„Ein wesentliches Funktionsmerkmal des Urbanen geht verloren“
Eine Interview über das Buch "Kontrollierte Urbanität Zur Neoliberalisierung städtischer Sicherheitspolitik"
von Peter Nowak

12/07

trend
onlinezeitung


Unter den Titel „Kontrollierte Urbanität – Zur Neoliberalisierung städtischer Sicherheitspolitik“  haben die Politikwissenschafter Volker Eick, Jens Sambale und Eric Töpfer ein Buch herausgegeben, dass sich mit dem Wandel der Sicherheitspolitik im Neoliberalismus befasst. In 17 Beiträgen untersuchen Autoren, wie diese neoliberale Sicherheitspolitik im urbanen Raum konkret aussieht und wie sie das städtische Leben verändert. Im Detail untersuchen mehrere Autoren, wie sich aus dem proletarischen Freizeitvergnügen Fußball ein kommerzieller Event wurde. Durchgesetzt wurden diese oft gravierenden Änderungen unter dem Stichwort „Kampf gegen die Hooligans, der sich oft als Abwehr der klassischen Fußballfans alten Stils entwickelt hat.
Peter Nowak sprach mit dem Mitherausgeber Volker Eick über die in dem Buch vertretenen Thesen. Er ist Diplompolitologe promoviert zu den Themen "Neue Sicherheitskonzepte im sich wandelnden Wohlfahrtsstaat und . Kommunale Kriminalpolitik zwischen Kommerzialisierung und Community" und arbeitet am John. F. Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin.

1.) Sie haben in dem Buch "Kontrollierte Urbanität" von der Neoliberalisierung städtischer Sicherheitspolitik gesprochen. Was kennzeichnet diesen Prozess und wie unterscheidet er sich von der klassischen Law and Order-Politik?

 

David Harvey, Bob Jessop, Jamie Peck, Nik Theodore, Neil Smith – Letztere auch mit Beiträgen in unserem Band vertreten – und andere haben deutlich gezeigt, inwieweit sich die Handlungslogiken und Strategien diverser Kapitalfraktionen und ihrer stichwortgebenden „Chicago Boys“ spätestens seit dem Putsch in Chile 1973 zunächst ideologisch und sodann praktisch daran gemacht haben, die nationalstaatlich unterschiedlich ausgestalteten sozialen Kompromisse aufzukündigen und in einem Roll-back die erkämpften sozialen Errungenschaften und territorialen Kompromisse zurückzudrängen, zu zerschlagen, auch: niederzuknüppeln. Die Stichworte, und die müssen hier reichen, lauteten so zunächst Reagonomics und Thatcherism, die auf die Privatisierung öffentlicher Dienste und Dienstleistungen  wie Gesundheit, Infrastrukturen wie Wasser, Elektrizität etc., auf Workfare (Pflicht zur Arbeit), Aufhebung der Sozialpartnerschaft , etwa Schwächung der Gewerkschaften, die Veräußerung von Sozialwohnungen an Investmentfonds usw. gerichtet waren und sind. Es handelt sich um einen ungleichzeitigen Prozess, der nicht in allen Städten oder gar Ländern gleich oder gleichzeitig abläuft, der aber gleichwohl bedeutet, dass auch die Innere und äußere Sicherheitsarchitektur von solchen Prozessen tangiert ist. Das kann auch nicht anders sein: Die Herrschenden möchten gerne weiter herrschen, da muss dann der Gewaltapparat auch an neue und alte Herrschaftsinteressen angepasst werden.

 

Zu beobachten ist nun weiter, was Kollegen als einen Roll-out-Neoliberalismus bezeichnen: Die Suche nach einem neuen kohärenten Verwertungszusammenhang nach dem Ende der keynesianisch-fordistischen Periode – so ist etwa zu erklären, warum es Anti-Konfliktteams bei Polizeieinheiten gibt, Langzeiterwerbslose als Alternativ-Polizeien eingesetzt werden, warum die kommunale Kriminalprävention fröhliche Urständ feiert oder das kommerzielle Sicherheitsgewerbe boomt und in Public Private-Sicherheitspartnerschaften eingebunden wird. Für Deutschland sind das alles Trends, die seit Beginn der 1990er Jahre beobachtbar sind und die zeigen, dass und wie hier experimentiert wird. Schließlich darf man sich das auch nicht so vorstellen, dass die eine Periode an einem Tag aufhört, und am nächsten Tag geht etwas gänzlich Neues los – einmal abgesehen von Protest und Widerstand, unerwarteten Folgen etc., die da ja auch immer mit hineinspielen.

 

Für den Sicherheitsbereich war aber bis in die 1980er Jahre hinein in Deutschland eigentlich klar, Innere Sicherheit ist Polizei-, äußere Sicherheit Militäraufgabe – davon kann heute absolut keine Rede mehr sein. Einmal abgesehen davon, dass die Verteidigung unserer Freiheit heute von der Heimatfront bis zum Hindukusch reichen soll.

 

2.) Ist denn die Reaktion auf globalisierungskritischen Widerstand wie in Genua so grundverschieden von den staatlichen Reaktionen auf die Studenten- oder Anti-Vietnam-Bewegung?

 

Unser Argument ist im Übrigen nicht, "alles neu macht der Mai" – egal ob jetzt der Mai 1968 oder der 9. Mai 2007 –, wiewohl '68 einen neuen Aufbruch markiert hat –, der, dessen darf man sicher sein, im nächsten Jahr nochmals unter ideologischen Dauerbeschuss geraten wird, so wie wir dies bereits dieses Jahr anlässlich des Gedenkens an den Deutschen Herbst erleben. Allerdings ist der "Fußabdruck" der staatlichen Reaktion auf die Proteste, wie Robert Warren in seinem Beitrag zeigt, ungleich größer. Zum Schutz von Gipfeltreffen wie in Genua wird der Alltag in ganzen Stadtvierteln oder gar Landstrichen tagelang lahmgelegt. Dies geschieht im Kontext einer Militarisierung polizeilicher Taktik und Ausrüstung, deren Wurzeln zum Teil bis in die späten 1960er Jahre reichen. Insofern haben der Einsatz von Polizei, Diensten und (Para)Militärs in und um Genua, Davos oder Heiligendamm durchaus Tradition. Gleichwohl zeigt die konzertierte Reaktion auf den Protest eine neue Qualität internationaler Polizei- und Geheimdienstzusammenarbeit an, die im Kontext dessen verstanden werden kann, was Kollegen trefflich als "Internationaliserung des Staates" beschrieben haben ( http://prokla.com/aktuell.htm ); und diese lässt sich nur im Kontext neoliberaler Globalisierung verstehen. Es ist nicht nur das Crowd Policing anlässlich politischer Proteste, das durch eine solche Zusammenarbeit gekennzeichnet ist. Auch Großveranstaltungen wie die Fußball-WM im vergangenen Jahr, die EM im kommenden Jahr oder die Olympischen Spiele werden vorbereitet und begleitet von einem Wanderzirkus von Sicherheitsexperten, zu deren Kern nicht selten der US Secret Service gehört.

 

3.) Sie haben Beiträge aus Europa, Afrika, den USA und Bolivien gesammelt. Was ist aber das Neoliberale an der beschriebenen Unerdrückung der Proteste von Gewerkschaftern und sozialen Bewegungen in Bolivien gegenüber ähnlicher Repression die ganzen Jahre zuvor?

 

Das ist eine gute und schwierige Frage. Da die Andenregion seit so langer Zeit der US-Hegemonie unterworfen war, gab es nur geringe praktische Unterschiede hinsichtlich der Knechtung der lokalen Bevölkerung – bis zum Sturz des Lozada-Regimes im Jahr 2003 gegenüber den Jahrzehnten davor. Bolivien ist für viele Jahre genau der Art ökonomischer Dominanz unterworfen gewesen, die von der bereits eingangs erwähnten "Chicagoer Schule der Ökonomie" angepriesen wird. Die neoliberale Wende, zuweilen als "Washingtoner Konsens" bezeichnet, führte zu einer Intensivierung der Ausbeutung in der Region. Sie wird seit Jahrzehnten von Milton Friedman und anderen Vertretern einer neoklassischen Volkswirtschaftslehre des "freien Marktes" gefordert. Nun liegt eine gewisse Ironie darin, dass zu einem Zeitpunkt als sich der Druck des neoliberalen Projektes erhöhte und erweiterte, sich Risse in Regionen wie Bolivien auftaten: Bolivien, das Land, das solange unfähig war, der ökonomischen Abhängigkeit die Stirn zu bieten… Die Handlungsmacht indigener Völker wurde von den Theoretikern des Neoliberalismus offensichtlich vergessen.

Der Beitrag zum kommerziellen Sicherheitsgewerbe in einigen südafrikanischen Staaten macht noch etwas anderes deutlich: Multinationale Konzerne, hier die Group 4 Securicor, übernehmen faktisch die Macht über die Gesetzgebung, indem sie selbst entscheiden, an welche an Gesetze sie sich halten wollen – und an welche nicht. Das ist eine neue Qualität, auch wenn sie auf historischen Wurzeln aufbaut.


4.) Als ein Kennzeichen neoliberaler Sicherheitspolitik wird die Privatisierung des Sicherheitssystems ausgemacht. Der kanadische Kriminologe George Rigakos  betont in seinem Beitrag, dass er im Kampf zwischen staatlichen und privaten Sicherheitsdiensten nicht Schiedsrichter will. Warum ist dann diese Unterscheidung den Herausgebern des Buches so wichtig?

 

Uns scheint das Gegenteil der Fall. Wir sind sicher, George hat es ziemlichen Spaß gemacht, in dem Rechtsstreit zwischen dem kommerziellen Sicherheitsunternehmen Intelligarde und der Provinzregierung Ontarios als "Schiedsrichter" zu fungieren; er war dort in einem Gerichtsverfahren als Gutachter geladen.

 

Was George meint, ist vielmehr, dass es ihm nicht so sehr auf die Privatisierung von Sicherheitsdienstleistungen ankommt, also darauf, ob die Polizei oder eine Firma die Leistung erbringt, sondern auf deren Kommodifizierung oder, genauer, Kommodifizierbarkeit – erst in dem Moment, so sein Argument, wo Profite realisiert werden können, bekommt auch die "Sicherheitsarbeit" auf "Sicherheitsmärkten" eine neue Qualität: Policing for profit, um einen Begriff von Nigel South aufzugreifen,[i] bedeutet dann, dass etwa aus Ausgrenzung direkt Mehrwert geschöpft und angeeignet werden kann. George zeigt das sehr deutlich anhand der Business Improvement Areas, das sind öffentliche Räume, die privatwirtschaftlich – inklusive kommerzieller Sicherheitsdienste – betrieben werden in Toronto, wo staatliche Polizei im , Auftrag der Geschäftsleute unterwegs ist und der Privatwirtschaft zur Abrechnung ihrer Dienste Leistungsnachweise vorlegen muss.

Wir haben das an anderer Stelle unlängst auch für andere Business Improvement Areas, die unter unterschiedlichen Namen firmieren – in Deutschland etwa als Business Improvement Districts (BIDs) oder Standortgemeinschaft, allein das Wort muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen –, nachgezeichnet.[ii] George ist der Privatisierungsaspekt nicht gleichgültig, er weist aber mit der Betonung der Bedeutung von Mehrwerterwirtschaftung darüber hinaus.

 

Für uns ist der Aspekt der Privatisierung aber auch deshalb von Belang, weil mit ihm unterschiedliche Szenarien der Kontrollierbarkeit verbunden – oder eben abwesend sind. Zwar wird die Debatte kontrovers geführt, aus unserer Sicht aber sind kommerzielle Sicherheitsdienste deutlich schwieriger zu belangen als Polizeibeamte. Hinzu kommt, es fehlt nicht nur an einer Gesetzgebung zur Kontrolle deutscher Rent-a-cops – seit Jahrzehnten gelingt es den Lobby-Organisationen des Gewerbes dem Bundeswirtschaftsministerium vorzugaukeln, es bedürfe keiner weitergehenden Regularien –, mehr noch, das kommerzielle Sicherheitsgewerbe entzieht sich auch nahezu vollständig demokratisch-parlamentarischer Kontrolle bzw. wird, wie gerade die Söldner von Blackwater im Irak zeigen,[iii] von dem Auftrag gebenden Nationalstaat mit strafrechtlicher Immunität versehen. Worin wir George allemal Recht geben, die Debatte wird in Deutschland einigermaßen ungenau geführt, steht allerdings auch unter anderen Vorzeichen.


5.) Mehr als ein Drittel des Buches nimmt die Sicherheitspolitik rund um die Fußweltmeisterschaft 2006 und die Veränderungen um Fußball überhaupt ein. Wo sehen Sie hier die Bedeutung für den Sicherheitsdiskurs?

 

Zunächst kann man David Zirin zu bemühen Sport ist immer Politik und stets Sicherheitsbedenken unterworfen, weil solche Veranstaltungen, wie Richard Guillianotti in unserem Band zeigt, karnevaleske Züge tragen, die sich der Kontrolle durch den Staat oder früher der Kirche zu entziehen drohen. Das mag kein Staat – let alone the church. Deswegen ist die Veranstaltung von Sport immer Kontrolle. So zeigt etwa Anke Hagemann, dass die eigentliche Funktion eines Stadions in der schnellen Befüllung und Entladung eines Containers liegt. Dass dieser Container auch als Einschlussraum Gebrauch findet, zeigt nicht allein die chilenische Erfahrung, sondern wurde uns unlängst in Erinnerung gerufen, als der eingangs paraphrasierte Superdome während der, sagen wir: mehr oder minder fahrlässigen Tötung wenn nicht kaltblütigen Ermordung der Stadt New Orleans, dazu herhalten musste, eine angeblich gemeingefährliche schwarze Unterklasse an der Flucht durch die weißen Suburbs zu hindern, ohne dass zuvor, wie die Polizei einräumt, eine einzige Vergewaltigung oder ein Mord vorgefallen wäre (http://www.haymarketbooks.org/)

 

Unsere, wenn Sie so wollen, Fokussierung auf Sport-Events hat weitere Gründe: Zum einen, das zeigen etwa die Beiträge von Richard Giulianotti und Anke Hagemann, aber auch Oliver Brüchert verdeutlicht das, ist Sport und dort insbesondere Fußball – man kann ohne Übertreibung sagen, seit Jahrhunderten – das Einfallstor für "Moralpaniken" und die Durchsetzung von Verhaltensstandards gewesen. Neue Technologien – egal ob Riot gear oder elaborierte Bewaffnung für die Polizei, die architektonische Gestaltung von Zugangswegen und Gebäuden – sind sehr häufig im Umfeld von Fußball entwickelt, erprobt und dann auf andere Bevölkerungsgruppen und bauliche Ensembles ausgeweitet worden. Zweitens – und zunehmend, hier liegt dann die klare Verbindungslinie zwischen Moral panics, ein Begriff, den Stanley Cohen für die Kriminalisierung von Mods und Rockern geprägt hat (http://findarticles.com/p/articles/mi_m2242/is_1649_282/ai_104136716) und solchen Kontrollstrategien und -technologien – lässt sich zeigen, wie staatliche Behörden und/oder kommerzielle Akteure wie die FIFA, Einzelhandelsgemeinschaften, Großkonzerne sich die unbeliebteste Randgruppe herausgreifen, an ihr dann ein Exempel statuieren, neue Techniken und Modelle testen, und das Ganze dann auf mehr und mehr Gruppen ausweiten

 

Was im Bereich RFID (Radio Frequency Identification), im CCTV-Bereich, bei GPS (Global Positioning Systems) etc. entwickelt und heute zum Teil schon flächendeckend angewandt wird, ist häufig im Transport- und Logistikbereich oder im Sport erprobt worden, wenn nicht bereits vom Militär. Die SkifahrerInnen unter uns wissen das für RFID von den Liftsystemen, die Katholiken unter uns von den Kirchentagen. So genannte Fußball-Hooligans, die Eissportfans in Italien, demnächst die Schweizer und Österreicher zur Fußball-Europameisterschaft, sie alle könnten zum Einsatz von Videoüberwachung Romane füllen.

Während man zunächst Asylbewerbern das Recht auf Freizügigkeit entzogen und sie gezwungen hatte, mit Chipkarten einzukaufen, so sehen wir heute den Verlust des Rechts auf Freizügigkeit von Hartz IV-Empfängern. Es ist den massiven Protesten zu danken, dass das Chipkartensystem in Teilen Deutschlands zurückgefahren wird – und die avancierten Kontrolltechnologien, die zur Verfügung stehen, noch nicht zum Einsatz kommen.

 

Um noch ein letztes Argument zu nennen: Der Band geht auf eine Tagung zurück, die wir im Juni 2006 in Berlin während der Fußball-WM in Berlin veranstaltet haben. Neben Gedanken, Gelächter und Getränken war das die Gelegenheit, ein paar mehr Worte zu Sport zu verlieren, als wir uns das sonst gönnen. Mit anderen Worten: Das hat uns auch jede Menge Spaß gemacht.

6.) Justus Peltzer schreibt in seinem Beitrag, dass sich die Polizei während der WM dann doch eher zurück gehalten hätte. Kann man dann nicht auch sagen, da war auch viel Alarmismus im Vorfeld in der Debatte?

 

Sicher, man kann sagen, das habe mit dem "Alarmismus" vorher zu tun. Nur wäre diese Antwort dann falsch. Warum? Einmal blickt Peltzer als Fußballaktivist auf langjährige Erfahrungen zurück – und was staatliche Polizei und kommerzielle Sicherheitsdienste bei normalen Fußball-Events Wochenende für Wochenende an Verhalten an den Tag legen, da ist eine solche Bewertung wohl mehr als berechtigt. Gleichzeitig haben wir in unserem Einleitungskapitel, das online zur Verfügung steht (http://www.policing-crowds.org.), darauf hingewiesen, mit welch perfiden Public Private-Partnerships zwischen Polizei, Sicherheitsdiensten und so genannten Freiwilligen gerade in den Stadien gegen Fußballfans vorgegangen wurde – dort dann aber offenbar unter dem gezielten Wegsehen der staatlichen Ordnungskräfte.

 

Aber eine solche "Alarmismus"-Argumentation wäre noch aus einem anderen Grund falsch. Robert Warren zeigt in seinem Beitrag auch eindrücklich, warum: Es gehört zum guten Ton staatlicher Politik, wo immer möglich, Hysterie zu schüren, mit Falschinformationen zu arbeiten, Vorfeldkriminalisierungen möglichst weit zu streuen – nicht zuletzt die Fußballweltmeisterschaft hat das gezeigt, aber auch der G8-Gipfel ist dafür ein schlagendes Beispiel – inklusive des Vorwurfs, es würden sich Terroristen versammeln. (http://autox.nadir.org/buch/akten.html; und http://gipfelsoli.org/Repression/129a/; http://einstellung.so36.net.).

 

Warren macht quellenreich und an verschiedenen Beispielen deutlich, dass das Schema fast immer identisch  und von transnationalem Lernen der verschiedenen Politiker, Militärs und Polizeiexperten geprägt ist: Grob gesagt, treffen sich irgendwo Entscheidungseliten, dagegen opponieren verschiedene gesellschaftliche Kräfte mehr oder minder erfolgreich bereits im Vorfeld, und als Reaktion auf deren Ankündigungen werden dann Falschinformationen gestreut, Panik unter der Bevölkerung verbreitet, erst ideologische Nebelkerzen, später dann – von denen, die Bob "Pop-up Armies" nennt, also Aktivbürger, Politiker, Polizei, Militär – auch richtige Gasgranaten geworfen, Knüppel eingesetzt, demokratische Grundrechte eliminiert und nachträglich  angesichts der konstruierten Bedrohung als verhältnismäßig bezeichnet. Man muss den von Ihnen genannten "Alarmismus" also in die Gesamtstrategie des Staates einordnen, um ihn richtig zu interpretieren und ihm angemessen begegnen zu können.

 

7.) Ist die Debatte um so genannte Zwangsprostitution vor der WM, die die Autorin Jenny Künkel behandelt, nicht ein Zeichen, dass der Sicherheitsdiskurs längst keine Domäne der Rechten mehr ist sondern auch von Linken und Feministinnen mit geprägt wird?

 

Der Sicherheitsdiskurs war nie nur eine Domäne der Rechten, da würde man es sich doch etwas sehr einfach machen. Toni Blair, so man ihn denn als Linken bezeichnen wollte, war es, der sagte: "Crime is a socialist issue!". Und, wie einige Beiträgen unseres Buches zeigen, ist es insbesondere die Roll-out-Phase des Neoliberalismus, also jene Zeit des "Third Way" nach Thatcher und Reagan, die durch das intensive staatliche Experimentieren mit neuen "Sicherheitsarchitekturen" nicht nur im angelsächsischen Raum gekennzeichnet ist. Auf lokaler Ebene betrifft dies dann auch, wie in Frankreich, kommunistische oder sozialistische Bürgermeister. Sie trauen sich nicht, sich dem Sicherheitsdiskurs, dessen Motive von Rechtspopulisten vorgegeben werden, zu entziehen, um der Wählergunst und des Machterhalts willen und setzen daher entsprechende Maßnahmen um. Dem Grunde nach geht es um die Hegemonie in einem Feld, das sich vielleicht mit dem Kürzel "SOS" fassen lässt: Sauberkeit, Ordnung, Sicherheit. Und dabei handelt es sich, durchaus im Sinne Gramscis, um ein umkämpftes Terrain. Und dabei geht es dann auch um Begriffe, um die Dominanz in Debatten oder eben, wer/welche mag, Diskursen. Jenny Künkel zeigt, dass sich im Vorfeld und Verlauf der Fußball-WM konservative Strömungen in der Debatte haben weitgehend durchsetzen können und sie beschreibt im Übrigen ebenfalls sehr deutlich den von Ihnen "Alarmismus" genannten Sachverhalt anhand einer anderen, sagen wir: Zielgruppe.

 

8.) Sehen Sie überhaupt noch Gegenkräfte, die diesen Sicherheitsdiskurs verändern können?

 

Mit Marx sehen wir unsere Aufgabe nicht darin, einen Blick in die Garküche der Zukunft zu werfen. Gleichmaßen wenden wir uns gegen die wehrlosmachende Vorstellung eines fugenlosen Gehäuses der Hörigkeit durch stete Überwachung. Aber, wie Eric Töpfer in seinem Beitrag beschreibt, wird es schon in naher Zukunft unmöglich sein, sich unbeobachtet und das bedeutet dann: unerkannt durch europäische Großstädte zu bewegen. Damit, so scheint uns, geht ein wesentliches Funktionsmerkmal des Urbanen verloren und die europäische(?) Stadt büßt ihr Alleinstellungsmerkmal als Ort genuiner demokratischer Öffentlichkeit ein. Wir wollen damit keinen status quo ante idealisieren, denn die fordistische Stadt war wenig mehr als eine glorifizierte paternalistische Zwangsveranstaltung, der allein native, männliche Alleinerwerbler viel abgewinnen konnten. Wenig mehr und doch mehr. Was uns verlustig zu gehen droht, hat keiner der Sänger der europäischen Stadt in so deutliche und bewegenden Worte gefasst, wie der große Carey McWilliams, der während der "Großen Depression" nach durchzechter Nacht morgens auf den Pershing Square in Los Angeles tritt – und dem wir hier das abschließende Wort erteilen. Die nachfolgenden Begriffe erupting, lava, volcano sind die Schlüsselworte, denn sie sind die Nemesis jedes Sicherheitsdiskurses.:

"In the center of the park, a little self-conscious of my evening clothes, I stopped to watch a typical Pershing Square divertissement: an aged and frowsy blonde, skirts held high above her knees, cheered by a crowd of grimacing and leering old goats, was singing a gospel hymn as she danced gaily around the fountain. Then it suddently occured to me that, in all the world, there neither was nor would ever be another place like this City of the Angels. Here the American people were erupting, like lava from a volcano; here, indeed, was the place for me – a ringside seat at the circus."[iv]

Anmerkungen

[i] Nigel South (1988): Policing for Profit. The Private Security Sector. London/New York: Sage.

[ii] Eric Töpfer, Volker Eick, Jens Sambale (2007): BIDs – ein neues Instrument für Containment und Ausgrenzung? Erfahrungen aus Nordamerika und Großbritannien. In: ProKla. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft, 149/4, im Erscheinen.

[iii] Lesenswert in diesem Zusammenhang: Jeremih Scahill (2007): Blackwater. The Rise of the World's most Powerfull Mercenary Army. New York: Nation Books.

[iv] Carey McWilliams (1946/1995): Southern California. An Island on the Land. Utah: Peregrine Smith, S. 376.

 

Volker Eick, Jens Sambale, Eric Töpfer (Hg.)
Kontrollierte Urbanität
Zur Neoliberalisierung städtischer Sicherheitspolitik

transcript
Oktober 2007, 402 S., kart., 21,00 €
ISBN: 978-3-89942-676-2