Imperialismus, Globalisierung und die Ausbeutung der Halbkolonien

Von Michael Pröbsting 

12/07

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Unter Imperialismus verstehen MarxistInnen – im Unterschied zum Alltagsgebrauch dieses Wortes - nicht die brutale, aggressive Außenpolitik eines Staates. Vielmehr meinen wir damit das System des modernen Kapitalismus, in dem eine kleine Anzahl von Monopolen (multinationalen Konzernen) und die mit ihnen verbundenen Großmächte und reichen Staaten die Welt beherrschen und ausbeuten. Imperialistische Staaten sind die USA, Kanada, die meisten westeuropäischen EU-Staaten (inklusive Österreich), Japan, Rußland und Südafrika. Die meisten anderen Staaten sind zwar formal eigenständig, tatsächlich aber vom Imperialismus politisch und/oder wirtschaftlich abhängig. Deswegen nennen wir diese Länder Halbkolonien. (1) 

Seit Anbeginn des Kapitalismus plünderten die stärksten Mächte Europas die ärmeren Länder. In der Epoche des Imperialismus – also seit dem Ende des 19. Jahrhunderts – hat diese Ausbeutung zugenommen. Nun werden die armen Länder nicht mehr bloßmit direkter Gewalt geplündert, sondern durch wohlfeilere Methoden ausgebeutet, v.a. dem Kapitalexport, wodurch einerseits die Konzerne die billigen Arbeitskräfte und Rohstoffe vor Ort ausnützen und andererseits Banken durch Kreditvergabe und Zinsen hohe Profite herausschlagen. Das Resultat ist, daß das imperialistische Kapital aus der halbkolonialen Welt Extraprofite herauspreßt und ein Wertransfer in Richtung Metropolen stattfindet. 

Extraprofit und Arbeiteraristokratie 

In seiner Studie über den Imperialismus wies der marxistische Theoretiker und Führer der bolschewistischen Partei, Wladimir Iljitsch Lenin, darauf hin, dass diese Extraprofite eine Grundlage bilden, nicht nur für die Akkumulation der Kapitalisten, sondern auch für die Bestechung der obersten Schichten des Proletariats, der Arbeiteraristokratie, in den imperialistischen Metropolen: 

Es ist klar, daß man aus solchem gigantischen Extraprofit (denn diesen Profit streichen die Kapitalisten über den Profit hinaus ein, den sie aus den Arbeitern ihres „eigenen“ Landes herauspressen) die Arbeiterführer und die Oberschicht der Arbeiteraristokratie bestechen kann. Sie wird denn auch von den Kapitalisten der „fortgeschrittenen“ Länder bestochen – durch tausenderlei Methoden, direkte und indirekte, offene und versteckte.“ (2)

Diese Schicht bildet die unmittelbarste Basis der reformistischen Parteien, an deren Spitze eine privilegierte und mit dem Kapitalismus über unzählige Posten verbundene Bürokratie steht. Deren Aufgabe darin besteht, der Kapitalismus zu stützen und für ihn eine gewisse Unterstützerbasis in der ArbeiterInnenklasse zu schaffen. (3) 

Globalisierung und Profittransfer 

Im Zeitalter der kapitalistischen Globalisierung seit den 1980er Jahren erlebt diese Entwicklung eine besondere Intensivierung. Denn durch die Globalisierung fand eine massive Durchdringung der halb-kolonialen Länder durch die Monopole – die multinationalen Konzerne – statt. Durch massiven Kapitalexport in Form von Krediten, Direktinvestitionen, spekulativen Anlagen usw. schuf die Bourgeoisie die Voraussetzungen dafür, Riesengewinne über Unternehmensprofite, Zinseinnahmen und Fondsgewinne einzustreifen. Wir wollen anhand einiger Beispiele zeigen, welche enormen Ausmaße diese imperialistische Ausplünderung bereits angenommen hat. 

Der Großteil der Profite der imperialistischen Konzerne – zwischen 60-80% - verbleibt nicht im Land, sondern wird in die Metropolen abgezogen. Alleine zwischen 2000 und 2006 stieg der Betrag der in die Heimatzentrale zurücktransferierten Profite aus den halbkolonialen Ländern um das viereinhalbfache von 28 auf 125 Milliarden US-Dollar. (4) 

Schuldenfalle 

Oft wird in den bürgerlichen Medien auf die hohe Verschuldung der sogenannten III. Welt hingewiesen und dabei unterstellt, daß letztere eben einfach zuviel Kredite aufgenommen und über ihre Kosten gelebt hätten. Tatsache ist, daß die halbkolonialen Ländern ihre Kredite schon längst zurückgezahlt haben. Doch aufgrund der imperialistischen Zinspolitik müssen sie weit mehr zurückzahlen, da sie in Wirklichkeit in einen Schuldenstrudel hineingeraten sind, aus dem sie nicht mehr rauskommen und durch den sich das imperialistische Finanzkapital unermeßlich bereichert. Insgesamt haben die halbkolonialen Ländern seit Beginn der Schuldenkrise im Jahr 1979 einen Schuldendienst von zusammengerechnet 7.673 Milliarden US-Dollar an die imperialistischen Metropolen geleistet. Nichtsdestotrotz hat sich ihr Schuldenstand in der gleichen Periode von 618 Milliarden US-Dollar (1980) auf 3.150 Milliarden US-Dollar (2006) erhöht! 

Diese Superprofite, die auf dem Weg der Schuldendienste in die Taschen des imperialistischen Finanzkapitals fließen, machen einen wachsenden Teil des Volkseinkommens der halbkolonialen Länder aus. Stellt man die Zinszahlungen in ein Verhältnis zum Brutto-Nationalprodukt der Halbkolonien, so wuchs der jährliche Schuldendienst von durchschnittlich 3.68% (1980-89) auf 6.2% (1997-2006). (5) 

Versucht man ein Gesamtbild der imperialistischen Ausplünderung der letzten 10 Jahre zu erhalten und stellt man alle Investitionen, Kredite, Profittransfers, Zinsleistungen usw. gegenüber, kommt man zu folgendem Ergebnis. Wir geben hier Zahlen der Vereinten Nationen wieder, die diese in ihren jährlichen Berichten über die Weltwirtschafslage veröffentlichen und die den enormen Netto-Transfer von Kapital aus den Halbkolonien in die Taschen der imperialistischen Bourgeoisie dokumentieren. 

Tabelle 16: Netto-Transfer von finanziellen Ressourcen in Entwicklungsländer und ehemalige stalinistische Staaten 1995-2006 (in Milliarden US-Dollar) (6)

Zusammengerechnet ergibt dies alleine für den Zeitraum 1995-2006 einen Netto-Abfluß von 2.877,7 Milliarden US-Dollar, die von den halb-kolonialen Ländern in Richtung imperialistische Zentren flossen! Um sich ein Bild vom Ausmaß dieser finanziellen Aussaugung durch das imperialistische Finanzkapital zu machen, wollen wir folgende Berechnung vornehmen: Im Jahr 2005 betrug das kombinierte Brutto-Inlandsprodukts dieser Regionen 9.454,5 Milliarden US-Dollar. (7) Der Abfluß von 611.8 Milliarden US-Dollar in diesem Jahr entsprach daher knapp 6.5% des Brutto-Inlandsprodukts der halb-kolonialen Welt. Wohlgemerkt, bei dieser Zahl sind nicht jene Teile der Profite des imperialistischen Kapitals berücksichtigt, die entweder von diesem im Land selber konsumiert werden oder in die Kapitalakkumulation zwecks neuer Profitgewinnung fließen, sondern ausschließlich jener Teil, der direkt aus der halb-kolonialen Welt in die Metropolen abgesaugt wird. 

Eroberungsfeldzug als Folge 

Dies führt uns auch zu einer wichtigen Erklärung des gegenwärtigen imperialistischen Eroberungsfeldzuges in der III. Welt. Diese dem Imperialismus eigene Entwicklungstendenz der Ausplünderung der Halbkolonien führt unter den Bedingungen der Krise und Stagnation des Kapitalismus zu wachsender Instabilität und Zerrüttung großer Teile der halb-kolonialen Welt. Der globale Kapitalismus zerstört schlichtweg den sozialen und politischen Zusammenhalt ganzer Gesellschaften. Afrika ist hierbei im negativen Sinne des Wortes Vorreiter dieser verheerenden Entwicklung. 

Daraus wiederum folgt die politische Notwendigkeit für den Imperialismus – und allen voran den USA – verstärkt in der halb-kolonialen Welt zu intervenieren und direkt einzugreifen. Wenn die lokalen herrschenden Klassen nicht mehr ausreichend in der Lage sind, die dortigen Ausbeutungsverhältnisse zugunsten der imperialistischen Interessen ausreichend aufrechtzuerhalten, dann muß der Imperialismus die Sache selber in die Hand nehmen. Das Resultat ist eine verstärkte Anbindung der halb-kolonialen Staaten an die reichen Metropolen – sei es durch die direkte Koppelung der Währung (Dollarisierung in Lateinamerika, Currency Board...), sei es durch die weltweit zunehmende Stationierung imperialistischer Truppen in halb-kolonialen Ländern (Balkan, Zentralasien, Philippinen, Kolumbien...), sei es durch die Errichtung offener Protektorate (z.B. am Balkan, Afghanistan, Irak).

Schlußfolgerungen 

Zusammengefaßt zeigen die hier dargelegten Zahlen, daß der Imperialismus die halb-koloniale Welt ausplündert und ausplündern muß, um seinem Niedergang entgegenzuwirken. Entwicklung, Wohlstand und Frieden kann es für die unterdrückten Völker nur geben, wenn das imperialistische Weltsystem durch eine sozialistische Revolution zerschlagen und durch eine sozialistische Weltrepublik ersetzt wird. Mit diesem Ziel vor Augen unterstützen wir den Kampf der unterdrückten Völker gegen die imperialistische Bestie und treten für dessen Verbindung mit dem Klassenkampf des Proletariats in den Metropolen ein.

Anmerkungen

(1) Den in den Medien üblicherweise verwendeten Begriff der III. Welt lehnen wir ab bzw. verwenden ihn nur unter Anführungszeichen. Im Unterschied zum Begriffspaar imperialistische – halbkoloniale Staaten gibt er nicht klar Auskunft über das Macht- und Abhängigkeitsverhältnis, sondern stellt die I. und III. Welt als nebeneinander, für sich separat existierend dar – so als wären halt die einen aus unerfindlichen Gründen entwickelt und die anderen eben unterentwickelt. Dabei sind die einen reicher, weil sie die anderen arm gehalten haben.

(2) W. I. Lenin: Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus. Gemeinverständlicher Abriß (1917), in: LW 22, S. 198 (Hervorhebung im Original))

(3) Zur Analyse des Reformismus im allgemeinen und in Österreich siehe unsere Broschüre: Michael Pröbsting und Roman Birke: Neoliberale SPÖ: Ursachen und Alternativen (2007)

(4) Siehe World Bank: Global Development Finance 2007. The Globalization of Corporate Finance in Developing Countries, S. 53

(5) Siehe: Paulo Nakatani and Rémy Herera: The South Has Already Repaid it External Debt to the North But the North Denies its Debt to the South; in: Monthly Review, June 2007

(6) United Nations: World Economic Situation and Prospects 2007, S. 58

(7) Wir berechnen hierfür anhand der aktuellen Weltbank-Statistik das Welt-Bruttonationaleinkommen minus dem Bruttonationaleinkommen der „high income“-Staaten (die wir für diesen Zweck grob mit den imperialistischen Ländern gleichsetzen). Siehe World Bank: World Development Report 2007, p. 289

Editorische Anmerkungen

Der Text erschien bei der Liga der Sozialistischen Revolution (LSR), wir spiegelten von dort.