Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

"Teilwahl" in der Pariser Banlieue
Der extremen Rechten gelingt es nicht, übermäßig Kapitel aus den schweren Unruhen in Villiers-le-Bel zu schlagen

12/07

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Jean-Michel Dubois ist ein langjähriges Führungsmitglied des Front National (FN).  Bereits in den 80er Jahren war er führend am Aufbau einer „Wirtschaftsorganisation“ der rechtsextremen Partei, die sich damals vor allem an die mittelständischen Unternehmer richtete – es handelte sich um die FNEML (Nationale Föderation für moderne Unternehmen und Freiheit) – beteiligt. Am vergangenen Wochenende war, erstmals in den letzten Jahre, größere Aufmerksamkeit in der französischen Öffentlichkeit auf ihn gerichtet.  

Am Sonntag, 9. Dezember trat Dubois in der Pariser Banlieue oder Trabantenstadtzone als Kandidat an. Dort, präziser im Wahlkreis von Sarcelles, ist ein durch den Abgang des bisherigen rechtssozialdemokratischen Abgeordneten Dominique Strauss-Kahn nach Washington (wo er neuer Direktor des Internationalen Währungsfonds IWF geworden ist) frei gewordener Abgeordnetensitz neu zu besetzen. Dazu findet eine so genannte ‚élection partielle’ oder „Teilwahl“ statt, wie es im französischen System üblich ist, wo es keine Landeslisten bei den Parlamentswahlen gibt. 

In demselben Wahlkreis, genauer in der 26.000 Einwohner zählenden Stadt Villiers-le-Bel, fanden vor nunmehr zwei Wochen dreitägige, heftige Unruhen statt, die im ganzen Land im Mittelpunkt der Medienberichterstattung standen.  Der FN-Kandidat Dubois verstand es kurz nach Ausbruch der Riots, die in Teilen der Gesellschaft aufgebrochenen Ängste aufzugreifen und sich in Szene zu setzen. (Vgl. dazu das, nicht ungeschickt präsentierte, Video des Kandidaten: http://www.frontnational.com/8e95/zoom.htm

Vor diesem Hintergrund bestand das erhebliche Risiko, dass (ähnlich wie nach den großflächigen Riots von 2005) ein Teil der Gesellschaft mit einem rassistischen Schub und einem Rechtsruck reagieren könnte. An den ersten beiden Tagen nach dem Ausbruch der Riots mussten mindestens zwei Leserforen französischer Medien - jenes der Gratistageszeitung ‚20 minutes’, und das unter einem Artikel der konservativen Tageszeitung ‚Le Figaro’ zum Thema - im Internet aufgrund überbordender rassistischer Äußerungen geschlossen werden. Beim ‚Figaro’ las man etwa, von LeserInnen verfasst: „Ungeziefer, das rottet man aus“ (la vermine, ça s’extermine) oder „Mit echter Munition auf die Aufrührer schießen!“ Ob das nur eine rechtsradikale Minderheit ist, die laut lospoltert, ob der Rechtsruck im Gegenteil breitere Kreise bis hinein ins verängstigte Bürgertum erfasst, oder aber ob die Sache aufgrund des relativ schnellen Abflauens der diesjährigen Unruhen bald wieder in den Hintergrund rückt, blieb zunächst noch abzuwarten. 

Bei der konservativen Tageszeitung ‚Le Figaro’ waren es unterdessen nicht allein die Leser (oder Internetnutzer), die rassistische Reaktionen und rassistische Interpretationen des Geschehens an den Tag legten. Auch im redaktionellen Teil des Blattes wurde in ähnlichem Sinne geholzt, wobei der Tonfall natürlich höflicher blieb. Der berüchtigte Verantwortliche für die Kommentarspalte und die Seite für Gastbeiträge sowie Leserbriefe, Ivan Rifoul (Nachfolger des viel zu spät verstorbenen Max Clos, den 1988 der damalige Herausgeber Robert Hersant vom Chefredakteur zum Verantwortlichen der Meinungsseite herabgestuft hatte, weil er offen für ein Bündnis der Rechten mit Le Pen eintrat), tönte etwa, die Vorfälle erwiesen „das Scheitern des Multikulturalismus“. Er sprach von „neuen Barbaren“ und analysierte das Geschehen als eine Konsequenz von „Einwanderung und Vermischung der Kulturen“, den Linksparteien vorwerfend, deren „Loblied“ (éloge) zu singen, und sonderte ähnlichen Dreck ab. - Vgl. im Original: http://www.lefigaro.fr. Die extrem dramatisierende Überschrift des Kommentars lautet: „Frankreich in Stücken“. 

Das Wahlergebnis 

Vor diesem Hintergrund erhielt Jean-Michel Dubois nun im Wahlkreis von Sarcelles 7,47 Prozent der Stimmen. In der Stadt Villiers-le-Bel selbst sind es 10,53 Prozent. Die Wahlbeteiligung, die bei solchen „Teilwahlen“ allgemein niedrig liegt, beiträgt insgesamt 25,06 Prozent. Vor Ort in Villiers-le-Bel liegt sie bei (noch geringeren) 22,24 Prozent. 

Dieses Ergebnis bedeutet einen Wiederanstieg des rechtsextremen Stimmenanteils gegenüber der Parlamentswahl vom 10. und 17. Juni dieses Jahres. Damals erhielt der FN-Bewerber, ein anderer (mit Namen Roger Eliman), im Wahlkreis von Sarcelles genau 4,00 Prozent der Stimmen. In der Stadt Sarcelles waren es damals 3,3 Prozent, in Villiers-le-Bel hingegen leicht überdurchschnittliche 4,67 Prozent. Allerdings können diese diesjährigen Parlamentswahlen kaum als Maßstab für die Bewertung des Abschneidens der extremen Rechten herangezogen werden: Allgemein schnitt der FN in diesem Jahr dabei ungewöhnlich niedrig (im nationalen Durchschnitt: 4,3 %) ab, nachdem Jean-Marie Le Pen zuvor im ersten Durchgang der Präsidentschaftswahl am 22. April 2007 zum ersten Mal auf landesweiter Ebene einen Rückschlag hatte hinnehmen müssen. Dabei war er von 17 Prozent der Stimmen bei den Präsidentschaftswahlen von 2002 -bei denen er in beiden Wahlgängen präsent war - auf noch gut 10 Prozent gefallen. 

Nehmen wir also zum Vergleich zusätzlich noch die Parlamentswahlen vom Juni 2002 her, die auch damals, in wenigen Wochen Abstand, dicht den Präsidentschaftswahlen folgten. Vor fünf Jahren erhielt die damalige FN-Bewerberin Rejane Doré noch 14,52 Prozent in dem Wahlkreis, der uns interessiert. In der Stadt Sarcelles erhielt sie unterdurchschnittliche 12,12 %, in dem (jetzt von den Unruhen betroffenen) Villiers-le-Bel hingegen 16,61 % der Stimmen. 

Insofern lässt sich feststellen, dass es dem FN in einer für ihn und seine Propaganda ausgesprochen günstigen Situation zwar gelingt, sein absolutes Tief vom Frühsommer dieses Jahres zu überwinden, er aber dennoch (bei weitem) keine neuerliche Annäherung an vergangene Spitzenergebnisse schafft. Die Wahl vom Dezember 2007 werden, in der Stichwahl am folgenden Sonntag, die beiden „großen“ Kandidaten von der französischen Sozialdemokratie und von der konservativen Regierungspartei UMP, François Pupponi und Sylvie Noachovitch, unter sich ausmachen. Mit gut 38 bzw. gut 37 Prozent der abgegebenen Stimmen schnitten sie in ähnlichen Proportionen ab wie bei der frankreichweiten Parlamentswahl im Juni. Noch hält der „Effekt Sarkozy“, der viele frühere rechtsextreme Wähler (zurück) in den Bann des konservativen Rechtsblocks zog, anscheinend an.

Editorische Anmerkungen

Wir erhielten den Artikel am 11.12.2007 vom Verfasser zur Veröffentlichung.  Siehe dazu auch in dieser Ausgabe: