Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Urteil des französischen Verfassungsgerichts zum neuen Ausländergesetz ‘Lex Hortefeux’
Französisches Verfassungsgericht lässt DNA-Tests im Rahmen der Familienzusammenführung zu, zensiert aber einen anderen Punkt der neuen Ausländergesetzes als verfassungswidrig

12/07

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Seine Entscheidung war viel erwartet worden, enthält aber nicht, was viele Beobachter vermutet hatten. Am Donnerstag, 15. November 2007 wurde die mit hoher Spannung erwartete Entscheidung des Conseil Constitutionnel (C.C.), des französischen Verfassungsgerichts, zum neuen Ausländergesetz vorgelegt. Das Gesetzeswerk, das vom neuen Minister „für Immigration und nationale Identität“ Brice Hortefeux ausgearbeitet worden war, wurde am 23. Oktober 2007 definitiv durch die beiden Kammern des französischen Parlaments verabschiedet. Die parlamentarische Opposition hatte daraufhin den C.C. angerufen, um die Verfassungswidrigkeit des Gesetzeswerks erklären zu lassen. (Vgl. http://www.labournet.de/internationales/fr/dnatests4.html )  Nunmehr konnte die „Lex Hortefeux“ am 20. November, nach ihrer Veröffentlichung im ‚Journal Officiel’, dem französischen Gesetzesanzeiger/Amtsblatt, in Kraft treten. 

Parlamentarische Opposition bremste ihren eigenen Elan 

Wie sich jetzt herausstellt, hat die – überwiegend sozialdemokratische - parlamentarische Opposition zwar erklärt, sie wolle „das gesamte Gesetz“ überprüfen lassen und ggf. zu Fall bringen.       Es geht aber aus dem jetzigen Urteil des Verfassungsgerichtshofs hervor, dass nur zwei Artikel des aus 63 Artikeln bestehenden Gesetzeswerks mit juristischen Argumenten angegriffen worden waren, denn in dem Urteil steht: „Die Urheber der Anrufung des C.C. bestreiten die Verfassungsmäbigkeit der Artikel 13 und 63...“ Zwar hatte eine Gruppe von knapp 20 Abgeordneten, überwiegend der KP und der Grünen, einige Tage später eine zusätzliche Klageschrift eingereicht, am 31. Oktober, um auch andere Artikel des Gesetzespakets juristisch zu attackieren. Diese Abgeordnetengruppen erfüllte jedoch nicht die Voraussetzungen, um den C.C. anzurufen, da man dafür mindestens 60 Abgeordnete oder 60 Senatoren benötigt (Vgl. http://www.labournet.de). Daher wurde ihre zusätzlich eingereichte Klageschrift, ohne Prüfung der darin enthaltenen juristischen Argumente, zurückgewiesen. Die Hauptklageschrift, die überwiegend von Parlamentariern der „Sozialistischen“ Partei stammt, griff hingegen nur die beiden o.g. Artikel an. Beim erstgenannten Gesetzesartikel handelt es sich um jenen, der die Durchführung von DNA-Untersuchungen für Visabewerber im Rahmen der Familienzusammenführung erlaubt (Artikel 13). Beim anderen geht es um die Einführung „ethnischer Statistiken“ in die Datenerfassung, die bislang nach französischem Recht nicht zulässig waren (Artikel 63). 

Zu den umstrittenen DNA-Untersuchungen 

Vielfach war vermutet worden, dass der C.C. zumindest die heftig (und zeitweise bis ins Regierungslager hinein) umstrittenen Gentests zu Fall bringen werde. Dem war aber nicht so. Das Verfassungsgericht macht zwar einige Auslegungsvorbehalte geltend, die sich jedoch weitgehend mit den Anwendungsbedingungen decken, die bereits der Senat – das Oberhaus des französischen Parlaments – in erster Lesung vom 2. bis 5. Oktober in den Artikel aufnehmen lieb. Es wird das Element der Freiwilligkeit betont, also die Tatsache, dass kein/e Visumsbewerber/in im Rahmen der Familienzusammenführung zur Durchführung des Gentests gezwungen werden könne. (Allerdings kann auch niemand das Konsulat zwingen, ihm oder ihr ein Visum zu erteilen, falls die Person „nicht mitspielt“.) Das Zivilgericht in Nantes, das frankreichweit für alle standesamtlichen Angelegenheiten von Ausländer/inne/n oder im Ausland geborenen Franzosen zuständig ist, soll die Anordnungen bzw. „Angebote“ zum Gentest kontrollieren. Der Verfassungsgerichtshof betont jetzt zusätzlich, dass das französische Konsulat im Ausland zunächst überprüfen müsse, welche standesamtlichen Dokumente der oder die Visumsbewerber/in (oder dessen gesetzlicher Vormund) und Antragsteller/in auf Nachzug zu einem Frankreich lebenden Familienmitglied präsentiert. Gültige standesamtliche Dokumente eines ausländischen Staates müssen akzeptiert werden.  

Auch - und diese Präzisierung ist wichtig - verpflichtet das Verfassungsgericht den französischen Staat dazu, solche (nachgewiesenen) Familienverhältnisse, die nach dem Recht des ausländischen Staats gültig sind und dabei keine „Blutsverwandtschaft“ voraussetzen, zu akzeptieren. Beispielsweise muss ein ausländisches Adoptionsurteil aus dem Herkunftsland der betroffenen Familie, das in diesem Staat gültig ist und eine Eltern-Kind-Beziehung ohne „Blutsabstammung“ begründet, von den französischen Visums- und Ausländerbehörden angenommen werden. Voraussetzung allerdings ist, dass der Nachweis auf Papier glückt, und dass es sich um das Ergebnis einer rechtlich geregelten Prozedur handelt. In vielen afrikanischen Ländern (wo die Erziehung der Kinder in der Regel nicht als Privatsache der leiblichen Eltern, sondern als kollektive Angelegenheit der Nachbarschaft, des Dorfes, der erweiterten Verwandtschaft aufgefasst wird) ist es aber in der Praxis üblich, dass Kinder, die von ihren „biologischen“ Eltern aufgegeben sind oder nicht von ihnen versorgt werden können, unter die Obhut anderer Erwachsener genommen werden. Ob Tanten, Onkel, u.U. Nachbarn... Besonders hoch ist die Bedeutung dieser Tatsache bspw. in einem Land wie der Demokratischen Republik Kongo (ex-Zaire), die bis in jüngster Vergangenheit von einem grausamen Bürgerkrieg – bzw. internationalen Krieg, in den die Staaten des halben Kontinents sowie auswärtige (auch westliche) Mächte verwickelt wurde- geschüttelt wurde. In Kongo/Zaire wurden in den letzten zehn Jahren rund 4,5 Millionen Menschen getötet. Man darf deswegen davon ausgehen, dass zahlreiche Kinder bei erwachsenen Personen aufwachsen, die nicht ihre leiblichen Eltern sind, da Letztere oft tot, verstümmelt, verschollen oder „verschwunden“ sind. Aber ebenso kann man annehmen, dass nicht in all diesen Fällen rechtsgültige Adoptionsurteile vorliegen, zumal die Demokratische Republik Kongo noch bis vor kurzem ein total zerrüttetes Land darstellte, auch wenn nunmehr eine Stabilisierungsphase eingetreten ist. In solchen Fällen aber wäre es aber für eine betroffene Familie unmöglich, die Zusammenführung mit einem Familienmitglied (Elternteil) zu erreichen, das in Frankreich Zuflucht gefunden hat: Die beiden Kongo-Staaten werden durch die französischen Behörden offiziell zu jenen Ländern gerechnet, deren Standesamtsdokumente „unzuverlässig“ seien. Und falls der Gentest angeordnet wird und die betroffene Person ihn entweder verweigert, oder aber das Ergebnis nicht auf „Blutsverwandtschaft“ lautet, dann dürfte das Visum unerreichbar werden. Zu befürchten hätten die französischen Behörden dabei nichts, jedenfalls nicht, dass eine Person etwa Kinder aus diesem Land als die eigenen zu sich kommen lässt und danach ihrem Schicksal überlässt: Auch wenn keine „Blutsabstammung“ vorliegt, müsste die in Frankreich lebende Person sich um die nachkommenden Familienmitglieder „wie um die eigenen“ kümmern - denn falls nachträglich ein „Betrug“ durch falsche Angaben (entweder über Familienverhältnisse) festgestellt würde, könnte alle beteiligten Personen fürderhin um ihren Aufenthaltstitel bangen. Ob die Personen also genetisch miteinander verwandt sind oder nicht, könnte den Konsularbeamten und Ausländerbehörden – im Prinzip – wurscht sein. 

„Experimentelle“ schwarze Länderliste 

Der Vorbehalt, dass etwa Adoptivurteile aus fremden Staaten akzeptiert werden müssen, ist ein wichtiger Auslegungsvorbehalt des Conseil Constitutionnel. Allerdings erklärt der C.C. gleichzeitig das Herangehen der französischen Regierung für gültig, für bestimmte Staaten pauschal Zweifel an der Gültigkeit oder Echtheit der im Umlauf befindlichen standesamtlichen Dokumente wie etwa Geburtsurkunden anzumelden. Eine Liste solcher Länder, bei denen systematische Zweifel geltend gemacht werden dürfen, wird „auf experimentale Weise“ (um später alljährlich Bilanz zu ziehen, und das Gesetz selbst nach 18 Monaten von jetzt ab zu überprüfen) durch die Regierung und ihre Ministerialbehörden festgelegt werden. Der Verfassungsgericht erklärt dieses Vorhaben für gültig und erblickt keinen Bruch des durch Artikel 1 der Verfassung vorgeschriebenen Grundsatz der „Gleichheit vor dem Gesetz“ - da die französische Verfassung es zulasse, „experimentale Regelungen“ einzuführen, deren Praxiserfolg nach absehbarer Zeit einer Bilanzierung zu unterziehen ist. 

Die sozialdemokratischen Antragsteller auf die Überprüfung der Verfassungswidrigkeit dieser neuen Regel erklärten sich jedoch, überraschenderweise, zufrieden. Die konkreten Bedingungen, die die Bestimmung über die Gentests umgeben, sorgten dafür – so ihre Argumentation – dass diese in der Praxis so gut wie nicht Anwendung finden könne. Zwar trifft es zu, dass es zunächst in der Praxis eher wenige Durchführungsfälle geben dürfte, da die gesetzlichen Bedingungen im Moment tatsächlich einen engen Filter darstellen. Die Vorabdefinition einer Liste von Ländern mit prinzipiell „unzuverlässigen Standesamtsdokumenten“ (die Rede ist von Staaten wie Senegal, Togo, den beiden Kongo-Staaten, ..) schlägt dennoch schon eine relativ breite Bresche, auch wenn eine richterliche Kontrolle stattfinden wird, bei der die vorgelegten Dokumente zumindest berücksichtigt werden müssen. Und grundsätzlich ist ein „trojanisches Pferd“ für eine Logik, die auf der Überprüfung genetischer Abstammung insistiert, in die Ausländergesetzgebung eingeführt worden – für Französinnen und Franzosen gilt im Familienrecht keine vergleichbare Regelung. (Für Letztere müssen Gentests zur Überprüfung der biologischen Abstammung zumindest theoretisch die absolute Ausnahme darstellen. Auch wenn in der Praxis bei umstrittener Vaterschaft die engen Bedingungen oft dadurch umgangen werden, dass Personen den DNA-Test im europäischen Ausland durchführen lassen und dessen Ergebnisse dann dem französischen Richter als „erstes Beweiselement“ vorlegen. Dem neuen Ausländergesetz zufolge geht es allerdings nicht um die Überprüfung strittiger Vaterschaften – diese ist, nach anfänglicher Unklarheit, durch den Senat ausgeschlossen worden -, sondern um die Überprüfung der Realität der biologischen Abstammung eines Kindes gegenüber der (behaupteten) Mutter. Theoretisch unter strenger Auflage der „Freiwilligkeit“, doch wie ausgeführt, kann die Freiwilligkeit schnell zum stummen Zwang werden, falls de facto die Erteilung des Visums davon abhängig ist.) Ferner ist eine spätere Verschärfung nicht ausgeschlossen, da das Gesetz erklärtermaben nach 18 Monaten überarbeitet werden soll. Grundsätzlich ist eine Logik des Verdachts, der zufolge Visumsbewerber, die das Recht auf Zusammenleben mit ihrer Familie geltend machen wollen, grundsätzlich unter potenziellen Betrugsverdacht gestellt werden. 

„Ethnische Statistiken“ (vorläufig?) passé 

Hingegen hat das Verfassungsgericht die umstrittenen „ethnischen Statistiken“, also die Durchführung von Datenerhebungen unter Einbeziehung von (anonymisierten) Daten zur Herkunft, „Rasse“ oder Konfession von Personen in der Bezugsgruppe, untersagt.  

Zu diesem Punkt – dem Artikel 63 des Gesetzeswerks – ist seine Entscheidung kurz und knapp. Es stellt lakonisch fest, dass der Artikel 1 der französischen Verfassung (welcher die Gleichheit aller Bürger/innen vor dem Gesetz vorschreibt) eine Ungleichbehandlung „aufgrund von Rasse oder Herkunft“ verbiete. Die Antragsteller/innen vor dem Verfassungsgericht hatten die Unvereinbarkeit der Einführung „ethnischer Statistiken“, also der Erhebung herkunftsbezogener Daten, mit diesem Artikel 1 behauptet. Das Urteil enthält jedoch keinerlei Argumentation an diesem Punkt, sondern begnügt sich damit, in einem einzigen Satz den Inhalt den ersten Verfassungsartikels wiederzugeben. Daraus folgt, dass, falls künftig der Gesetzgeber auf intelligente Weise einen neuen Text zur Einführung „ethnisch-herkunftsbezogener Statistiken“ präsentieren würde (selbstverständlich nur als Hilfe „zur Bekämpfung von Diskriminierungen, die durch die Messung herkunftsbezogener Daten besser erfasst werden können“), dies eventuell durchaus einer Prüfung durch die Verfassungsrichter nach den jetzt angelegten Kriterien standhalten könnte. 

Ferner konstatiert das französische Verfassungsgericht in seinem jetzigen Urteil – etwas ausführlicher -, dass dieser Artikel 63 ohne Bezug zum Rest des Gesetzespakets sei. Tatsächlich hatten zwei konservative Abgeordnete, die Mitglieder der Nationalen Datenschutzkommission CNIL sind (die, im Zuge der Ernennungen von Mitgliedern durch die Regierung, eine zunehmende konservative Wende erfährt und sich der Datensammelwut gegenüber „offener“ zeigt als noch in jüngerer Vergangenheit), diese Bestimmung in allerletzter Minute in das Gesetzeswerk mit hinein flicken lassen. Es ging hier offenkundig darum, von der Gelegenheit der Annahme des neuen Ausländergesetzes zu profitieren, um auch zu diesem Thema der Datenerhebung zu Herkunft oder Konfession neue Pflöcke einzuschlagen. Dies erklärte das Verfassungsgericht nun für unzulässig. Oder, wie es sein Präsident Jean-Louis Debré (ehemals konservativer Innenminister in den neunziger Jahren) in einem gleichzeitig mit dem Urteil erscheinenden Interview in der liberalen Pariser Abendzeitung ‚Le Monde’ formulierte: „Diese Bestimmungen (zu Datenerhebungen in der französischen Gesamtbevölkerung) haben in einem Gesetz zur Einwanderung nichts zu suchen.“ 

Das Thema dürfte damit möglicherweise nicht vom Tisch gefegt sein, und es wird fraglich sein, wie es aussieht, falls es je zum Gegenstand einer eigenständigen gesetzlichen Regelung erhoben wird. 

Editorische Anmerkungen

Den Artikel in der vorliegenden Fassung erhielten wir vom Autor am 3.12.2007.