Côte d’Ivoire:
Französische Armee tötete Zivilisten, Affäre kocht hoch

von Bernhard Schmid
12/05

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Ein Straßenräuber, der die örtliche Bevölkerung terrorisierte, stahl und vergewaltigte, wie die französischen Militärs behaupten? Ein Elektriker und Klempner, der in der Siedlung Dah „ein ruhiges Leben führte“, wie der Pariser Anwalt seiner Hinterbliebenen, Fabien Ndoumou, angibt? Oder ein in Dah und den umliegenden Dörfern tätiger „Erzieher im sozio-kulturellen Bereich“, eine Art Sozialarbeiter, folgt man Gabriel Blé von der „Vereinigung zum Schutz der Ivoirer“ im Großraum Paris? Genau wird man vielleicht nie wissen, wer der circa 30jährige Firmin Mahé war, dessen Foto in der ivoirischen Tageszeitung Le Courrier d’Abidjan erschien und in Frankreich in Le Monde nachgedruckt wurde.

Auch seine Leiche wird man vielleicht nie finden, und niemand scheint zu wissen, wo sie heute liegt. Der Rechtsanwalt behauptet, sie sei wahrscheinlich in ein Massengrab für unbekannte Verstorbene geworfen worden, und fordert von der französischen Militärjustiz Nachforschungen über ihren Verbleib. Das Pariser Armeegericht ermittelt seit mehreren Monaten bezüglich der letzten Momente im Leben des Firmin Mahé, und hat in der letzten Novemberwoche und Anfang Dezember eine Reihe von Anhörungen dazu durchgeführt. Denn so viel steht mittlerweile fest: Firmin Mahé ist am frühen Abend des 13. Mai dieses Jahres durch französische Soldaten getötet worden, in deren Gewalt er sich befand, während er bereits schwer verletzt war. Der Vier-Sterne-General Henri Poncet, der von Mai 2004 bis Mai 2005 der ranghöchste französische Militär in der Côte d’Ivoire war und die dortige Truppe mit UN-Mandat befehligte, war nicht nur davon unterrichtet. Er scheint die Tötung des bewaffneten Zivilisen sogar mit kaum verhüllten Worten angeordnet zu haben. Die Angelegenheit spielte sich in der Pufferzone ab, die zwischen dem Hoheitsgebiet des ivoirischen Regimes unter dem ethno-nationalistischen Präsidenten Laurent Gbagbo im Süden und der Rebellenzone in der nördlichen Landeshälfte verläuft. Diese Pufferzone wurde, und wird, durch die französische UN-Truppe der Opération Licorne (Operation Einhorn) bewacht. Das waren damals über 5.000 Soldaten, heute noch 4.000 - und ein Ende ist noch nicht abzusehen, da der UN-Sicherheitsrat das Mandat des Präsidenten Gbagbo „mangels Einigung zwischen den Konfliktparteien“ auch über das, am 31. Oktober erreichte, Ende der Legislaturperiode hinaus um ein Jahr verlängerte.

In dieser Zone, die keiner organisierten Staatsgewalt untersteht, hatten sich Banden von Straßenräubern und Plünderern formiert. Am fraglichen Tag behauptete ein ivoirscher Zivilist, der eine Patrouille französischer Panzerfahrzeuge begleitete, in Mahé einen Bandenchef zu erkennen – was vielleicht stimmte, vielleicht aber auch auf einen Irrtum oder persönliche Rivalitäten zurückzuführen war. Mahé war mit einem Kleinkalibergewehr bewaffnet, sei es als Bandit, sei es aufgrund seiner Mitgliedschaft in einem „örtlichen Selbstschutzkomitee des Dorfes“, wie jedenfalls der Anwalt seiner Angehörigen behauptet. Die Insassen eines Panzerwagens schossen auf ihn und verwundeten ihn schwer am Bein, doch Mahé konnte entkommen. Nur durch Zufall fanden die französischen Soldaten den Schwerverletzten mehrere Stunden später wieder, so dass sie ihn nach den Einsatzregeln in ein Krankenhaus transportieren mussten. Gegen 18 Uhr ordnete der Oberkommandierende, General Poncet, am Telefon an: „Fahren Sie langsam, Sie verstehen mich“. Er wurde auch verstanden, nämlich so, dass Firmin Mahé besser tot als lebend in der Klinik ankommen solle. Oberst Eric Burgaud gab den Befehl an seinen Untergebenen weiter, den Chefadjutanten Guy Raugel – der nach eigenen Worten explizit nachfragte, ob Mahé tot ankommen solle, woraufhin die Antwort gelautet habe: „Sie haben mich wohl verstanden“. Dies hat er jedenfalls der ermittelnden Richterin Brigitte Raynaud erzählt. Deshalb ließ Raugel während der Fahrt in die Klinik der Kreisstadt Man die Scheiben verdunkeln. Nach eigenen Worten zog er daraufhin dem vorübergehend ohnmächtig gewordenen Firmin Mahé einen schwarzen Müllsack über den Kopf und sorgte durch mehrere Lagen Klebeband dafür, dass er keine Luft mehr bekam. Das Opfer erstickte planmäßig. Gegen 20 Uhr brachten die Militärs einen Toten in der Klinik an, der angeblich seinen Schussverletzungen erlegen war.

Der General Poncet, der die ganze Affäre im Anschluss gegenüber seinen politischen Vorgesetzten vertuscht hatte, wurde am vergangenen Dienstag zu Verhörzwecken in polizeilichen Gewahrsam genommen und entging nur knapp einer längeren Untersuchungshaft. Ein nach Auffassung vieler Uniformierter „unerhörter“ Vorgang, der ziemlich viel Staub in Armeekreisen aufwirbelte und auch einige Tinte fließen lässt. Bereits im Oktober dieses Jahres, als General Poncet durch die französische Verteidigungsministerin Michèle Alliot-Marie aufgrund dieser Affäre disziplinarrechtlich sanktioniert und strafversetzt worden war, empörte sich ein Teil der französischen Presse. Das rechtsaußen stehende Wochenmagazin Valeurs actuelles, Sprachrohr des Rüstungsindustriellen Serge Dassault, titelte „Die Ehre eines Generals“ und sprach von der Angelegenheit fast so, als sei Henri Poncet das Opfer einer neuen Dreyfus-Affäre. Auch die rechtsbürgerliche Boulevardzeitung France Soir sorgte sich insbesondere um die armen Militärs, deren Reputation in den Schmutz gezogen werde. 

Bei seinem Verhör gab Poncet an, er stehe zur Vertuschung der Affäre, da er „keine antifranzösischen Gewalttaten“ in dem westafrikanischen Land habe auslösen wollen.

Editorische Anmerkungen

Den Artikel erhielten wir am 17.12.2005 am zur Veröffentlichung. Eine gekürzte Fassung erschien in der Jungle World vom 21. Dezember 2005