brauchen eben keine Bestätigung ihrer Glaubenssätze in und durch die gesellschaftliche Praxis. Es sind dann halt immer böse Kräfte am Werk (zu Zeiten der Kominform und der Polemik über die Generallinie wurden diese bösen Kräfte regelrecht als kriminell dargestellt – nachzulesen etwa bei Kuczynski oder in der Polemik der chinesischen KP,etc.), die die Massen davon abhalten ihren „weisen Führern“ zu folgen.

In „schöpferischer“ Weiterentwicklung haben die Marxisten-Leninisten verschiedener Generationen den armen Engels missbraucht. Der schrieb im „Anti-Dühring“:

„Der Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und kapitalistischer Aneignung tritt an den Tag als Gegensatz von Proletariat und Bourgeoisie.“ (Anti-Dühring, S. 253)

Man mag über diesen Kernsatz der Popularisierung der Marxschen Kapitalkritik immerhin streiten, aber er besagt etwas ganz anderes, als das, was im oben angeführten Zitat aus dem „Roten Morgen“ zum Ausdruck gebracht wird. Die „kapitalistische Aneignung“ mit „privatkapitalistischer Aneignung von Arbeitserzeugnissen“ zu übersetzen, dass kommt „wertfundamentalen Kritikern“ gerade Recht! Der Grundwiderspruch des Kapitals wird so nämlich tatsächlich zu einem der Verteilung! Die Engelssche Formulierung „kapitalistsche Aneignung“ impliziert aber etwas anderes oder viel mehr, nämlich die Aneignung fremder Arbeit, lebendiger Arbeit und nicht bloß deren Erzeugnisse! (Die lebendige Arbeit ist der Gebrauchswert, den das Kapital sich aneignen muss.)

Dieser hier besprochene angebliche Grundwiderspruch des Kapitalismus geistert durch den Marxismus-Leninismus seit er in Kominterzeiten erdacht wurde. Er konstituiert zugleich einen Grundwiderspruch zwischen Marxismus und Leninismus, den die Marxisten-Leninisten nur nicht bemerken, weil ihnen das Marxsche Kapital letztlich ein Buch mit 7 Siegeln geblieben ist.

Seit Lenins politischer Streitschrift gegen den Imperialismus  ist den sich Marxisten-Leninisten nennenden Leuten die Marxsche Kapitalkritik abhanden gekommen. (Sie war nicht Fortsetzung der Kritik der Politischen Ökonomie, markiert vielmehr in wesentlichen Aspekten einen Bruch damit!) Soweit in den 70iger und 80iger Jahren des letzten Jahrhunderts eine Rekonstuktion der Kritik der Politischen Ökonomie gelang, basiert sie wesentlich auf einer Rückbesinnung auf das „Kapital“ und einer Kritik aller Theorien über monopolistischen oder staatsmonoplistischen Kapitalismus.) Die Marxisten-Leninisten meinten, der „Konkurrenkapitalismus“ sei durch den „Monopolkapitalismus“ ersetzt worden und interpretierten das Marxsche Kapital sozusagen als Zustandsbeschreibung des „Konkurrenzkapitalismus,“ dass nun ergänzt werden müsse durch eine Zustandsbeschreibung des „Monopolkapitalismus“. An die Stelle des Wertgesetzes und seiner Durchsetzung trat die Herrschaft durch die Monopole und die „Tributzahlung“ an die Monopole.. Mit diesen „Tributzahlungen“ an die Monopole verschwand die spezifische Form der kapitalistischen Ausbeutung aus dem Blickfeld usw. Das Monopol ist eine Tendenz der auf dem Wert beruhenden Produktionsweise. Es erwächst aus der Konkurrenz. Aber überall da, wo das Monopol sich durchsetzt, hört die Wirkung des Wertgesetzes auf. Würde das Monopol vorherrschend, hörte die spezifisch kapitalistische Produktionsweise auf.

Das marxsche Kapital hat aber nichts mit einer Zustandbeschreibung irgendeines Kapitalismus in irgendeinem Stadium zu tun, es enthüllt vielmehr das „ökonomische Bewegungsgesetz der bürgerlichen Gesellschaft“, egal, in welchem Zustand sich diese Gesellschaft befindet. (Sollte jemand etwa meinen, mit Neoliberalismus und Privatisierung sei ein alter „Konkurrenzkapitalismus“ wieder zu Ehren gekommen, so wird er durch die aktuellen Entwicklung, den zunehmenden Staatsinterventionismus, widerlegt werden. Was bleibt, ist das „prozessierende Verhältnis“, sein „ökonomisches Bewegungsgesetz“. Allein seine Erkenntnis gibt den radikalen Kritikern des Kapitals in ihrem Streben nach Vollendung der sozialer Emanzipation Orientierung.)

Selbstverständlich konnte Marx in seine Untersuchungen, wie das Wertgesetz sich durchsetzt, sich nur an das empirische Material halten, das seine Zeit lieferte. Er konnte nicht ahnen, dass einmal Leute kommen, die meinen seine Entdeckung dieses Gesetzes sei eben nur eine kritische Beschreibung der konkreten Umstände der Kapitalreproduktion seiner Zeit. Hatte er doch seine Absicht in einem Vorwort zum „Kapital“ so deutlich zum Ausdruck gebracht.

Ein Verständnis des „Kapital“, wie ich es hier skizziert habe, macht zum einen deutlich den Anspruch auf Allgemeingültigkeit für alle Stadien kapitalistischer Vergesellschaftung. Es macht aber auch die Grenzen der Kritik der Politischen Ökonomie deutlich: „das ökonomische Bewegungsgesetz der bürgerlichen Gesellschaft“ gilt eben nur auf der Basis des von Marx gekennzeichneten Produktionsverhältnisses. Hört des System der doppelt freien Lohnarbeit auf, sei es durch Verstaatlichung wie im „Realsozialismus“, sei es durch Zwangs- bzw. Sklavenarbeit in der Nazi-Kriegswirtschaft, dann wirkt auch dieses Gesetz nicht mehr und wird untauglich zum Verständnis der anderen gesellschaftlichen Dynamik.

Alle Theorien von Monopolkapitalismus und Staatmonopolistischem Kapitalismus sind durch die Entwicklung der letzten Jahrzehnte (nicht nur wegen der Privatisierung.) ziemlich bloßgestellt. So etwas wie eine „fundamentale Wertkritik“, eine Rückbesinnung auf die Kritik des Wertverhältnisses, war also fällig, was den bescheidenen Erfolg von „Krisis“ etc. erklärt. Die Theorien von Monopolkapitalismus und Staatmonopolitischem Kapitalismus erklärten schließlich alles aus „Herrschaft“ bis hin zum boshaften Wirken „rechtsozialdemokratischer Kräfte“, inkl. krimineller Machenschaften, die das „revolutionäre Proletariat“ darin hinderten, das zu tun, was es eigentlich kraft seiner „historischen Mission“ immer tun wollte und will.(Es gibt da eindrückliche Belege aus der „Polemik über die Generallinie der internationalen kommunistischen Bewegung“, oder aus Werken des „Klassenanalytikers“ Kuzcinski.)

Marx bemerkt:

„Es ist ...natürlich, dass die wirklichen Produktionsagenten in diesen entfremdeten und irrationalen Formen von Kapital – Zins,Boden – Rente, Arbeit – Arbeitslohn sich völlig zu Hause fühlen, denn sie sind eben die Gestaltungen des Scheins, in welchem sie sich bewegen und womit sie ständig zu tun haben.“ (Kapital Bd. 3, S.838)

Eine solche auf den Mystifikationen von Ware, Geld und Kapital beruhende Erklärung des Denkens und der Verhaltensweisen von Lohnabhängigen liegt vollständig außerhalb des theoretischen Horizontes bolschewistischer Theorien über das Monopolkapital.

Zurück zur kommunistischen Programmatik, zu unseren Zielen sozialer Emanzipation, zur Systemfrage und ihrer Beantwortung.

Zwischen der theoretischen Kapitalkritik und der Progammatik gibt es einen grundlegenden Zusammenhang. Soweit ich das überblicken kann, war das Erfurter Programm der SPD in Deutschland das erste und letzte „große“ Programm mit einem allgemeinen Teil, der in Anlehnung an das marxsche Kapital dieses „ökonomische Bewegungsgesetz der bürgerlichen Gesellschaft“ zu umreißen versuchte.

Nach dem Erfurter Programm und nach der programmatischen Erklärung der USPD, die sich auf den allgemeinen Teil des Erfurter Programms bezogen, ging es nur noch abwärts. Vor mir liegen eine Reihe programmatischer Erklärungen der KPD, bei denen mir nur noch das Gruseln kommt. (Ich gehe darauf nicht weiter ein.) Orientierungspunkte sind jeweils die Theorien des Monopolkapitalismus und der „Realsozialismus“. Damit ging die radikale Kapitalkritik verloren und mit ihr die Ziele revolutionärer Demokratie und sozialer Emanzipation.

VI.
Schlussbemerkungen

In den letzten Jahren habe ich immer wieder Diskussionen mit GenossInnen geführt, die betonten, dass alles unklar sei, deshalb lieber von „antikapitalistischen“ oder „postkapitalistischen“ Perspektiven Zuflucht nahmen und das Wort „Kommunismus“ nicht mehr in den Mund nahmen. Mein Eindruck war immer wieder, dass man Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte und die Zuspitzung auf die Fragen: woran anknüpfen? was verwerfen? scheute.

Entweder „wir“, d.h. all diejenigen, die das Kapitalverhältnis im Interesse sozialer Emanzipation überwinden wollen, werden diese Scheu überwinden, oder wir werden der sich anbahnenden und teils schon realisierten sozialen Katastrophe ohnmächtig gegenüberstehen.

Wie ich versucht habe, in Kürze, hastig und konzentriert herunterschreiben, gibt es Traditionen der kommunistischen Bewegung, an denen man anknüpfen kann, die nicht durch Praxis blamiert sind und die uns helfen werden, eine neue kommunistische Bewegung zu begründen. Wenn wir uns organisationsübergreifend konstruktiv über diese in den Traditionen schlummernden Ansätze verständigen, sie kritisch weiterentwickeln, dann können wir die von der „Krisis“-Redaktion gestellte Forderung nach Beantwortung der Systemfrage beantworten

Im Anhang findet ihr einige der angesprochenen programmatischen Texte (Hervorhebungen von mir) sowie einiger meiner bereits veröffentlichen Manuskipte.

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir vom Autor zur Veröffentlichung.

ACHTUNG. Der Anhang und der obige Text liegen nur als PdF vor.

R. Schlossers Text als PDF mit allen Anlagen laden.