Demokratischer Sozialismus“ stark beansprucht

von Stephan Kimmerle
12/06

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WASG-Bundesparteitag zwischen linker Rhetorik und Anpassung an den Fusionspartner / Lucy Redler in Bundesvorstand gewählt

Klaus Ernst, geschäftsführender Bundesvorstand, outete sich als »demokratischer Sozialist«. WASG-Schatzmeister Thomas Händel bemühte Marx, um die Bedeutung der Finanzen herauszustreichen. Wolfgang Gehrke, Gastredner für die L.PDS, forderte marxsche Dialektik in der fusionierten, zukünftigen Partei ein. So viel Marx war nie auf einem Bundesparteitag der WASG, wo sonst schon mal gefordert wurde, solche Ideen als »alten Rucksack« (Ernst) an der Garderobe abzulegen. Diese Lippenbekenntnisse gingen jedoch einher mit einer weiteren Verschiebung der Mehrheiten nach rechts: Der bedingungslosen Fusion wurden alle inhaltlichen Fragen untergeordnet, allenfalls noch Wünsche an den zukünftigen Partner formuliert; die Ordnungskeule gegen den Berliner Landesvorstand wurde im Nachhinein bestätigt. Einzig bei der personellen Zusammensetzung des zukünftigen Bundesvorstands wurde den Wünschen der alten und neuen Bundesvorstandsmehrheit nicht vollständig entsprochen und Lucy Redler, Berliner SAV-Mitglied, in den erweiterten Bundesvorstand gewählt.

Klaus Ernst, altes und neues Mitglied im geschäftsführenden Bundesvorstand der WASG, griff auf dem WASG-Parteitag die Bundesregierung für ihre Politk, zum Beispiel bezüglich der Rente mit 67, an. Es gebe nur einen wesentlichen Unterschied zur Situation unter der Vorgängerregierung: Anspielend auf die Rolle der WASG und der Linksfraktion meinte Ernst, »das sind wir selber«. Beim Thema Mindestlohn zum Beispiel zögen Gewerkschaften und WASG an einem Strang. In der dritten und vierten Woche im Januar wolle die IG Metall während der Arbeitszeit gegen die Bundesregierung protestieren, so der Gewerkschafter, »auch daran haben wir einen Anteil«. Es gehe darum, »bestehende Bewegungen [zu] unterstützen und nicht getrennt [zu] sehen, was im Parlament passiert und was im Betrieb passiert«.

Diese Aussagen standen recht unvermittelt neben der aus Sicht Ernsts positiven Bilanz der Arbeit des Bundesvorstands: Die Anpassung an den Fusionspartner Linkspartei.PDS in Fragen der Regierungsbeteiligung, handzahme Kritik am Berliner Koalitionsvertrag ohne jegliche Konsequenzen - die praktischen Schritte wiesen in eine andere Richtung als die verbale Akrobatik.

Hatte schon Klaus Ernst gegen die Große Koalition gewettert, so legte Oskar Lafontaine richtig los. Ob Rente oder Auslandseinsätze: »Immer wieder stimmt die Volksvertretung mit großer Mehrheit gegen die Mehrheit des Volkes«, so der Saarländer. Während Ernst faktisch den politischen Streik der IG Metall für Januar (Proteste während der Arbeitszeit gegen die Bundesregierung) ankündigte, forderte Lafontaine ein »Recht auf politischen Streik«. Er forderte Arbeit von der man leben könne, blieb dann allerdings bei der Forderung nach einem Mindestlohn von acht Euro pro Stunde. Begeistert reagierten die Delegierten auf die Forderung »Hartz IV muss weg«.

Lafontaine trat für eine Konzentration auf die Bremer Wahl ein, um auch im Westen den Sprung in einen Landtag zu schaffen. Man könne nicht auf die Wahl im Saarland warten, zu der er antreten wolle. Das sei kein Rückzug aus der Bundespolitik: »Ich werde dort antreten, um die Regierung zu bilden. Dann bin ich dicke in der Bundespolitik.« Mit welcher Politik diese Regierung auf Landesebene im Saarland anders aussehen kann als die in Berlin, erläuterte er nicht.

Einige Delegiertenbeiträge später kam Gregor Gysi mit einer launischen, kabarett-artigen Ansprache an die Delegierten zum Zuge. Er verglich den Kampf um Sozialismus mit der Bergpredigt: Die sei nach 2.000 Jahren auch noch nicht erfüllt, aber nach wie vor angestrebt. Warum solle man dann beim Sozialismus nach 70 Jahren aufgeben.
Dirk Spöri, Mitglied im Landesvorstand Baden-Württemberg, berichtete vom erfolgreichen Bürgerentscheid in Freiburg: 41.000 Menschen stoppten den von Grünen und CDU beschlossenen Verkauf der Freiburger Wohnungen. Unter viel Beifall endete er mit dem Satz:»Freiburg kann überall sein.«

Verschiedene Beiträge betonten die Orientierung der Arbeit in den kommenden Monaten auf die Proteste gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm bei Rostock Anfang Juni.

"Demokratischer Sozialismus«

Neuformierung bedeutete für die WASG auch eine neue Intensität der Debatte um einen »demokratischen Sozialismus«. Klaus Ernst führte aus, er würde sich selbst »sehr wohl als demokratischen Sozialisten bezeichen«, aber viele in der WASG hätten damit noch nichts am Hut. Außerdem sei ihm angesichts dessen, was unter dem Vorwand demokratischer Sozialismus betrieben werde, gerade in Berlin, eine andere Praxis lieber als das Ettikett »demokratischer Sozialismus«.

Rainer Spilker, bisher linker Minderheitler im WASG-Bundesvorstand, plädierte mit Entschiedenheit dafür, den demokratischen Sozialismus im Programm zu verankern. Christine Buchholz, Mitglied des Bundesvorstandes und von Linksruck, wandte sich gegen diese Forderung. Gerade die Praxis der L.PDS zeige, dass nicht klar werde, was darunter zu verstehen sei. Sozialismus sei noch überhaupt nicht diskutiert und ihr ginge es darum, gemeinsam zum Beispiel mit einer Christin oder Muslimin Widerstand zu leisten gegen den Neoliberalismus, statt sich hier programmatisch fest zu legen.

Selbst Ulrich Maurer führte aus, den Begriff »demokratischer Sozialismus für unsere Debatte in Anspruch zu nehmen«. Der Geschäftsführer der Bundestagsfraktion nahm für sich einen »Maßstab der Humanität und nicht der Kapitalverwertung« in Anspruch. Daraus ergebe sich eine »klare Antwort« zum Beispiel bezüglich des Ladenschlusses und dessen Aufweichung wie in Berlin. Der Ex-SPDler weiter: »Natürlich beginnt der Weg zum Sozialismus nicht mit dem Verkauf der öffentlichen Daseinsvorsorge«. An die Adresse der Berliner L.PDS und deren sozialistischen Anspruch gerichtet, forderte er, dass mal andere mit ihrer Praxis klären sollten, »was sie darunter«, unter Sozialismus, »verstehen«.

In der Debatte wurde auf Sozialismus allerdings eher als Haltung, denn als gesellschaftliche Alternative Bezug genommen. Kritikern des Bundesvorstands, speziell Lucy Redler, wurde von Thomas Händel ein »eingeschränktes und mechanisches Politikverständnis« unterstellt. Sie hielten sich an dogmatische Maßstäbe und folgten dem Motto, »Wir beteiligen uns an keiner Regierung, so lange in Bonn neoliberal regiert wird«. Amüsiert reagierten die Delegierten auf diese Rückverlagerung der Bundeshauptstadt an den Rhein.

Lucy Redler hatte sich zuvor zu einer gewissen Sturheit bekannt: »Ich bin dogmatisch gegen Privatisierungen und Sozialabbau«, rief sie. Die Sozialistin hielt fest, dass ja auch die Arbeitgeber oder die FDP bei ihren Angriffen dogmatisch seien. In ihrer Vorstellung zur Kandidatur zum erweiterten Vorstand beanspruchte sie Platz für eine »sozialistische Linke« im Vorstand, den die gleichnamige Strömung leider nicht ausfülle. Sie forderte innerparteiliche Demokratie und klare Haltelinien im Neuformierungsprozess der Linken. Sie erhielt daraufhin im ersten Wahlgang zum erweiterten Bundesvorstand 40 Prozent (104) der Stimmen und wurde im zweiten Wahlgang gewählt.

In der Debatte um den Leitantrag des Bundesvorstands wurde wurde ein Änderungsantrag eingebracht, bezüglich der »Programmatischen Eckpunkte« die Forderung nach »demokratischem Sozialismus« aufzunehmen. Gegenredner Troost konnte nicht erkennen, was denn das sei: »etwas DDR mit etwas mehr Demokratie? Kuba? Venezuela?«, fragte er. Dem Antrag folgte augenscheinlich nur etwa ein Drittel der Delegierten, der damit abgelehnt wurde.

Auch die Forderung nach Überführung von Schlüsselindustrien in Gemeineigentumen gemäß Grundgesetz Artikel 15, eingebracht von Sabine Lösing und anderen, wurde von Troost wegen der verfassungsmäßig vorgeschriebenen »gerechten« Entschädigung »in vollem Umfang« abgelehnt, die für die ertragreichen Banken und Konzerne bezahlt werden müsse. Nur Überführung in Gemeineigentum - »das löse noch gar nichts«, es gehe um die Instrumente auf die Wirtschaftsentwicklung Einfluss zu nehmen. Dieser änderungsantrag wurde allerdings von einer Mehrheit von 155 zu 88 Stimmen bei drei Enthaltungen angenommen. Auch die Erweiterung der Programmatischen Eckpunkte um ein Nein zu UN-mandatierten Kampfeinsätzen, ebenfalls von der ehemaligen geschäftsführenden Bundesvorsitzenden mit eingebracht, wurde angenommen und ein Stopp des Personalabbaus im öffentlichen Bereich verlangt.

Rot-rotes Berlin ohne Ladenschluss

Die Landtagswahl in Berlin bilanzierte Klaus Ernst im BuVo-Bericht als »Niederlage für die Linkspartei, aber für uns auch kein Erfolg«. »Wenn man als rot-roter Senat als ersten Akt den Ladenschluss öffnet, schlimmer als in jedem Bundesland, dann hat man nicht alle Tassen im Schrank«, wird Ernst in der Pressemitteilung zum Parteitag zitiert. Im Rahmen des Bundesvorstands-Berichts nannte er dies »nicht zu akzeptieren«. Man dürfe daraus allerdings nicht die »Konsequenz ziehen, dass man das Projekt stoppt«, sondern im Rahmen der neuen Partei diskutieren und dafür sorgen, dass »auch in Berlin das Profil der neuen Linken bekannt wird«.

Edith Barthelmus-Scholich, Delegierte aus Nordrhein-Westfalen, hinterfragte den scheinbar heftigen Auftritt Klaus Ernsts Richtung Berlin: Wenn der Bundesvorstand so gegen die Berliner Regierungsmaßnahmen polemisiere, »warum hat er dann Wahlkampf für diese Politik in Berlin gemacht?«

Der Bundesvorstand konnte in der von ihm beantragten Resolution an die Berliner PDSler »keine tragfähige Basis für eine glaubwürdige linke Politik in der Regierung« erkennen. Der Koalitionsvertrag weise an vielen Stellen »halbherzige Formulierungen« auf und stelle »wichtige Forderung der Linken unter Finanzierungsvorbehalt«. »Darüberhinaus fehlen wichtige Ziele der Linken, etwa die Verhinderung des Verkaufs der Berliner Sparkasse an Privatbanken oder die Rückkehr in den Tarifvertrag des Öffentlichen Dienstes«, so der Initiativantrag. Doch am Ende landet auch diese Argumentation beim Schmusekurs gegenüber dem Fusionspartner: »Wir [...] erwarten von der Linkspartei in den von uns kritisierten Punkten eine Nachverhandlung. [...] Zugleich weisen wir Forderungen aus den eigenen Reihen zurück, die Parteibildung von dem Ausstieg der Linkspartei.PDS aus der Koalition abhängig zu machen.« änderungsanträge zur Verschärfung dieser Schlussfolgerungen des Antrags wurden abgelehnt, der Antrag mit großer Mehrheit verabschiedet.

Unter anderem nahm auch Helmut Born, Betriebsrats-Vorsitzender in einem Warenhaus in Düsseldorf, die Berliner Ladenschlussänderungen ins Visier. Die Linkspartei.PDS wolle dort »Vorreiter spielen in neoliberalen Reformen«. Die dortigen Gesetze wären auch keine Zugeständnisse an die SPD sondern von den Linkspartei.PDS-Senatoren Wolf und Knake-Werner zu verantworten. Berlin hat als einziges Bundesland zehn verkaufsoffene Sonntage und vier offene Adventssonntage beschlossen. »Wie stehe ich da im Betrieb, wenn ich meinen Kolleginnen und Kollegen sagen muss, Nordrhein-Westfalen ist schlimm, aber Berlin ist schlimmer?«, fragte Born.

Janine Wissler, Delegierte aus Hessen und Angestellte bei der Linksfraktion, versuchte sich an einer Antwort, indem sie auf die SPD verwies. Es gebe ja nicht nur Wolf und Knake-Werner sondern auch noch Wowereit. Katharina Schwabdissen, Landessprecherin NRW, konnte diese Argumentation nicht nachvollziehen: Es gehe doch um eine Debatte um Neuformierung mit der Linkspartei.PDS und nicht auch noch um einen Zusammenschluss mit der SPD.
Wolfgang Gehrcke zeigte sich in seinem Grußwort für die Linkspartei.PDS ebenfalls »verärgert, dass die Berliner Koalition mit der Aufhebung der Ladenschlusszeiten gestartet ist«. Es dürfe kein »weiter so« geben, nötig sei ein »Kurswechsel« und »Veränderung«.
Lafontaine kritisierte die Berliner Beschlüsse zum Ladenschluss und kündigte an, dies am nächsten Tag in Berlin, beim Landesparteitag der L.PDS, länger auszuführen. Als »Lackmustest« bezeichnete Lafontaine den Verkauf der Berliner Sparkasse, der verhindert werden solle. Angela Bankert, Delegierte aus Köln und SAV-Mitglied, forderte dann auch ein, nach diesem Test zu handeln. Lafontaine argumentierte zuvor noch - mit Blick auf Berlin - für eine Linke nach dem Motto, »die versprechen wenig, aber was sie versprechen, das ziehen sie durch«. Im Zentrum davon müssten die Arbeitnehmerinteressen stehen. »Da darf es kein Zweifel geben«.

»Es ist ja schon alles kritische gesagt worden zu Berlin und da sind wir uns ja einig«, meinte Gysi die Kritik kurz halten zu können. Nachgeschoben erklärte er dann noch den Vorteil, den die Regierungsbeteiligung gebracht habe: sie habe dazu gedient, ängste vor der L.PDS abzubauen, »auch bei Euch«. Ob in den letzten Jahren in Berlin die ängste vor der L.PDS gesunken sind?
Lucy Redler bezog sich auf die Aussagen, dass der Fall des Ladenschluss in Berlin »nicht akzeptabel« sei, und fragte nach den Schlussfolgerungen. Klare Haltelinien im Parteineubildungsprozess seien gerade deshalb nötig. Lafontaine hielt sie vor, noch im Wahlkampf in Berlin der Senatspolitik als »sozial ausgewogene Politik« bezeichnet zu haben. Mit seinem Wahlkampf für diese Politik teile er nun auch die Niederlage der L.PDS in Berlin und habe die Folgen der Fortsetzung dieser Politik mit zu verantworten.
Die SAVlerin hielt fest, dass auch die WASG in Berlin ihr Ziel, fünf Prozent nicht erreicht habe. Sie führte dies aber auch auf den Wahlkampf Lafontaines und der Bundesvorstands-Mehrheit für die Linkspartei.PDS zurück.

Kurz vor dem Parteitag reichte der Bundesvorstand noch eine »Beschlussvorlage« ein, die von ihm ergriffenen administrativen Maßnahmen, die Absetzung des Berliner Landesvorstands aufgrund der eigenständigen Kandidatur zum Berliner Abgeordnetenhaus, abzusegnen. Gleichzeitig kündigte er an, bei Erfolg seines Antrags, den Landesvorstand in Berlin sofort wieder einzusetzen. Angeblich ging es um eine weitere Dokumentation des Willens zur Einheit mit der L.PDS gegenüber den juristischen Angriffen auf die Bundestagsfraktion. Nach Meinung von Delegierten war die Bundesvorstandsmehrheit auf Revanche für die juristischen und politischen Niederlagen gegenüber den Berlinern aus. Dazu musste auf dem Parteitag eine bereits mittels Nicht-Befassungs-Antrag abgewiesene Beschlussvorlage per Geschäftsordnungsmanöver zurück geholt werden. Ein halbes Dutzend Abstimmungen mit zum Teil knappen Auszählungsergebnissen waren dazu nötig. Ulf Wende, Rechtsanwalt des Bundesvorstands, machte die Abstimmung zum Votum über die Weiterexistenz der Bundestagsfraktion: Die rechtliche Klärung in nächster Instanz wäre entscheidend, um die Anfechtung der letzten Bundestagswahl aufgrund einer unrechtmäßigen »Listenverbindung« zu verhindern. Dazu müsse der Parteitag die Ordnungsmaßnahme bestätigen. Am Ende nahm der Parteitag diese »Beschlussvorlage« mit klarer Mehrheit an.

Sonntag nachmittag wurde noch das Ergebnis des Berliner L.PDS-Parteitags mit Pfiffen quittiert, mit über 80 Prozent bei wenigen Gegenstimmen die Koalition zu billigen. Unmutsäußerungen und ein Appell an die L.PDS in Berlin - das war's vom Parteitag zu diesem Thema.

Trennung von Amt und Mandat - aber nur als Wunsch für die Zukunft

Die erste Debatte auf dem Bundesparteitag - noch vor der Beschlussfassung über die Tagesordnung - entwickelte sich um die Frage der Trennung von Amt und Mandat. Werner Dreibus erläuterte für die Antragsberatungskomission, warum ihrer »einmütigen Einschätzung« nach die Beschlüsse des letzten Bundesparteitags in Ludwigshafen diesbezüglich keine Gültigkeit hätten. Dort waren die Delegierten nach einigen Manövern auch von Oskar Lafontaine in den meisten Fragen weitgehend dem Bundesvorstand und der Fraktionsspitze gefolgt - hatten aber die Frage der Trennung von Amt und Mandat genutzt, um hier ein Zeichen zu setzen und für den jetzigen Bundesparteitag und die anstehende Neuwahl des Bundesvorstands die erneute Kandidatur zum Beispiel von Klaus Ernst und Axel Troost auszuschließen.

Weitergehend als diese Aufhebung der Beschlüsse von Ludwigshafen wurden noch Anträge aus Emden und München angenommen, die eine Verlängerung der Übergangsregelungen zur Folge haben. Die Entscheidung fiel mit 139 zu 129 Stimmen bei 2 Enthaltungen. Axel Troost hatte in der Debatte eine deutliche Mehrheit für diese Anträge eingefordert, um einen »anderen Geist« als bei anderen Parteitagen zu dokumentieren. Der relativ knappe Ausgang (51,48 Prozent) hinderte die beiden dann jedoch nicht an einer erneuten Kandidatur.
Dem Bundesvorstand wurde im Zuge der Leitantragsdebatte dann doch noch aufgetragen, die Trennung von Amt und Mandat auch bezüglich der Angestellten der Partei in die Fusionsgespräche mit der L.PDS einzubringen. Mandatsträger und Angestellte der Partei sollen keine Delegierten zu Parteitagen werden können.

Parteineubildung: »Wie demokratisch soll man's noch machen?«

»Wir sind auf gutem Wege, aber die neue Partei ist bei weitem noch nicht fertig«, begann Klaus Ernst den Bericht des Bundesvorstands. Es gebe »Risiken und Probleme« aber, sollte der Prozess scheitern, »dann haben wir alle, wie wir hier sitzen, versagt«, so der geschäftsführende Bundesvorsitzende. Die Umfragen von elf Prozent für die Linke drückten die Hoffnungen der Menschen aus, »die zu enttäuschen - das macht man ein Mal. Dann herrscht aber in den nächsten Jahren Friedhofsruhe«.

An die Adresse der Kritiker gerichtet bezeichnete der Schweinfurter Gewerkschafter die Neuformierung als »eindeutig kein Top-Down-Prozess«. »Wie demokratisch soll man's noch machen?«, rätselte rhetorisch der Bevollmächtigte der IG Metall - unter Murren mancher Delegierter.

Auch die »Verschmelzung« der Parteien vollziehe sich als politische Neuformierung - im Gegensatz zur rechtlichen Fortsetzung der existierenden Parteien, um deren Vermögen und Ansprüche nicht zu gefährden. Aber eine Partei sei neu, wenn Statut und Regularien sowie Programm und Name neu seien und ein neuer Name gewählt werde. Außerdem müssten die Gremien neu gewählt werden.

Der Satzungsentwurf gehe zum Teil »an die Grenze des Erträglichen für beide Parteien«. Als Beispiel nannte er die paritätische Besetzung im zukünftigem Bundesvorstand, die enorme Angst einer Übernahme durch den Westen in der Linkspartei.PDS wecke. Bis 2016 würde der Westen mit 40 Prozent der Delegierten bedacht und damit bevorzugt - ein »großer Erfolg«, so Ernst. Daran sei die neue Partei beinahe gescheitert. Janine Wissler lobte diesbezüglich: »Da haben wir sehr, sehr gut verhandelt«, dass die Linkspartei.PDS eine solche »Kröte« schlucke, wo ein »Wessi«, so die Linksruck-Vertreterin, in den Augen der Linkspartei so gut vertreten werde »wie vier Ossis«. Rainer Spilker, linker Minderheitenvertreter im alten Bundesvorstand forderte dagegen »harte Nachverhandlungen« gegenüber der L.PDS.

»Natürlich wollten wir mehr«, meinte Ernst, bezüglich der Trennung von Amt und Mandat in der zukünftigen Partei, nachdem die Aussetzung der Regelungen auch auf seinen Druck hin in der aktuellen Partei soeben beschlossen worden war.

Wolfgang Gehrke, Gastredner für die L.PDS, betonte die Positionen wären aber »cross-over« zwischen den Parteien zu finden gewesen. Kompromisse müssten die Gemeinsamkeiten ausdrücken: »Geht man wahllos darüber hinaus, gefährdet man das Projekt der neuen gemeinsamen Partei«. Mit Bezug auf Rosa Luxemburg plädierte er dafür, »Marxsches Denken in ihrer Dialektik wieder aufzunehmen« und erhielt dafür abschließend Beifall.
Humor brachten die Delegierten auf, als Thomas Händel am Ende der Debatte für die WASG-Bundeszentrale in Anspruch nahm, eine gut funktionierende Mitgliederverwaltung aufgebaut zu haben. Auch seine Wahrnehmung eines Organisationsaufbaus von unten nach oben erntete müdes Gelächter.

Ein Schlaglicht auf den Zustand der WASG warf der Bericht der Kassenrevisoren, die dem Parteitag explizit empfahlen, den Vorstand nicht zu entlasten. Die Buchführung wies erhebliche Mängel aus, für die der Bundesvorstand kollektiv verantwortlich zeichne. Erschwert worden war die Finanzarbeit durch unpünktliche Abrechnungen der Landes- und Kreisverbände.

Lucy Redler und Thies Gleiss von der »Igitt-Liste« in den Bundesvorstand gewählt
Die WASG-Linke war gemeinsam mit einer Plattform gegen »Sozialabbau und Lohnkürzungen, an Privatisierungen und Arbeitsplatzvernichtung« und »Regierungsbeteiligung gegen die Interessen der breiten Masse der Bevölkerung« in den Parteitag gestartet und hatte mit elf KandidatInnen (bei 15 Plätzen) den Anspruch angemeldet, den alten Bundesvorstand herauszufordern. Distanzierungsforderungen an verschiedene KandidatInnen gegenüber dieser Liste unterstrichen den Ausgrenzungskurs gegenüber zumindest einem Teil der Linken. Thies Gleiss rechtfertigte seine Erscheinen auf dem Tableau der Linken als taktisches Manöver, um die anderen Linken zurück ins rechte Boot zu holen. Es gehe darum, die »Underdogs« wie ihn mit zu nehmen. Angela Bankert, Delegierte aus Köln, verspottete die KritikerInnen der »Igitt-Liste«. Die SAVlerin befand die Diffamierung der KritikerInnen pauschal als GegnerInnen einer starken Linken für »unerträglich«.

Thomas Händel wurde mit 61 Prozent als Schatzmeister ohne Gegenkandidaten wieder gewählt. Der Gewerkschafter aus Fürth erhielt aber mehr als ein Drittel (91) Gegenstimmen. Ebenfalls wiedergewählt wurden in den geschäftsführenden Bundesvorstand Felicitas Weck (60 Prozent), Klaus Ernst (55 Prozent, 146 der 264 gültigen Stimmen) und Axel Troost mit 54 Prozent. Rainer Spilker erhielt mit 104 Stimmen 40 Prozent, Christina Zett mit 94 Stimmen 36 Prozent. Die Geschäftsführung bleibt damit unverändert.

Für den erweiterten Bundesvorstand wurden Christine Buchholz (166 von 263 Stimmen, Linksruck), Jürgen Klute (161, Industriepfarrer), Ulrike Zerhau (143), Michael Schlecht (139, ver.di-Funktionär), Ralf Krämer (135, ver.di-Funktionär), Heidi Scharf (134, IG-Metall-Funktionärin) und Martina Sacher (133) im ersten Wahlgang gewählt. Lucy Redler landete im ersten Wahlgang mit 40 Prozent (104 Stimmen) auf dem elften Platz. Im zweiten Wahlgang schafften es Thies Gleiss (erster Wahlgang: 108, 10.) mit 109 Stimmen, Christel Rajda (erster Wahlgang: 129, 7. Platz) mit 99, Fritz Schmalzbauer (erster Wahlgang: 121, 8., DGB-Funktionär) 91, Lucy Redler (erster Wahlgang: 104 und damit 40 Prozent, 11. Platz) 84, und Thomas Waldheim (97, 13) mit 78 Stimmen. Rainer Spilker verpasste den erneuten Sprung in den Bundesvorstand mit 76 Stimmen im zweiten Wahlgang knapp.

Eine Partei verliert an Leben

Trotz des erfreulichen Einzugs der Berliner Oppositionellen Lucy Redler in den Bundesvorstand: Die Mehrheiten auf diesem Parteitag in Westfalen haben sich gegenüber dem Ludwigshafener Kongress der WASG weiter nach rechts verschoben. Der Niedergang an Dynamik und Lebendigkeit an der Basis der Partei spiegelt sich auf allen Ebenen.
Der Prozess der Fusion der WASG mit der L.PDS bleibt nichtsdestotrotz umkämpft. Die Vorstände wollen ihn nutzen, um sich von - aus ihrer Sicht - linken Altlasten zu befreien: Sozialismus soll für die L.PDS auf eine Beschwörungsformel reduziert, die Ablehnung von allen Militäreinsätzen, auch der UN-mandatierten, geschliffen werden. Für die WASG-Spitze geht es darum, von festen Erklärungen gegen eine Regierungsbeteiligung an Sozialabbau-Koalitionen abzurücken. Begründung der jeweiligen Verschlechterungen ist die Rücksichtnahme auf den jeweiligen Fusionspartner, dessen Befindlichkeiten nicht überbeansprucht werden dürften.

Trotzdem musste auf keinem WASG-Parteitag so oft Marx bemüht, die Rhetorik links gebürstet - und der Kaffee günstig wie nie abgegeben werden (1,10 gegenüber 2,50 Euro noch in Dortmund).
 

Editorische Anmerkungen

Der Artikel  ist eine Spiegelung von
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