Widerstand aus der Arbeiterbewegung
in Berlin 1933 bis 1945


Zu einer Studie von Hans-Rainer Sandvoß

von Luitwin Bies

12/07

trend
onlinezeitung

Wer sich umfassend und kompetent über den Arbeiterwiderstand in Berlin informieren möchte muss nach diesem Buch greifen: "Die andere Reichshauptstadt - Widerstand aus der Arbeiterbewegung in Berlin von 1933 bis 1945". Der Autor Hans-Rainer Sandvoß, aus dessen Feder schon interessante Beiträge über die Kämpfe gegen die Nazis und deren Terror in einzelnen Stadtbezirken erschienen sind, hat die Gelegenheit genutzt, nachdem alle Mauern und Beschränkungen gefallen sind, in den nun zugänglichen Archiven zu forschen, Hunderte Zeitzeugen zu interviewen und bisher vorliegende Arbeiten aufzugreifen, zu hinterfragen und weiterzuführen. In der letzten Ausgabe haben wir dieses Buch bereits vorgestellt. Von  LeserInnenseite aus wurden wir gebeten, die Besprechung von Luitwin Bies noch nachzureichen. Sie  stammt aus  unsere zeit - Zeitung der DKP - vom 23. November 2007.


Herausgekommen ist ein fast 700 Seiten umfassendes Werk, das den Arbeiter-Widerstand in Gänze darstellt und die mit ihm verbundenen Opfer durch den Terror-Apparat der Gestapo würdigt.

Dass die Effizienz der Repressalien der NS-Mordmaschinerie nicht ohne Denunziation, nicht ohne die SA-Horden, nicht ohne fehlerhaftes, nicht angemessenes Verhalten, also Leichtsinn, nicht ohne Fehleinschätzungen und auch nicht ohne Verrat zu erklären sind, belegt der Autor an vielen Beispielen.

Das Buch ist nach einer Einleitung gegliedert in "NS-Gegnerschaft und Widerstand aus den Reihen der Berliner SPD", "Unabhängige Sozialisten und Kommunisten (Zwischengruppen)", hier sind unter anderem KPO, SAP und weitere Gruppierungen behandelt, "Untergrundtätigkeit von Anhängern der KPD", "Widerspruch und Opposition auf betrieblicher Ebene". Der Verfasser zieht dann ein "Resümee und Schlussbetrachtung".

Doch zuerst sei betont, dass hier eine Fülle von Informationen über Widerstand, Verweigerung, solidarisches Verhalten aus den Reihen ehemaliger Sozialdemokraten, Anhängern von Zwischengruppen, zum Beispiel SAP und KPO, erforscht und zusammengetragen worden ist, die es allemal lohnenswert machen, sie zur Kenntnis zu nehmen.

Meines Erachtens schmälert seine unterschiedliche Herangehensweise an Sozialdemokraten und Kommunisten die ansonsten sehr verdienstvolle Arbeit. Er erwähnt "die Scham über die kampflose Kapitulation der Partei (der SPD - L. Bies) und das Entsetzen über die Anpassung der Mehrheit der Gewerkschaftsführer am 1. Mai 1933" (S. 71) und betont, dass es "Kennzeichen sozialdemokratischer Gegnerschaft zum NS-Regime" gewesen sei, dass "Formen des Zusammenhalts und Zusammenwirkens bevorzugt wurden, die sich nach außen legaler bzw. unverdächtiger Strukturen und Symbole bedienten, im Inneren jedoch systemkritischen Zwecken Raum boten" (S. 84/85). Und er verweist auf die "zunehmenden Ängste" sozialdemokratischer Exil-Kreise vor einem Zusammengehen von Sozialdemokraten und Kommunisten in Berlin. Hier schon müssen Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht zur Begründung dieser Ängste herhalten (S. 114). Dass bei SOPADE-Kreisen (der SPD-Vorstand im Exil wurde SOPADE genannt) besonders auch die Sorge um künftige Koalitionsfähigkeit der SPD mit bürgerlichen Parteien eine Rolle gespielt haben könnte, wird nicht erwogen. "In den Kriegsjahren reduzierte sich die oppositionelle Arbeit gesinnungstreuer Berliner Sozialdemokraten ... weitgehend auf informelle Zirkelarbeit ... auf einen zähen Alltagskampf um die Erhaltung qualifizierter gewerkschaftlicher Kader, deren Einberufung zur Wehrmacht mit allen Mitteln verhindert werden sollte" (S. 167).

Das sind zwar nachvollziehbare Verhaltensweisen, aber auf das Ende des Naziregimes oder auf nennenswerte Störungen der Kriegsmaschinerie der Nazis lief das nicht hinaus.

Bei den Sozialdemokraten scheint ihm der stille Zusammenhalt, die Bewahrung der Kader für die Nach-NS- bzw. Nachkriegszeit ausreichendes Widerstandsbekenntnis. Bei den Kommunisten findet er zum Beispiel keine "Hinweise darauf, dass der Uhrig-Organisation irgendwo massive politische Einbrüche in die Belegschaft gelungen waren" (S. 458) oder er erwähnt "wie gering die machtpolitische Ausstrahlung war" (S. 459).

Zusammenfassend wertet der Autor: "Bei der illegalen Sozialdemokratie dominierte der auf private Kontakte gestützte und nur lose untereinander verknüpfte Traditionszusammenhalt, der nur temporär und punktuell begrenzt organisatorische Gestalt annahm" (S. 602). Ähnlich sieht er es für die früheren Gewerkschaften, bei denen er "das vorsichtige Bestreben, die Kader zu schützen und zu bewahren, informelle Beziehungen zu pflegen und über erfahrene Vertrauenspersonen ein loses Kontaktnetz aufzubauen" feststellt (S. 609).

Wie mit dieser "Strategie" das NS-Regime auch nur in Bedrängnis hätte gebracht werden können, ganz zu schweigen von einem Sturz, bleibt unerörtert. Im Kriegsfall bliebe das den in Uniform gesteckten Arbeitersöhnen der anderen Nationen überlassen?

Da nahm sich allerdings das Verhalten der KPD und ihrer Kader anders aus. Wie immer man verschiedene Methoden des Einsatzes und ihrer Wirkung beurteilen mag, zum Beispiel das Einschleusen von Instrukteuren aus dem Ausland, die Fallschirmspringer und alle damit verbundenen Fehler oder Fehlschläge, sie waren auf den Sturz der faschistischen Diktatur, auf die Lähmung der Kriegsmaschinerie, auf die Rettung von Menschenleben gerichtet.

In seiner Schlussbetrachtung führt der Autor die Zahlen der Opfer an, die die Arbeiterbewegung (SPD, KPD, Zwischengruppen) erbringen musste (S. 610/611). Das Bemühen der KPD, auch unter schwierigsten Bedingungen das Informations- und Organisationsnetz der Partei immer wieder neu zu knüpfen, um Kräfte gegen den Ausbruch des Krieges bzw. für seine möglichst schnelle Beendigung zu formieren, wird von dem Autor als Aktion diffamiert, "um den ideologischen und politischen Führungsanspruch des Politbüros aufrechtzuerhalten" (S. 471). Unterbliebene oder erfolglose Versuche den von den Faschisten seit 1933 eingekerkerten KPD-Vorsitzenden Ernst Thälmann freizubekommen, führt der Autor auf mangelndes Interesse führender politischer Kreise in Moskau zurück und steigert sich zur Unterstellung "nicht zuletzt Ulbrichts, der seinen Konkurrenten vermutlich lieber weitab wusste". (S. 473) In seinen ideologischen Schubladen hat er zwischen "stalinistischen Exilpolitikern" und "starken Persönlichkeiten ganz eigener Prägung" sortiert (S. 515). Er hält es für "interessant darüber nachzudenken" ob der von den Nazis hingerichtete Franz Jacob sich nach 1945 "inhaltlich vom Stalinismus und seinen deutschen Vasallen" abgegrenzt hätte. Und setzt noch drauf :"Jacob, Saefkow, Bästlein und andere Mitverschwörer konnten den Beweis nicht antreten, wie ernst es bei ihnen grundsätzlich um die Menschenrechte stand" (S. 521/522). Mir scheint es reichlich infam, diesen engagierten Kämpfern um Menschenrechte, um Frieden, Freiheit, um Solidarität mit den ausgebeuteten und bedrängten Zwangsarbeitern einen Zweifel an ihrer Lauterkeit anzuheften - so sie denn nicht von den deutschen Faschisten ermordet worden wären. Eine weitere üble Unterstellung ist, dass der KPD ein "durch hohe Opferzahlen legitimierter Führungsanspruch für die Zeit nach Hitler also, offensichtlich wichtiger war als die Unversehrtheit ihrer Funktionäre und Sympathisanten" (S. 613). Und die vielen Opfer, die die KPD im antifaschistischen Kampf erbracht hat, seien "auch Ausdruck eines kalkulierten machtpolitischen Anspruchs kommunistischer Kreise, die für ein übergeordnetes Ziel treue Anhänger der früheren linken Szene leichtfertig dem Terror des Gegners ausliefern" (S. 615).

Da bleibt am Schluss nur einfach zu fragen, ob Widerstand gegen das NS-Regime aus der Sicht von Hans-Rainer Sandvoß überhaupt zweckmäßig und sinnvoll war. Sollte etwa auf den Zusammenbruch der politischen Diktatur gewartet und darauf vertraut werden, dass die Alliierten das schon besorgen würden? Schade, dass die insgesamt faktenreiche Untersuchung so die Prägung des "Nestors der deutschen Kommunismusforschung Prof. Dr. Hermann Weber" erfahren hat.

Hans-Rainer Sandvoß
Die "andere" Reichshauptstadt
Widerstand aus der Arbeiterbewegung in Berlin von 1933 bis 1945


Festeinband mit Schutzumschlag,
668 Seiten mit 403 Abbildungen
B 15,8 × H 23,5 cm
29,80 EUR
ISBN 3-936872-94-5
Lukas Verlag