Nicht unwahrscheinlich ist, dass die
Tochter und mögliche Nachfolgerin des französischen
Rechtsextremisten-Chefs Jean-Marie Le Pen in näherer Zukunft
versuchen wird, sich nach Israel einladen zu lassen. Damit
knüpft sie an frühere Versuche ihres Herren Papa an, sich durch
einen Empfang in Israel – wie auch immer der näher ausfallen
mag, allein die Tatsache zählt – scheinbar bestätigen zu lassen,
dass man doch kein Nazi sein könne.
Die linksliberale Pariser
Tageszeitung „Libération“ schrieb in ihrer Ausgabe vom
14. Dezember 05: „Marine Le Pen, Vizepräsidentin des Front
National (Anm. d. Autors: der 1972 von ihrem Vater gegründeten
Partei), hat sich im Europaparlament in die Abgeordnetengruppe
Frankreich-Israel eingeschrieben. Vor diesem Hintergrund
versucht sie, an der nächsten Reise nach Tel Aviv, die vom
Europäischen Parlament organisiert wird, teilzunehmen. Ein
Flügel der extremen Rechten möchte heutzutage auf den Staat
Israel setzen, um sich dem wachsenden Einfluss der Islamisten in
arabischen Ländern zu widersetzen.“ (Ende des Originalbeitrags
aus Libération)
Diese Meldung der Pariser Zeitung
muss jedoch in einem Punkt korrigiert werden: Ein Teil der
extremen Rechten strebt tatsächlich danach, sich durch eine
(scheinheilige oder nicht) Berufung auf Israel eine Legitimität
für ihren pauschalen Araberhass zu verschaffen. Am liebsten
findet sie sich auch jüdische Kronzeugen dafür, dass sie
behaupten könne, es gebe „viel zu viele Araber (als Einwanderer)
in Frankreich“. Nicht richtig ist dagegen, dass die extreme
Rechte – jedenfalls so pauschal, wie Libération dies
formuliert hatte – dabei dem Einfluss politischer Bewegungen von
Islamisten entgegen treten wollen würde. Vielmehr erblickt
zumindest ein relevanter Teil des rechtsextremen Spektrums im
Islamismus jedenfalls insofern einen Kronzeugen und/oder
Bündnispartner, als die radikalen Islamisten ihrerseits gegen
eine „Vermischung der Kulturen“ und für ein Streben nach
„kultureller Reinheit“ eintreten. Das bedeutet nicht, dass die
organisierten Rassisten deswegen Moslems oder Araber lieb haben
würden; aber aus Sicht jedenfalls mancher Rechtsextremen „lässt
sich zumindest mit ihnen über eine Rücknahme der Immigranten in
ihre Herkunftsländer verhandeln, weil diese Leute auch dafür
sind, dass die Moslems ‚bei sich’ bleiben“. Le Pen (der Vater)
hat sich im Hochsommer 1997 mit dem damaligen türkischen
Islamistenchef Necmettin Erbakan getroffen, und im Januar 1998
an einem Empfang in der iranischen Botschaft in Paris zum
Jahrestag der so genannten „islamischen Revolution“ im Iran
teilgenommen. Im Juni 1998 saβ Le Pen gar, auf Einladung des
Iran her, anlässlich des Fuβball-WM-Spiels zwischen der
iranischen und der US-amerikanischen Mannschaft in Lyon auf der
Ehrentribüne Diese Positionierung, die damals viele Beobachter
sehr überraschen sollte (was Le Pen wiederum besonders daran
gefiel), entspricht entspricht zumindest einer Periode seiner
„Politik“, die sich gewöhnlich sprunghaft entwickelt und im
Laufe der Jahre unterschiedliche Phasen aufweist, in denen
jeweils ein Thema oder eine Provokationsmasche gerade Konjunktur
hat.
Jean-Marie Le Pen hatte auch eine
pro-israelische Phase, die begann, als der damalige (freiwillig
dienende) Offizier der Fremdenlegion Le Pen 1956 am
französisch-britisch-israelischen „Suezfeldzug“ gegen Ägypten
teilnahm. In der ersten Jahreshälfte 1957 folterte Le Pen
eigenhändig im Algerien, wo damals der blutigste Kolonialkrieg
Frankreichs stattfand. In dieser Phase galt der Staat Israel in
weiten Teilen der politischen Klasse der französischen Vierten
Republik als wichtigster Verbündeter. Le Pens damalige
pro-israelische Position war daher überwiegend außenpolitisch
begründet, und bestimmt nicht in einer Ablehnung des
Antisemitismus; letzterer Widerspruch ließ sich jedoch
vermeintlich dadurch auflösen, dass der Rechtsextremist der
Auffassung war, die Juden Europas würden bzw. sollten eben nach
Israel gehen und damit den Kontinent verlassen. Jean-Marie Le
Pen, der seit langem ein kaputtes Auge hat und in den sechziger
und siebziger Jahre durch seine Augenbinde bekannt war (während
er heute ein Glasauge trägt), verglich sich deshalb in jener
Zeit gern selbst mit Moshe Dayan. Zuletzt traf er im Februar
1987 in New York mit Vertretern des Jewish World Congress zu
einem Diner zusammen. Dieses Treffen hatte Jacky Torciner
organisiert, der damals als Vertreter der Herut-Partei
(„Freiheitspartei“, des Vorläufers des Likud-Blockes) in den USA
firmierte und der Le Pen als „vielleicht autoritären, aber nicht
antisemitischen“ Staatsmann „ähnlich unserem General Sharon“
betrachtete. (ANMERKUNG 1)
Nachdem Jean-Marie Le Pen aber am
13. September 1987 offen die Existenz des Holocaust im
französischen Fernsehen angezweifelt hatte und diese angeblich
offene Frage einige Sätze später als (seiner Auffassung nach
unwichtiges) „Detail der Geschichte“ bezeichnet hatte, brachen
aber alle Bemühungen um irgendwelche Kontakte nach Israel erst
einmal ab. Sein Plan, das Land im Vorfeld der
Präsidentschaftswahl vom April 1988 demonstrativ zu bereisen,
scheiterte deswegen, und Le Pen wurde seinerzeit in Israel zur
Persona non grata erklärt. An alte Zeiten versuchte er
später noch einmal anzuknüpfen, als er in einem Interview mit
Haaretz vom April 2002 – kurz vor der damaligen
Präsidentschaftswahl – vorgab, Ariel Sharon positive Tipps „für
den Umgang mit dem Terrorismus“ zu geben, da er, Le Pen, sich
seit „meiner Erfahrung in Algerien“ in der Materie auskenne. Von
offenen Sympathiebekundungen in Israel war (jedenfalls in
Frankreich) deshalb aber zum Glück nichts mitzubekommen.
Allerdings hatte der mit der israelischen Rechten
sympathisierende Präsident des Zentralrats der französischen
Juden CRIF (Roger Cukiermann) sich in Haaretz verhalten
positiv über Le Pens Wahlerfolg vom 21. April 2002 geäußert: Es
handele sich um „ein Signal an die Moslems (in Frankreich), dass
sie ruhig bleiben sollen“. Jedoch rief Cukiermann vor der
Stichwahl zwischen Amtsinhaber Jacques Chirac und Le Pen vom 05.
Mai 2002 dann klar zur Stimmabgabe für Chirac auf.
Mutmaßlich versucht also Marine
Le Pen, die als „Modernisierin“ der französischen extremen
Rechten antritt und als eine von beiden aussichtsreichsten
BewerberInnen um die Nachfolge ihres Vaters an der Parteispitze
gilt, sich in die Traditionslinie vorangegangener Versuche ihres
Herrn Papa zu stellen. Gelänge es ihr, zumindest ein paar Fühler
nach Israel auszustrecken, so könnte ihr dies als Beleg für den
„bestimmt nicht nazi-ähnlichen oder faschistischen Charakter“
des, oberflächlich modernisierten, französischen
Rechtsextremismus gelten. Die Le Pen-Tochter hatte in jüngerer
Vergangenheit anscheinend auch eher in diese Richtung zu denken
begonnen (während andere Teile der extremen Rechten eher den
Antisemitismus privilegieren und dafür sogar bereit sind, den
anti-arabischen Rassismus zugunsten einer vermeintlich
palästinenserfreundlichen Demagogie zurückzustellen, namentlich
die militante Unterströmung „Les Identitaires“). Im
Regionalwahlkampf 2004 hatte sie etwa die, vor allem zu Anfang
dieses Jahrzehnts zu verzeichnenden, Angriffe von meist
männlichen Jugendlichen aus Migrantenfamilien auf jüdische
Einrichtungen und Personen verurteilt - um sie dann aber Beleg
für die angebliche Richtigkeit „unserer Diagnose“ (dass es
nämlich zu viele Immigranten in Frankreich gebe) heranzuziehen.
Zu wünschen wäre es wohl, wenn
Menschen in Israel der möglichen künftigen Chefin des
französischen Rechtsextremismus einen buchstäblich „gebührenden
Empfang“, eine klare Abfuhr bereiten könnten…
Bruno Gollnisch:
Gerichtsprozess wegen Holocaustleugnung
Dass, parallel zu dem rassistisch
motivierten Hass auf arabische (und andere) Einwanderer, auch
der Antisemitismus und/oder Auschwitzleugnertum weiterhin zu den
Grundbestandteilen dieser extremen Rechten zählt, bewies erst im
Oktober vorigen Jahres der andere aussichtsreichste Anwärter auf
den zukünftigen Vorsitz beim FN. Bruno Gollnisch,
„Generalbeauftragter“ (délégué général) des Front
National und damit derzeit „Nummer Zwei“ in dessen Parteiapparat
hinter Jean-Marie Le Pen, hatte damals auf einer Pressekonferenz
in Lyon offen die Gaskammern und „die Zahl der Toten“ in Frage
gestellt. Die Universität Lyon-III, an der Gollnisch als
Juraprofessor (mit Spezialisierung auf internationales Recht
sowie japanisches Recht, der Mann ist mit einer Japanerin
verheiratet und vom „Nationalstolz“ ihres Herkunftslands
fasziniert) wirkte, hat Gollnisch deswegen zu Anfang dieses
Jahres 2005 vom Dienst suspendiert. In den kommenden 5 Jahren,
die de facto den Zeitraum bis zu Gollnisch regulärem
Pensionseintritt umfassen, ist der rechtsextreme Politiker dort
mit totalem Unterrichtsverbot belegt. In dieser Periode, die
wohl bis zu seiner Rente laufen wird, erhält er noch die Hälfte
seines normalen Gehalts. (Wir berichteten ausführlich)
Das Europäische Parlament in
Strasbourg hat nunmehr am letzten Dienstag ( (13. Dezember 05)
beschlossen, die Immunität, die Bruno Gollnisch bisher als
dessen Abgeordneter genoss, aufzuheben. Eine große Mehrheit der
Europaparlamentarier folgte damit dem Antrag der
Berichterstatterin in dieser Angelegenheit, der liberalen
britischen Abgeordneten Diana Willis. Diese hatte plädiert,
Gollnisch habe die inkriminierten Äußerungen „nicht in seiner
Eigenschaft als Parlamentarier“, sondern im Rahmen seiner
sonstigen politischen Aktivitäten getätigt, weshalb der
Immunitäts-Entzug rechtlich einwandfrei möglich sei. Dem folgte
eine klare Mehrheit, nachdem der Rechtsausschuss des EP mit der
Frage der formellen Richtigkeit des Beschlusses befasst worden
war und seinen Beschluss mehrfach hinausgeschoben hatte.
Damit macht das Europaparlament
jetzt den Weg für die Strafverfolgung Bruno Gollnischs in
Frankreich endgültig frei. Dort wird am 23. Mai 2006, vor dem
Lyoner Gericht für Strafsachen, der Prozess gegen den
rechtsextremen Politiker beginnen. Das
Antirassismus-Strafgesetz, das ursprünglich 1972 vom
französischen Parlament angenommen worden war, war im Juli 1990
speziell verschärft worden, um v.a. die Leugnung des Holocaust
strafrechtlich sanktionierbar zu machen. Gollnisch kann zu einer
Haft- und/oder Geldstrafe verurteilt werden. Den unmittelbaren
Anlass für diese Ausdehnung des Antirassismus-Strafgesetzes auch
auf die „Leugnung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ und
ihre Relativierung lieferte die Schändung des jüdischen
Friedhofs im südfranzösischen Carpentras, in der Nacht des 8.
Mai 1990, durch französische Neonazis. Diese barbarische
Schändung (die Leiche eines frisch verstorbenen 83jährigen war
dabei auf einen Sonnenschirm aufgespießt worden) zog damals eine
gigantische Mobilisierung gegen den Antisemitismus, und gegen Le
Pen nach sich, dessen Aufstieg gerade in jener Periode als
besonders bedrohlich erlebt wurde. In Paris demonstrierten
200.000, mit der verbreiteten Parole: „Le Pen, die Worte –
Carpentras, die Tat“.
Gollnisch fühlt sich
„verfolgt“ und findet demagogische Argumente
Anlässlich seiner auf das Votum
folgenden Pressekonferenz in Strasbourg, bei der Gollnisch von
seinem (bei dieser Gelegenheit wortkargen und ungewöhnlich
stillen) „Chef“ Jean-Marie Le Pen begleitet wurde, stimmte der
rechtsextreme Politiker einmal mehr das altbekannte Liedchen von
der „politisch motivierten Verfolgung“ gegen seine Person an. Da
der französische Justizminister Dominique Perben bei den
nächsten Kommunalwahlen im Jahr 2008 für den
Oberbürgermeistersessel von Lyon kandidieren wolle, sei es nur
darum gegangen, „ihm einen gefährlichen Konkurrenten aus dem Weg
zu räumen“. (Lyon ist die regionale Wirkungsstätte Gollnischs.)
Diese Melodie tönte freilich altbekannt und reichlich
langweilig.
Ein wenig geschickter war es
hingegen, dass Gollnisch sich demagogisch auf eine jüngste
Äußerung von Präsident Jacques Chirac bezog. Der französische
Staatspräsident hatte sich vorige Woche von einem Gesetz, das
die konservative Parlamentsmehrheit am 23. Februar 2005 (zum
Teil auf die Initiative dumpfer Hinterbänkler hin) angenommen
hatte, distanziert. Der umstrittene Gesetzestext schreibt in
seinem Artikel 4 den Lehrern und ForscherInnen in Frankreich
vor, künftig in ihrem Unterricht, ihrer Lehre oder ihrer
wissenschaftlichen Arbeiten „den positiven Beitrag der
französischen Präsenz in Übersee und insbesondere in Nordafrika“
(sprich: des Kolonialismus) zu berücksichtigen und
hervorzukehren. Dieser heiß umstrittene Gesetzesparagraph, der -
zunächst von breiten Kreisen unbemerkt – durch rechte
Parlamentarer in das (ansonsten Fragen der materiellen
Entschädigung früherer Kolonialfranzosen behandelnde, und in
anderen Teilen eher harmlose) Gesetz hineingeschrieben worden
war, hat mittlerweile einen Proteststurm ausgelöst. Zahlreiche
Lehrkräfte und Wissenschaftler haben öffentlich erklärt, dass
sie sich nicht „für eine staatlich vorgeschriebene Sichtweise
auf die Geschichte“ an die Leine nehmen lassen würden. Vielfach
wird in der Öffentlichkeit an die brutalen Seiten des
französischen Kolonialismus erinnert. Infolge des Hagels von
Protesten gegen dieses Gesetz, das am 29. November 05 nochmals
durch eine Parlamentsmehrheit bekräftigt worden ist (nachdem die
Sozialdemokraten über seine Revision und Abmilderung hatten
abstimmen lassen), musste der autoritär-populistische
Innenminister Nicolas Sarkozy am 8. Dezember 05 seinen
vorgesehenen Besuch auf den französischen Antilleninseln
absagen. Dort, wo viele EinwohnerInnen von früheren Sklaven
abstammen, kann man sich für die „positiven Seiten“ des
Kolonialismus nun wirklich nicht erwärmen.
Der rechtsradikale Politiker
Gollnisch aber zog eine – grob missbräuchliche – Parallele
zwischen der distanzierenden Äußerung Chiracs („es ist nicht
Aufgabe des Gesetzes, die Geschichte zu schreiben“) und dem
Ansinnen, ihn selbst zukünftig vor Gericht zu stellen. Dabei
versuchte Bruno Gollnisch, den angeblich bestehenden Widerspruch
aufzuzeigen. Einerseits sage der Vertreter der Staatsspitze, es
dürfe keine vom Gesetz diktierte Geschichtsschreibung geben -
aber andererseits wolle man ihn, Gollnisch, auf der Grundlage
„illegitimer und freiheitsgefährdender Gesetze“ in Sachen
Auschwitzleugnung (wie des Gesetzes von 1990) verurteilen. Die
Wahrheit über die Existenz von Auschwitz und anderer
Vernichtungslager lediglich als politisch motivierte „staatlich
vorgeschriebene Geschichtsschreibung“ herabzustufen: Dies
beweist einmal mehr, sofern es noch nötig gewesen wäre, welchen
(Un-)Geist diese Leute verbreiten.
Bruno Gollnisch posaunte
anlässlich seiner Pressekonferenz hinaus, er werde im Lyoner
Gerichtssaal „nicht als Angeklagter, sondern als Ankläger“
auftreten. Ob er allerdings bei oder nach dem wirklich
stattfindenden Prozess im Frühsommer kommendes Jahres immer noch
so große Töne spucken wird, bleibt abzuwarten.
Anmerkung 1: Ein
(deutschsprachiger) näherer Bericht über dieses
Zusammentreffen findet sich etwa in dem Bändchen des –
mittlerweile verstorbenen – Schriftsteller Lothar Baier von
1988: „Firma Frankreich“. Der Autor dieser Zeilen sprach
ferner darüber mit Lorrain de Saint-Affrique, dem ehemaligen
Kommunikationsbeauftragten und späteren Kritiker Le Pens,
anlässlich eines Interviews im März 1997.
Editorische Anmerkungen
Den Artikel erhielten wir
vom Autor am 17.12.2005 zur Veröffentlichung.
|