"Unterdessen
fährt Le Pen die Ernte ein”: Unter diesem Titel erschien die,
politisch gemäbigte,
Boulevardzeitung Le Parisien am 8. Dezember 05. Die
Schlagzeile der Ausgabe bezieht sich auf das soziale Klima, das
durch die Reaktionen der Mehrheitsgesellschaft auf die jüngsten
Unruhen in den französischen Trabantenstädten (banlieues)
geprägt wird.
Der Anlass
Während dreier Wochen im
November 2005 hatten in den banlieues, die in besonderem
Mabe
von der sozialen Krise, von Verarmungs- und
Gheottisierungsprozessen geprägt sind, heftige Riots
stattgefunden. Es handelt sich mitnichten um die ersten Unruhen,
denn ähnliche Phänomene werden seit 1981 – damals fanden die
ersten Riots im Umland von Lyon statt – in unregelmäbigen
Abständen verzeichnet. Oftmals werden die so genannten
émeutes durch einen flagranten Fall von Polizeigewalt
ausgelöst. Ein ähnliches Ereignis, nämlich der Tod zweier
Jugendlicher im Alter von 15 und 17 Jahren, die sich einer
schikanösen Polizeikontrolle entziehen wollten, auf ihrer
Flucht, hatte auch jetzt als Katalysator gedient. Aber bei
diesem Mal handelte sich um die spektakulärsten, am längsten
anhaltenden und geographisch ausgedehntesten Unruhen, die in den
letzten 25 Jahren verzeichnet wurden.
Dabei wurden 26 (von
insgesamt 100) französischen Départements,
Verwaltungsbezirken, in der einen oder anderen Form berührt.
Insgesamt wurden im Laufe dieser Unruhen, frankreichweit, rund
9.000 Autos angezündet. Allerdings muss man berücksichtigen,
dass auch ohne besondere Ereignisse wie die jüngsten Riots
jährlich rund 30.000 Autos im ganzen Land verbrennen. Es handelt
sich seit mehreren Jahren um ein Ritual, das es den Jugendlichen
in den ghettosierten Trabantenstädten erlaubt, „endlich
wahrgenommen“ zu werden (da die etablierten Medien stets mal
mehr, mal weniger ausführlich darüber berichten) - und
gleichzeitig der Mehrheitsgesellschaft erlaubt, sie so
wahrzunehmen, wie es ihr beliebt, nämlich als polizeilich zu
behandelndes Sicherheitsrisiko.
Gesellschaftliche
Reaktionen auf die Riots
Die gesellschaftlichen Reaktionen
auf die Unruhen zeichnen sich mehrheitlich durch den Ruf nach
autoritären Lösungen aus. Zugleich wird eine starke Ethnisierung
in der Zuschreibung der Konfliktursachen betrieben, anstatt von
gesellschaftlichen Ursachen zu sprechen. In weiten Kreisen der
Gesellschaft auberhalb
der Trabantenstädte wird der Eindruck erweckt und aufrecht
erhalten, es seien vor allem Einwandererkinder aus
arabischstämmigen und schwarzen Familien an den Riots beteiligt
gewesen – um dann munter nach Gründen für die Riots „im Islam“,
in der angeblich in afrikanischen Einwanderer-Familien
praktizierten Polygamie (die faktisch im Aussterben begriffen
ist) und ähnlichen „ethnischen Faktoren“ zu suchen. Dabei
widerspricht es schon allein den Tatsachen, zu behaupten, es
hätten allein Immigrantenkinder an den Unruhen teilgenommen, bei
denen in Wirklichkeit auch „weibe“
Angehörige der in den Trabantenstädten lebenden „subproletarisierten“
Unterschichten mitgemischt haben.
Die konservative Regierung und
Parlamentsmehrheit haben in Reaktion auf die jüngsten Ereignisse
einerseits die aus dem Algerienkrieg (1954 bis 62) stammende
Notstandsgesetzgebung erstmals wieder, für die Dauer von drei
Monaten, in Kraft gesetzt. Andererseits haben sie, in
Übereinstimmung mit der fieberhaft vorangetriebenen
„Ethnisierung“ der gesellschaftlichen Debatte, am 29. November
bereits die nächste Runde der Verschärfung der
Einwanderungsgesetze angekündigt, u.a. mit restriktiveren Regeln
bei der Familienzusammenführung und bei Eheschlüssen zwischen
französischen und ausländischen StaatsbürgerInnen. Auch das
Asylrecht soll in naher Zukunft noch stärker eingeschränkt
werden. So soll die Bearbeitungsdauer von Asylanträgen beim
„französischen Amt für den Schutz von Flüchtlingen und
Staatenlosen“ (OFPRA), die bereits im Jahr 2002 durch die
konservative Regierung auf einen Monat – jedenfalls laut
Vorschrift - beschränkt wurde, noch drastischer auf künftig noch
3 Wochen verkürzt werden. Das bedeutet, dass sich die Tendenz
noch verschärfen würde, eine bestimmte Abnzahl von Dossiers
pauschal, ohne Studium ihres Inhalts als „offenkundig
unbegründet“ abzulehnen. Entsprechend dem mehrheitlichen
gesellschaftlichen Klima sind die Mehrzahl (wenngleich wohl
nicht alle) dieser Mabnahmen
bzw. Ankündigungen durchaus populär, die Reaktivierung der
Notstandsgesetze seit Mitte November etwa wird – sofern man den
Umfragen Glauben schenken kann – von mindestens zwei Dritteln
begrübt.
Die extreme Rechte
und das aktuelle Klima
„Frankreich wendet sich nach
rechts“, lautete bereits der Titel der Sonntagsausgabe des
Parisien vom 20. November. Im Laufe der jüngsten Debatten
sind vielerorts, wie etwa Ivan du Roy im Leitartikel der
linkschristlichen Zeitschrift Témoignage chrétien vom 8.
Dezember feststellt, „die Deiche zwischen der parlamentarischen
Rechten und der extremen Rechten eingebrochen“. Das trifft
jedenfalls auf der argumentativen Ebene (zum Teil) zu, nicht
unbedingt auf organisatorischer Ebene.
Wie positioniert sich nun aber
die extreme Rechte, um von der derzeitigen gesellschaftlichen
Grobwetterlage
zu profitieren? In den letzten Wochen ist innerhalb des Rechtsaubenspektrums
ein Wettlauf zu beobachten, bei dem sich zwei unterschiedliche
Strategien herausschälen. Der „klassische“ Rechtsextremist und
Altfaschist Jean-Marie Le Pen (77), Chef des Front National,
gerät dabei von Seiten des Rechtskatholiken und
nationalkonservativen Grafen Philippe de Villiers (56) unter
starken Konkurrenzdruck.
De Villiers, Chef einer 1994
gegründeten und bis vor kurzem bedeutungslosen Kleinpartei
namens Mouvement pour la France (MPF, Bewegung für
Frankreich), hat seit dem Frühsommer 2005 einen politischen
Bedeutungszuwachs erfahren. Damals gelang es ihm, während der
Debatte im Vorfeld der Abstimmung über den neoliberalen
EU-Verfassungsvertrag weitgehend das „Nein von Rechts“ zu
verkörpern. Denn der Front National war aufgrund heftiger
innerer Machtkämpfe, rund um die noch immer ungeklärte Nachfolge
des alternden „Chefs“, teilweise gelähmt und während der
Referendumskampagne öffentlich kaum vernehmbar. Seit dem
Aufmerksamkeitserfolg, den de Villiers deswegen in der Medien
und im rechten Teil der Öffentlichkeit verzeichnen konnte, zeigt
der Graf sich fest entschlossen, seine bisherige Kleintspartei
zu einer ernsthaften politischen Kraft aufzubauen. Gleichzeitig
erhält er ideologische Unterstützung seitens vieler
AltfunktionärInnen des FN wie Marie-France Stirbois, die in
einer Annäherung an den Rechtskatholiken ein wirksames
Gegenmittel gegen die von ihnen befürchtete „modernistische
Aufweichung“ der ideologischen Grundlagen der Le Pen-Partei
erblicken. Diese „Gefahr“ verbinden sie vor allem mit dem Namen
von Le Pens Tochter Marine, die – neben Bruno Gollnisch, der
durch einen Teil der Altkader unterstützt wird – zu den beiden
aussichtsreichen KandidatInnen für die Nachfolge des seit 1972
amtierenden Parteichefs gehört.
Ende August 2005 erklärte de
Villiers offen, für den von ihm angestrebten Parteiaufbau auch
ehemalige Mitglieder und Funktionsträger des Front National
bereitwillig aufzunehmen. Das ist ihm zum Teil auch gelungen,
der 29 Jahre junge Generalsekretär des MPF – Guillaum Peltier –
etwa ist ein ehemaliger Chef des FNJ, der Jugendorganisation der
„Lepenisten“. Dabei bietet die Villiers-Partei den ehemaligen
Kadern der rechtsextremen Partei eine neue politische
Wirkungsstätte, die nicht so stark in Teilen der Öffentlichkeit
diskreditiert ist wie der Front National und auch nicht durch
offene Nazisympathien und bisweilen unflätige Ausfälle
hervorsticht wie Le Pen. Der MPF spricht eher die konservativen
Mittelschichten an, und findet weniger stark bei den sozialen
„Unterschichten“ ein Echo als der Front National. Die zentralen
politischen Themen der „Villiéristen“ sind der Kampf gegen
Abtreibung, die Homosexuellen-Ehe, gegen den Islam und einen
EU-Beitritt der Türkei. Auch bei den Le Pen-Anhängern stehen
dieselben Themen im Vordergrund, hinzu kommt bei ihnen aber eine
(zum Teil antisemitisch und pseudo-antikapitalistisch
unterlegte) Sozialdemagogie, die bei de Villiers kaum oder nur
in äuberst
kümmerlichen Ansätzen vorhanden ist.
Im Zusammenhang mit den jüngsten
Unruhen schaffte es de Villiers jedoch, Le Pen vorübergehend in
den Schatten zu stellen. Am 3. November 05, kurz nach dem
Ausbruch der Riots, vollführte der rechtskatholische Graf vor
zahlreichen Kameras seinen Händedruck mit dem ehemaligen
FN-Funktionär Jacques Bompard. Der Bürgermeister von Orange, der
bis vor kurzem das letzte Stadtoberhaupt des FN gewesen war (die
anderen drei rechtsextrem regierten Rathäuser gingen bereits vor
Jahren verloren), war am 9. September dieses Jahres durch
Jean-Marie Le Pen – mit dem er zerstritten war - aller
Parteiämter enthoben worden. Daraufhin hatte er dem Front
National vollständig den Rücken gekehrt und die Annäherung an de
Villiers geprobt. Ihr erstes Zusammentreffen zelebrierten die
beiden Herren in der Pariser Trabantenstadt Epinay-sur-Seine,
mit den Hochhausfassaden der banlieues als Fotokulisse.
An diesem Ort faselten die beiden Männer von einem „ethnischen
Bürgerkrieg“, der angeblich „ungebremsten Masseneinwanderung“
und der drohenden „Islamisierung Frankreichs“ daher. Eine solche
Provokation hatte Jean-Marie Le Pen nicht gewagt, der sich nicht
selbst in die banlieues begab, sondern sich von seinem
Nobelvorort Saint-Cloud aus äuberte.
Anderthalb Wochen später erregte Le Pen erstmals gröberes
Aufsehen, als er am 14. November eine Kundgebung vor einigen
hundert Anhängern in der Pariser Innenstadt – in der Nähe des
Louvre-Museums – abhielt.
Inhaltlich zeichnete sich Le Pens
Strategie eher dadurch aus, dass er den Mabnahmen
zustimmte, welche die konservative Regierung selbst ergriff - um
aber gleichzeitig sein politisches Copyright einzufordern: „Ich
hoffe, dass man künftig dem Arzt, der seit Jahren eine richtige
Diagnose aufgestellt hat, künftig mehr vertrauen wird als den
Ärzten, die sich geirrt haben.“ De Villiers und Bompard dagegen
versuchten ständig, den Diskurs und die Ankündigungen der
konservativen Rechten noch verbal zu übertrumpfen. Die Regierung
verhängt örtliche Ausgangssperren und verspricht, sie
polizeilich durchzusetzen? De Villiers fordert, die Armee statt
der Polizei zur Niederschlagung der Riots einzusetzen. Und er
spricht sich für eine generelle Ausgangssperre für alle Personen
unter 21 Jahren in sämtlichen Städten über 30.000 Einwohnern
aus. (Letztere Forderung dürfte allerdings auch unter
rechtsorientierten Jugendlichen nicht eben populär gewesen
sein.) In seinem längeren Interview mit dem Parisien vom
8. Dezember fällt es Le Pen angesichts dieser verbalen
Übersteigerung sogar leicht, sich selbst als den Moderateren zu
präsentieren: „Wenn de Villiers sagt, dass man die Legion in die
banlieues entsenden müsse, dann ist das
unverantwortlich.“
Beide Parteien, der FN und der
MPF, behaupten, durch die jüngsten Unruhen an Mitgliedern
gewonnen zu haben. Der Front National gibt selbst an, 5.000 neue
Aufnahmegesuche erhalten zu haben. (Dabei hat die rechtsextreme
Partei allerdings die Angewohnheiten, solche Zahlen aufzublähen.
Bei ihrer groben
Spaltung von 1998/99 hatte die Partei – wie sich beim
Rechtsstreit zwischen Le Pen und dem Anführer der Abtrünnigen,
Bruno Mégret, herausstellte – 42.000 Mitglieder, nachdem sie
zuvor ungefähr doppelt so hohe Angaben gemacht hatte. Nach
realistischen Schätzungen hatte der FN, vor den jüngsten
Ereignissen, etwa 15.000 bis 18.000 Mitglieder.) In Le Monde
sprach der Redakteur Rémi Barroux von einem Zuwachs von 2.000
Mitgliedern. Der MPF seinerseits behauptet – ohne nähere
zeitliche Präzisierungen – seine Mitgliederzahl habe sich seit
dem Vorjahr auf rund 16.000 verdoppelt, was jedoch ebenfalls
spürbar übertrieben sein dürfte, und Generalsekretär Peltier
spricht von „hunderten“ Beitrittswünschen seit dem Ausbruch der
jüngsten Riots. Am 8. Dezember ist nunmehr auch Jacques Bompard,
der Bürgermeister von Orange, im Rahmen einer feierlichen
Zeremonie in „seinem“ Rathaus dem MPF beigetreten.
Nähere Aussichten
Die derzeitige Situation ist von
einem verbreiteten Ruf nach polizeilichen und autoritären
„Lösungen“ geprägt. Wer dieses Wasser längerfristig auf seine
Mühlen lenken wird, ist aber noch nicht näher ausgemacht. Man
muss dabei eher von einem Wettlauf zwischen Innenminister
Nicolas Sarkozy und Premierminister Dominique de Villepin
(innerhalb des konservativen Regierungslagers), sowie zwischen
ihnen beiden einerseits und de Villiers sowie Le Pen
andererseits sprechen.
Die politische Karriere des
Innenministers Sarkozy, der die Unruhen durch seine
martialischen Sprüche über die Banlieue-Bewohner mit ausgelöst
hat (und den seine Regierungskollegen deswegen zunächst eine
Woche lang allein die politische Verantwortung übernehmen lieben),
schien zunächst auf der Kippe zu stehen. Nachdem die Riots aber
unter Kontrolle gerieten bzw. von selbst abzuflauen begannen,
zeichnete sich ab, dass Sarkozy zu den politischen Gewinnern der
Situation gehören wird – wenngleich er in dieser Postur durch
seinen Rivalen und derzeitigen Vorgesetzten de Villepin
flankiert wird, ist es doch de Villepin und nicht Sarkozy, der
den Rückgriff auf die Notstandsgesetzgebung beschlossen und
durchgesetzt hat. Laut einer Umfrage des Rechtsauben-Wochenmagazins
Valeurs actuelles (Ausgabe vom 9. Dezember) goutieren 57
Prozent der Befragten und 82 Prozent der „Rechtswähler“ aus
unterschiedlichen Spektren den von Sarkozy – aber auch de
Villepin – verkündeten, verschärften Umgang mit der
Einwanderung. Demnach sympathisieren auch 72 Prozent der
FN-Wähler mit Sarkozys Positionen zum Thema, während nur 45
Prozent unter ihnen sich zugunsten von de Villiers’ Positionen
aussprechen.
Dies dürfte freilich in gewissem
Sinne einer optischen Täuschung geschuldet sein, d.h. die
befragten Le Pen-Wähler dürften – sofern die Ergebnisse der
Umfrage wirklich repräsentativ sind – nach oberflächlichem
Eindruck und nicht so sehr nach dem Inhalt der Positionen
entschieden haben. Sarkozy ist jedenfalls in der Sache ein
Vertreter einer „utilitaristischen“ Einwanderungspolitik, die
einen harten Abschiebekurs gegen die unerwünschten, „gering
qualifizierten“ Neueinwanderer fährt, aber zugleich die
höherqualifizierten Eliten für den heimischen Arbeitsmarkt
anziehen möchte. Die Politik des Ministers enthält auch einige
Integrationsangebote an jenen Teil der Immigranten, der aus
seiner Sicht auf Dauer in Frankreich bleiben können soll;
so sprach sich Sarkozy Ende Oktober 05 dafür aus, über ein – auf
die kommunale Ebene beschränktes – Wahlrecht für Ausländer zu
diskutieren, was u.a. bei Bompard, de Villiers und einigen
Mitglieder der von Sarkozy selbst präsidierten Regierungspartei
UMP laute Empörungsschreie hervorrief. De Villiers dagegen
drückt sich gern im Vokabular eines Religionskriegs, Christen
gegen Moslems, aus und dürfte damit in Wahrheit der Philosophie
des durchschnittlichen FN-Wählers jedenfalls näher stehen als
Sarkozys wirtschaftsfreundliche Erwägungen. Das Image de
Villiers’ in der Öffentlichkeit und namentlich beim „Unterschichten“teil
der FN-Wählerschaft ist jedoch eher das einen vornehmen, sozial
konservativen Aristokraten, während Sarkozy – im Kern ein
knallharter Neoliberaler – eher das Image eines Populisten mit
autoritären Neigungen pflegt. Beinahe unabhängig von den
Inhalten, zählte daher anscheinend vor allem das politische
Image der jeweiligen Gallionsfiguren. Trifft der Trend, den
diese Umfrage beschreibt, aber zu, dann dürfte de Villiers die
von ihm angestrebte „Rückgewinnung der FN-Wählerschaft“ für eine
(national)konservative Rechte nur sehr lückenhaft gelingen.
Jean-Marie Le Pen seinerseits
gibt in dem oben zitierten Interview vor, sich gemütlich
zurückzulehnen und darauf zu warten, dass ihm die Früchte der
derzeitigen Entwicklung in den Schob
fallen: „Der Rechtsruck der Herren Sarkozy und de Villiers, die
heute das sagen, was ich (schon) seit langem sage, wird meine
Wähler in ihrer Entscheidung bestärken.“ (An anderer Stelle in
demselben Interview spricht Le Pen allerdings auch abschätzig
von den „Weiberrezepten“ der jetzigen Regierung und spottet über
deren weichliche Natur.) Ob es dem alterenden und anscheinend
recht kurz vor seinem Abgang aus der aktiven Politik stehenden
FN-Chef noch gelingen wird, als Hauptgewinner der Situation
dazustehen, ist aber ebenfalls sehr fraglich. Zwar sind seine
Sympathiewerte in den Umfragen von Anfang Dezember nach längerem
Abfallen seiner Kurve erneut gestiegen (von zuvor etwa 12 auf
rund 20 Prozent positiver Meinungen), aber ob Le Pen diesen
Umschwung zu seinen Gunsten wirklich nutzen wird können, bleibt
fraglich. Denn mehr denn je bleiben die Mitglieder des FN heute
auf eine passive Gefolgschaft reduziert, die dem allein
bestimmenden „Chef“ zu gehorchen bzw. auf seine Nachfolge zu
warten hat – das war in den 90er Jahren noch anders, als die
Anhänger Bruno Mégrets eine aktive Kaderpolitik verfolgten.
Le
Pens Programm dicht vor der Erfüllung?
Die
Wochenzeitung „Le Canard enchaîné“ kommt in ihrer
jüngsten Ausgabe vom 14. Dezember 05 zu dem Schluss, dass von
insgesamt 30 Vorschlägen „zur Innen- und Rechtspolitik“ im
Wahlprogramm Le Pens aus dem Jahr 2002 mittlerweile 16 bereits
durch die konservative Regierung umgesetzt worden seien. Dabei
handelt es sich zwar teilweise um eher unpräzise Vorschläge wie
beispielsweise „eine bessere Ausstattung und Bewaffnung der
Polizei“ (das wünschen sich auch konservative und
sozialdemokratische Innenminister, wie die Zeitung dazu
richtigerweise relativierend anmerkt). Aber teilweise geht es
auch um absolut präzise Maβnahmen wie etwa das Vorhaben
Jean-Marie Le Pens in seinem Wahlprogramm von 2002, 13.000 neue
Haftplätze zu schaffen. Bereits kurz nach ihrem Amtsantritt
hatte die neue Rechtsregierung (mit Sarkozy als Innen- und
Jean-Pierre Raffarin als damaligem Premierminister) im
Frühsommer 2002 bereits die Einrichtung von 11.000 zusätzlichen
Gefängnisplätzen in ihr Regierungsprogramm für die kommenden
Jahre aufgenommen und den Neubau von rund 30 Haftanstalten in
Auftrag gegeben. Mittlerweile sind die vor der letzten Wahl
durch Le Pen propagierten Dimensionen, was fertiggestellte und
laufende Neubauten betrifft, erreicht.
Das
damals lancierte Regierungsprogramm folgte aus der Berechnung,
dass es in Frankreich 59.000 Häftlinge, aber „nur“ 48.000
reguläre Gefängnisplätze gebe. Doch je mehr Knastplätze zur
Verfügung stehen, desto mehr tendieren auch Polizei und Justiz,
neigen repressiv eingestellte Richter dazu, Freiheitsstrafen
ohne Bewährung (statt Bewährungsstrafen und anderer, der
Resozialisierung dienennder Maβnahmen, die ihnen prinzipiell vom
Gesetz her zur Verfügung stünden) zu verhängen. Dementsprechend
ist heute bereits die Zahl von annähernd 65.000 Strafgefangenen
erreicht. In seinem Interview mit der Boulevardzeitung Le
Parisien vom 8. Dezember 05 fordert Jean-Marie Le Pen jetzt
allerdings gleich mal, 200.000 Haftplätze sollten in Frankreich
zur Verfügung stehen und entsprechend viele Gefängnisbauten
vorgenommen werden. Dieses Mal dürfte es noch eine Weile dauern,
bis konservative Politiker an Le Pens Ansprüche heranreichen
werden...
Editorische Anmerkungen
Den Artikel erhielten wir
vom Autor am 17.12.2005 zur Veröffentlichung.
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