Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Streik bei der Pariser Metro am Mittwoch, bei den Eisenbahnern am Donnerstag in Versprengter Ordnung
SUD von vornherein ausgegrenzt. Oder: Wie der CGT-Apparat den Streik gegen die Wand fährt

12/07

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Am morgigen Mittwoch (12.12.2007) sowie am Donnerstag stehen zwei aufeinanderfolgende Streiktage bei den Pariser Verkehrsbetrieben (morgen) sowie bei den französischen Eisenbahner/innen (übermorgen) an. Ursächlich für diese - vorübergehende – Wiederaufnahme des Streiks, der zuletzt vom 14. bis circa 22. November (mit örtlichen Variationen bei der Dauer) als „unbefristeter Arbeitskampf“ geführt worden war, ist das Stocken der Verhandlungen, die ab dem 21. November bei den Eisenbahner/inne/n, fünf Tage später bei den Pariser Verkehrsbetrieben eröffnet worden waren. 

Zuvor galten von allen Verhandlungsrunden, die am Ausgang des jüngsten unbefristeten Streiks eröffnet worden waren, jene bei der Eisenbahngesellschaft als am weitesten fortgeschritten. Laut ersten Presseberichten waren sie vor allem zwischen den Gewerkschaften und der Direktion des Unternehmens vorangekommen, wobei die SNCF-Direktion allem Anschein nach bereit war, die Einführung einer zehnten Gehaltsstufe für die Eisenbahner kurz vor ihrem Eintritt ins Rentenalter zu bewilligen. Dies hätte eine Anhebung des Grundgehalts kurz vor der Pensionierung um 2,5 % zur Folge, und damit die Anhebung der Bemessungsgrundlage für die Rente (da diese in Bezug auf das Gehalt eines Eisenbahners während seiner letzten sechs Dienstmonate berechnet wird). Insgesamt würden die Zugeständnisse der Bahndirektion laut ersten Berichten die SNCF rund 90 Millionen Euro kosten, das ist, gemessen an ihrem Umsatz, nicht wirklich teuer. Hingegen blockierte die unnachgiebige Haltung der Regierungsvertreter (der dritten Partei am Verhandlungstisch) zur Frage der Lebensarbeitszeit ein weiteres Vorankommen. 

Hingegen waren bei der RATP unterdessen mehrere Gewerkschaften ausgezogen und hatten den Verhandlungstisch verlassen, unter ihnen auch die als „moderat“ geltende UNSA, die rund 20 Prozent der Stimmen wiegt und besonders bei den BusfahrerInnen gut verankert ist. Bei den Energieversorgungsunternehmen EDF und GDF (Electricité de France/Gaz de France) hatten die Verhandlungen als allererste begonnen, schon ab dem Freitag, 16. November. Also ab dem dritten Tag des unbefristeten Streiks jener Beschäftigtengruppen, die von der Abschaffung der „Sonderregelungen“ zur Rente betroffen sind. Aber hier wurde auch als allererstes ihr drohendes Scheitern bekannt gegeben. Schon am vergangenen Donnerstag (6. November) hatten die Gewerkschaften dort neuerliche Warnstreiks durchgeführt, da sich bis dahin keinerlei halbwegs tragfähiges Verhandlungsergebnis abzeichnete. 

Nur beschränkte Arbeitsniederlegungen

Nun zu den Einschränkungen: In beiden Fällen ist der Streik jin dieser Woche edoch von vornherein auf 24 Stunden beschränkt, und nicht als ‚Grève reconductible’ (also alle 24 Stunden in Vollversammlungen verlängerbarer Streik) ausgelegt. Seit Dienstag früh verlautbarte im übrigen seitens der CGT, der mittwöchliche Streik beim Pariser Transportbetrieben sei gar kein wirklicher Streik, sondern es bleibe bei einem Aufruf zu „Aktionen“ wie etwa ein- oder zweistündigen Arbeitsniederlegungen und „der Überreichung von Petitionen“. Der Métro- und Busbetreiber RATP hatte zunächst vorgesehen, dass 60 % der üblichen Verkehrsdichte gesichert werden könnten, setzte diese Angabe aber seit der Ankündigung der CGT auf nunmehr 80 Prozent hoch.

Bei der Pariser RATP ruft allein die CGT-RATP zu diesem ursprünglich als Warnstreik konzipierten Arbeitskampf auf, und damit zwar die stärkste Einzelgewerkschaft, aber nur eine von acht bei der RATP vertretenen Gewerkschaften. Bei der französischen Bahngesellschaft SNCF rufen zwei Beschäftigtenorganisationen auf: die CGT sowie die („Standes-“)Gewerkschaft der höheren und leitenden Angestellten, die CFE-CGC. Ein höchst seltsames Bündnis, das sich u.a. daraus erklärt, dass andere Gewerkschaften wie FO-Cheminots (Force Ouvrière bei den Eisenbahnern) einen von vornherein auf 24 Stunden befristeten Streik für aussichtslos und Kräfteverschwendung halten. 

Die linke Basisgewerkschaft SUD-Rail (SUD Schienenverkehr) wiederum wurde durch die CGT zu einem Vorbereitungstreffen gar nicht erst eingeladen. (Vgl. ausführlich: http://www.hns-info.net/) Dabei ist SUD immerhin die zweistärkste von insgesamt acht Gewerkschaften bei den Eisenbahner/innen, mit 15 Prozent der Stimmen bei den Personalratswahlen, an zweiter Stelle hinter der CGT. Mehr denn je zuvor legt der CGT-Apparat eine harte, sektiererische Ausgrenzungshaltung gegenüber der linken Basisgewerkschaft an den Tag. Womit ihre Gewerkschaftsbürokratie freilich nicht allein steht, denn auch in den Medien steht SUD-Rail oftmals als „der Buhmann“ für die jüngsten Streik dar.  

Auch bei der Anti-Streik-Demonstration von rechts, die am 18. November stattfand (Labournet berichtete), waren die Parolen vorwiegend gegen SUD gerichtet: „SUD Rail, au travail!“ (SUD-Schienenverkehr, an die Arbeit!) Bei den damaligen – seinerzeit noch winzigen – Anti-Streik-Mobilisierungen im Dezember 1995 hatten die Slogans sich noch gegen die CGT und Force Ouvrière gerichtet („CGT, arrêtez! FO, au boulot!“ = „CGT, hört mit dem Streik auf! FO, an die Maloche!) Und in einem Interview, das am 26. November in der Tageszeitung ‚Sud Ouest’ publiziert wurde, tönte Français Hollande – die Oberzipfelmütze der französischen Schnarch-Sozialdemokraten – gar, nachdem er die „vernünftige“ Haltung der anderen Gewerkschaften gelobt hatte: „Das Gewerkschaftertum, das wir bekämpfen müssen, ist jenes von SUD.“ Denn diese Organisation sei „immer nur auf Kampf aus“ und nicht hinreichend kompromisswillig. Ein netteres Kompliment als jener der sozialdemokratischen Schlaftablette François Hollande hätte man der Basisgewerkschaft kaum machen können. 

Bemerkenswert ist, dass im Moment auch keine andere Gewerkschaft neben SUD den durch die CGT bürokratisch organisierten und (‚strategisch’) unter ihrer engen Kontrolle gehaltenen Warnstreik vom Mittwoch und Donnerstag unterstützt. Dies hängt mit ihrer Grundkonzeption zusammen: Der Arbeitskampf soll nur als Unterstützungshandlung, als zusätzlicher Hebel für das Kräfteverhältnis in den Verhandlungen genutzt werden – aber nicht selbst eine Dynamik entfalten, die es erlauben würde, jenseits der Verhandlungsrunden Forderungen an die Regierung zu richten und dafür Druck zu entfalten. Zumindest in relevanten Teilen der CGT-Basis, zum Teil auch an der Basis von UNSA (einer sich selbst als „reformerisch“ und „unpolitisch“ bezeichnenden, also eher „moderaten“ Gewerkschaft, die besonders bei den Busfahrer/inne/n gut verankert ist) sowie bei FO-Cheminots kann man sich für dieses Konzept, das dem Streik von vornherein die Zügel anlegt, nicht sonderlich begeistern.

Eine selbstmörderische Taktik (oder Strategie?) 

Dass der CGT-Apparat nicht unbedingt an die Erfolgschancen eines unbefristeten Streiks ohne konkrete (Verhandlungs-)Perspektive glaubt, ist eine Sache, die man ihm – als solche, und isoliert genommen – nicht unbedingt vorwerfen muss. Tatsächlich ist das globale Kräfteverhältnis zwischen den Klassen im Augenblick eher negativ, da relevante Teile der öffentlichen Meinung gegen den angeblichen „Ausstand der Privilegierten, die an ihren überkommenen Vorteilen festhalten möchten“ aufgehetzt worden sind. Dennoch prägt der bürokratische Charakter der Konzeption, mit welcher der CGT-Apparat von vornherein (2003 wie 2007) an die Streiks bei den Transportbeschäftigten gegen die damalige allgemeine und gegen die jetzige ‚besondere’ Rentenreform heranging, auch ihre Durchführung. Konkret, es lähmt sie. Denn erstens soll der Streik von vornherein in ein Korsett gezwängt werden, das es ihm gar nicht erlaubt, eine positive Dynamik zu entwickeln: Der Arbeitskampf soll nur als Druckmittel für die Eröffnung von Verhandlungen dienen, nicht aber aus sich heraus die Kraft zum Zurückdrängen der Regierungspläne entfalten (auch wenn Letzteres in diesem Falle, unter Nicolas Sarkozy, schwerer gefallen wäre als in der Vergangenheit in der Chirac-Ära). Zum Zweiten hat die gewerkschaftliche Spaltungspolitik durch das autoritäre Sektierertum gegen SUD die gewerkschaftlichen Kräfte zersplittert. 

Drittens und vor allem hat die CGT aber bei weitem nicht alles getan, was in ihrer Macht stand, um die drohende Isolierung der streikenden Sektoren (Einsebahner/innen, RATP-Beschäftigte, Mitarbeiter der Energieversorgungsunternehmen sowie der Pariser Opernhäuser) von anderen Teilen der Gesellschaft, unter ihnen auch der abhängig Beschäftigten, zu überwinden. Dazu hätte es einer offensiven Kommunikation, eine Mobilisierung der eigenen Basen in anderen Sektoren der Lohnabhängigenschaft, sowie einer nachvollziehbaren Präsentation der tiefer liegenden Gründe für den eigenen Protests (also eines Minimums an „Politisierung“ der Inhalte) bedurft. Während die rechtssozialdemokratische CFDT – deren Führung den aktuellen Streik ohnehin schon längst offen verraten hat – dies offen ablehnt und sich auf eine rein technokratische Verhandlungsebene über die einzelnen Folgen der Verlängerung der Lebensarbeitszeit herab begeben möchte, ist die Position des CGT-Apparats in dieser Hinsicht nicht so klar. Allerdings hat ihre Führung am Vorabend des damals „unbefristet“ aufgerufenen Streiks, also am 13. November, dem Regierungsblock das höchst wichtige Zugeständnis gemacht, dass sie in die Verhandlungsführer „Unternehmen für Unternehmen“ (SNCF, RATP, EDF/GDF…) einwilligte. Dadurch wurden zentrale Verhandlungen mit der Regierung und die „Politisierung“ ihres Gegenstands auf nationaler Ebene von vornherein ausgeschlossen, und die „Probleme der Eisenbahner“ werden als Probleme (nur) der Eisenbahner/innen, jene der EDF-Beschäftigten als Sonderprobleme der EDF-Beschäftigten, … usw. be- und verhandelt.  

Die Gesamtdynamik der Streikbewegung wurde bereits an diesem Punkt gelähmt, und später durch die Entscheidung der CGT zur Wiederaufnahme der Arbeit ab dem ersten Verhandlungstag am 21. November (auf der Ebene der Sonderverhandlungen bei der SNCF) unterbrochen. Damals hatte SUD-Rail, nachdem sie zuerst Verhandlungen zumindest auf Unternehmensebene abgelehnt hatte, in die Eröffnungen von Verhandlungen – auch im Rahmen der SNCF – eingewilligt, da man auch dort spürte, dass das Kräfteverhältnis aus gewerkschaftlicher Sicht am Zusammenbrechen war. Die schnelle Entscheidung des CGT-Apparats zur Beendigung des „unbefristeten“ Streiks hat dieses Einbrechen dann noch beschleunigt, so dass kein Druck eines aktuell anhaltenden Streiks während der Verhandlungen mehr vorhanden war.

Dass dabei bei einer zu fast Allem entschlossenen Regierung am Ende nicht viel herauszuholen, denn ohne Druck möchte man auch der bravsten Gewerkschaft schlicht und einfach nicht viel „geben“..

Editorische Anmerkungen

Wir erhielten den Artikel am 11.12.2007 vom Verfasser zur Veröffentlichung.