Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Leugnen, (Spuren) verwischen und (Völkermord) vertuschen

Frankreich versucht seine Rolle beim Völkermord in Ruanda 1994 offensiv unter den Tisch zu wischen. Eskalation des diplomatischen Konflikts zwischen Paris und Kigali
12/06

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Frankreich und der ostafrikanische Staat Ruanda haben sämtliche diplomatischen Beziehungen abgebrochen, auf Initiative der ruandischen Regierung hin. Ursächlich dafür ist die seit nun über einer Woche anhaltende, äuberst heftige Polemik um die Rolle Frankreichs, aber auch der damaligen Rebellenbewegung und jetzigen Regierungspartei RPF (Rwandan Patriotic Front) während des Völkermords im Frühjahr 1994. Frankreich wolle seine Mitwisserschaft und Mitschuld leugnen, indem es die Verantwortung auf die seinerzeitigen Rebellen abwälzt, so lautet der Vorwurf aus Ruanda. Nicht grundlos.

Von April bis Juni 1994 in Ruanda ereignete sich der vierte und letzte Genozid im 20. Jahrhundert, der in wissenschaftlichen Debatten als solcher anerkannt wird (nach jenen an den Herero in Namibia, an den Armeniern in der Türkei und an den Juden sowie Sinti und Roma im NS-beherrschten Europa). Damals fielen, innerhalb von nur einhundert Tagen, in dem relativ kleinen ostafrikanischen Land über 800.000 (nach anderen Angaben bis zu eine Million) Menschen den systematischen Tötungen durch Milizen der extremistischen « Hutu Power »-Bewegung zum Opfer. Die Ermordeten gehörten gröbtenteils der Tutsi-Minderheit an, unter ihnen waren aber auch politische Oppositionelle oder schlicht Gegner des Völkermords innerhalb der Mehrheitsbevölkerung der Hutu. Die Rebellenbewegung RPF wiederum kämpfte, zunächst als Vertreterin der Tutsi, gegen das damalige Regime in der ruandischen Hauptstadt Kigali, bevor sie die politische Macht dort übernehmen konnte.


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Das offizielle Frankreich wiederum führte damals Krieg : gegen die RPF und an der Seite der regimetreuen ruandischen Streitkräfte in Gestalt der FAR (Forces armées rouandaises). Ihm wird deshalb seit längerem aus Kigali, aber auch aus einem wachsenden Teil der französischen kritischen Öffentlichkeit eine Mitschuld und Mitwisserschaft am Völkermord vorgeworfen. Paris konterte nun vorige Woche, indem es insgesamt neun internationale Haftbefehle gegen führende Persönlichkeiten der aktuellen ruandischen Spitze erlieb, die aus der damaligen RPF kommen. Vorwurf : Diese hätten den Völkermord ausgelöst. Eine Ungeheuerlichkeit, antwortete man in Ruanda, wo heute eine gemischte Regierung aus Tutsi und Hutu amtiert, deren harter Kern jedoch aus der damaligen Tutsi-Rebellenbewegung (RPF) hervor ging. Hier würden Opfer zu Tätern gemacht, und Paris wolle von seiner Mitverantwortung offensiv ablenken. Ein Vorwurf, der auch innerhalb Frankreichs bei kritischen Geistern Unterstützung findet. Am Mittwoch dieser Woche publizierte die Pariser linksliberale Wochenzeitung <Charlie Hebdo> ein Interview mit dem Historiker Marcel Kabanda, in welchem die Argumentation, mit der die Haftbefehle begründet werden, als « geschichtsrevisionistisch und negationistisch » bezeichnet werden. Der Begriff des « Negationismus » bezeichnet in Frankreich bisher die bewusste Leugnung des Holocaust. Eine Karikatur der Wochenzeitung zeichnet den Untersuchungsbericht des Richters Bruguière, der den Haftbefehlen zugrunde liegt, als Wischpapier, an dem die Völkermörder sich das Blut von ihren Händen wischen. 

Aber worum dreht sich der Streit genau ?
Der Untersuchungsauftrag des Richters Bruguière

Jean-Louis Bruguière amtiert seit 1984 in Paris als Untersuchungsrichter, der auf Terrorismusdelikte spezialisiert ist. In der Vergangenheit ermittelte er beispielsweise gegen Libyen und den Iran. Damit bekleidet er natürlich einen politisch hochsensiblen Posten. Darüber hinaus hat der Richter nun offen seine Absicht bekundet, im Juni kommenden Jahres bei den Parlamentswahlen als Kandidat der konservativen UMP (der von Innenminister und Präsidentschaftskandidat Nicolas Sarkozy angeführten Regierungspartei) anzutreten. Spätestens damit wird die politische Dimension der Persönlichkeit Jean-Louis Bruguière unverkennbar. 

Im Zusammenhang mit Ruanda war der Untersuchungsrichter Bruguière seit 1998 mit einem Verfahren betraut, das nicht Opfer des ruandischen Genozids angestrengt hatten. Sondern die Angehörigen von Franzosen, die kurz vor Ausbruch des Völkermords in dem ostafrikanischen Land getötet worden waren, und zwar an der Seite des damaligen Präsidenten Juvénal Habyarimana. Konkret handelte es sich um die (aus Frankreich kommende) Besatzung des Präsidentenflugzeugs von Habyarimana und um französische Militärs, die sich mit an Bord befanden. Dieses Präsidentenflugzeug wurde am Abend des 6. April 1994 kurz vor 20.30 Uhr abgeschossen : Während es sich im Landeanflug auf Kigali befand, wurde es von zwei Boden-Luft-Raketen getroffen. Die erste beschädigte einen Flügel der Präsidentenmaschine, und die zweite verwandelte es in einen Feuerball, dessen Trümmer in den Garten des Präsidentenpalasts fielen. Es gab keinen Überlebenden an Bord der Falcon 50. Abgefeuert worden waren die beiden Flugkörper von dem Hügel Masaka, der in der Nachbarschaft des Flughafens von Kigali liegt.

Startschuss zum Völkermord

Ungeklärt ist, wer genau die Boden-Luft-Raketen abgefeuert hat. Nicht ernsthaft umstritten dagegen ist, dass ihr Treffer den Startschuss zum Völkermord gab, der ab dem folgenden Morgen losbrach. In Kigali wurde damit begonnen, Strabensperren einzurichten, an denen Tutsi unter den Vorbeikommenden ausgesondert und auf den Seiten massakriert worden. Getötet wurde in der Regel mittels Hieben, die mit einer Machete verabreicht wurden. Die Identifizierung der Tutsi wurde dadurch erleichtert, dass die « ethnische » Zugehörigkeit – zu den Tutsi (circa 15 Prozent der Bevölkerung), den Hutu (84 Prozent) oder zu der nur 1 Prozent ausmachenden Bevölkerungsgruppe der Twas - auf den Personalausweisen aufgedruckt war. Es dauerte damals eine Woche nach dem Abschuss von Präsident Habyarimana, bis eine funktionstüchtige Übergangsregierung auf die Beine gestellt worden war. Aber es brauchte nur wenige Stunden, um eine erschreckend effiziente, und im Folgenden über Monate hinweg unermüdlich funktionierende, Mordmaschinerie in Gang zu setzen. Stunden nach dem Absturz des Präsidentenflugzeugs fingen die Präsidialgarde, die Milizen der Hutu-Extremisten (Interahamwe genannt), bald auch mit Unterstützung durch die zivilen Verwaltungsorgane, und schlieblich auch « gewöhnliche » Hutu aus der Bevölkerung ihre « ethnischen Feinde » zu massakrieren an.

Der Versuch, die Gesamtheit der Tutsi-Minderheit auszulöschen, war kein spontaner Einfall oder eine Idee, die plötzlich – ähnlich wie der Präsidentenflieger – vom Himmel gefallen wäre. Vielmehr war er über Jahre hinweg vorbereitet worden. Dabei hatten die « Hasssender » wie das berüchtigte <Radio-télévision libre des mille collines> (RTLM, « Freies Radio und Fernsehen der tausend Hügel », unter Anspielung auf die topographische Beschaffenheit Ruandas) eine wichtige Rolle bei der Mobilmachung gespielt. Ihre Einpeitschtiraden, in denen die Tutsi in kaum  verhüllter Form mit Ungeziefer, das zu elimieren sei, verglichen wurden, hatten sie über Monate hinweg kontinuierlich verbreitet : RTLM ging im Juli 1993 auf Sendung. Und selbst das technische Gerät für den Völkermord war längere Zeit vorher planmäbig bereit gestellt worden. Der Gebrauch von Macheten war in Ruanda damals in der Landwirtschaft üblich, aber die scharfen Werkzeuge waren nicht in so grober Anzahl vorhanden, wie sie später für den Völkermord « benötigt » wurden. Im Sommer 1993, also drei Vierteljahre vor dessen Beginn, erging eine Grobbestellung über Millionen Macheten von Ruanda an die Volksrepublik China. Ein Faksimile des damaligen Lieferauftrags war im vorigen Jahr in einer kritischen Ausstellung über die französische Ruandapolitik, in der Nähe von Paris, zu sehen. Kurz : Das, was ab dem 7. April 1994 passierte, war offenkundig zuvor von längerer Hand vorbereitet worden.

Wer schoss das Präsidentenflugzeug ab ?

Aber wer genau das Präsidentenflugzeug vom Abendhimmel über Kigali geschossen hat, bleibt dennoch umstritten. Dazu gibt es zwei widerstreitende Thesen. Die eine, die in der französischen kritischen Öffentlichkeit als höchst plausibel gilt, besagt, dass die Tötung von Präsident Juvénal Habyarimana aus den Reihen des eigenen Regimes heraus vorbereitet worden sei. Dafür spricht, dass den extremistischen Kräften innerhalb des damaligen Machtapparats durchaus daran gelegen war, sich zu jenem Zeitpunkt des amtierenden Staatschefs zu entledigen. Denn Junéval Habyarimana hatte im August 1993, unter internationalem Druck, das Abkommen von Arusha (in Tanzania) mit der Rebellenbewegung RPF geschlossen, das einen Friedensprozess für Ruanda vorsah. Er stand unter Druck, dieses Abkommen einzuhalten, während zugleich ein Wiederaufflammen des Krieges zwischen der von Tutsi begründeten Rebellenbewegung und dem Regime in Kigali – das bereits damals eine rassistische Propaganda unter der Hutu-Mehrheitsbevölkerung betrieb – konkret drohte. Die rassistische, extremistische « Hutu Power »-Bewegung hatte innerhalb des Regimes bereits wichtige Positionen erobert, während sie sich zugleich auch auf bestimmte Flügel in frisch begründeten Oppositionsparteien stützen konnte. Und sie hatte mit der Formierung ihrer Milizen, innerhalb des Staatsapparats und auf eigenständiger Basis, längst begonnen. Jener Milizen, die zu den ausführenden Hauptorganen des Völkermords werden sollten. Dass es ihnen nun gelegen gekommen wäre, sich des zu sehr auf Mäbigung und das internationale Image bedachten Präsidenten zu entledigen, das klingt durchaus glaubhaft. Und dass sein Tod ihnen als Fanal, als symbolisch wichtiges Startsignal zum Losschlagen dienen sollte, ebenfalls.

Eine Gegenthese lautet unterdessen, dass auch die Rebellenbewegung der Rwandan Patriotic Front (RPF) den Präsidentenmord verübt haben könnte. Hätte sie doch ein Interesse daran gehabt, das gegnerische Lager gewissermaben am Kopfe zu treffen, um ihren Vormarsch auf Kigali zu beschleunigen.

Was ist die RPF ?

Dazu muss man wissen, wer bzw. was die RPF ist. Die « Ruandische Patriotische Front » ist ein Zusammenschluss von aus Ruanda stammenden Tutsi, die von dort vertrieben worden waren oder aber im Ausland als Kinder von ruandischen Tutsi im (erzwungenen) Exil geboren worden waren. Denn Übergriffe auf die Tutsibevölkerung in Ruanda hatte es nicht erst im Jahr 1994 gegeben. Sie waren vielmehr durch einen langen Prozess der Ethnisierung gesellschaftlicher Verteilungskämpfe, den die einstige deutsche und später (ab 1918) belgische Kolonialherrschaft begonnen hatte, vorbereitet worden. Und ab 1959, noch vor der Unabhängigkeit, und erneut 1963 hatten bereits Massaker an mehreren Tausend Tutsi stattgefunden, die die Flucht weiterer Zehntausender Menschen zur Auswirkung hatte.

Der Hintergrund dafür ist folgender : Unter der deutschen Kolonialherrschaft (ab 1884), die infolge des Ersten Weltkriegs durch eine belgische abgelöst worden war, versuchten die Europäer, ihre damals allgemein verbreiteten Rassentheorien auch auf die ruandische Gesellschaft anzuwenden. Die zuvor hochkomplexe Gesellschaft des ehemaligen Königreichs Ruanda wurde künstlich in « Stämme » eingeteilt, die angeblich von einander abgeschottete « ethnische » Gemeinschaften bildeten – währen die betreffenden Gruppen in Wirklichkeit Sprachen und Sitten weitestgehend miteinander teilten und nur unterschiedliche soziale Differenzierungsformen kannten . Im späten 19. Jahrhundert schleppten deutsche Rassenkundler die Theorie von der « hamitischen Rasse » nach Ruanda ein. Demnach gab es angeblich eine hochwüchsige, hellhäutigere, von Norden her eingewanderte Rasse von angeborenen Aristokraten (die « Hamiten », die aus dem Niltal stammen sollten) und eine klein gewachsene, unterwürfige, dümmliche und schwarzhäutige Rasse, die nur für eine bäuerliche Existenz gut war. Solche behaupteten « rassischen » Trennungslinien gab es zwar in der Realität nicht. Aber die Deutschen, deren Politik darin durch die Belgier quasi nahtlos fortgeführt wurde, wählten einfach jene, die ihnen dem « hamitischen » und aristokratischen Typus zu entsprechen schienen, für sämtliche Führungsfunktionen aus. Die Tatsache, dass diese Leute von ihnen mit Privilegien ausgestattet wurden, begründeten die europäischen Kolonisatoren auf diese Weise mit « rassischen » Merkmalen. Obwohl es ihnen im Kern darum ging, sich eine treue einheimische Elite heranzubilden, auf die sie sich verlassen könnten, schufen sie damit künstlich eine vermeintliche « Rasse », der in der einheimischen Gesellschaft alle Machtpositionen zukommen sollten. (In den 1930er Jahren war es zudem die belgische Kolonialherrschaft, die die Erwähnung der Zugehörigkeit zu einer « ethnischen » Gruppe auf den Personalausweisen der Ruander zur Pflicht erhob. Also jene « ethnische » Kennzeichnungspflicht, die 1994 so vielen Tutsi an den Strabensperren zum tödlichen Verhängnis werden sollte...)

In der Hutu-Mehrheitsbevölkerung bildeten sich daraufhin allmählich (in einem historischen Prozess) Gegenreaktionen heraus, die ebenso rassistisch geprägt waren und nur das spiegelverkehrte Abbild der von den Kolonialmächten propagierten Theorien darstellten. Negative Eigenschaften wie Machtgier oder der Drang, sich gesellschaftlichen Reichtum unter den Nagel zu reiben, wurden auf vermeintliche natürliche Eigenschaften der « Tutsi-Rasse » zurückgeführt. Was nun im Vorfeld der Unabhängigkeit passierte, war Folgendes : Die belgische Staatsmacht und die, in Ruanda ebenfalls (infolge der Kolonisierung) sehr mächtige und stark verankerte, katholische Kirche bereiteten einen folgenreichen Frontenwechsel vor. Nunmehr lieben sie die, von ihnen zuvor aufgepäppelte, Elite aus angeblichen « Tutsi » fallen. (Ein Begriff, der keiner historisch gewachsenen « Stammes- » oder « Volksgruppe » entspricht, sondern einer durch die Politik kreierten gesellschaftlichen Gruppe, die aber eine ethnisierte Darstellung erfuhr.) Um auch nach der historisch absehbaren Unabhängigkeit Ruandas ihre Einflussmöglichkeiten nicht zu verlieren, so das Kalkül der Belgier und der mit ihnen verbündeten anderen Europäer, sei es besser, nunmehr gute Beziehungen zu den politischen Kräften der Hutu-Mehrheitsbevölkerung aufzubauen. Ab diesem Zeitpunkt setzten die Belgier, die bald ihren Platz als dominierende Vormacht einnehmenden Franzosen und die katholische Kirche deshalb auf ein Bündnis mit rassistischen Hutu-Parteien. Die formale staatliche Unabhängigkeit erlangte Ruanda 1962, und letztere Parteien gaben zunächst den Ton an. Sie bezeichneten ihr Programm als « soziale Revolution », während es sich in Wirklichkeit nur um eine Diskriminierung auf « ethnischer » Basis handelte, die gegen alle Tutsi als solche gerichtet war. 1959 und nochmals 1963 kam es zu gröberen Massakern an ihnen.

Aus den dabei vertriebenen Tutsi und ihren Nachkommen, die im benachbarten Uganda aufwuchsen, rekrutierte sich die Rebellenbewegung RPF. Diese wurde 1985 in Uganda gegründet und kann in ihrem Grundschema grob mit der frühen PLO (Palästinensische Befreiungsorganisation) verglichen werden. Dies in dem Sinne, dass es sich um eine Nationalbewegung handelt, die aus einer (zum Teil) aus ihrem Herkunftsland vertriebenen Bevölkerung heraus entstanden ist. Und die, mittels einer Dosierung von politischen Verhandlungen und dem Einsatz von militärischer Gewalt, eine Rückkehr in ihr ursprüngliches Wohngebiet durchzusetzen trachtet. Vergleichbar mit der frühen PLO (oder ihrem linksnationalistischen Flügel) ist auch die marxistische Rhetorik, derer sich die Rwandan Patriotic Front jedenfalls bis in die frühen 1990er Jahre hinein befleibigte. Ein wesentlicher Unterschied zum Konflikt zwischen Israel und der PLO hingegen, der schlicht auf unterschiedlichen geopolitischen Interessen der Grobmächte basiert, lag und liegt darin, dass die USA im fraglichen Zeitraum (von 1985 bis 94) die RPF zunehmend unterstützten.  

Letztere begann ihren bewaffneten Kampf gegen das Regime in Kigali am 1. Oktober 1990, von ugandischem Boden aus operierend. Aber schon nach zwei Tagen der militärischen Operationen, die anfänglich eher dilettantisch durchgeführt schienen, wurde ihr charismatischer Chef Fred Rwigema im Kampf getötet. Daraufhin wurde der RPF-Mitbegründer Paul Kagamé rasch eingeflogen, um den Kopf der Guerillabewegung zu übernehmen. Kagamé weilte damals gerade bei einem militärischen Ausbildungslehrgang an der Militärakademie in Kansas (USA) ; einen Teil seiner Ausbildung hatte er in Nordamerika genossen. Denn ein letztes Element ist noch wichtig, umen Konflikt zwischen dem ruandischen Regime und der RPF – in seiner internationalen geopolitischen Dimension – zu verstehen : Es handelte sich dabei immer auch um einen Stellvertreterkrieg zwischen Frankreich und den USA. Auf dem Spiel stand dabei das Neuabstecken der Einflusssphären dieser Grobmächte auf dem amerikanischen Kontinent.

Stellvertreterkrieg zwischen Paris und Washington

Die nackte machtpolitische Dimension wurde dabei hinter den Kulissen offen ausgesprochen, doch in den Vordergrund gerückt wurde nach auben hin die sprachpolitische Komponente. Ruanda war bis dahin ein Land, in dem Französisch (neben Kisualehi) die Amtssprache war. Uganda dagegen ist englischsprachig und eine ehemalige britische Kolonie, wo freilich die US-Amerikaner den früheren britischen Einfluss abgelöst haben (ähnlich wie die Franzosen die früheren belgischen Positionen in Ostafrika übernommen hatten). Die Kader der RPF, die in Ruanda geboren oder zumindest aufgewachsen sind, sprachen ihrerseits Englisch und kein Französisch. Sie waren zum Teil eng mit dem ugandischen Regierungsapparat verbunden, jedenfalls Paul Kagamé, der in seiner Jugend ein Schulkamerad des ugandischen Präsidenten (ab 1986) Yoweri Museweni gewesen war und der zeitweise den militärischen Nachrichtendiensts Ugands leitete. Darüber hinaus hatten sie unzweifelhaft ihre Kontakte zur US-Administration.

Deshalb auch erklärte man damals in Paris, es gelte, die Sphäre der « Francophonie » (also des postkolonialen französischen Sprachraums) gegen den Verlust eines Mitgliedslands – bedroht von einer « anglophonen und marxistischen » Guerilla - zu verteidigen. Daher unterstützte man offen die ruandischen Streikräfte (FAR), rüstete diese auf und stellte ihnen französische Militärberater zur Verfügung. Die französische Armeepräsenz in Ruanda wuchs von 5.200 Mann, vor dem Ausbruch der Rebellion der RPF im Oktober 1990, auf alsbald über 50.000 Mann (zur Jahresmitte 1992). Theoretisch sollten französische Militärs die Soldaten der ruandischen Streitkräfte (FAR) nur beispielsweise in den Gebrauch der Artillerie einweisen. Real aber feuerten sie oftmals selbst die Schüsse ab, wie auch aktuell nochmals ausdrücklich in <Le Monde> (vom 22. 11. 2006, Seite 5) bekräftigt wird. An derselben Stelle wird hinzugefügt : « Von höchster Geheimhaltung umgeben, schickt Frankreich die Helikopter, die die erste Offensive der RPF stoppen. »

Neben der Frage des Verlaufs der Sprachgrenze zwischen französisch- und englischsprachiger Sphäre dürften freilich einige sehr prosaische Faktoren auch eine wichtige Rolle gespielt haben : Ruanda, obwohl es als kleines Land (mit 26.000 Quadratkilometern und rund 8 Millionen Einwohnern) keine so hohe eigene Bedeutung hatte, war dennoch ein wichtiges Transitland für Waffenlieferungen auf dem afrikanischen Kontinent. Zudem nimmt das kleine Ruanda den Platz einer «Gebirgsfestung » ein, von der aus gröbere Teile des damaligen Zaire (heute Demokratische Republik Kongo) beherrschbar schienen. Diese strategische Position Ruandas spielte übrigens tatsächlich in späteren Jahren, ab 1996/97, bei den aufflammenden Kriegen in Zaire/Kongo eine sehr wichtige Rolle. Kurz : Ruanda war eine wichtige Schachfigur auf dem Brett sowohl der französischen, als auch der US-amerikanischen Afrikapolitik.  (Die deutsche Aubenpolitik und Aubenwirtschaftspolitik segelte dabei eher im Windschatten dieser beiden Mächte, vor allem der USA, um in ihrem Gefolge Marktanteile zu gewinnen.)

Einen entscheidenden Unterschied, aufgrund dessen man aber nicht beide Seiten (das damalige ruandische Regime und die RPF) einfach miteinander gleichsetzen kann, macht die völkermördische Dimension des alten Machtapparats aus, die nach dem Tode von Präsident Habyarimana im April 1994 völlig offen zu Tage trat. Aber bereits 1992 und 93 hatte es Massaker an den Tutsi unter der ruandischen Zivilbevölkerung mit bis zu 20.000 Toten gegeben, während die FAR (ruandische Armee) und – an ihrer Seite – die französische Armee an der Front Krieg gegen die Guerillabewegung RPF führten. Die internationale Menschenrechtsvereinigung FIDH (Fédération internationale des droits de l’homme) hatte schon zu Anfang des Jahres 1993 vom Wirken von « Todesschwadronen » und von « Vorboten eines Genozids » in Ruanda gesprochen, und ein offizieller Bericht der Vereinten Nationen vom 11. August 1993 übernahm diese Angaben schwarz auf weib.

Frankreich hat jene Seite unterstützt, die real einen Genozid verschuldet hat -- und das macht wirklich einen gewichtigen Unterschied aus. Die damalige Rebellen- und jetzige ruandische Staatsführung in Gestalt der RPF-Spitze rund um Paul Kagamé besteht nicht aus Chorknaben. Und sie hat sich während der späteren Kriege im Ostkongo ab 1996 (in die hinein das von der RPF regierte Ruanda dann intervenierte, um die ins Nachbarland geflüchteten Teilnehmer am Völkermord zu verfolgen, aber auch im offenen Zusammenspiel mit expansiven US-Interessen) reale Verbrechen zuschulden kommen lassen : Invasion, Massaker, Ausbeutung der Rohstoffvorkommen in Zaire/Kongo. Aber die RPF-Führung ist kein Rassistenregime. Sie hat im Jahr 2003 die vorherige, seit Jahrzehnten bestehende Pflicht zur Erwähnung der « ethnischen » Zugehörigkeit auf den Personalausweisen ersatzlos abgeschafft. Sie hat, nach dem Völkermord, einen schwierigen Prozess der « nationalen Aussöhung » eingeleitet. Während die ursprüngliche RPF-Führung aus (nach Uganda geflüchteten) Tutsi besteht, hat die seit 1994 amtierende RPF-Regierung immer auch Hutu in führenden Positionen integiert. Von Juli 1994 (also einen Monat nach der Eroberung von Kigali durch die PRF) bis im Jahr 2000 amtierte etwa Pasteur Bizimungu, ein Angehöriger der Hutu-Bevölkerung, als Staatspräsident Ruandas. Auch wenn der wirkliche starke Mann des Landes der ehemalige Guerillaführer Paul Kagamé war, so bildete dies doch ein starkes Symbol. Im April 2000 wurde dann Kagamé zu seinem Nachfolger gewählt, damals durch das Parlament, aber seine Wiederwahl erfolgte im August 2003 durch die (mehrheitlich aus Hutu bestehende) Bevölkerung. Der ruandische Verteidigungsminister ist heute ein Hutu.

Moralischer Makel

Frankreich trägt also den moralischen Makel, bis zur letzten Minute (also bis zur Einnahme der Hauptstadt Kigali) die Ausführenden des Völkermords geschützt zu haben. In einem UN-Untersuchungsbericht vom November 1998 heibt es dezidiert, Frankreich habe noch bis mindestens im Mai 1994 (also einen Monat nach Beginn des Völkermords) Waffen an die FAR geliefert. Und noch danach hat die französische Armee den Resten des « Hutu Power »-Regimes den Rückzug gedeckt, als die Milizionäre ins damalige Ostzaire flohen : Die vorgeblich humanitären Zwecken dienende « Mission Turquoise » (Mission Türkis) der französischen Armee ab Juni 1994 diente faktisch dazu, die Flucht der Mörder aus Ruanda zu decken.

Dieses sehr reale Erlebnis hat etwa den französischen Journalisten Patrick de Saint-Exupéry, der damals als Korrespondent der ausgesprochen konservativen Tageszeitung <Le Figaro> vor Ort in Ruanda weilte, in der Folge zu einem der radikalsten und schärfsten Kritiker der französischen Politik in Ostafrika werden lassen. In einer vierteiligen Artikelserie im <Figaro> vom 12. bis 15. Januar 1998 hat der Journalist die französische Mitschuld am Genozid in Ruanda äuberst klar benannt und äuberst scharf kritisiert. Patrick de Saint-Exupéry hielt auch nicht mit dem hinter dem Berg, was er damals – während die Ereignisse sich in Ruanda sich in Echtzeit abspielten – an Reaktionen führender französischer Politiker mitbekommen musste. Der damalige Präsident François Mitterrand, so hat Saint-Exupéry wiederholt öffentlich kund getan, habe ihm im Sommer 1994 erklärt : « Ein Genozid in so einem Land (wie Ruanda), das ist nicht so wichtig. » Auch die Politik der damaligen konservativen Regierung unter Edouard Balladur, die damals in einer Kohabitation mit Präsident Mitterrand zusammen die Staatsgeschäfte führte, wird von Saint-Exupéry frontal angegriffen. Ihr damaliger nationalpopulistischer Innenminister Charles Pasqua (eine der Schlüsselfiguren der mafiösen französischen Afrikapolitik) hatte, ganz im Sinne der Auslassungen Mitterrands, zum Thema den Spruch vom Stapel gelassen : « In diesen Ländern haben die Leute eben nicht dasselbe Verhältnis wie wir zum Tod. »

Kurz nach der Artikelserie von Saint-Exupéry erschienen dann auch in anderen französischen Medien Beiträge, in denen das Bild vom französischen Eingreifen in Ruanda in ein ziemlich unschönes Licht gerückt wird. In <Libération> vom 02. Februar 1998 liest man etwa über das damalige Verhalten der französischen « Eingreiftruppe », die im April 1994 in Ruanda eingesetzt wurde, um französische Staatsbürger heraus zu holen : « Die Familie liegt am Boden ausgestreckt. Vater, Mutter und Kinder. Sie sind Tutsi oder aber Freunde von Tutsi. Rund um sie herum aufgeregte Hutu. Ein Mann nähert sich einem Kind und versucht, ihm den Schädel mit einem Machetenhieb zu spalten. In einigen Metern Entfernung stehen französische Soldaten. Sie sind bewaffnet, rühren sich jedoch nicht (...): Die einzigen Leben, die sie zu retten haben, sind die von französischen Staatsbürgern. » Solche Berichte, die sich seitdem häufen, sind nie ernsthaft dementiert worden.

Die Realität des französischen Vorgehens, und die scharfe Kritik daran, ist also in der französischen Öffentlichkeit seit Jahren bekannt. Unterdessen war aber die politische Klasse weiterhin nach Kräften bemüht, all diese Dinge tunlichst zu vertuschen. Im Gegensatz zu Belgien, den USA und den Vereinten Nationen (die seit 2000 eine Selbstkritik leisteten, weil sie nichts gegen den Völkermord unternommen hatten) hat Frankreich bislang auch keine Entschuldigung gegenüber Ruanda abgelegt. Deshalb erlitten führende französische Diplomaten aber im April 2004 -- aus Anlass der Gedenkfeiern in Kigali zum 10. Jahrestag der Auslösung des Völkermords -- eine Kopfwäsche vor Ort, wie sie noch selten dagewesen sein dürfte. In seiner offizielle Ansprache vom 7. April 2004 erwähnte Ruandas Präsident Paul Kagamé ein Land namentlich, während er die Verantwortlichkeiten anderer Staaten nur indirekt benannt hatte : « Die Franzosen haben die Soldaten und die Milizionäre trainiert und bewaffnet, die den Genozid verüben würden ; und sie wussten, dass sie den Genozid verüben würden. » Mit Blick auf die <Opération Turquoise>  vom Juni 1994 fügte er hinzu: « Die Franzosen haben bewusst die Mörder gerettet, ohne die Opfer zu schützen » Zu guter letzt merkte er an: « Sie besitzen (heute) die Kühnheit, hier zu bleiben, ohne sich zu entschuldigen! » In kaltem Zorn packte die Delegation, die vom französischen Staatssekretär im Außenministerium Renaud Muselier geleitet wurde, damals ihre Koffer und reiste umgehend ab.

 Und hier kommt Richter Bruguière ins Spiel

 An dieser Stelle kommt nun der eingangs erwähnte Untersuchungsrichter Jean-Louis Bruguière wiederum ins Spiel. Denn im März/April 2004, während seine Untersuchungsarbeit zum Abschuss des Präsidentenflugzeugs Juvénal Habyarimanas offiziell seit über fünf Jahren andauerte, erschienen erstmals andeutungsweise Informationen dazu in der französischen Presse. Über den damaligen Journalisten bei <Le Monde>, Stephen Smith – der inzwischen dort nicht mehr schreibt und der sich oftmals als willfähriger und unkritischer Verteidiger der offiziellen Politik Frankreichs in Afrika entpuppt hat (vgl zur Kritik an ihm : http://www.cequilfautdetruire.org/article.php3?id_article=222 ) - lieb er ihm genehme Informationen durchsickern. « In Bälde » (so verlautbarte damals) werde er, informierte Brugière, einen Untersuchungsbericht vorlegen. Daraus gehe hervor, dass die Spur des Präsidentenmords vom 6. April 1994 zum Nachfolger führe : zu Paul Kagamé.

Von da ab dauerte es aber nochmals über zwei volle Jahre, bis Brugière nunmehr mit seinen (vorgeblichen) Ergebnissen nach auben drang. Es stellt sich die Frage, ob der Zeitpunkt dafür zufällig gewählt worden ist oder nicht. Im Oktober dieses Jahres hat in Ruanda eine offizielle Untersuchungskommission, die zur Rolle Frankreichs während des Völkermords tätig ist, ihre Arbeit aufgenommen. Ihre öffentlich zugänglichen Anhörungen begannen am 24. Oktober. Ging es dem Richter, der mit seinen politischen Ambitionen – er möchte im kommenden Jahr als UMP-Parlamentskandidat antreten – nicht hinter dem Berg hält, darum, « ein Gegenfeuer zu entzünden », wie eine französische Ausdrucksweise besagt ? Oder hat er aus anderen Gründen gerade jetzt agiert ?

Fakt ist : Der Antiterrorismus-Richter Jean-Louis Bruguière hat am Abend des 17. Novmber der Staatsanwaltschaft in Paris ein 64seitiges Dokument übermittelt, das seine Schlussfolgerungen enthält. Ihr Inhalt wurde der Presse erst am darauf folgenden Montag (20. 11.) bekannt. Darin verlangt der Untersuchungsrichter die Ausstellung von Haftbefehlen gegen neun führende Persönlichkeiten in Ruanda, die allesamt zur früheren Rebellenführung der RPF und bis heute zur näheren oder ferneren Umgebung von Präsident Paul Kagamé gehören. Unter ihnen befinden sich der Generalstabschefs der ruandischen Armee RPA, James Kabarebe, die Protokollchefin im Präsidentenamt, Rose Kabuye, und der ruandische Botschafter in Indien, Faustin Nyamwasa-Kayumba. Die Haftbefehle, die an Interpol weitergeleitet wurden, können zwar kaum direkt zur Festnahme dieser Personen in Ruanda führen. Aber sie haben doch einige Konsequenzen für die Betroffenen. So können sie jederzeit bei der Einreise in ein Land, das ein Auslieferungsabkommen mit Frankreich hat, und insbesondere bei jeder Einreise in irgendein Land der EU festgenommen werden, um den Haftbefehl zu vollstrecken.

An Präsident Paul Kagamé konnte Untersuchungsrichter Bruguière nicht direkt herankommen, da dieser nach internationalem Recht eine Immunität als Staatsoberhaupt geniebt. Dennoch lieb Jean-Louis Bruguière nicht locker, um auch den ruandischen Präsidenten unmittelbar zu belangen. Er wandte sich deshalb an den Internationalen Strafgerichtshof zu Ruanda (französisch : TPIR), den die UN im ostafrikanischen Arusha eingerichtet haben, um über die Verbrechen im Zusammenhang mit dem Völkermord von 1994 bzw. ihre zentralen Planungsstufen zu urteilen. Der Pariser Richter forderte deshalb den Staatsanwalt am TPIR, Hassan Bubacar Jallow, dazu auf, er möge ein Ermittlungsverfahren gegen den ruandischen Staatspräsidenten einleiten. Dazu wäre er als Einziger befugt, da nur eine auberordentliche Gerichtsbarkeit wie das TPIR juristische Schritte gegen den amtierenden Staatschef in Ruanda einleiten kann. (Der Angesprochene wies dieses Ansinnen jedoch kühl zurück.) Bislang hatte sich der Internationale Gerichtshof in Arusha überhaupt gar nicht mit dem Flugzeugabschuss vom 6. April 1994 befasst, da es mit wichtigeren Dingen betraut war : den Ermittlungen über die Vorbereitung und Durchführung des Genozids. Aber, so erläuterte Bruguière in seinem Gesuch, das Attentat auf das Präsidentenflugzeug, dessen er Kagamé beschuldigte, stehe in unmittelbarem Zusammenhang mit diesem Genozid. Anders als bisher könne das TPIR daher den Flugzeugabschuss nicht länger aus seinen Strafverfolgungsmabnahmen aussparen.

Im Hintergrund steht, ziemlich unverhüllt, die Behauptung : Paul Kagamé und die Rebellenführung sind am Genozid in Ruanda schuldig ; und nicht das damalige Regime in Kigali. (Und damit, das wäre praktisch, auch nicht dessen französische Unterstützer).

Regierung im Hintergrund ?

Für die von ihm geforderten internationalen Haftbefehle erhielt Bruguière die Zustimmung der Staatsanwaltschaft für das Prinzip, und gleichzeitig « die Zustimmung der Regierung bezüglich der Terminierung » der Haftbefehle (Le Monde, Seite 1 vom 22. 11. 2006). Diese Formulierung bezüglich der Terminfrage spielt darauf an, dass der ruandische Generalstabschef gerade bei einem Manöver mit der französischen Armee in Kamerun weilte, als Richter Bruguière in Paris aktiv zu werden sich anschickte. Ihn wollte die französische Regierung noch in Ruhe zurückreisen zu lassen, um unnötige Komplikationen zu vermeiden. Deshalb verständigten Regierung und Richter sich auf einen Termin für die Haftbefehle.

Nichtsdestotrotz beruft die französische Regierung sich nunmehr darauf, in ihrem Land gelte « das Prinzip der Gewaltenteilung », und deshalb habe der Untersuchungsrichter Bruguière völlig unabhängig von ihr entschieden, sein Ermittlungsverfahren fortzuführen. Der französische Aubenminister Philippe Douste-Blazy beharrte denn auch darauf : « Dies (die Ausstellung der Haftbefehle durch Bruguière) ist keine politische Entscheidung. » Nur steht dazu nicht nur die Tatsache einer Abstimmung mit der Regierung im Widerspruch, sondern auch der Aufbau der französischen Justiz. Denn zwar ist die Richterschaft, aufgrund des Prinzips der Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Judikative, von den Positionen der Regierung prinzipiell unabhängig (wobei aber die Besetzung der obersten Posten in der richterlichen Hierarchie von Entscheidungen des Staatspräsidenten abhängt). Aber die Staatsanwaltschaft, die ja im Namen des französischen Staates agiert,  unterliegt zumindest teilweise Weisungen der Exekutive. Diese Weisungsgebundenheit wurde mit der Justizreform der Sozialisten im Jahr 2000 teilweise gelockert, seitdem kann die Regierung den Staatsanwälten keine Weisungen mehr erteilen, die in die Prozesse von Privatpersonen eingreifen. Aber in einer Affäre wie dieser besteht eine offenkundige Abhängigkeit der Staatsanwaltschaft von Weisungen der Regierung. Deshalb muss davon ausgegangen werden, dass die Behauptung, die französische Regierung habe mit dem Agieren des Richter Bruguière nichts zu tun, schlicht die Unwahrheit ist.

« Die Tutsi-Rebellen sind schuld » 

Die Kernidee des so genannten Untersuchungsberichts von Jean-Louis Bruguière lautet so : Erstens : Es muss als erwiesen gelten, dass die Rebellenbewegung RPF das Präsidentenflugzeug mit dem damaligen ruandischen Staatschef Habyarimana an Bord abgeschossen hat. (Die RPF verfügte damals offiziell über einen Stützpunkt in Kigali, aufgrund des provisorischen Friedensabkommens von Arusha aus dem Jahr 1993. Das Gelände rund um den Flughafen von Kigali wurde aber seinerzeit durch die Franzosen bewacht.) Zweitens : Dadurch hat sie den Genozid, der während der folgenden drei Monate in Ruanda wütete, ausgelöst. Es handelte sich um einen Racheakt der Hutu-Bevölkerung für die Ermordung ihres Präsidenten durch Tutsi, durch die Rebellen der RPF. Drittens : Und ihre Anführer wussten genau, dass dies die Folge sein würde, nahmen dies aber billigend in Kauf. Denn es diente ihren Machtambitionen : Die Opfer des Völkermords würden ihnen als moralische Legitimation, als Deckmäntelchen gegenüber der Weltöffentlichkeit dienen, um die Eroberung von Kigali zu rechtfertigen. Die Tutsi-Rebellen haben so ihre eigene Bevölkerung innerhalb Ruandas bewusst « geopfert », und tragen die Hauptschuld an dem Völkermord.

Annähernd könnte man eine solche Argumentation vergleichen mit der Idee, dass die Juden die Hauptschuld am späteren Holocaust trügen -- habe doch der im Exil lebende deutsche Jude Herschel Grynszpan am 7. Oktober 1938 auf den deutschen Botschaftsrat Ernst von Rath in Paris geschossen, was wiederum als « Reaktion » die Pogrome der so genannten Reichskristallnacht ausgelöst habe. Eine Ungeheuerlichkeit ? Ja. Aber sehr ähnlich gestrickt ist das Argumentationsmuster im oben genannten Bericht des Richters Brugière. Der soeben gezogene Vergleich hinkt bzw. wirkt vergröbernd, da es einen nicht unwichtigen Unterschied gibt : 1938 kämpfte keine jüdische Armee im Ausland gegen das Deutsche Reich unter der Nazi-Führung. Dagegen gab es aber seit 1990 tatsächlich eine bewaffnete Rebellenbewegung von Tutsi, die gegen das ethno-rassistische Regime in Ruanda kämpfte, weil es 1959/63 zahlreiche Tutsi vertrieben hatte und weil die in Ruanda lebenden Tutsi bedrängt wurden. Nichtsdestotrotz ist es ungeheuerlich, zu behaupten, der real stattgefundene Genozid lasse sich auf eine blobe « Reaktion » reduzieren, die durch jene Rebellen ausgelöst worden sei, die (angeblich !) das Präsidentflugzeug abgeschossen hätten. Die längerfristige Planung des Völkermords, seine ideologische Vorbereitung, die bereits früher stattgefundenen Massaker an Tutsi, die Bestellung einer groben Menge an Macheten im Vorjahr 1993, die Hass- und Mordpropaganda der rassistischen Sender à la <Radio-télévision libre des mille collines> : All dies fällt dabei unter den Tisch. « Die Hutu » sollen nur spontan auf den Präsidentenmord, der angeblich durch die Tutsi-Rebellen verübt worden sei, « reagiert » haben. Als ob es das normalste auf der Welt sei, dass diese « Reaktion » darin besteht, 800.000 bis eine Million Männer, Frauen und Kinder auszulöschen : Das bedeutet 10.000 Morde pro Tag in einem relativ kleinen Land, während dreier Monate.

Eine übertriebene Interpretation des 64seitigen Dokuments, das Jean-Louis Bruguière der Staatsanwaltschaft in Paris übermittelte ? Man urteile selbst. Der, absolut zentrale, Schlüsselsatz des ganzen Dokuments lautet folgendermaben : « Der General Paul Kagamé (Anm. : also der damalige Rebellenführer und jetzige Staatspräsident) hatte bewusst für eine Operationsform optiert, die, in dem besonders angespannten Kontext (...) zwischen den Gemeinschaften der Hutu und Tutsi, als Reaktion nur blutige Repressalien gegen die Tutsi-Gemeinschaft nach sich ziehen konnten, die (Anm. : gemeint sind die Repressalien) ihm das legitime Motif bieten würden, die Feindseligkeiten wieder aufzunehmen und die Macht mit Hilfe der internationalen Gemeinschaft zu übernehmen. »

Die Rede ist in dieser oben zitierte Passage zunächst vom Flugzeugabschuss am 6. April 1994, später aber auch vom Genozid und vom Ende des Krieges in Form der Einnahme von Kigali durch die Rebellen. Darin steckt also nichts anderes als die Idee, dass die Tutsi-Rebellen absichtlich und in vollem Bewusstsein die Auslöschung der Tutsibevölkerung innerhalb Ruandas provoziert hätten, um über den Leichenberg hinweg in Kigali einzuziehen und ihre politischen Ansprüche international zu legitimieren. Ungefähr so, als ob man behaupten würde (und ganz bestimmte Kreise behaupten es ja auch), jüdische Kreise hätten den Holocaust provoziert oder zumindest aktiv toleriert, um sich eine Legitimationsgrundlage für die Gründung des Staates Israel zu schaffen.

Die « Beweise » des Richters Bruguière

Dabei können wir natürlich nicht stehen bleiben, denn es gilt noch einen Blick auf die (vorgebliche) Beweisführung des Jean-Louis Bruguière zu werfen.

Ein Blick auf das 64seitige Dokument, das der Untersuchungsrichter am 17. November an die Staatsanwaltschaft Paris überstellen lieb, beweist zunächst die grobe Schlampigkeit, mit der offenkundig gearbeitet worden ist. Zentrale Namen sind beispielsweise falsch geschrieben. Aus den Interahamwe-Milizen (die aus der « Hutu Power »-Bewegung hervorgingen und wichtige Akteure des Völkermords darstellen) werden in dem Dokument « Interahawe », ohne <m>. Der Hasssender RTLM (die Abkürzung für <Radio-télévision libre des mille collines>), dessen Völkermordpropaganda eine wichtige Rolle bei der Anstachelung der Milizen und bei der Koordination ihrer Aktionen spielte, heibt beim Richter Bruguière fälschlich « RTML ». Das sind noch Kleinigkeiten, über die man hinweggehen könnte. Aber in solch einem offiziellen Dokument wirken sie peinlich, sie weisen auf Schlamperei hin und deuten zumindest die grobe Unkenntnis des Themas an.

Jean-Louis Bruguière, der selbst zu keinem Zeitpunkt in Ruanda gearbeitet hat oder dort von seinen Untergebenen eine Untersuchung durchführen lieb, behauptet, er verfüge über einen entscheidenen Hinweis : Die Herkunft der beiden Boden-Luft-Raketen, die am 6. April 1994 auf das Präsidentenflugzeug abgefeuert worden sind, sei ihm aufgrund ihrer Seriennummer bekannt. Sie stammten aus einem Bestand von insgesamt 40 Flugkörpern sowjetischer Bauart, die aus der ehemaligen UdSSR an Uganda (die damalige Hauptstütze der RPF-Rebellen) verkauft worden seien, während zwei dazu gehörige Raketenwerfer an das damalige Zaire (das aber mit dem damaligen Ruanda verbündet war) geliefert worden seien. Dazu lässt sich jedoch <Libération> vom 23. November entnehmen : « Das Problem ist, dass die Untersuchungsarbeit über die Raketen im Wesentlichen durch die französischen Nachrichtendienste durchgeführt worden ist. » Also durch eine nicht unbedingt als allzu neutral zu betrachtende Instanz. Hinzu kommt bei Bruguière die Behauptung, die Streitkräfte des damaligen ruandischen Regimes (die FAR) hätten nicht über ebensolche Raketen verfügt. Dazu sollte man ergänzende Informationsquelle nun wieder <Le Monde> vom 28. November heranziehen. Dort ist zu lesen : « Um zu zeigen, dass die FAR nicht ähnliche Raketen besitzen konnten, stützt sich der Untersuchungsbericht auf Zeugenaussagen von ehemaligen hohen Offizieren der FAR. Doch die meisten von ihnen stehen in Arusha vor dem Internationalen Gerichtshof für Ruanda (Anm. : der dort eingerichtet worden ist, um über die Akteure des Völkermords zu urteilen) aufgrund ihrer Beteiligung am Genozid, was der Text mitunter zu erwähnen vergisst. Dies zu präzisieren, ist aber keine Kleinigkeit. » Man urteile selbst : Die Glaubwürdigkeit des Richters Bruguière ist an dieser Stelle, objektiv betrachtet, gleich Null.

Ansonsten bietet Bruguière noch Zeugen auf, die aussagen, sie seien innerhalb der RPF aktiv gewesen und dort darüber informiert worden, als die RPF-Führung Ende 1993 und Anfang 1994 in mehreren Versammlungen den Beschluss gefasst habe, das Attentat auf das Präsidentenflugzeug vorzubereiten und durchzuführen. Diese Zeugen der Anklage gegen Ruandas Präsident Kagamé geben entweder an, sie seien damals bei den entscheidenen Sitzungen (meistens als zufällige Ohrenzeugen) dabei gewesen, oder aber, sie hätten von den dort getroffenen Entscheidungen innerhalb der RPF vom Hörensagen erfahren. Auch darüber hat der aktuelle Korrespondent von <Le Monde> in Ostafrika, Jean-Philippe Rémy, aber kritische Informationen nachzuliefern : « Innerhalb der damaligen RPF wurden die <Tutsi aus dem Inneren>, die also in Ruanda geboren worden und französischsprachig waren, hauptsächlich für Aufklärungsdienste (in Ruanda) und im Inneren des <Spezialistennetzwerks> eingesetzt. Denn die englischsprachigen Rebellenchefs, die aus Uganda kamen (Anm. : da dort als Kinder von geflüchteten Tutsi geboren oder aufgewachsen), kannten kaum etwas von ihrem Herkunftsland. Nach dem Sieg der RPF wurden diese <Tutsi des Inneren> auf die Seite gedrängt oder gar politischen Repressalien ausgesetzt. Manche von ihnen flüchteten sich ins Ausland. Hauptsächlich unter ihnen (...) hat der Richter Bruguière seine Zeugen gefunden. Diese berichten von Sitzungen, auf denen die Entscheidung zum Abschuss des Präsidentenflugzeugs (...) diskutiert und dann angenommen worden sei. Haben sie die Äuberungen wirklich gehört, von denen sie berichten (...) ? Manche (dieser Zeugen) haben klar ausgesagt, dass sie im Nachhein <gehört> hätten, diese oder jene Entscheidung sei getroffen worden. Andere hingegen behaupten, sie seien in Gespräche hineingeplatzt. Ist es wirklich realistisch, sich vorzustellen, dass Offiziere aus der zweiten oder dritten Reihe oder einfache Soldaten (der RPF), wie sie es behaupten, frei in Sitzungen ein- und ausgehen konnten, bei denen die Grundsatzentscheidung für das Attentat gefällt worden sei ? Dass ein derart Vertraulichkeit erforderndes Vorhaben ohne Vorsichtsmabnahmen vor Männern aus dem zweiten oder dritten Glied ausgebreitet worden sei ? »

Die Zweifel wachsen 

Offenkundig wird also, dass die Aussagen von angeblichen Augen- oder eher Ohrenzeugen, über die der Richter Bruguière verfügt, eher die Qualität von Denunzierungen abservierter ehemaliger RPF-Funktionäre -- also von Racheakten -- haben denn wirklichen Zeugniswert besitzen. 

Auch in der französischen Medienlandschaft wuchsen in den letzten 14 Tagen die Zweifel an der staatsoffiziellen Version der Ereignisse von 1994 ganz erheblich. Hatte die Pariser Abendzeitung <Le Monde> (durch die Feder ihres angeblichen Afrikaspezialisten Stephen Smith, der sich wiederholt zum Sprachrohr offenkundiger Staatsinteressen machte) noch im März/April 2004, zum zehnten Jahrestag des Beginns des Genozids, die französische Rolle in Ruanda verteidigt, so überwiegt jetzt allmählich die Skepsis. Noch in ihrer Ausgabe vom 22. November dieses Jahres, die in Paris am Abend des 21. November erhältlich war, also am Tag nach Bekanntwerden des Untersuchungsberichts von Jean-Louis Bruguière erschien, war ein (nicht namentlich gekennzeichneter) Leitartikel zum Thema mit den Worten « Ein heilsamer Prozess » überschrieben. Darin wird noch eine abwägende Haltung, eine unentschiedene Position eingenommen. Einerseits wird die Tatsache begrübt, dass der französische Richter nunmehr auch die Verantwortlichkeiten der aktuellen ruandischen Staatsführung um Paul Kagamé (am Attentat vom 6. April 1994) zur Sprache bringe. Auf der anderen Seiten werden Versuche klar abgewehrt, daraus einen Erklärungsversuch für die Auslösung des Völkermords zu basteln, was als Geschichtsrevisionismus bezeichnet wird. Aber in der Ausgabe vom 28. November überwiegt in den Berichten des, derzeit in Nairobi ansässigen, Ostafrika-Korrespondeten der Zeitung bereits die scharfe Kritik an den Positionen Bruguières.  

Ähnlich neigt sich die Waagschale bei der Pariser Tageszeitung <Libération> : Diese veröffentlicht zunächst auch eher abwägende Artikel, doch unter dem Strich überwiegt dann doch klar die Skepsis und Kritik gegenüber der Arbeit des Untersuchungsrichters. Der Journalist Christophe Ayad schreibt dazu etwa am 23. November : « Der Richter Bruguière wischt die Tatsache unter den Tisch, dass der Genozid (von 1994) seit Jahren vorbereitet worden war. » Die Zeitung weist in einem anderen Artikel auch darauf hin, dass der Untersuchungsrichter Bruguière nie von einer anderen Arbeitshypothèse ausgegangen sei als von jener, wonach es die Schuld der RPF am Flugzeugabschuss vom 6. April 1994 festzustellen gelte : « Er hat nicht die Hypothèsen untersucht, wonach Hutu-Extremisten oder auch ausländische Söldner (das Flugzeug beschossen haben), und sei es nur, um sie widerzulegen. » Die Untersuchung des Richters Bruguière geht übrigens auf die Klage zu Tode gekommener französischer Militärs aus dem Jahr 1998 zurück. Aber zu ihnen gesellte sich im Jahr 2000 noch die Präsidentenwitwe Agathe Habyarimana als weitere Nebenklägerin hinzu. Die ehemalige Präsidentengattin, die zu Zeiten ihres Wirkens in Ruanda eine wichtige Stütze der rassistischen « Hutu Power »-Bewegung war, lebt heute in Frankreich und ist eines der Hauptsprachrohre der Lobby des ruandischen Geschichtsrevisionismus. 

Noch schärfer positioniert sich, in ihrer Ausgabe vom 29. November, die linksliberale Wochenzeitung <Charlie Hebdo>, die früher einmal linksradikal war, aber durchaus nicht allgemein die französische oder westliche Aubnpolitik ablehnt (ihre Redaktion unterstützte etwa den Kosovo-Krieg 1999) .Sie beschuldigt, in Wort und Bild – also Karikatur -, den prominenten Richter und seine Hintermänner des Geschichtsrevisionismus und der Leugnung eines Völkermords. 

Reaktionen auf französischer Seite... 

Auf Seiten des französischen Staates mochte man sich zwar offiziell nicht allzu weit aus dem Fenster lehnen. Aber ein, namentlich nicht genannter, Vertreter der französischen Regierung wurde vorige Woche quer durch die Presse mit Äuberungen zitiert, denen zufolge der Bericht von Jean-Louis Bruguière « nahe an der Wahrheit liegt » (<Le Monde> vom 26./27. November). Die ruandische Staatsführung reagiere deshalb so gereizt, so wird die anonym bleibende Stimme der französischen Staatspolitik weiterhin zitiert, weil « sie die Wahrheit nicht verträgt. »  

Hohe franzöische Militärs äuberten sich unterdessen bereits triumphierend, als die Nachrichten vom Inhalt des Bruguière-Berichts bekannt wurden. Der General Jean-Claude Lafourcade frohlockte, der Untersuchungsbericht Bruguière belege, dass sowohl das Attentat auf das Präsidentenflugzeug als auch der (dadurch provozierte) Genozid Bestandteile einer « planmäbigen Strategie der Machteroberung » seien. Natürlich, ihm zufolge, auf Seiten der Tutsi-Rebellenbewegung RPF. Der General Lafourcade ist der ehemalige Oberkommandiernde der berüchtigten « Operation Türkis », die Frankreich im Juni und Juli 1994 in Ruanda durchführte und die den Abzug der rassistischen Hutu-Milizen  (in das damalige Ost-Zaire) deckte. Insofern hat der Mann auch einen teilweise ruinierten Ruf wieder herzustellen. « Das (Anm. : die angeblichen Erkenntnisse des Jean-Louis Bruguière) erlaubt es, die jüngste Geschichte Ruandas auf besonnenere Weise zu studieren und nicht mehr einseitig, wie es bisher der Fall war. Wenn man die Geschichte nicht korrekt umschreibt, wird es in diesem Land (Ruanda) niemals eine Aussöhung geben » fügt der Mann, reichlich arrogant, hinzu. Ein nicht namentlich genannter « hoher Beamter im französischen Verteidigungsministerium », ; der in <Le Monde> vom 23. November zu Wort kommt, führt seinerseits aus : « Bislang hatte man den Eindruck, dass den französischen Militärs die Beweislast zukommt, dass sie davon überzeugen mussten, dass sie nicht schuldig seien. Heute sind die Dinge umgekehrt worden : Man sieht, dass der Ursprung all dessen (Anm. : eine Formulierung, um den Völkermord zu benennen) auf Seiten von Kagamé liegt. » 

In diese politische Landschaft passt, dass das Pariser Verteidigungsministerium am Donnerstag voriger Woche ankündigte, der ehemalige französische Vize-Militärattaché in Ruanda, Grégoire de Saint-Quentin, werde « in den nächsten Tagen » per Videokonferenz vor dem Internationalen Tribunal in Arusha aussagen. Dieser in Tanzania basierte Gerichtshof ist im November 1994 durch die Vereinten Nationen eignerichtet worden, um über die Hauptverantwortlichen des Genozids entscheiden. Die Prozesse dort sollen bis zum Jahresende 2008 (in erster Instanz) abgeschlossen werden. Der Oberstleutnant Saint-Quentin soll dort « auf Antrag der Verteidigung der ruandischen Militärs, die des Völkermords angeklagt sind, aussagen », wie <Le Monde> vom 25. November es knapp auf den Punkt bringt. Die Verteidigung der dort des Völkermords Angeklagten hat im übrigen vorige Woche den Untersuchungsbericht Bruguières lautstark begrübt, während die von den UN beauftragte Anklagevertretung sich nicht äuberte. « Das ist sehr positiv », erklärte etwa der Anwalt Raphaël Constant, der den Oberst Théoneste Bagosora verteidigt. Letzter ist angeklagt, der « Chefideologe des Genozids » gewesen zu sein. 

Derselbe französische Oberstleutnant Saint-Quentin wird aber auch in dem Untersuchungsbericht von Richter Bruguière als wichtiger Zeuge zitiert. Er war damals, im April 1994, durch die ruandischen Behörden zur Absturzstelle des Präsidentenflugzeugs durchgelassen bzw. herbeigerufen worden. In dem Dokument des Richters Bruguière behauptet Saint-Quentin nun, er habe damals « eine handschriftliche Notiz » der Führung der Rebellenbewegung RPF, in der diese das « Gelingen der Operation » begrübt habe, gesehen. Schriftliche Spuren des von ihm (angeblich) erblickten Dokuments gibt es aber nicht. 

...und auf ruandischer Seite

Selten waren die offiziellen Beziehungen zwischen den beiden Länder derart angespannt. Der ostafrikanische Staat hat am vergangenen Freitag beschlossen, sämtliche diplomatischen Beziehungen zu Frankreich abzubrechen. Zukünftig werden die Botschaften Belgiens und Deutschlands die Interessen ihres westlichen Nachbarlands in Kigali, der Hauptstadt Ruandas, mit vertreten. Der französische Botschafter Dominique Decherf musste innerhalb von 24 Stunden das Land verlassen und reiste am Samstag Abend tatsächlich aus. Am Donnerstag war auch der ruandische Botschafter aus Paris – Emmanuel Ndagijmana – abgezogen worden. Staatspräsident Paul Kagamé erklärte unter anderem : « Frankreich ist ein reiches Land, also denkt es, dass es immer Recht hat, auch wenn es im Unrecht ist. Aber Frankreich kann Ruanda nicht behandeln, wie es andere Entwicklungsländer behandelt hat. Wir werden Frankreich die Stirn bieten. » Kagamé fügte gegenüber dem Fernsehsender i-TELE hinzu : « Dort, wo dieses Flugzeug abgeschossen worden ist, wurde die Zone durch französische Soldaten kontrolliert. Also, warum verlangt man von den Franzosen keine Erklärungen ? (...) Frankreich ist in den Genozid verwickelt. Daran gibt es keinen Zweifel. » 

Am Montag dieser Woche mussten zudem die verbleibenden Einrichtungen Frankreichs auf ruandischem Boden, darunter das französische Kulturzentrum und diue Schule Saint-Exupéry, geschlossen werden. Eine Ironie der Geschichte : Die dortige französische Schule trug denselben Namen wie Patrick de Saint-Exupéry, der während des und nach dem Völkermord in Ruanda zu den mutigsten französischen Journalisten gehörte und die staatsoffizielle Version offensiv in Frage stellte. Die Schule trug ihren Name freilich nach dem Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry, mit dem Patrick de S.-E. verwandt ist.  

Aufgebrachte Demonstranten versuchten zudem am Montag dieser Woche in Kigali, in die nunmehr geschlossene französische Botschaft einzudringen und das Tor aufzubrechen. Sie wurden jedoch durch die ruandische Polizei daran gehindert. Bereits am vorigen Donnerstag hatten 25.000 Menschen in Ruandas Hauptstadt gegen die französische Politik demonstriert. Sie trugen Schilder mit Aufschriften wie « Frankreich – Völkermörder », « Hört auf, die Mörder zu schützen » oder auch « Frankreich raus aus Ruanda ». Einige hatten auch Fotos des Pariser Richters Jean-Louis Bruguière bemalt.

Relativ barsch reagiert hat auch der Staatsanwalt am Internationalen Gerichtshof zu Ruanda im tanzanischen Arusha, Hassan Bubacar Jallow. Das Ansinnen des französischen Untersuchungsrichters Bruguière, er solle im Namen der UN ein Ermittlungsverfahren gegenden ruandischen Präsidenten Kagamé aufnehmen, wies er mit den Worten zurück, er « habe von niemandem Weisungen zu empfangen »

Editorische Anmerkungen
Der Artikel wurde uns vom Autor am 30.11.2006 zur Veröffentlichung überlassen.