Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

NACHRUF: Redouane Osmane (1951 – 2007, Algier)
Genosse REDOUANE OSMANE ist tot
Lehrergewerkschafter, linker Aktivist, Streikführer
 

12/07

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Im Alter von 56 Jahren starb am Samstag, 15. Dezember einer der „Großen“ unter den Gewerkschafter/inne/n und AktivistInnen sozialer Bewegungen in Algerien.  

An jenem Samstag erhielt Redouane OSMANE vor seiner Schulklasse in einer Oberschule der Hauptstadt Algier einen Herzinfarkt, und starb gewissermaßen „die Kreide in der Hand“. Der klinische Tod wurde am selben Tag im Krankenhaus ‚Hôpital Maillot’ festgestellt. Redouane Osmane, der seine Gesundheit nie geschont hat, hatte zuvor ein aufreibendes Wochenende von Versammlungen hinter sich. (Anmerkung: Das algerische Wochenende fällt auf den Donnerstag und den Freitag, den muslimischen Gebetstag. Der Samstag hat also in Algerien dieselbe Funktion wie in europäischen und sonstigen christlich geprägten Ländern der Montag.) 

Redouane Osmane war einer der Wortführer, er war gar die treibende Kraft des CLA oder ‚Rats der Oberschulen von Algier’ (Conseil des lycées d’Alger). Der CLA ist eine autonome und auf Basisstrukturen beruhende Gewerkschaft außerhalb des dominierenden Gewerkschaftsbunds,      also der früheren Staats- und Einheitsgewerkschaft UGTA (Union générale des travailleurs algériens). Unter allen „autonomen“ Gewerkschaften in Algerien, von denen einige eher „gelblich“ und andere eher kämpferisch sind, war bzw. ist der CLA die radikalste, progressivste, am demokratischsten organisierte. 

Rückblick auf ein politisch ereignisreiches Leben 

Redouane Osmane war lange Zeit Sympathisant oder Aktivist der marxistischen Linken in Algerien. Seit Ende der 70er Jahre, in Zeiten der Einheitspartei und der Verfolgung politischer Opposition, stand er den Vorläufern der späteren undogmatisch-trotzkistischen Partei PST (Sozialistische Arbeiterpartei) nahe und wurde 1979 in ihre Reihen aufgenommen. Später hat er der kleinen Partei als solcher allerdings den Rücken gekehrt, auch wenn er ihren und ähnlichen Ideen immer verbunden blieb. Der PST bildet nach wie vor einen der Kristallisationskerne einer sowohl undogmatischen als auch kämpferischen Linken in Algerien. 

1980 war er bereits einer der Hauptanimateure des damaligen großen Lehrerstreiks in Algier. In der Folgezeit nahm er sein Studium wieder auf, um sich akademisch zu qualifizieren. In späteren Jahren würde Redouane sowohl als Literaturdozent an der Universität, als auch an Schulen unterrichten. – 1987 war er einer der Wortführer der „Unabhängigen und demokratischen Gewerkschaft algerischer Studierender“ (SNEAD), die sich außerhalb der UNEA, der für Studierende bestimmten „Massenorganisation“ der damaligen Staats- und Einheitspartei FLN, formierte und während des großen Streiks von 1987 eine wichtige Rolle spielte. 

Während der Jahre des Aufstiegs des Islamismus und des Bürgerkriegs (1992 bis 1998) musste Redouane, wie viele andere Linke und fortschrittliche Menschen auch, „überwintern“. Doch er blieb ohne Unterbrechung in seinem Stadtteil Bab-el-Oued wohnen, einem Kleine-Leute-Bezirk im Zentrum der Hauptstadt Algier, der 1990 und 1991 zu recht hohen Anteilen für die Islamisten des FIS (Front islamique du salut = Islamische Rettungsfront) stimmte. Bei jenen Unterklassenmitglieder, die aus sozialer Wut und im Sinne des Mottos „Der Feind meines Feindes (= des Regimes) ist mein Freund“ für die vermeintlich entschlossenste Alternative zu den Machthabern stimmten, blieb Redouane Osman auch weiterhin respektiert: Die Leute wussten oder ahnten zwar, dass er „ein Gottloser“ war. Er blieb jedoch von dem (unter dem Einfluss der Islamisten ideologisierten und einen „moralischen“ Nenner gebrachten) Hass auf die „Atheisten  und Französischsprachigen“ als Sinnbild der „,korrupten und verderbten, von Frankreich abhängigen Oberschichten“ verschont, da seine persönliche Integrität nicht in Frage gestellt wurde. „Er steht auf unserer Seite und ist keineswegs korrumpiert“ wussten auch jene Angehörigen der städtischen Armut, die –- weitaus weniger aus Sympathie für das vollständige ideologische Programm für einen „islamischen Staat“, denn aus Bewunderung für die scheinbare Kompromisslosigkeit im Auftreten der FIS-Aktivisten gegenüber dem bestehenden Regime – ansonsten ihre Stimmen zu den Islamisten trugen. Auch dies schützte zwar in manchen anderen Fällen Linke oder Feministinnen nicht vor Schlächtern aus den Reihen der Islamisten - seien es (primär antikommunistisch motivierte) Aktivistenkader oder mit der Kalaschonikow herum fuchtelnde Jungmänner, die soeben erst der Pubertät entwachsen waren und ihre „Härte“ dringend unter Beweis stellen mussten. Ihre soziale Basis war jedoch in der Regel nicht in vergleichbarem Ausmaß gegen „persönlich integre“ Linke oder Gewerkschafter aufgebracht, sondern betrachtete diese als eine Art Konkurrenten der Islamisten – in einem vermeintlich beiden gemeinsamen Ringen um „soziale Gerechtigkeit“ -, die nur die merkwürdige Angewohnheit hätten, nicht an Gott zu glauben: Unverständlich zwar in ihren Augen, aber doch „liebenswerte Personen“. Diese Auffassung an der sozialen Basis des FIS-Wählerpotenzials vermochte es, einen wie Redouane Osmane auch in härteren Zeiten in „seinem“ Stadtteil zu schützen. (Manch’ andere mussten dennoch daran glauben, nachdem sie gezielt als „Unmoralische“ gebrandmarkt worden waren.) 

Nach dem Ende des Bürgerkriegs (1998/99) wurde Osmane aktiver denn je. Neben seiner Arbeit als Lehrer war Redouane Osmane etwa im Jahr 2001, als es in den Berberprovinzen Algeriens (vor allem der Kabylei) zu einer Massenrevolte kam, als Journalist und Analytiker tätig und schrieb insbesondere in der Wochenzeitung ‚La Nouvelle République’. Aus dieser Zeit verdanken wir ihm zahlreiche wertvolle Untersuchungen zu den zeitgenössischen Bewegungen in Algerien. 

Im Jahr 2003 gründete er zunächst die autonome Gewerkschaft CNAPEST (Nationaler Rat der Oberschulen und technischen Schulen Algeriens) mit. Doch der CNAPEST erwies sich als eine heterogene, in Teilen konservative oder auch – in manchen regionalen Sektionen – islamistisch geprägte Kraut- und Rüben-Gewerkschaft. Die linken LehrerInnen in der Hauptstadt Algier wollten wechseln und gründeten darauhin ihre eigene unabhängige Gewerkschaft, den CLA. Beim CLA wurden die Sprecher/innen- und anderen Funktionen nach dem Rotationsprinzip besetzt, und 60 Prozent der Delegierten waren Frauen, als die Lehrergewerkschaft 2004 einen harten, mehrmonatigen Streik für die Löhne durchführte.  

Redouane Osmane hat in seinem politisch erfüllten, aber stets auch von eigener materieller Prekarität geprägten Leben viel erreicht. Von der Verbreitung gewerkschaftlichen (und politischen) Bewusstseins bei seinen ArbeitskollegInnen bis hin zu einem wertvollen Anschub etwa für die Selbstorganisierung prekarisierter, in Zeitverträgen angestellter Lehrkräfte.  

Auch nach seinem Tod schien Osmane Redouane den Machthabern noch gefährlich zu wirken. Am Sonntag, den 16. Dezember (wie oben beschrieben, einem Werktag in Algerien) sollte sein Sarg in seiner früheren Schule, dem Lycée Abdelkader in Algier, für eine letzte Ehrenbezeugung aufgebahrt werden. Eine beachtliche Menge an LehrerInnen, Schüler/inne/n und JournalistInnen kamen bereits am Vormittag dort zusammen, und warteten auf das Eintreffen des Sarges. Doch um die Mittagszeit strömten Polizeikräfte herbei und verboten das Aufbahren des Sarges in der Öffentlichkeit. Anwesende skandierten: „Selbst tot, stört er noch.“ Im Anschluss, nach rund zehnminütigen Verhandlungen mit den Sicherheitskräften wurde der Sarg dann in einem größeren Umzug in die Moschee Es-Sunna in Bab-el-Oued (einem Kleine-Leute-Bezirk im Zentrum von Algier) transportiert, und dort aufgebahrt. Eine beachtliche Menschenmenge, unter ihnen Studierende, Berber, politisch Verantwortliche aus den Reihen des PST (undogmatische Trotzkisten) oder des MDS (Ex-Kommunisten, im Prinzip liberal gewendet), gab ihm dort in emotional aufgewühlter Stimmung das letzte Geleit. Eine Prozession von mehreren Tausend Menschen brachte ihn später zum Friedhof El-Kattar, wo er unter zahlreichen „einfachen Leuten“ begraben wurde, wie er es immer gewünscht hatte. 

Leute wie Redouane Osmane werden fehlen. Es bleibt zu hoffen, dass ihm Andere nachfolgen werden. In Algerien und darüber hinaus.

Editorische Anmerkungen

Wir erhielten den Artikel am 22.12.2007 vom Verfasser zur Veröffentlichung.