Im Alter von
56 Jahren starb am Samstag, 15. Dezember einer der „Großen“
unter den Gewerkschafter/inne/n und AktivistInnen sozialer
Bewegungen in Algerien.
An jenem Samstag
erhielt Redouane OSMANE vor seiner Schulklasse in einer
Oberschule der Hauptstadt Algier einen Herzinfarkt, und starb
gewissermaßen „die Kreide in der Hand“.
Der klinische Tod wurde am
selben Tag im Krankenhaus ‚Hôpital Maillot’ festgestellt.
Redouane Osmane, der seine Gesundheit nie geschont hat, hatte
zuvor ein aufreibendes Wochenende von Versammlungen hinter sich.
(Anmerkung: Das algerische Wochenende fällt auf den Donnerstag
und den Freitag, den muslimischen Gebetstag. Der Samstag hat
also in Algerien dieselbe Funktion wie in europäischen und
sonstigen christlich geprägten Ländern der Montag.)
Redouane Osmane war einer der
Wortführer, er war gar die treibende Kraft des CLA oder ‚Rats
der Oberschulen von Algier’ (Conseil des lycées d’Alger). Der
CLA ist eine autonome und auf Basisstrukturen beruhende
Gewerkschaft außerhalb des dominierenden Gewerkschaftsbunds,
also der früheren Staats- und Einheitsgewerkschaft UGTA
(Union générale des travailleurs algériens). Unter allen
„autonomen“ Gewerkschaften in Algerien, von denen einige eher
„gelblich“ und andere eher kämpferisch sind, war bzw. ist der
CLA die radikalste, progressivste, am demokratischsten
organisierte.
Rückblick auf
ein politisch ereignisreiches Leben
Redouane Osmane war lange Zeit
Sympathisant oder Aktivist der marxistischen Linken in Algerien.
Seit Ende der 70er Jahre, in Zeiten der Einheitspartei und der
Verfolgung politischer Opposition, stand er den Vorläufern der
späteren undogmatisch-trotzkistischen Partei PST (Sozialistische
Arbeiterpartei) nahe und wurde 1979 in ihre Reihen aufgenommen.
Später hat er der kleinen Partei als solcher allerdings den
Rücken gekehrt, auch wenn er ihren und ähnlichen Ideen immer
verbunden blieb. Der PST bildet nach wie vor einen der
Kristallisationskerne einer sowohl undogmatischen als auch
kämpferischen Linken in Algerien.
1980 war er bereits einer der
Hauptanimateure des damaligen großen Lehrerstreiks in Algier. In
der Folgezeit nahm er sein Studium wieder auf, um sich
akademisch zu qualifizieren. In späteren Jahren würde Redouane
sowohl als Literaturdozent an der Universität, als auch an
Schulen unterrichten. – 1987 war er einer der Wortführer der
„Unabhängigen und demokratischen Gewerkschaft algerischer
Studierender“ (SNEAD), die sich außerhalb der UNEA, der für
Studierende bestimmten „Massenorganisation“ der damaligen
Staats- und Einheitspartei FLN, formierte und während des großen
Streiks von 1987 eine wichtige Rolle spielte.
Während der Jahre
des Aufstiegs des Islamismus und des Bürgerkriegs (1992 bis
1998) musste Redouane, wie viele andere Linke und
fortschrittliche Menschen auch, „überwintern“. Doch er blieb
ohne Unterbrechung in seinem Stadtteil Bab-el-Oued wohnen, einem
Kleine-Leute-Bezirk im Zentrum der Hauptstadt Algier, der 1990
und 1991 zu recht hohen Anteilen für die Islamisten des FIS
(Front islamique du salut = Islamische Rettungsfront) stimmte.
Bei jenen Unterklassenmitglieder, die aus sozialer Wut und im
Sinne des Mottos „Der Feind meines Feindes (= des Regimes) ist
mein Freund“ für die vermeintlich entschlossenste Alternative zu
den Machthabern stimmten, blieb Redouane Osman auch weiterhin
respektiert: Die Leute wussten oder ahnten zwar, dass er „ein
Gottloser“ war. Er blieb jedoch von dem (unter dem Einfluss der
Islamisten ideologisierten und einen „moralischen“ Nenner
gebrachten) Hass auf die „Atheisten und Französischsprachigen“
als Sinnbild der „,korrupten und verderbten, von Frankreich
abhängigen Oberschichten“ verschont, da seine persönliche
Integrität nicht in Frage gestellt wurde.
„Er steht auf unserer Seite und
ist keineswegs korrumpiert“ wussten auch jene Angehörigen der
städtischen Armut, die –- weitaus weniger aus Sympathie für das
vollständige ideologische Programm für einen „islamischen
Staat“, denn aus Bewunderung für die scheinbare
Kompromisslosigkeit im Auftreten der FIS-Aktivisten gegenüber
dem bestehenden Regime – ansonsten ihre Stimmen zu den
Islamisten trugen. Auch dies schützte zwar in manchen anderen
Fällen Linke oder Feministinnen nicht vor Schlächtern aus den
Reihen der Islamisten - seien es (primär antikommunistisch
motivierte) Aktivistenkader oder mit der Kalaschonikow herum
fuchtelnde Jungmänner, die soeben erst der Pubertät entwachsen
waren und ihre „Härte“ dringend unter Beweis stellen mussten.
Ihre soziale Basis war jedoch in der Regel nicht in
vergleichbarem Ausmaß gegen „persönlich integre“ Linke oder
Gewerkschafter aufgebracht, sondern betrachtete diese als eine
Art Konkurrenten der Islamisten – in einem vermeintlich beiden
gemeinsamen Ringen um „soziale Gerechtigkeit“ -, die nur die
merkwürdige Angewohnheit hätten, nicht an Gott zu glauben:
Unverständlich zwar in ihren Augen, aber doch „liebenswerte
Personen“. Diese Auffassung an der sozialen Basis des
FIS-Wählerpotenzials vermochte es, einen wie Redouane Osmane
auch in härteren Zeiten in „seinem“ Stadtteil zu schützen.
(Manch’ andere mussten dennoch daran glauben, nachdem sie
gezielt als „Unmoralische“ gebrandmarkt worden waren.)
Nach dem Ende des Bürgerkriegs
(1998/99) wurde Osmane aktiver denn je. Neben seiner Arbeit als
Lehrer war Redouane Osmane etwa im Jahr 2001, als es in den
Berberprovinzen Algeriens (vor allem der Kabylei) zu einer
Massenrevolte kam, als Journalist und Analytiker tätig und
schrieb insbesondere in der Wochenzeitung ‚La Nouvelle
République’. Aus dieser Zeit verdanken wir ihm zahlreiche
wertvolle Untersuchungen zu den zeitgenössischen Bewegungen in
Algerien.
Im Jahr 2003 gründete er
zunächst die autonome Gewerkschaft CNAPEST (Nationaler Rat der
Oberschulen und technischen Schulen Algeriens) mit. Doch der
CNAPEST erwies sich als eine heterogene, in Teilen konservative
oder auch – in manchen regionalen Sektionen – islamistisch
geprägte Kraut- und Rüben-Gewerkschaft. Die linken LehrerInnen
in der Hauptstadt Algier wollten wechseln und gründeten darauhin
ihre eigene unabhängige Gewerkschaft, den CLA. Beim CLA wurden
die Sprecher/innen- und anderen Funktionen nach dem
Rotationsprinzip besetzt, und 60 Prozent der Delegierten waren
Frauen, als die Lehrergewerkschaft 2004 einen harten,
mehrmonatigen Streik für die Löhne durchführte.
Redouane Osmane hat in seinem
politisch erfüllten, aber stets auch von eigener materieller
Prekarität geprägten Leben viel erreicht. Von der Verbreitung
gewerkschaftlichen (und politischen) Bewusstseins bei seinen
ArbeitskollegInnen bis hin zu einem wertvollen Anschub etwa für
die Selbstorganisierung prekarisierter, in Zeitverträgen
angestellter Lehrkräfte.
Auch nach seinem
Tod schien Osmane Redouane den Machthabern noch gefährlich zu
wirken. Am Sonntag, den
16. Dezember (wie oben beschrieben, einem Werktag in Algerien)
sollte sein Sarg in seiner früheren Schule, dem Lycée Abdelkader
in Algier, für eine letzte Ehrenbezeugung aufgebahrt werden.
Eine
beachtliche Menge an LehrerInnen, Schüler/inne/n und
JournalistInnen kamen bereits am Vormittag dort zusammen, und
warteten auf das Eintreffen des Sarges. Doch um die Mittagszeit
strömten Polizeikräfte herbei und verboten das Aufbahren des
Sarges in der Öffentlichkeit.
Anwesende skandierten: „Selbst
tot, stört er noch.“ Im Anschluss, nach rund zehnminütigen
Verhandlungen mit den Sicherheitskräften wurde der Sarg dann in
einem größeren Umzug in die Moschee Es-Sunna in Bab-el-Oued
(einem Kleine-Leute-Bezirk im Zentrum von Algier) transportiert,
und dort aufgebahrt. Eine beachtliche Menschenmenge, unter ihnen
Studierende, Berber, politisch Verantwortliche aus den Reihen
des PST (undogmatische Trotzkisten) oder des MDS
(Ex-Kommunisten, im Prinzip liberal gewendet), gab ihm dort in
emotional aufgewühlter Stimmung das letzte Geleit. Eine
Prozession von mehreren Tausend Menschen brachte ihn später zum
Friedhof El-Kattar, wo er unter zahlreichen „einfachen Leuten“
begraben wurde, wie er es immer gewünscht hatte.
Leute wie Redouane Osmane werden
fehlen. Es bleibt zu hoffen, dass ihm Andere nachfolgen werden.
In Algerien
und darüber hinaus.
Editorische
Anmerkungen
Wir erhielten den Artikel am
22.12.2007 vom Verfasser zur Veröffentlichung.
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